BERLIN. (hpd) Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt ist am heutigen Dienstag gegen 14.30 Uhr im Alter von 96 Jahren in Hamburg gestorben. Er war einer der wenigen deutschen Spitzenpolitiker, die sich offen dazu bekannten, ungläubig zu sein.
Helmut Schmidt (Bundeskanzler von 1974-1982) stand der Philosophie des Kritischen Rationalismus Karl Poppers und Hans Alberts (Mitglied des Beirats der Giordano-Bruno-Stiftung) nahe und beschäftigte sich in den letzten Jahren zunehmend auch mit religiösen und religionspolitischen Fragestellungen. So lud Schmidt im vergangenen Jahr gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad zu sich nach Hause ein, um mehr über den politischen Islam zu erfahren.
In den letzten Jahren distanzierte sich der Altbundeskanzler immer stärker von religiösen Vorstellungen und Institutionen. So kritisierte er im Jahr 2010 in der Sendung "Menschen bei Maischberger", "dass alle Religionen und ihre Bischöfe und Ayatollahs den Gläubigen beigebracht haben, auf die anderen Religionen herab zu sehen, sie für minderwertig zu halten". Er persönlich, bekannte Schmidt, habe seinen Glauben schon vor langer Zeit verloren.
Auf die Nachfrage, ob er nach dem Tod seiner Frau Loki doch vielleicht Trost in dem Glauben an ein Leben nach dem Tod gefunden habe, wurde Schmidt ungewöhnlich deutlich: "Nein, ich habe mich an das gehalten, was meine Frau selbst geglaubt und gesagt hat. Meine Frau ist von Hause aus Biologin und Anhängerin von Charles Darwin. Und sie war der Meinung: Wenn ein Mensch stirbt - ob er nun verbrannt wird oder ob er beerdigt wird oder seine Asche auf See ausgestreut wird – in jeden Fall: Die Atome oder Moleküle, aus denen er zusammengesetzt war, die bleiben. Und eines Tages werden sie möglicherweise von einer Pflanze, die da wächst, aufgenommen und gebraucht für den Aufbau dieses neuen Baumes. Oder möglicherweise werden sie von einem Tier mitgefressen, das irgendwelche Samen frisst. Es geht kein Molekül verloren. Das war ihre Meinung. Und die hat mich immer überzeugt."
Dieses klare naturalistische Bekenntnis verhinderte nicht, dass Helmut Schmidt kurz nach seinem Tod von religiöser Seite vereinnahmt wurde. Im Kondolenzschreiben des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, hieß es, die katholische Kirche verneige sich "vor einem Bundeskanzler, der dem Glauben und der Religion mit Sympathie und Respekt begegnete". Die Kirche sei dankbar, "dass Helmut Schmidt in den vielen Jahren seines politischen Lebens immer wieder öffentlich betont hat, dass sein Wirken durch das christliche Menschenbild geprägt sei". Dass diese Prägung letztlich dazu führte, dass Schmidt seinen Glauben aufgab, vergaß der Kardinal dabei zu erwähnen.
18 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Dieses klare naturalistische Bekenntnis verhinderte nicht, dass Helmut Schmidt kurz nach seinem Tod von religiöser Seite vereinnahmt wurde."
Das nennt man dann "nach dem Tode in die Hölle kommen." Eine andere hat die Religion nicht parat. Aber Schmidt hatte schon zu Lebzeiten mitgeteilt, was er von Phantastereien (zu denen er sicher auch religiöse Vorstellungen zählte) hielt: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!"
Ansonsten bleibt der Verlust eines großen Denkers und Machers zu beklagen, allerdings einer - dies zum Trost - der alles abgeliefert hat. Deutschland hat es ihm viel zu spät gedankt.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Unverschämt dreist, der bigotte Marx.
Dank an die hpd-Redaktion: Ihr habt das schön schnell augegriffen!
Ulrich Handte am Permanenter Link
Ich denke das Intellekt eines so großen Politikers hat es vorgezogen, auch vor dem Glauben der Gläubigen egal welches Coleurs, einen gewissen Respekt zu haben.
Rudolf Dieringer am Permanenter Link
Sehr geehrter Herr Trutnau,
Aber es zeigt sich wieder einmal die Kunst der amtskirchlichen Exegeten und Vordenker, Aussagen so lange umzuinterpretieren, bis es ihrer Sache nützt... Hoffentlich wächst die Zahl derjenigen, die erkennen, was dahinter steckt: "..man merkt die Absicht und wird verstimmt".
