DAVA – Erdoğan-Partei für Deutschland

Im Januar gründete sich die "Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch" (DAVA). Derzeit ist sie formaljuristisch eine Wählervereinigung. DAVA will bei der Europawahl 2024 sowie zukünftig bei Bundestags- und Landtagswahlen antreten. Die Initiative schmückt sich mit progressivem Vokabular, versammelt jedoch Lobbyisten des Politischen Islam in ihren Reihen. Auch ihr Wahlprogramm ist bei genauerer Betrachtung konservativ-islamischer Prägung. Wie sind ihre Erfolgsaussichten einzuschätzen und wer errichtet eine Brandmauer gegen die "türkische Variante der AfD"?

Chef des Parteivorhabens ist Teyfik Özcan. Özcan war 30 Jahre Mitglied der SPD und fiel dort bereits mit seiner Sympathie für Recep Tayyip Erdoğan auf. Mit der DAVA-Gründung kündigte Özcan seine SPD-Mitgliedschaft auf und will nun "enttäuschte Migranten" ansprechen. Was nicht wundert: Die SPD galt lange als Sammelbecken für AKP-nahe Deutsch-Türken, erfährt allerdings seit ihrer linksliberalen Ausrichtung Ablehnung aus diesen Kreisen.

Aufgestellt für die Europawahl sind drei Spitzenkandidaten. An erster Stelle steht Fatih Zingal. Früher war er Funktionär der Union internationaler Demokraten (UID), ehemals UETD, einer Interessenvertretung der türkischen Regierungspartei AKP in Deutschland. Die UID gehört auch zur deutschen Struktur der rechtsextremen Grauen Wölfe. Zingal organisierte maßgeblich den Wahlkampf für Erdoğan in hiesigen Moscheegemeinden.

Auf Platz zwei der Liste steht Ali Ihsan Ünlü. Ünlü ist ein Vertreter des Moscheeverbandes DITIB, der von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gesteuert wird.

Auf Listenplatz drei steht Mustafa Yoldas. Er agierte über Jahre als bedeutsamer Akteur der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), dem Auslandsableger des türkischen Islamistenführers Necmettin Erbakans. Die IGMG wird dem Netzwerk des legalistischen Islamismus zugeordnet und vom Verfassungsschutz beobachtet. Zusätzlich bekleidete Yoldas ehemals das Amt des Vorsitzenden der türkischen Hilfsorganisation IHH (Internationale Humanitäre Hilfsorganisation), die unter anderem der Hamas Spenden zukommen ließ und somit 2017 vom Bundesinnenministerium verboten wurde.

"Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch": Intendierte Täuschung

"Dava" bedeutet übersetzt aus dem Türkischen "Prozess" oder "Anliegen". Unverkennbar ist die Nähe zum arabisch-islamischen Begriff der Da'wa, der die religiöse Missionierung als Teil des Djihads meint. Erdoğan adressiert seine Wähler gerne als "dava arkadaşlar": Freunde der gemeinsamen Sache. Auch die türkischen Rechtsextremisten der Ülkücü-Bewegung benutzen diesen Ausdruck.

Türkisch-islamische Identitätspolitik

Im Deutschen steht die Abkürzung wie erwähnt für "Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch". Eine Betitelung, die den Eindruck von Antirassismus, Toleranz und Grundgesetztreue erwecken soll. Im Interview mit dem ZDF äußerte Fatih Zingal: "Wir möchten über Probleme von Menschen sprechen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte mit muslimischem Background (…). Wir möchten uns über latenten Rassismus unterhalten." Der Abbau von "Islamfeindlichkeit" bildet im Wahlprogramm ein zentrales Thema. DAVA strebt danach, "Bildungsangebote", "Medieninhalte" und "die öffentliche Verwaltung" islampolitisch mitzugestalten. Ziel sei die Zeichnung eines "realistischere[n] und positivere[n] Bild[es] des Islam".

