Interview

"Ich engagiere mich für Freiheitsrechte und die Prinzipien der Aufklärung"

Die Goethe-Universität wickelt das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam ab. Damit gibt es in Deutschland keine kritische Forschung mehr zum Thema Islamismus. Die Leiterin des Forschungszentrums, Ethnologin Susanne Schröter, bedauert die Schließung und sieht sie im Kontext der an den deutschen Hochschulen dominanten postkolonialen Theorie.

hpd: Mit Ihrem Weggang wird das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam am 1. Oktober seine Arbeit einstellen. Sie haben das Zentrum geleitet und aufgebaut. Man hätte ja auch eine Nachfolgerin finden können.

Susanne Schröter: Ich hatte eine Nachfolgeregelung – die war eigentlich schon vor vielen Jahren klar und auch festgeschrieben. Damals war ich Dekanin meines Fachbereichs. Ich hatte sogar Gelder eingeworben, um eine vorgezogene Nachberufung meiner Professur zu ermöglichen. So hätte sich jemand mit dem Schwerpunkt Islam und Islamismus über fünf Jahre hinweg vorbereiten und das Zentrum übernehmen können. Doch dann ließ man die Berufungsverhandlung platzen, schrieb die Stelle neu aus und besetzte sie schließlich mit einer Mexiko-Expertin. Damit war die Nachhaltigkeit des Zentrums gescheitert.

Das war kein Zufall. Das Zentrum war schon damals vielen ein Dorn im Auge, denn die Beschäftigung mit dem Thema Islamismus steht unter Verdacht. In den Geisteswissenschaften wird das Problem des islamischen Extremismus gern der eigenen Gesellschaft angelastet und man betreibt muntere Täter-Opfer-Umkehr. In meiner eigenen Disziplin, der Ethnologie, kommt eine positive Exotisierung des Islamismus hinzu. Man verklärt ihn als "Frömmigkeit" und bewundert selbst Dschihadisten für ihre kreativen Werbestrategien oder ihre ästhetischen Medienauftritte.

Wenn es um Islamismus im Westen geht, sind Ethnologen, aber auch die Vertreter anderer Geisteswissenschaften, überwiegend der Ansicht, Radikalisierung sei eine Folge gesellschaftlicher Ausgrenzung, verweigerter gesellschaftlicher Teilhabe oder einer grassierenden Islamfeindlichkeit. 2014, als sich tausende junger Menschen aus Deutschland dem IS anschlossen, fokussierte man hauptsächlich auf den Begriff der "Homegrown Terrorists". Natürlich gab es Personen, die direkt in den Salafismus konvertierten – das wären tatsächliche homegrown-Fälle –, aber die Mehrheit derjenigen, die sich dem IS angeschlossen haben, kamen aus islamischen Ländern oder hatten zumindest eine entsprechende Migrationsgeschichte. Ohnehin rekrutierte der IS seine Anhänger vorwiegend aus Ländern, in denen der Islam die dominante Religion darstellte und keine islamfeindliche Diskriminierung existierte.

Im Westen wurden diese empirischen Befunde allerdings beharrlich ignoriert. Die Diskriminierungslegende passte einfach zu gut ins postkoloniale Narrativ, das in den Geisteswissenschaften seit mehr als zehn Jahren hegemonial ist. Wir haben diese Erzählung im Forschungszentrum kritisch hinterfragt und deutlich gezeigt, dass Islamismus vor allem durch die islamistische Ideologie befeuert und durch organisierte Akteure wie die Muslimbruderschaft, salafistische oder radikal-schiitische Netzwerke vorangetrieben wird. Dass diese Perspektive den Vertretern des Postkolonialismus nicht gefiel, war klar, doch der Hass, der uns entgegenschlug, war schon überraschend.

Hat es Ihre Kritiker nie gestört, dass die meisten Opfer des Islamismus Muslime sind? Sie selbst haben ja in einem Ihrer Bücher beschrieben, wie muslimische Frauen in Indonesien nach und nach ihre Rechte verloren haben. Auch die meisten Opfer des IS waren Muslime.

