In Berlin dürfen Lehrerinnen nun mit Kopftuch unterrichten. Während die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung die Neuerung begrüßt, sehen säkulare Vertreter sie kritisch.
In Berlin hat die Schule nach den Sommerferien wieder begonnen. Neu in diesem Schuljahr: Lehrerinnen dürfen nun mit Kopftuch unterrichten. Berlin war das letzte Bundesland, in dem dies aufgrund des Neutralitätsgesetzes, das "die Beachtung der staatlichen religiösen und weltanschaulichen Neutralität im Öffentlichen Dienst" sicherstellen soll, untersagt war. Doch vor drei Jahren hatte das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass ein pauschales Kopftuchverbot für unterrichtende Frauen an Berliner Schulen unzulässig sei. Daraufhin legte das Land Berlin Verfassungsbeschwerde ein, diese wurde Anfang dieses Jahres jedoch abgelehnt.
Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman meldete sich zum Schuljahresbeginn auf Instagram zu Wort: "Heute ist ein guter Tag für die Religionsfreiheit", ließ sie verlautbaren, "Zum ersten Mal dürfen Lehrkräfte an öffentlichen Berliner Schulen mit Kopftuch unterrichten."
Säkulare Vertreter:innen kritisieren diese Aussage der Antidiskriminierungsbeauftragten vehement. "Wenn die Beauftragte für Antidiskriminierung ein Symbol für Diskriminierung begrüßt, macht sie das Gegenteil ihres Jobs", stellt der Vorsitzende des Zentralrats der Konfessionsfreien Philipp Möller fest. Das Kopftuch werde oft als Instrument zur Unterdrückung von Frauen eingesetzt. "Vor allem angesichts der Gewalt gegen Frauen im Iran und in Afghanistan sind Ferda Atamans Worte mindestens unsensibel", so Möller weiter. Weil Frauen dort per Gesetz zum Kopftuch gezwungen und gewaltsam aus dem öffentlichen Leben gedrängt werden, sei es vollkommen deplatziert, die religiöse Verschleierung an hiesigen Schulen willkommen zu heißen.
Philipp Möller, Vorsitzender des Zentralrats der Konfessionsfreien
Daran knüpft Naïla Chikhi von den Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung an und warnt: "Die Etablierung der islamistischen Ideologie in einer Gesellschaft beginnt immer mit dem Kopftuch und dem Eindringen in die Schulen. Eine Bundesbeauftragte, die diese Vorgehensweise der Fundamentalisten in den zum Islamismus reislamisierten Ländern bewusst oder unreflektiert ignoriert, ist ihres Amtes – auch in unserem Staat – nicht würdig." Das Kopftuch sei kein muslimisches Gebot, sondern die Materialisierung einer sexistischen ideologischen Interpretation des Islam durch streng konservative bis fundamentalistische religiöse Kräfte. "Es segregiert Frauen von Männern (Mädchen von Jungen) sowie Frauen und Mädchen untereinander (muslimisch und sittsam versus nichtmuslimisch und sündig gelesene Frauen/Mädchen)", erläutert Chikhi gegenüber dem hpd.
Naïla Chikhi, Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung
Das Argument, viele muslimische Frauen trügen das Kopftuch freiwillig, hält Möller für fadenscheinig und ergänzt: "Wenn Mädchen von klein auf lernen, dass sie nur mit Kopftuch eine gute Muslima sind, kann von Freiwilligkeit überhaupt keine Rede sein. Natürlich haben Eltern das Recht, ihre Kinder religiös zu erziehen, aber sie haben kein Recht, staatliche Einrichtungen dafür zu nutzen – ganz im Gegenteil: Schulen müssen mit Aufklärung dagegenhalten und sagen: Mädchen haben exakt die gleichen Rechte wie Jungs." Eine Lehrerin mit Kopftuch könne diese Grundhaltung beim besten Willen nicht transportieren. "Als Vorbilder setzen sie alle Mädchen aus muslimischen Communitys unter Druck, die kein Kopftuch tragen." Der Zentralratsvorsitzende wundert sich über die Geräuschlosigkeit, mit der in Berliner Schulen die letzte Bastion der weltanschaulichen Neutralität gefallen ist. "Die Gleichberechtigung von Frauen musste bitter erkämpft und bis heute verteidigt werden. Dass nun ausgerechnet die Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung das Kopftuch als Sieg für die Freiheit feiert, ist vielleicht nicht so gemeint, aber es ist ein Frontalangriff auf die Offene Gesellschaft."
