Kommentar

Wolfram Weimer – ein Kulturstaatsminister mit religiöser Mission

Die Ernennung von Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister gehört zweifellos zu den umstrittensten Personalentscheidungen der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz. Die Reaktionen aus der Kulturszene reichen von irritiertem Kopfschütteln bis zu blankem Entsetzen. Selbst die konservative FAZ zweifelt an seiner Eignung: "Weimer ein Interesse an irgendeiner Kunst oder Geist zu unterstellen, wäre spekulativ." Dass nun ausgerechnet ein Mann, der die Rückkehr der Religion als Segen für die Gesellschaft feiert und mit offener Abneigung gegenüber kultureller Vielfalt sowie kritischer Kunst die Kulturpolitik eines säkularen Staates verantworten soll, wirkt wie ein Rückfall in reaktionäre Denkmuster.

Besonders bedenklich ist Wolfram Weimers weltanschauliche Agenda. Bereits 2012 legte er mit seinem Buch "Das konservative Manifest" – Untertitel "Zehn Gebote zur neuen Bürgerlichkeit" – ein Programm vor, das wie ein kulturpolitischer Rückschritt wirkt: "Familie lieben", "Tradition hegen", "Nation ehren" – und als Krönung: "Gott achten". Richtig übel wird es, wenn er seine Sorgen um die "Fortdauer des eigenen Blutes" formuliert: "Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so bricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben."

Dass ein solcher Familienbegriff wenig Platz lässt für sexuelle Vielfalt, für queere Lebensentwürfe und die Offenheit einer Kulturszene, die seit Jahrzehnten gerade durch Diversität und Grenzüberschreitung geprägt ist, überrascht kaum. Weimer lässt daran keinen Zweifel: "Die biologische Verschiedenheit zwischen Mann und Frau ist dem Konservativen keine Frage individueller Wahlfreiheit. Sie ist ihm schiere Realität. Wenn ihm die Familie das Heiligtum des Lebens ist, der Ort, wo das Leben hervorgebracht und gehütet wird, dann kann man sie von biologischer Evidenz nicht radikal abkoppeln." Wer eine kulturpolitische Unterstützung für queere Kunst, feministische Perspektiven oder Gender-Reflexion sucht, wird bei Weimer vergeblich anklopfen.

Es handelt sich nicht um harmlose konservative Folklore, sondern um den Ausdruck seiner politischen Überzeugung, die Religion als gesellschaftliches Fundament begreift und nicht als bloße Privatsache. Der Verleger und Cicero-Gründer Weimer formuliert es unmissverständlich: "Der Konservative wird sich selber … nur finden, wenn er bis zur untersten Tiefe seiner eigenen Prinzipien hinabsteigt und aus dieser seiner alten Brunnenstube religiöses Wasser herausholt."

Diese Metaphorik ist bezeichnend. Weimer sieht die Rückkehr der Religion als Heilmittel gegen die "Krise der Moderne". Auch in seinem jüngsten Werk "Sehnsucht nach Gott" (2021) plädiert er für eine "spirituelle Erneuerung" der Gesellschaft – in einem pluralistischen, säkularen Staat ist dieses Denken nicht nur anachronistisch, sondern gefährlich. Denn hinter der frommen Rhetorik verbirgt sich ein kulturpolitisches Projekt: die schleichende Etablierung einer christlich geprägten kulturellen Hegemonie, die Diversität, kritische Stimmen und weltanschauliche Offenheit marginalisiert. Weimer beklagt die "Arroganz der Aufklärung", vermisst den Gottesbezug in der EU-Verfassung und hofft auf ein Europa, das "von einem neo-religiösen Nachzügler zu einem kulturellen Gestalter" in Glaubensfragen wird.