Das hat sie interessanterweise nie gestört – bis heute nicht. Da gibt es einen echten blinden Fleck. Man skandalisiert zwar, dass Frauenrechte in Afghanistan missachtet werden. Doch das geschieht nur dann, wenn es darum geht, afghanische Flüchtlinge nach Deutschland zu holen. Dann heißt es: Dort könne man ja nicht leben, weil die Taliban ein barbarisches Regime errichtet hätten. Aber wenn es um andere Teile der islamischen Welt geht, – zum Beispiel um Nordnigeria, wo die Scharia Grundlage der Rechtsprechung ist – thematisiert niemand die fehlenden Frauenrechte. Das interessiert schlicht niemanden.

Ebenso wenig wird das Fehlen von Frauenrechten in muslimischen Communities angesprochen: Zwangs- und Kinderehen, Gewalt im Namen der Ehre, die eingeschränkte Freizügigkeit von Mädchen, den Zwang sich zu verschleiern – all das wird ignoriert. Auch hier liegt die Ursache in der simplen Logik der postkolonialen Theorie: Die Welt wird in Täter und Opfer aufgeteilt. Die Täter sind angeblich weiß, westlich, männlich und meist heterosexuell. Opfer sind all jene Gruppen, die sich durch äußere Zuschreibungen davon abgrenzen lassen. Muslime haben schnell verstanden, dass sie Vorteile davon haben, wenn sie darauf dringen, den Status einer vulnerablen Gruppe zu erhalten. Allerdings betrifft dies primär die Fundamentalisten oder die Vertreter eines Politischen Islam. Liberale Muslime haben weder ein Interesse an der Dämonisierung des Westens noch passen sie ins Bild.

Sie sind nämlich die schärfsten Kritiker des Islamismus, haben oft selbst schlechte Erfahrungen mit dem Islamismus gemacht oder mussten ihr Heimatland verlassen, weil sie von Islamisten verfolgt wurden. In Deutschland werden sie allerdings ebenfalls bedroht und müssen oft Polizeischutz in Anspruch nehmen, so wie Seyran Ateş, Hamed Abdel-Samad oder Ahmad Mansour. Aber damit nicht genug. Linke Aktivisten, Wissenschaftler und Politiker denunzieren sie als islamfeindlich. Gegen die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek wurde beispielsweise 2006 eine große Kampagne gestartet, um sie wissenschaftlich zu diskreditieren. 60 Migrationsforscher beteiligten sich damals an einem Aufruf mit dem Titel "Gerechtigkeit für die Muslime", den Die Zeit abdruckte. Der Grund für dieses Mobbing war, dass sie über zwangsverheiratete Frauen publiziert hatte, die aus der Türkei nach Deutschland importiert werden. Das war ein Tabu. Wer es brach, musste aus der wissenschaftlichen Community ausgeschlossen werden.

"Man verklärt [den Islamismus] als 'Frömmigkeit' und bewundert selbst Dschihadisten für ihre kreativen Werbestrategien oder ihre ästhetischen Medienauftritte."

Ich habe liberale Muslime wiederholt zu Konferenzen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen eingeladen, damit sie über ihre Erfahrungen sprechen und ihre Ideen vorstellen konnten. Das hat mir ebenso viel Hass eingebracht wie die islamismuskritische Forschung an unserem Zentrum. Denn die liberalen Muslime stellten immer eine Gefahr für die Deutungshoheit der Allianz aus Islamisten und Postkolonialen dar.

Ist dieser postkoloniale Ansatz, der ja nicht nur in Ihrer Disziplin, sondern in vielen anderen verbreitet ist, noch ein wissenschaftlicher Ansatz? Oder handelt es sich dabei nicht vielmehr um einen rein aktivistischen Ansatz, bei dem es eigentlich nur noch um den Kampf gegen den Westen geht – und nicht mehr um die Menschen, die zum Beispiel vom Islamismus bedroht sind?

