Im Juni werden in der Türkei Parlament und Präsident gewählt. Um seine Wiederwahl zu sichern, legt sich der durch die aktuelle wirtschaftliche Lage an Beliebtheit einbüßende Präsident Recep Tayyip Erdoğan ins Zeug: Eine erneute Anhebung des Mindestlohnes und der Wegfall des Renteneintrittsalters mit Beginn dieses Jahres haben bei vielen für Freude und Dankbarkeit gesorgt. Wenig Grund zum Jubel jedoch gibt es für queere Menschen. Ihre Wahrnehmung und ihre Rechte sind in Gefahr.
Laut türkischer Verfassung sind alle Menschen gleich und haben die gleichen Rechte. Was für konservative Gruppen gelten mag, gilt für jene aus dem LGBTIQA+-Spektrum nicht. Während die einen auf den Straßen offen das Verbot von LGBT-Verbänden fordern können, werden im Gegenzug Pride-Veranstaltungen, welche für die Rechte von Homo- und Bisexuellen, Trans- und anderen queeren Personen werben, verboten. Eine Situation, die dafür sorgt, dass Aktivist*innen aus Angst um ihre Sicherheit das Land verlassen.
Im Zuge der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni dieses Jahres wäre zu erwarten, dass der amtierende Präsident Erdoğan und die Politiker*innen seiner Partei AKP möglichst viele Wahlberechtigte hofieren oder zumindest nicht bedrohen. Schließlich hat die wirtschaftliche Lage, inklusive einer Inflation von über 60 Prozent, die Beliebtheitswerte fallen lassen.
Dass dem nicht so ist, zeigt nicht nur der Umgang mit beziehungsweise die Angriffe auf die kurdische Minderheit im Land und die pro-kurdische Partei HDP. Auch queere Personen werden attackiert. Zum Beispiel, indem ihre Bemühungen um ihre Rechte und ihre Wahrnehmung in die Nähe von Terrorismus gerückt werden. Der für seine LGBTIQA+-feindlichen Aussagen bekannte Innenminister Süleyman Soylu hatte erst Ende des letzten Jahres den Einsatz für die Rechte queerer Menschen als kulturellen Terrorismus bezeichnet, der türkische Werte, zum Beispiel die familiäre Loyalität oder auch elterliche Liebe, im Sinne Westeuropas und Amerikas zerstören solle. Damit steht er dem Präsidenten in nichts nach, von dem ähnliche Töne bekannt sind.
Obwohl die Freude über den Wegfall des Renteneintrittsalters hin zu einer Anzahl geleisteter Arbeitstage und den erneuten Anstieg des Mindestlohns um 55 Prozent bei vielen Menschen groß ist, ist doch auch das Bewusstsein dafür da, dass es sich bei den Maßnahmen um sehr teure Wahlwerbung handelt, für die künftige Generationen werden zahlen müssen.
Bleibt also zu hoffen, dass bei der Stimmabgabe die wirtschaftliche Zukunft junger Türk*innen und die Belange von Minderheiten auch eine Rolle spielen werden.
In Deutschland wird die Entwicklung in der Türkei teilweise mit Besorgnis beobachtet. Während manche türkischstämmige queere Personen noch ohne große Sorge in die Türkei in den Urlaub fahren, überlegen andere sehr gut, ob sie überhaupt ihre Familien besuchen können.