"Die Aufgabe der Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes ist auch, den Schutz von Mädchen aus islamischen Gemeinschaften vor Diskriminierung durch Fundamentalisten zu garantieren", stellt Rebecca Schönenbach von Frauen für Freiheit klar. Stattdessen begrüße sie die Entscheidung, den weltanschaulichen Schutzraum der Kinder in der Schule zu Gunsten von einigen wenigen Lehrerinnen aufzugeben, die nicht bereit seien, ihre religiösen Überzeugungen hintenan zu stellen. "Anders als von Islamisten verbreitet, ist Neutralität nicht grundgesetzwidrig. Das Bundesverfassungsgericht fordert lediglich eine Reform in Hinsicht auf konkrete Gefahren." Wie dies geht, habe NRW mit einer Justizreform gezeigt. "Diese Reform sollte Frau Ataman in allen Bundesländern fordern, um in einer multikulturellen Gesellschaft den Schutz aller zu gewährleisten. Stattdessen feiert sie Religionsfreiheit wie Islamisten sie verstehen – als das Aufgeben des Schutzes von Religionsfreien."
Rebecca Schönenbach, Frauen für Freiheit
Auch die Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz meldet sich zu Wort: "Wir bedauern es außerordentlich, dass das pädagogische Personal in Berliner Schulen ab sofort demonstrativ religiös-konnotierte Kleidung tragen und auch religiöse Symbole zeigen darf", so der Rechtsanwalt Walter Otte. Es gelte aber, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu respektieren, "auch wenn es geboten gewesen wäre, dass das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zum Berliner Neutralitätsgesetz trifft". "Nach wie vor hat kein Gericht dieses Gesetz jemals für verfassungswidrig erklärt", betont Otte. Und: "Wer jetzt die 'Religionsfreiheit' für Lehrerinnen als gestärkt ansieht, will suggerieren, dass dies bisher nicht der Fall war. Das trifft aber nicht zu, da es in Berlin nicht auf die konfessionelle Zugehörigkeit der Beschäftigten in den allgemeinbildenden Schulen ankommt. Womit wir es zu tun haben, ist, dass eine Minderheit meint, das Gebot weltanschaulicher Neutralität des Staates nicht respektieren zu müssen. Die anstehende Anpassung des Neutralitätsgesetzes für den Bereich der allgemeinbildenden Schulen muss unmissverständlich klarstellen, dass der Grundsatz der staatlichen Neutralität und der Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Schulen wichtiger ist als die Oberbekleidung von Lehrerinnen und Lehrern."
Walter Otte, Initiative PRO Berliner Neutralitätsgesetz
Die juristische Perspektive führt die stellvertretende Direktorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) Jessica Hamed noch weiter aus: "Die Lösung des Bundesverfassungsgerichts, dass erst wenn der Schulfrieden gestört ist, sprich der Konflikt an der Schule eskaliert, ein Kopftuchverbot verhängt werden kann, ist nicht die vermeintlich salomonische Lösung: Sie ist weder praktikabel noch zufriedenstellend und zudem verletzt sie das Gebot der weltanschaulich-religiosen Neutralität. Das Ende des Kopftuchverbots in Berlin ist damit, anders als Ataman meint, kein 'guter Tag für die Religionsfreiheit', sondern vielmehr ein schlechter für den weltanschaulich-neutralen Staat und die Gleichberechtigung der Geschlechter."
Jessica Hamed, Institut für Weltanschauungsrecht