Ich bin der Meinung, dass Wissenschaft transparent und so objektiv wie möglich sein sollte – wissend natürlich, dass Objektivität immer nur Annäherung sein kann. Postkolonialisten halten das für rassistisch, da eine weiße Person nicht über Schwarze, Muslime oder andere "Opfergruppen" sprechen darf. Für sie gilt in diesem Fall das Betroffenheitsprinzip. Nur die Vertreter der Opfergruppen seien autorisiert über Themen zu sprechen, die ihre Gruppen betreffen. Dass ist wissenschaftlich nicht haltbar, da die Gruppen alles andere als homogen sind. Es gibt liberale, säkulare, agnostische, fundamentalistische und extremistische Muslime; Muslime, die sich durch ethnisch-kulturelle Traditionen von anderen abgrenzen; feministische, schwule, lesbische, heterosexuelle und patriarchalische Muslime; spirituell gesinnte Muslime und solche, die den Islam als politisches Werkzeug betrachten. Kurz: es gibt eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten Muslim zu sein, die nichts mit einer konstruierten Gruppenidentität zu tun haben. Daher kann es auch keinen authentischen Vertreter dieser Gruppe geben. Das funktioniert selbst dann nicht, wenn man über eine islamistische Organisation arbeitet oder über eine Moscheegemeinde, die beispielsweise zur DITIB oder zu Millî Görüş gehört. Wenn Forscher die Perspektive des Moscheevorstands übernehmen und als die einzig legitime Stimme wiedergeben, ist das keine Wissenschaft. Das ist Folkloreproduktion.

Aktivistische Wissenschaft geht allerdings noch darüber hinaus. Man geht mit einer bestimmten These an die Forschung heran, möchte also belegen, dass die Gruppe diskriminiert ist und sucht sich dann die passenden Stimmen zu dieser Aussage. Das widerspricht nicht nur dem wissenschaftlichen Gebot einer ergebnisoffenen Forschung, sondern ist auch noch hochgradig manipulativ. Wissenschaft kann man dies dann nicht mehr nennen, sondern bestenfalls Aktivismus im wissenschaftlichen Gewand.

Was war Ihre Motivation, Ethnologin zu werden?

Mich hat die Vielfalt der Kulturen in der Welt begeistert – und ich wollte sie am liebsten alle kennenlernen. Das Andere, das Fremde hat mich fasziniert – und fasziniert mich noch immer. Mein Großvater war in seiner Jugend Seemann und ist bis nach Shanghai gekommen. Ich fand seine Geschichten großartig, obwohl sie wohl mehrheitlich Seemannsgarn waren. Als Kind habe ich Karl May gelesen, später die Reiseberichte in der örtlichen Stadtbücherei, Bücher über fremde Religionen, den Koran und die Bhagavadgita. Mit 15 Jahren war ich überzeugt, Buddhistin zu sein, wurde aber trotzdem von meinem liberalen evangelischen Pfarrer konfirmiert. Und dann gab es natürlich auch die Phase, in der ich mich als Internationalistin und Antiimperialistin empfand, mit all dem revolutionären Pathos, das dazu gehört. Als ich Anfang der 1980er Jahre in Sri Lanka erlebte, wie zunächst tamilische Hindus von buddhistischen Singhalesen und später buddhistische Singalesen von tamilischen Hindus abgeschlachtet wurden, hat mein Weltbild erstmals empfindliche Risse bekommen. Weitere Studien zu den glorifizierten Befreiungsbewegungen haben mich dann vollends ernüchtert.

Könnten Sie jungen Frauen und Männern heute, mit Ihrem Wissen von heute, noch empfehlen, Ethnologie zu studieren?

Ganz klar: nein. Die freie Forschung, die darauf basiert, dass man in die Fremde geht, sich auf eine unbekannte Kultur einlässt, mit den Menschen lebt, ihre Sprache lernt und mit offenem Blick wahrnimmt, was passiert –, also die klassische Methode der Ethnologie, die teilnehmende Beobachtung, ist heute kaum mehr möglich. Ich habe in einem abgelegenen Gebiet in Indonesien, in einem Dorf, in einer Großfamilie meine erste Langzeitforschung durchgeführt. Ich hatte zwar ein Thema und ein Stipendium, aber ich war an keine ideologischen Vorgaben gebunden. Tatsächlich waren es die Dorfbewohner, die mein Forschungsvorhaben in ihrem Sinne umgestaltet haben. Eigentlich wollte ich über Geschlechterbeziehungen arbeiten. Die Bauern sagten aber: "Das ist doch kein Thema für eine Wissenschaftlerin. Religion – das ist ein Thema." Also habe ich über die Religion dieser Ethnie gearbeitet und darüber meine Habilitationsschrift angefertigt. Das war im Nachhinein gut, denn Gender Studies waren in meinem Fach damals noch überhaupt nicht anerkannt. Religion galt hingegen als Hard Science, und so war der Rat der indonesischen Bauern für mich hilfreich.

"Die liberalen Muslime stellten immer eine Gefahr für die Deutungshoheit der Allianz aus Islamisten und Postkolonialen dar."

