„Ohne Deschner gäbe es keine gbs“

 

Prof. Dr. Hermann Josef Schmidt hat den Text seiner Laudatio freundlicherweise dem hpd zur Verfügung gestellt:
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Christentumskritisches Gesamtwerk als fundamentalismuskritisches Memento
oder Kleine Laudatio auf den großen Aufklärer Karlheinz Deschner*)

von
Hermann Josef Schmidt

Lieber Herr Deschner, geschätzte Anwesende, liebe Mitglieder oder Freunde der gbs und zumal kritischer Aufklärung!

"Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: es ist gut."

Aus einem Gedicht eines Ihrer besonders geschätzten Poeten, aus Georg Trakls Verklärter Herbst, nehme ich für meine neuerliche Laudatio einige Stichworte als Leitschnur. Das 2004 eingangs diskutierte Problem wohl jedweder Laudatio: wie entschärfe ich die kuriose Konstellation, daß der Laudator sich über den Adressaten der Laudatio zu überheben scheint, übergehe ich in der Hoffnung, daß die Art meiner Laudatio nun für sich selbst spricht.

I.

So setze ich als Prolog, exemplarisch wohl für viele Tausende wenigstens meiner Generation, mit zwei Erinnerungen ein, die bereits belegen, wie innovativ und aufklärungsstimulierend Sie, lieber Herr Deschner, schon vor Jahrzehnten dank Ihrer Publikationen gewirkt haben.

Ich beginne mit derjenigen eines Unterprimaners einer von Ordensgeistlichen geleiteten Internatsschule der späten 1950er Jahre, dem ein Mitschüler nach den Weihnachtsferien ein schmales Bändchen zusteckte, das ihm seine Mutter noch ins Reisegepäck geschmuggelt hatte. Es war Ihre erste literarische Streitschrift Kitsch, Konvention und Kunst. Erst dank dieser entdeckte ich mit Hermann Broch, Hans Henny Jahnn und Robert Musil drei grandiose Schriftsteller und schärfte wie Tausende anderer dank Ihrer Ermutigung und Nachhilfe vor allem mein literarisches sowie kritisches Bewußtsein, denn die damals Geschätzten fielen ebenso wie mir bekannte Autoren der Gruppe 47 derart gegenüber den von Ihnen positiv präsentierten Autoren ab, daß ich diese Diskrepanz als peinlich empfand und im Blick auf Maßstäbe mißtrauisch wurde, die dem Renommee bekanntgemachter Autoren zugrundegelegen haben dürften.

Kurz: von nun an las auch ich Texte anders. Und der Name Karlheinz Deschner stand seitdem für extraordinäres Stilempfinden, intellektuelle Eigenständigkeit und innovative Perspektiven, argumentative Qualität sowie Seriosität und für keineswegs geringe provokative Prägnanz.

Umso größer wenige Jahre später - meine zweite Erinnerung - mein Erstaunen, als in einer Sprechstunde ein Freiburger Professor mir ein eingewickeltes voluminöses Buch überreichte und bedeutete, es erst zuhause anzusehen. Es hätte ja jemand unangemeldet in den Raum kommen können! Westdeutschland, 1962! Das Buch war Ihre fulminante kritische Kirchengeschichte mit dem treffsicheren Titel Abermals krähte der Hahn. Da sollte ein reflektierender Leser wohl bemerken: derlei Hähne krähten perennierend, wurden zunehmend lauter, schriller, zelebrierten ihre Kakophonie "von den Anfängen" und keineswegs nur "bis zu Pius XII." Wohl nicht nur für den sich damals auch mit Religionsgeschichte und zumal -kritik Beschäftigenden war dieser Band sogar noch wichtiger geworden als Ihre erste literarische Streitschrift. Schließlich stellt wohl erst dieser Band das eigentliche Flaggschiff einer ganzen erst in ihrem Kielwasser folgenden Armada religions- und zumal Christentums- oder nur kirchenkritischer Literatur seit den 1960er Jahren.

II.

Nun auf die Spur einiger ausgewählter Stichworte aus Verklärter Herbst.

"Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten."

Titel und erster Vers bedürfen kaum eines Kommentars: in den Herbst Ihres sich dem zehnten Jahrzehnts annähernden Lebens fällt die Vollendung des exemplarischen christentumskritischen Jahrhundertwerks, der Kriminalgeschichte des Christentums.

"Gewaltig" ist zutreffend, denn diese Kriminalgeschichte ist, genauer besehen, ein ungeheures opus, doch das schlichte Verb "endet" bedarf der Korrektur, denn mit Band 10 endet zwar die Kriminalgeschichte, eine andere Art von Dekalog, doch nicht Ihr Publikationsprozeß. Schon der Herbst dieses Jahres zeitigt als Auswahl letzter Hand alte und neue Aphorismen unter dem Titel Anonym wie der Wind oder Illusionen keine.

So wirft "Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten" wohl nur Fragen für diejenigen auf, die von der Kriminalgeschichte am liebsten als von abgestandenem Essig oder gar von Jauche sprechen würden. So war ein Versuch von 19 katholischen Professoren an der Katholischen Akademie in Schwerte in einer Art Anti-Deschner-Tribunal vom 1.-3.10.1992 die der Antike geltenden Bände in der Absicht durchzukämmen, das Werk als in mehrfacher Hinsicht unwissenschaftliche und unseriöse Kriminalisierung des Christentums aufzuweisen, nicht gerade von Erfolg gekrönt. Dank Ihrer glänzenden Replik, die einem als Kronzeugen der Anklage in Szene gesetzten Beitrag galt, und der dem Gesamtprojekt geltenden Seriositätsüberprüfung des Laudators erwies sich die Unternehmung auf so peinliche Art als Rohrkrepierer, daß seitdem m.W. kein vergleichbares Projekt mehr gestartet wurde. Schlicht formuliert: in seiner Intention lief das aufwendige Deschner-Kolloquium wenn nicht auf publizistische Existenz- so doch längerfristige Renommeevernichtung dieses Kritikers hinaus. Doch man sehe sich die insgesamt eruierten Petitessen in Relation zu den argumentativen Schwächen dieser Kritiken und den Bemühungen, nach vielen Jahrzehnten wenigstens im Blick auf den renommiertesten Kritiker kurzzeitig argumentative Lufthoheit zurückzugewinnen, genauer an!

Aufklärer hingegen dürften Stichworte wie "goldener Wein" und zumal "Frucht der Gärten" als zutreffend bewerten. Dazu nun etwas genauer.

Als vorhin die Stichworte "Flaggschiff" und "Armada" fielen, berücksichtigte ich, daß die historische Armada unterging. Vergleichbares gilt wohl auch für die meisten großenteils nur sehr bedingt kirchenkritischer Titel, die nach Abermals krähte der Hahn zwar mit der Intention auf den Markt gebracht worden sein dürften, an des Hahns Erfolg partizipierend diesen möglichst zu minimieren, ihrem kognitiven Eintagsfliegenstatus angemessen jedoch rasch wieder zu verschwinden.

Ganz anders das als "Flaggschiff" bezeichnete frühe christentumskritische Werk Abermals krähte der Hahn, dem ein religions-, Christentums- und kirchenkritisch bestarmierter Flottenverband Karlheinz Deschners folgte, dem aus einer Reihe von Gründen weltweit m.W. nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen ist.

Nun erst sind wir beim eigentlichen Gegenstand meiner kleinen Laudatio auf den großen Aufklärer Karlheinz Deschner.