Neuer Wehrdienst manifestiert überholtes Geschlechtermodell

Vergangene Woche hat das Bundeskabinett ein Wehrdienst-Modernisierungsgesetz beschlossen. Ein zentrales Element bleibt dabei jedoch unangetastet: Die Ungleichbehandlung der Geschlechter.

Vorerst soll die Wehrpflicht noch nicht wiedereingeführt werden. Neben kürzeren Verpflichtungszeiten ist jetzt neu, dass alle volljährigen jungen Menschen einen Fragebogen erhalten, der ihre "Bereitschaft und Fähigkeit zur Ableistung des Wehrdienstes" feststellen soll. Für Frauen ist das Ausfüllen optional, für Männer ist es jedoch verpflichtend. Der hpd hat beim Bundesministerium der Verteidigung angefragt, wie die Ungleichbehandlung der Geschlechter begründet wird, warum nicht alle jungen Menschen im Rahmen der Gleichberechtigung zur Beantwortung verpflichtet werden und ob dies nicht eine Gelegenheit gewesen wäre, hier zeitgemäß zu reformieren.

Eine Sprecherin der Bundeswehr in Köln antwortete, dass sich die Verpflichtung zum Ausfüllen des Fragebogens für Männer aus dem Wehrpflichtgesetz in Verbindung mit Artikel 12a des Grundgesetzes ergebe. "Für eine Verpflichtung von Frauen wäre eine Grundgesetzänderung nötig, welche eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderlich machen würde." In besagtem Grundgesetzartikel heißt es in Absatz 1: "Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden." Und in Absatz 4: "Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden." – Grundsätzlich können also Männer zum Wehrdienst verpflichtet werden, Frauen aber nicht.

Worauf fußt dieser Grundsatz? Ist es die körperliche Unterlegenheit, die rein physisch ja gegeben ist? Ist es also die Vorstellung von der schwachen Frau, die nicht kämpfen kann? Oder eine davon, dass die Frauen Kinder nachgebären sollen, während die Männer an der Front fallen? Der Spiegel erklärte es 1984 in einem Artikel. Das Gesetz in seiner heutigen Form stammt aus dem Jahr 1956. Wenig überraschend hatte eine CDU-Politikerin, die auch Oberkirchenrätin war, ihre Finger im Spiel: Elisabeth Schwarzhaupt. Laut Spiegel habe sie "das Waffenverbot ausdrücklich nicht juristisch, sondern politisch-moralisch begründet": "Es kam dem Rechtsausschuß darauf an, daß mit programmatischem Nachdruck im Grundgesetz ausgesprochen wird, daß unsere Auffassung von der Natur und der Bestimmung der Frau einen Dienst mit der Waffe verbietet."

Unter dem Eindruck des damals erst elf Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkriegs und dem berüchtigten Frauenbild der 50er Jahre ist diese Sichtweise herleitbar. Doch sie unterscheidet sich, fast 70 Jahre später, deutlich von unserer jetzigen. Umso erstaunlicher, dass dieser Verfassungsartikel unhinterfragte Gesetzesgrundlage bleibt. Denn selbst eine "modernere" Interpretation dahingehend, dass Frauen durch das Kinderkriegen Zeit "verlieren", die sie nicht für Erwerbstätigkeit nutzen können, und dass ausgleichend der Wehr- oder Zivildienst nur Männern auferlegt wurde, scheint in Zeiten des Anspruchs auf Elternzeit für beide Geschlechter überholt.

Wenig zielführend ist dabei auch eine Argumentation, wie sie die Bundeswehr-Professorin Kathrin Groh gegenüber Telepolis vertrat, als sie den Status Quo "für Frauen eigentlich total fantastisch" nannte. "Die Wehrpflicht für Männer sei 'eben eine Ausnahme zum Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter', zitierte sie das Portal. Würde man andersherum argumentieren, dass Frauen zu etwas keinen Zugang hätten und das eine Ausnahme zum Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschlechter darstelle, würde das zu Recht nicht akzeptiert. Telepolis schreibt weiter: "Auf die Frage, ob diese Entwicklung nicht die binäre Rollenverteilung und damit die Ungleichbehandlung von Frauen verstärke, entgegnete sie [Groh, Anm. d. Red.]: 'Das ist nicht mein Blick auf Feminismus.' Da Frauen ohnehin Nachteile hätten, sei es nur fair, wenn Männer an dieser Stelle ungleich behandelt würden." Diese Art der Cherrypicking-Argumentation entzieht feministischen Bestrebungen Glaubwürdigkeit. Gleiche Rechte müssen immer auch mit gleichen Pflichten einhergehen, andernfalls kann man nicht von Gleichberechtigung sprechen.

Andere Länder sind da mitunter schon weiter: Norwegen etwa hat als erstes NATO-Land 2015 die Wehrpflicht auch für Frauen eingeführt. In Israel gilt ebenfalls eine Wehrpflicht für beide Geschlechter, wenn auch für Männer ein Jahr länger. Dänemark will ab kommendem Jahr seine Wehrpflicht auch auf Frauen ausdehnen. Schweden arbeitet wie jetzt auch Deutschland mit einem Fragebogen – den allerdings Männer und Frauen ausfüllen müssen.

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