Als Ethnologin ist man jemand, der auf dem Zaun zwischen Eigenem und Fremdem sitzt. Man kennt die eigene Kultur und möchte über die andere so viel wie möglich lernen. Idealerweise sieht man die andere Kultur irgendwann mit den Augen der Anderen. Das ist zumindest das Ideal. Der Weg dahin ist lang und hat verschiedene Phasen: Zuerst die große Begeisterung, dann Frustration und Ablehnung, doch schließlich gewinnt man ein realistisches Verständnis.

Dieses Muster findet man übrigens auch bei Migranten in Migrationsprozessen: Wenn Menschen eine Fremdheitserfahrung machen, sehen sie zunächst alles durch eine rosarote Brille und sind begeistert. Irgendwann merken sie, dass manches mit den eigenen Werten kollidiert und sind enttäuscht. Sie kritisieren das Fremde und ziehen sich in die eigene Gruppe zurück. Einige bleiben dann für immer in der Abwehrhaltung und bauen parallelgesellschaftliche Strukturen auf. Andere kommen aus der Ablehnung wieder heraus und integrieren sich.

In der Forschung ist Integration kein Ziel. Wer mit der fremden Kultur verschmilzt und selbst ein Einheimischer wird – wir nennen das "going native" – verliert zwangsläufig die kritische Distanz, die für einen kühlen analytischen Blick notwendig ist. Wer sich andererseits gar nicht auf die Menschen einlassen kann und in einer emotionalen Abwehrhaltung verharrt, wird nichts verstehen – vielleicht sogar vieles gar nicht sehen. Es ist daher wünschenswert, die Position auf dem Zaun beizubehalten. Diese ist allerdings nicht mit einem politischen Aktivismus zu vereinbaren. Wer sich ausschließlich in den Dienst der Sache der Anderen stellt, vernagelt sich selbst den freien Blick. Auch das hat übrigens in unserem Fach eine lange Tradition. Die sogenannte "Action Anthropology" der 1960er Jahre hat genau das zum Ziel erklärt. Wissenschaftlich war das damals allerdings ein Sonderweg, der von der Mehrheit der Ethnologen nicht verfolgt wurde.

Heute ist diese Form der Politisierung der Ethnologie im Fach sehr dominant und durch eine Reihe von Regularien und Interpretationsvorgaben abgesichert, die die Forschung von vorneherein determinieren. Etwas Neues herauszufinden ist in diesem engen Korsett politischer Überzeugungen kaum mehr möglich – höchstens vielleicht in Nischen, die der Politisierung entzogen sind. Deshalb könnte ich jungen Leuten derzeit nicht empfehlen, Ethnologie zu studieren. Vielleicht ändert sich das in ein paar Jahrzehnten wieder, wenn es eine Gegenbewegung gibt. Aber momentan ist dieses Fach leider eines, das keine guten Ergebnisse mehr hervorbringen kann.

Man liest ja viel vom "Vibe Shift". Sehen Sie diesen schon an den Universitäten, in Ihrem Fach und in den Geisteswissenschaften insgesamt?

Nein, an den Universitäten ist dieser Vibe Shift nicht angekommen. Ich würde sogar sagen: die Universitäten, wo die postkoloniale Theorie ihren Anfang nahm und als hegemoniales Konzept in Leitbildern und Förderrichtlinien verankert wurde, werden die letzten Orte sein, an denen sich ein Wandel vollzieht. Das liegt an der akademischen Struktur, die junge Wissenschaftler geradezu zur Unterwerfung zwingt. Sie arbeiten nämlich viele Jahre lang in höchst prekären Verhältnissen, haben keine festen Arbeitsverträge, sondern hangeln sich von Projekt zu Projekt. Dadurch sind sie extrem verwundbar. Sobald sie etwas "Falsches" sagen, kann man sie kaltstellen – ohne Begründung. Man verlängert ihre Verträge einfach nicht mehr, bespricht ihre Publikationen nicht, lädt sie nicht zu Konferenzen oder Job-Talks ein. All das muss nicht einmal erklärt werden. Es gibt keine offene Debatte darüber, was richtig oder falsch ist – man ist einfach draußen.

"Wer sich ausschließlich in den Dienst der Sache der Anderen stellt, vernagelt sich selbst den freien Blick."

