Verschiedene internationale Organisationen wie Humanists International und das Menschenrechtsbüro der Vereinten Nationen verurteilen die Fortsetzung des gerichtlichen Vorgehens gegen den ungarischen atheistischen Aktivisten und Publizisten Gáspár Békés. Zwei Jahre nach einem Blogartikel begann eine rechts-christliche Hetze gegen ihn, die zu seiner Entlassung von seinem Arbeitsplatz in der Budapester Stadtverwaltung führte. Den Arbeitsrechts-Prozess konnte er bereits in zwei Instanzen gewinnen, die Stadtverwaltung hätte jetzt die Gelegenheit, das anzuerkennen und nicht mehr zu berufen. Die Basis der Anschuldigungen, freie Meinungsäußerung in einem von dem Arbeitsverhältnis in der Stadtverwaltung unabhängigen Blog, sollte nicht weiter die Berufsausübung beeinträchtigen.
2018 erschien ein Blogbeitrag von Gáspár Békés auf der Website der von ihm mitgegründeten Ungarischen Atheistischen Gesellschaft. Im Beitrag führt Békés aus, wie seiner Meinung nach aus der ungarischen Verfassung und der auch von Ungarn ratifizierten Kinderrechtscharta folgt, dass die Taufe von religionsunmündigen Kindern ab dem Säuglingsalter unzulässig und falsch sei. Er erklärt im Blogartikel auch, dass der Staat religiöse Schulen stärker fördere als säkulare, dass in (damals) 95 Orten die einzige Schule konfessionell gebunden sei (die Zahl dürfte heute wahrscheinlich noch höher sein), und stellt Überlegungen zu einer gesetzlichen Regelung der Taufe an: Zum Beispiel, sie erst ab 16 oder 18 Jahren zu erlauben, Letzteres ist das Alter der Religionsmündigkeit in Ungarn.
So weit, so normal, in einer anderen Demokratie in der EU würde solch ein Blogartikel kein besonderes Aufsehen erregen, die Zielgruppe ist einverstanden, fundamentalistisch Religiöse regen sich kurz auf und widmen sich dann etwas anderem.
Doch nicht in Ungarn. Im Januar 2021 erschien in der Parteizeitung der kleinen christdemokratischen Regierungspartei (in ewiger Koalition mit Viktor Orbáns Fidesz) ein Artikel, in dem Békés "christenfeindliche Hetze" vorgeworfen wurde, zuerst wegen Memes, die er in einer geschlossenen Facebook-Gruppe geteilt hatte. Schnell wurde auch eine Aussage von ihm ausgegraben, dass die ungarischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten des Deutschen Reiches kämpfen mussten, keine Helden, sondern Opfer waren. Dies wurde zu "die Soldaten waren keine Helden" verzerrt. Bald fand man auch seinen Blogartikel über die Kinder-Zwangstaufe. Es folgten Morddrohungen.
Am Ende des Monats forderte der Präsident der "Christdemokraten" den Budapester Bürgermeister zur Entlassung Békés' auf. Nach dem Abschluss seiner drei Master-Studien war Gáspár Békés seit 2020 im Umweltschutzbereich des Amtes des Oberbürgermeisters von Budapest tätig gewesen. Etwas überraschend reagierte der Bürgermeister kurze Zeit später auf die Aufforderung des politischen Gegners und entließ Békés persönlich, ohne Untersuchung, ohne Einbindung einer Ethik-Kommission, gegen den Protest seiner Vorgesetzten.
Die Entlassung eines Mitarbeiters rein auf Grund früherer Äußerungen, die erkennbar nicht im Rahmen der Beschäftigung geschahen, ist natürlich eines demokratischen EU-Staates nicht würdig. Neben dem klaren Grundrechtsverstoß ist auch die Motivationslage des Bürgermeisters unverständlich: Budapest ist seit 2019 eine linke, demokratische Insel im sonst rechtspopulistisch regierten Ungarn. Selbst wenn der Bürgermeister gläubig sein mag (was nicht bekannt ist): Er steht einer linken, grünen Partei vor und ohne die links-liberale Parteienkoalition hätte er die Wahl zum Bürgermeister nicht gewonnen. Insofern wäre zu erwarten, dass ihm Grundrechte wichtiger sein sollten als die Entrüstung der christlichen Rechten. Zu viel christlichen Gegenwind hat er in einer Stadt, die 2011 insgesamt noch 43 Prozent EinwohnerInnen hatte, die sich zu irgendeiner Religion bekennen, auch nicht zu befürchten. Derzeit liegt der Anteil der Religiösen wohl schon unter 40 Prozent.
Békés hat nach seiner Entlassung mit Unterstützung der ungarischen atheistischen Szene und der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen die Maßnahme geklagt. Unterstützt wurde er auch von Humanists International, anderen humanistischen Gruppen und dem Hochkomissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen. Im Mai 2022 gab ihm die erste Instanz – ein Gericht in Budapest – Recht: Er sei wegen seiner progressiv-liberalen Einstellung diskriminiert worden und sollte seinen Arbeitsplatz zurückerhalten, weil die Entlassung zu Unrecht geschehen sei. Auch die zu Unrecht nicht ausgezahlten Gehälter seit der ungerechtfertigten Entlassung stehen ihm zu.
Auch das wäre ein Zeitpunkt gewesen, an dem die links-liberal regierte Hauptstadt zur Kenntnis hätte nehmen können, dass dem Mitarbeiter Unrecht getan und sein Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt wurde. Sie entschied sich jedoch für eine Berufung. Doch auch der Berufungsprozess im März 2023 ging für Békés' aus. Aktuell könnte die Stadt noch einmal berufen. Deswegen ruft Humanists International den Fall wieder international in Erinnerung: Das ist eine Möglichkeit, Grundrechte und ihre Ausübung durch einen säkularen Aktivisten endlich anzuerkennen und den Schaden, der ihm zugefügt wurde, wieder gutzumachen.
1 Kommentar
Kommentare
David Z am Permanenter Link
Wie mir scheint, funktioniert die Justiz in Ungarn so, wie es sich für einen Rechtstaat gehört. Schön!