Ulrich Handte am Permanenter Link
Die Kutten,-Schwarzkittel setzen immer noch einen drauf !
Glaubensgemeinschaft mit K.d.ö.R in Deutschland) dreimal im Jahr sogenannte Entschlafenengottesdienste für diesen Fall.
Kornelia am Permanenter Link
Zuerst möchte auch ich der Tochter von Herrn Schmidt mein Beileid aussprechen.
Hallo Ulrich,
wir müssen sicher nicht lange warten: beim nächsten Entschlafenenhokuspokus sitzt Herr Schmidt bestimmt in einer der Bänke und hört andächtig den hohlen Phrasen zu - meine damit: einer der Gläubigen erklärt sich sicher bereit, es so gesehen zu haben und es auch bezeugen zu können.
So geschehen schon bei einem gewissen Herrn Luther, einem Herrn Abraham Lincoln, Roy Black, Rudolf Schock usw. usw. Auch Peter Alexander soll nach seinem Ableben wieder zur auserwählten Schar gehören.
Nein, geneigter Leser, das sind nicht meine geistigen Ergüsse zu diesem Thema - das war und ist immer noch gängige Praxis in der NAK:
"Versiegelung" verstorbener Seelen - das Hinzufügen von Seelen zum Werk Gottes, die auf dieser Welt keine Gelegenheit dazu hatten oder sich jetzt im Jenseits eben eines Besseren belehren lassen mussten.
paul am Permanenter Link
Sie und noch einige andere wissen doch, dass gewisse Institutionen so ihre Probleme mit der Sichtweise der Dinge und der Wahrheit haben und wenn es dem Marktanteil nutzt, wird sie auch zurecht gebogen.
Oskar Degen am Permanenter Link
Es steht mir nicht an H. Schmidt zu würdigen; ich wollte mich einfach nur in ein Kondolenzbuch eintragen und habe daher mal danach "gegoogelt".
Charlotte Arand am Permanenter Link
Ist es nicht ebenso unlauter und unanständig, wie Schmidt hier, kurz nach seinem Ableben, für die eigene Sache vereinnahmt wird?
Rolf Schröder am Permanenter Link
Ich hoffe, die beiden folgenden Zitate rücken den Heiligenschein etwas zurecht: (aus: http://www.zeit.de/2008/38/Schmidt-Vorabdruck )
„Gleichwohl nenne ich mich immer noch einen Christen und bleibe in der Kirche, weil sie Gegengewichte setzt gegen moralischen Verfall in unserer Gesellschaft und weil sie Halt bietet.“
„Gleichwohl ist es mir immer selbstverständlich gewesen, den Eid mitsamt der religiösen Zusatzformel zu leisten. Ich wusste immer, die Mehrheit unserer Bürger glaubt, dass es Gott gibt, und sie erwartet meine Anrufung Gottes.“
Liebe Grüße,
Rolf Schröder
Helmut Monreal am Permanenter Link
Lieber Herr Schröder, die beiden Zitate, die Sie von H.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Als ehemaliger Stammwähler der SPD erkläre ich in ehrendem Gedenken an Helmut Schmidt und die ehemals auch säkulare Tradition der SPD,
dass ich diese Pfaffenbüttel nicht mehr wählen werde.
Habt ihr die Predigten schon vergessen und die Hirtenbriefe, die von den Kanzeln verlesen wurden, damit die Gläubigen nicht SPD wählen ?
Ihr habt keinen Grund zu glauben, dass sich das nicht wiederholen könnte.
Tom Brandenburg am Permanenter Link
So war unser Ex-Bundeskanzler aus säkularer Sicht ja doch irgendwie ein Sympath.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Das ist ja ein Haufen von Kommentaren auf meinen kurzen Eintrag vom 10.11., danke (an alle!); eigentlich wollte ich hauptsächlich dem hpd für seine Aktualität danken.
DAS finde ich gut!
Deshalb, z.B., unterstütze ich den hpd in dessen Trägerverein hpd e.V. (was bei Interesse natürlich auch andere Gleichgesinnte tun können, bitte)!