Und weil das jeder weiß, versuchen die jungen Leute im vorauseilenden Gehorsam, den dominanten Diskurs zu erfassen, zu reproduzieren und proaktiv zu bestätigen. Das ist fatal – und im Übrigen auch eine neue Entwicklung. Als linke Studentin hatte ich es selbst noch mit überwiegend konservativen Professoren zu tun. Aber diese waren nicht ideologisch verbohrt. Wenn sie jemanden für fachlich gut hielten, förderten sie ihn – selbst wenn er nicht ihre politische Meinung teilte. Das würde heute nicht mehr passieren, weil es nicht mehr darum geht, ob jemand begabt oder unbegabt ist, sondern ob er die "richtige Haltung" hat.

Sind die Studierenden, Doktoranden und wissenschaftlichen Mitarbeiter, die sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangeln, von all dem wirklich überzeugt? Oder ist da Opportunismus im Spiel?

Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Keiner gibt gerne zu, ein Thema aus Opportunismus gewählt zu haben. Von außen betrachtet soll es ja immer so wirken, als geschehe alles aus freien Stücken. Aber schon allein das Eingeständnis, dass das nicht so ist, wäre eine Blamage.

Fest steht jedoch – und das weiß ich, weil mir Betroffene davon berichtet haben –, dass sanktioniert wird, wenn jemand aus der Reihe tanzt. Das kann bei Seminar- und Masterarbeiten, aber auch bei Promotionen passieren. Nehmen wir das Beispiel einer Doktorarbeit: Da arbeitet jemand mehrere Jahre unter hohem Druck und meist mit wenig Geld an einer empirischen Studie. Vom Gelingen hängt die weitere Laufbahn und letztendlich die Existenzsicherung ab. Bei einem Ergebnis, das den Betreuern oder, noch schlimmer, den auswärtigen Gutachtern nicht gefällt, kann es passieren, dass die fertige Arbeit abgelehnt wird.

Das ist bereits mehrfach geschehen. Nie ging es darum, dass die Arbeiten fachlich nicht gut genug waren, sondern es waren stets moralische Urteile, weil das Resultat nicht die Vorannahmen der postkolonialen Theorie bestätigte. Solche Beispiele sprechen sich herum und wirken abschreckend. Niemand will fünf Jahre in eine Dissertation investieren, um am Ende mit leeren Händen dazustehen.

In einer solchen angstvollen Atmosphäre kann man nicht wissenschaftlich arbeiten. Man braucht Freiheit und Ergebnisoffenheit.

Genau. Und die Folgen sieht man auch: Es gibt relativ viele Abbrüche – selbst unter denjenigen, die ich betreut habe. Viele junge Wissenschaftler entscheiden sich unter diesen Umständen bewusst gegen eine wissenschaftliche Karriere. Das bedeutet im Umkehrschluss: wer an der Universität bleibt, muss sich mit den Verhältnissen arrangieren.

Was passiert jetzt mit den Mitarbeitern des Forschungszentrums?

Einige haben anderswo eine Anstellung gefunden, andere werden arbeitslos. Perspektiven gibt es kaum.

Haben Sie an anderen Instituten und Hochschulen Chancen?

Das kann man wohl ausschließen.

Sie werden trotzdem weiterarbeiten, oder?

Ja, ich bin ja nicht an einen Lehrstuhl gebunden. Ich bin Ethnologin, ich brauche keinen Maschinenpark, kein Labor, kein großes Team. Meine eigenen Forschungen habe ich stets allein durchgeführt oder mit einem einzelnen Mitarbeiter.

Es geht dabei also nicht um mich, sondern um die Möglichkeiten, die eine Institution bietet: als Arbeitsfeld junger Wissenschaftler und als Einrichtung kritischer Wissenschaft, die sichtbar ist. Wissen über Islamismus – also eine kritische Islamforschung – ist dringend nötig. Es ist kaum nachvollziehbar, dass Forschungen zu diesem Thema immer stärker zurückgedrängt werden, obwohl das Thema gesellschaftlich immer relevanter wird.

