Freiheit und ihr Gegenteil, "Gefangen sein" – das sind die großen Themen des neuen Buches von Hamed Abdel-Samad. Nach "Mein Abschied vom Himmel" (2009) kann es als weitere, durch neue Gedanken, Erfahrungen, Erkenntnisse, Fragen und Antworten, Mahnungen und Warnungen ergänzte Autobiografie des Autors verstanden werden. Im Nachwort beschreibt er es so: "In diesem Buch habe ich meine eigenen Fragen zum Thema Freiheit formuliert. Als Antwort auf meine Fragen habe ich mein eigenes Narrativ der Freiheit geschaffen, das Produkt meiner Erfahrungen in Ägypten, Deutschland, Japan und anderswo auf der Welt".
"Der Preis der Freiheit" ist ein Buch leidenschaftlicher Plädoyers zum Kampf für die durch autoritäre äußere, aber auch durch rechte, linke und religiöse Fundamentalisten im Inneren bedrohte Freiheit. Als roter Faden dient dabei das "Gefangen sein"; Abdel-Samad beschreibt es in 14 Kapiteln als massive Bedrohung der Zukunft und Freiheit von westlichen Demokratien, Gesellschaftsordnungen und Wissensgesellschaften.
Dazu einige Beispiele:
- Gefangen in der Schuld: Gott liebt die Sünder mehr als die Tugendhaften.
- Gefangen im Patriarchat: Warum sich die Unterdrückung von Frauen durch die gesamte Geschichte zieht.
- Gefangen in der Schale der Gotteskrieger: Freiheit im Namen Allahs.
- Gefangen im Erlösungswahn: Europa zwischen Adams Sünde und Prometheus' Feuer.
- Gefangen im vorauseilenden Gehorsam: Salman Rushdie und die müde Freiheit.
- Gefangen in der Toleranzfalle: Der Multikulturalismus als Herrschaftsinstrument der neuen Linken.
- Gefangen in revolutionären Ideen: Wie konkurrierende Befreiungsideologien den Westen lähmen.
- Gefangen in alten Wunden: Wie Traumata das Weltgeschehen bestimmen.
- Gefangen in der Irrationalität: Auf dem Weg zu einer statischen Gesellschaft.
"Deshalb beobachte ich mit Bedauern, dass die westlichen Gesellschaften langsam vom rationalen zum irrationalen Denken übergehen. Gefühle zählen heute oft mehr als Vernunft. Immer mehr Menschen lassen sich von Wut, Hass und Verschwörungstheorien leiten".
Der auf Grund seiner Islamismuskritik seit 10 Jahren unter Polizeischutz lebende Autor – damit selbst "Gefangen in der Freiheit" – verdeutlicht an Beispielen (auch seiner Mutter), was Totalitarismus und Untertanengeist bedeuten. Er beleuchtet den Zusammenhang zwischen Religion und Unfreiheit und erläutert die Dialektik von Befreiungsideologien, die ethnische und religiöse Minderheiten unterdrückte und Millionen Menschen versklavte. Am Beispiel der Muslimbruderschaft, der er einige Zeit angehörte, zeigt er, dass "Freiheit im Namen Allahs" bedeutet, die Individualität der Menschen zu brechen, sie zu gehorsamen, unkritischen Wesen zu formen.
Als Student zuerst in Kairo und später in Deutschland lernte Hamed Abdel-Samad die Kernideen der Aufklärung – Rationalität und Toleranz – und die daraus sich entwickelnde Evolution des Denkens mit Erkenntnistheorie, Dialektik und Selbstkritik kennen. Fasziniert von der befreienden Kraft des Wissens und des Strebens nach Unabhängigkeit von göttlichen Zwängen wurde die Aufklärung zu einem Kernthema, dem er als Lebens- und Geisteshaltung im Buch breiten Raum gibt. Dies allerdings auch mit dem Hinweis, dass trotz Aufklärung "religiöses Denken, Angst, Schuldgefühle, Wut und Tribalismus die westlichen Gesellschaften nach wie vor beeinflussen und sich in Politik, Medien, Wirtschaft, Aktivismus und Familien manifestieren".
"Totalitarismus beginnt immer mit den Bürgern, die bereit sind, sich zu unterwerfen und sich selbst zu disziplinieren". Abdel-Samad prangert an, dass der Westen seit Jahrzehnten im Umgang mit Islamisten vorauseilenden Gehorsam als Strategie verfolge. Dazu komme, dass Islamkritik von Teilen der neuen Linken als Islamophobie und Kritik am Propheten als Blasphemie gelte. Von diesen Gruppierungen häufig massiv angefeindet, fühlt sich Abdel-Samad als Islamwissenschaftler nicht richtig beschrieben, "denn ich kritisiere nicht nur den Islam, sondern alle Religionen und Ideologien, die die Würde und Rechte des Menschen missachten".
Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Abdel-Samad, was im öffentlichen Diskurs, in den Medien und in der Politik in Deutschland seiner Meinung nach falsch läuft und damit rechte und linke Extremisten sowie auch Gruppierungen und Parteien wie die AfD stärkt. "Ich unterscheide zwischen Multikulturalität als gelebter Realität in Deutschland und Multikulturalismus als von oben verordnete Doktrin. Multikulturalismus vermeidet Konflikte, die durch Migration erwachsen, und arbeitet mit Symbolpolitik, um die Probleme zu überdecken." Im Kapitel "Lobpreis der Freiheit" beschreibt er, was der Westen aus der Geschichte des Auf- und Abstiegs der islamischen Kultur lernen kann und beklagt, wie derzeit irrationale Meme alle Diskurse immer stärker durchdringen. "Noch bevor die Mongolen unserer Zeit (China, Russland und der Islamismus) aktiv in den Westen einfallen, zersetzt sich der Westen von innen heraus und macht es den Angreifern leicht".
Eigene traumatische Erfahrungen in der Kindheit veranlassten Abdel-Samad, sich auch intensiv mit Traumaforschung zu beschäftigen, was ihn dazu bringt, die heutige Weltlage mit fast allen Kriegen, Konflikten und Umwälzungen als Störungen, die aus alten Traumata entstanden sind, zu sehen. "Ja, wir stehen vor vielen Herausforderungen und sind vielen Gefahren ausgesetzt, aber nichts kann uns auf diesem Weg besser leiten als Freiheit, Vernunft, Wissen, Bewusstsein und Empathie."
Uneingeschränkte Lese-Empfehlung für ein Buch, dessen Schlusskapitel "Wehrt Euch" flammende Appelle zur Pflege und Verteidigung unser aller Freiheit vereint:
"Reaktionäre Kräfte bedrohen unsere Lebensweise von außen und innen. In dieser entscheidenden Phase unserer Geschichte ist daher nichts wertvoller und notwendiger als der Kampf für die Freiheit. […] Freiheit ist nicht vererbbar, sondern muss von Generation zu Generation neu definiert und verteidigt werden. Freiheit ist nicht statisch, sie ist lebendig und muss alles Statische infrage stellen. Religion, Dogmen, Ideologien, starre Identitäten und Clan-Kulturen sind statisch und verlangen von uns Gehorsam und Konformität, um ihre Unbeweglichkeit zu sichern. Der Kampf gegen diese statischen Glaubenskulturen ist die Pflicht eines jeden freien Menschen. […] Freiheit ist ein ständiges Bemühen, umsichtig, verantwortungsbewusst, wachsam und bereit für Veränderungen zu sein".
P.S.: Als weitere Lese-Empfehlung hier noch der Hinweis auf das von Hamed Abdel-Samad übersetzte Buch seiner Frau Haneen Al-Sayegh: "Das unsichtbare Band". Autobiografisch sehr berührend beschreibt sie darin ihr Aufwachsen in einer religiösen drusischen Familie im Libanon und ihren Kampf beziehungsweise ihre Entwicklung zu geistiger und materieller Freiheit. Hamed Abdel-Samad: "Aus der Geschichte meiner Frau habe ich gelernt, dass die Begeisterung für die Freiheit unser Leben grundlegend verändern kann."
Hamed Abdel-Samad, Der Preis der Freiheit. Eine Warnung an den Westen, München 2024, dtv, 284 Seiten, 24 Euro
9 Kommentare
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hpd-Leser am Permanenter Link
@ hpd "Gefangen in der Toleranzfalle: Der Multikulturalismus als Herrschaftsinstrument der neuen Linken." Der Humanistische Pressedienst muss irgendwann eine Grundsatzentscheidung treffen: Will er RECHTEN au
Frank Nicolai /... am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Leser. Können Sie bitte genauer erklären, was Sie hier unterstellen? Wo sehen Sie hier "rechte Propaganda"?
Bernie am Permanenter Link
Lieber Frank Nicolai, vielleicht hilft eine Lektüre eines neuen Buches aus den USA - "Wie Faschismus funktioniert" Jason Stanley, ein US-Philosoph.
Derzeit findet Aktualisierung der Faschismusdefinition statt, die aus den USA auch Deutschland - wie immer mit einiger Verzögerung, wenn es Neues aus den USA gibt, dass über den "Großen Teich" schwappt. Dem Verlag der das Buch veröffentlicht hat ist genau darauf hinzuweisen, so wird auch um einiges klarer warum Menschen wie Hamed Abdel-Samad - oder auch Michael Schmidt-Salomon - neuerdings als Rechtsextremisten geoutet werden.
Fazit: "Alte weiße Männer", oder wer gegen Wokeness. und Cancel Culture, ist ein "Nazi" oder ein "Faschist".....seit 2020 sehr aktuell, und eigentlich mehr gegen den Cancler sprechend, mit dessen eigenen Worten, als gegen Hamed Abdel-Samad.
Eine Entwicklung, wie oben erwähnt, die man auch beim Humanistischen Pressedienst, mal sehr kritisch untersuchen sollte - wie schon gesagt, der Trend kommt aus den USA, und nach dem Trend ist jeder, der ein "alter weißer Mann" - z.B. auch Thomas Gottschalk - ist ein Wiedergänger des Zombies, der Deutschland 79 Jahre nach seinem Selbstmord in Berlin, immer noch heimsucht.