Zur Religiosität von Helmut Schmidt von ihm (lt. FAZ vom 12.11.15, auf Facebook von Michael Koch am 12.11. gepostet) in einem Interview von 2011 unter der Überschrift »Auch ein Gott kann uns nicht retten« :
»Im Christentum steckt eine Reihe von seltsamen Phänomenen. Das Christentum bildet sich ein, eine monotheistische Religion zu sein, ist es aber gar nicht. Jesus Christus ist viel wichtiger als der liebe Gott. Und außerdem gibt es noch einen Heiligen Geist – den hat Jesus Christus nicht erfunden, den hat ein Konzil erfunden. Und neben dieser heiligen Dreieinigkeit gibt es noch die Gottesmutter Maria, die in Polen viel wichtiger ist als Jesus und der liebe Gott. Der Monotheismus ist eine Selbsttäuschung. Das glaubt der Ratzinger, aber der auch nicht ganz. Es ist auch eine Selbsttäuschung der Protestanten. Die alten Griechen waren da viel ehrlicher, die haben gleich viele Götter erfunden. Und nicht bloß vier. Wie die Jungfrau zum Kind gekommen ist, kann kein Christ wirklich glauben. Aber es wird gelehrt. Und keiner glaubt es. Das sind sehr seltsame Dinge. Es wird gelehrt kraft Autorität, kraft institutionalisierter Autorität. Und natürlich muss auch ein Theologiestudent, der die Hoffnung hat, Gemeindepfarrer und später Propst und noch später Bischof zu werden, so tun, als ob er es glaubt.«
Offensichtlich aus: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/interview-mit-altkanzler-helmut-schmidt-ueber-die-letzten-dinge-13907156.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
Lang, aber lesenswert; vorher UND nachher; z.B.:
»Ohne die Renaissance wäre die Aufklärung wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Und die Renaissance wäre wahrscheinlich nicht zustande gekommen ohne den enormen Einfluss des Islam und dessen nahezu phantastische Übersetzertätigkeit. Aristoteles und die anderen großen griechischen Philosophen haben wir ja in Europa dadurch empfangen, dass in Bagdad und in Córdoba unter islamischer Oberherrschaft gleichberechtigt nebeneinander Christen, Muslime und Juden riesenhafte Übersetzerschulen gebaut haben, die die alten griechischen Autoren aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzten. Deshalb konnte Thomas von Aquin konnte die alten Griechen auf Lateinisch lesen. Hoffentlich wissen die heutigen Theologen das. [...] diese Buchgläubigkeit. Die Muslime glauben ja tatsächlich, dass das, was Mohammed als Koran hinterlassen hat, von Gott eingegeben ist. In Wirklichkeit war es ein Mensch, der das geschrieben hat. Und alle die Stücke, die zusammen die Bibel ausmachen, haben Menschen geschrieben. Alle Religionen sind Menschenwerk. Und fast jeder Priester fast jeder Religion wird das leugnen. [UND am Ende:] Die Aufklärung ist nicht rückgängig zu machen.«
@Charlotte Arand: Dies ist keine Vereinnahmung, nur ein Kommentar. (Und wie kämen auch gbs oder hpd dazu, Helmut Schmidt zu vereinnahmen?)
Und zudem, denke ich, mein längster Kommentar bisher im hpd.
Rolf Schröder am Permanenter Link
Lieber Hans,
wir, die gbs-Hamburg, überlegte, ob sie den hpd-Nachruf http://hpd.de/artikel/12406 auf unserer Homepage http://www.gbs-hh.de/ verlinken sollte. Schließlich haben wir davon Abstand genommen.
Helmut Schmidt war einer der besten Politiker, die die BRD je hatte. Er hat sich im hohen Alter auch immer religionskritischer geäußert – aber hat er etwas getan etwa zur Förderung von Aufklärung oder gar zum Abbau der Verflechtung von Kirche und Staat? Richtig ist, dass er stets im Sinne der Kirche gehandelt hat und als Staatsmann auch im Kontext mit der Kirche auftrat – da war er einfach Opportunist.
Hätte er anders gehandelt oder es wenigstens versucht, dann wäre das eventuell ein Grund für eine Würdigung auf einer Seite für Aufklärung und Humanismus gewesen – so wohl kaum.
Lieben Gruß,
Rolf Schröder (gbs-Hamburg e. V.)
Hans Trutnau am Permanenter Link
Lieber Rolf,
Aber wie gesagt, mir ging es hier eher um die Aktualität des hpd bzgl. der Marx-Äußerung.
Das war mir hier viel wichtiger!
Konrad Pohl am Permanenter Link
Dieser Artikel ist mindestens genauso unanständig instrumentalisierend, wie der Tweet von E. Steinbach ...Hauptsache, man kann eigenen Nutzen aus dem Tod eines anderen ziehen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
'Verpohlt', Herr Pohl; ich denke, der Artikel instrumentalisiert nicht, er kommentiert.