Wir haben zunehmend Konflikte in Schulen, die durch religiös motiviertes Mobbing durch islamistische Schüler hervorgerufen werden. Güner Balci, heute Integrationsbeauftragte in Neukölln, hat bereits 2010 den Film "Kampf im Klassenzimmer" gedreht. Darin ging es um Mobbing von Schülern ohne Migrationshintergrund durch muslimisch-türkische Schüler in Nordrhein-Westfalen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Ein anderes Problem ist die Unterdrückung von Mädchen, besonders von muslimischen Mädchen, die kein Kopftuch tragen und keine islamistischen Verhaltensregeln befolgen. Noch schlimmer ist die Lage für jüdische Schüler: Wenn offenkundig wird, dass sie jüdisch sind, müssen sie oft die Schule wechseln. Neulich hat ein schwuler Lehrer über die massiven Anfeindungen berichtet, die er von muslimischen Schülern erfuhr, und immer wieder sind es Lehrerinnen, denen kein Respekt entgegengebracht wird, weil sie Frauen sind  – übrigens nicht nur von Schülern, sondern auch von Eltern.

"Wissen über Islamismus – also eine kritische Islamforschung – ist dringend nötig. Es ist kaum nachvollziehbar, dass Forschungen zu diesem Thema immer stärker zurückgedrängt werden, obwohl das Thema gesellschaftlich immer relevanter wird."

Das alles ist nicht neu, doch solche Situationen nehmen zu, weil es immer mehr Schulen gibt, an denen muslimische Kinder in der Mehrheit sind. Die Forderung nach Geschlechtertrennung im Schwimm- und Sportunterricht, Gebetsräumen, Halal-Essen in der Kantine sowie danach, während des Ramadans keine Prüfungen durchzuführen, kommen immer häufiger vor. Immer häufiger sind kleine Mädchen verschleiert. Selbst der Otto-Versand reagiert inzwischen auf steigende Nachfrage nach Ganzkörperverhüllung für Kinder. Alles dies sind Zeichen, dass Islamisten immer selbstbewusster werden.

Und genau deshalb braucht es Expertise, die diese Tendenzen einordnet. Ich werde regelmäßig gefragt: Ist das normal? Müssen wir das Kopftuch bei Lehrerinnen, islamistische Gesten bei Fußballspielern oder den Muezzinruf akzeptieren? Müssen wir tolerant sein, wenn Kinder den Musikunterricht aus islamischen Gründen ablehnen? Oder ist das bedenklich?

Diesen Informationsbedarf haben Lehrer, Sozialarbeiter, Gefängnismitarbeiter, Polizisten, Politiker und Journalisten. Unser Forschungszentrum hat über Jahre hinweg genau diese Aufgabe übernommen: Wir haben beraten und Veranstaltungen organisiert, die sich explizit auch an die Öffentlichkeit richteten. Es ist schade, dass es das zukünftig nicht mehr geben wird – und es ist, ehrlich gesagt, ein Armutszeugnis für Deutschland. Österreich leistet sich ein staatlich finanziertes "Dokumentationszentrum Politischer Islam" mit festangestellten wissenschaftlichen Mitarbeitern, doch bei uns zucken selbst konservative Politiker zurück, wenn man den Vorschlag macht, etwas Vergleichbares einzurichten.

Sie sehen sich als Linke. Wie haben Sie es empfunden, in den vergangenen Jahren immer wieder als rechts denunziert zu werden?
 

Ich engagiere mich für Freiheitsrechte und die Prinzipien der Aufklärung, halte Kritikfähigkeit hoch und würde mir eine wirkliche Debattenkultur wünschen. Ich habe so etwas immer für links gehalten, bin dafür von postkolonialen Linken allerdings als Rechte, Rassistin und Islamfeindin beschimpft worden. Begründet wurde dies entweder gar nicht oder nur mit einem inhaltsleeren Statement, in dem identitätslinke Worthülsen aneinandergereiht wurden. Das war zuallererst eine Beleidigung des Intellekts und zeigt, in welch erbärmlichem Zustand sich die postkoloniale Linke befindet. Viele klassische Linke wollen unter diesen Umständen nicht mehr links sein, und der Berliner Dramaturg Bernd Stegemann hat kürzlich sogar gesagt, er würde es mittlerweile als Beleidigung empfinden, als Linker bezeichnet zu werden. Ich kann das gut verstehen. Die Kategorien verrutschen und sagen nichts mehr aus. Weniger symbolische Etikettierung und mehr Inhalt täte gut.

In meinem Fall ist die Sache ganz klar: Ich halte die liberale Demokratie für das beste Gesellschaftsmodell, das weltweit existiert. Diese Demokratie wird zurzeit von drei Seiten bedroht: von Rechtsextremen, von postkolonialen Linken und von Islamisten.

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