Zynische Grüße
Bernie
hpd-Leser am Permanenter Link
@ Bernie Ausser "Wokeness" und "Cancel Culture" fällt Ihnen nichts ein?
Wo wird, Zitat Bernie, "Michael Schmidt-Salomon neuerdings als Rechtsextremist geoutet"?
Stefan Dewald am Permanenter Link
Es gibt Menschen, die sind so links, die sind sonst gar nichts mehr. (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sascha_%E2%80%A6_ein_aufrechter_Deutscher)
Wenn man vom linken Tellerrand kuckt, ist alles immer ganz rechts.
hpd-Leser am Permanenter Link
@ Stefan Dewald Sollte man Hamed Abdel-Samad besser auf der "Achse des Guten" lesen? https://www.achgut.com/autor/abdelsamad Und die anderen hpd-Autoren, die dort Artikel veröffentlichen?
Assunta Tammelleo am Permanenter Link
Guten Tag….
Ja, es gibt ein neues Buch von Hamed Abdel-Samad, „Der Preis der Freiheit“…. Darüber habe ich tatsächlich über ein Interview im Münchner Merkur erfahren…. Zur Kenntnis hier der link zum Interview aus Anlass des Erscheinen des aktuellen Buches https://www.merkur.de/politik/deutschland-islam-kritiker-interview-leben-todesdrohung-afd-migration-93368428.html. Jetzt habe ich auch im hpd mal geschaut…
Was mich ehrlich enttäuscht und irgendwie auch entsetzt, das ist die platte Landung auf dem Thema „Ausländer raus“ von Seiten eines anerkannten Islamkritikers ägyptischer Provenienz. Wenn ein „Migrant“, ein Mann aus einem muslimischen Staat, ehemaliger Muslimbruder, den Islam kritisiert, vor ihm warnt, dann ist das natürlich a) ziemlich sicher besonders berechtigt bzw. glaubwürdig. Und b) natürlich ein wunderbares Thema für hohe Publicity und – damit einhergehend – gute Verkaufszahlen…
Was ich übelnehme, das ist nicht der wirtschaftliche Erfolg….. Sondern das ist, dass Abdel-Samad behauptet, dass die Hätschelung der bekennenden Muslime bzw. ihrer Glaubensinstitutionen hierzulande von staatlicher Seite aus Gründen irgendeines nicht reflektierten, gutmeinerischen Multikulturalismus erfolgen täte. Als Religionskritiker, seit Jahren lebend in einem bundesdeutschen Staat ohne Trennung von Staat und Kirche, weiß er (und sollte es daher auch benennen), dass diese Verhätschelung maßgeblich daher kommt, dass wir hierzulande eine wohl kaum irgendwo sonst gekannte Privilegierung des katholischen bzw. evangelischen Bekenntnisses politisch gepflegt bekommen, was dann eben zur konsequenten Folge haben muss, dass andere religiöse Bekenntnisse auf derartige Verhätschelung/Privilegierung auch Anspruch erheben dürfen.
Und am Rande bemerkt: als Wissenschaftler weiß er natürlich auch, dass nicht alle Migranten bekennende, praktizierende Muslime sind. Und sicher weiß er auch, dass es wissenschaftlich wenig haltbar sein dürfte, eine einfache Verbindung zwischen der hiesigen Kriminalitätsstatik und den Migrantenzahlen herzustellen mal eben so.
Insgesamt erscheint es mir allmählich müßig … aber vielleicht schreibe ich ihm dann noch wenigstens, dass ich um Aufklärung bitten möchte, was genau ein „anständiger Migrant“ denn ist? Als langjährig engagierte Gottlose mit Migrationshintergrund, die ich die bfg-mÜnchen-Vorstände allemal und immer wieder in juristische Verfahren gegen die Bayerische Staatsregierung mit gezogen habe - also juristische Streits gegen die sog. bürgerliche Mitte pflegte und pflege - gehöre zumindest ich somit da mal nicht dazu… Immerhin….
Schönen Abend noch, Grüße aus dem Süden… Assunta
malte am Permanenter Link
Es kommt darauf an, was man unter "Verhätschelung" versteht. Sofern Sie damit die bekannten Privilegien wie z.B.
Ich denke aber, dass es Abdel-Samad vor allem um das "in Watte packen" geht, den Reflex, den Islam grundsätzlich vor jeder Kritik in Schutz zu nehmen. Und hier spielen Multikulturalismus und die damit zusammenhängenden Vorstellungen von "Identität" und "Diversity" die wesentliche Rolle.
A.S. am Permanenter Link
Ich verweise auf den Vortrag und den Bericht zum Vortrag: Die Feinde der offenen Gesellschaft. Auf hpd.de von heute. Hamed Abdel Samad weist auf die Parallelen zwischen Islamismus und Faschismus hin.
Islamismus und Faschismus sind beides autoritäre Gesellschaftsmodelle.
Der hpd-Leser (oben) möge sich fragen: Will er Freiheit/Liberalismus oder eine Form der Diktatur?