Ein reaktionäres Geschichtsbild

Das Geschichtsbild des parteilosen Kulturstaatsministers ist ebenso schlicht wie erschreckend. Für Weimer ist das 20. Jahrhundert "religiös gesehen eines der gottlosesten der Menschheitsgeschichte". Faschismus und Kommunismus sieht er als Ersatzreligionen, die zu einer "humanitären Katastrophe" geführt hätten, der Millionen Menschenleben zum Opfer gefallen sind. Über die Gewaltgeschichte der Religionen schweigt er hingegen. Stattdessen stilisiert er die beiden Weltkriege zu einem zweiten Dreißigjährigen Krieg in Europa (1914–1945): "Der erste war von radikalen Theismen getrieben. Den zweiten schürten radikale Atheisten." Diese absurde Reduktion komplexer historischer Zusammenhänge auf ein simples Schwarz-Weiß-Schema von Glauben oder Nichtglauben ist nicht nur intellektuell dürftig, sondern gefährlich revisionistisch. Soll ein Mann mit einem derart eingeschränkten Weltbild wirklich für die Erinnerungskultur dieses Landes verantwortlich sein?

Weimer feiert die Rückkehr der Religion weltweit und freut sich, dass sich in New York Tausende Gebetsgruppen am Arbeitsplatz bilden und in den Büros "Breakfast Prayer Meetings" und "Lunchtime Bible Studies" stattfinden, er zieht daraus den Schluss: "Jeder Mensch, der glaubt – woran auch immer – wird von einem Patchwork der Sehnsüchte und Gewissheiten getragen. Wenn man genau wüsste, was Glauben in einem Satz meint, dann wäre es kein Glauben mehr. Glaube lebt von dem Zweifel und der Vielfalt in der Sehnsucht." Der eigentliche Clou seiner Argumentation: Weil Milliarden Menschen glauben, können sie nicht irren. Mehrheitswahrheit als Gottesbeweis. Noch steiler wird es, wenn er erklärt, dass ein Gläubiger als "glaubwürdigerer Zeuge" gilt als ein Atheist: "Denn Ersterer bezeugt etwas Manifestes, Letzterer behauptet etwas über jemanden, dessen Existenz er abstreitet. Das Sehen der Zeugen wiegt doch eigentlich schwerer als das Nicht-Sehen der Gegen-Zeugen." Angesichts solch banaler philosophischer Überlegungen rauft man sich nicht nur die Haare – man fragt sich, wie ein Mann mit derart schlichtem Gottesbeweis ausgerechnet die kulturelle Vielfalt eines säkularen Staates vertreten soll.

Kultureller Rollback

Während Markus Söder mit der Ernennung von Alois Rainer ("der Schwarze Metzger") zum Landwirtschaftsminister ein Zeichen gegen den "woken" Vegetarismus setzen will, dreht der Katholik Friedrich Merz mit Weimer an der kulturellen Schraube: Ein konservativer Rollback soll die Kulturpolitik wieder "auf Linie" bringen – weg von progressiven, experimentellen, kritischen Kunstformen, hin zu einer vermeintlich "gesunden" Kultur, die Tradition, Nation und Religion hochhält.

Weimer ist kein Kulturpolitiker, sondern ein Missionar im Gewand des Staatsministers. Seine Ernennung ist weniger eine kulturpolitische Weichenstellung als ein kulturideologischer Feldzug. Sie ist ein Signal an das konservative Bürgertum – und ein Schlag ins Gesicht all jener, die Kultur als offenen Raum für Widerspruch, Vielfalt und Debatte verstehen. Statt die kulturelle Freiheit zu fördern, droht unter Weimer eine Politik, die Kultur als Erziehungsinstrument begreift – und den säkularen Staat unter das Kreuz zwingt. Man muss ernsthaft befürchten, dass der nächste Evangelische Kirchentag vollständig aus dem Kultur- und Medienetat des Bundes finanziert wird, mit Weimer als oberstem Liturgen.

Fakt ist: Diese Personalentscheidung ist nicht nur ein Fehler, sie ist ein kulturpolitischer Offenbarungseid der CDU.

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