Zu fragen wäre, welche "Vielfalt" im Parteinamen gemeint ist? Der Vielfalt von türkischen Einwanderern in Deutschland wird mit dem Parteivorhaben keine Rechnung getragen. Es spricht ausschließlich Muslime an. Wo verbleiben Jesiden, Aleviten, Christen, Armenier, Zaza, Assyrer, Aramäer und säkulare Kurden, die ihre kulturelle oder religiöse Herkunft nicht zum Dreh- und Angelpunkt politischer Forderungen erheben? Sie alle haben in der türkisch-islamischen Synthese keinen Platz.

Ebenfalls wird die fatale Verknüpfung von antirassistischer Rhetorik mit dem "Faktor Islam" in der zitierten Parteiausrichtung deutlich. Islamfeindlichkeit, Rassismus und "Probleme der Muslime" nennt DAVA in einem Atemzug. Dies essentialisiert den Islam, erklärt ihn, unbewusst oder absichtlich, zur Natureigenschaft und lässt muslimische Migranten aus der Türkei nur über das Glaubensbekenntnis erreichbar erscheinen. Damit operiert DAVA ausgesprochen identitätspolitisch und rassistisch. Wenn DAVA auf die Integration des Islam in Deutschland abzielt, muss überprüft werden, welches Islamverständnis gemeint ist. Die politischen Hintergründe der Kandidaten legen nahe, dass es ihnen zwischen den Zeilen um den Machtzuwachs von Erdoğans politischem Staatsislam in Deutschland geht.

Burak Çopur, Leiter des Zentrums für Radikalisierungsforschung und Prävention in Essen, kommentiert im Tagesspiegel, DAVA bespiele "die Opferrolle als ausgegrenzte Gläubige des Islams, so wie es Erdoğan in der Türkei jahrelang erfolgreich getan hat". Ihr Programm instrumentalisiert Kulturverlustängste und politisiert vermeintliche oder reale Diskriminierungserfahrungen. Die urteilsfreie Verabsolutierung der Zugehörigkeit zu einer scheinbar unterdrückten Minderheit findet in DAVAs Wunsch, Mesut Özil als Werbegesicht der Partei zu gewinnen, ihre groteske Zuspitzung. Özil steht wegen seiner Verbindungen zu Erdoğan und den Grauen Wölfen in der Kritik. Statt Stellung zu beziehen, inszeniert er sich als Opfer von Rassismus. Wer betroffen ist, muss keine Verantwortung übernehmen. Mit DAVA würde einer Abschottung von Muslimen mindestens türkischer Herkunft in Deutschland zugearbeitet werden. Man erinnere sich an die Worte Erdoğans, die er unter dem Applaus von tausenden Deutsch-Türken bei seinem Besuch in Köln 2008 skandiert hat: "Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" – Gemeint hat er das landläufige Verständnis von Integration.

"Wolf im Schafspelz"

Auffällig, allerdings nicht unbekannt, ist der Missbrauch einer weltoffenen Sprache, um hinterrücks repressive Ziele durchzusetzen. Geläufig ist diese Methode bei Organisationen der Muslimbruderschaft. Die Rede ist von der Doppelstrategie des legalistischen Islamismus. Demokratische Prozesse dienen als Mittel zum Zweck einer sukzessiven Etablierung des Kalifats. Eine nähere Vergegenwärtigung des Wahlprogramms gibt Auskunft über DAVAs tiefere Agenda. Hervorstechen tut das Kapitel "Schutz der Familie".

Die DAVA-Gruppierung richtet sich gegen "Gender-Ideologie", nimmt eine "pro-life Position" ein und protestiert für den Schutz des ungeborenen Lebens in der Causa "Schwangerschaftsabbrüche". Im Hinblick auf LGBTQ-Menschen bekundet die Allianz: "Während DAVA die Bedeutung von Toleranz und den Schutz individueller Freiheiten anerkennt, betonen wir die Wichtigkeit traditioneller Familienstrukturen als Grundlage der Gesellschaft." Mitnichten ist DAVA eine Partei feministischer Queerkritiker oder bürgerlich-liberaler Woke-Gegner. Der Topos "Gender-Ideologie" ist für fundamentalistische Muslime eine Projektionsfläche verschiedener Ängste, etwa vor einer "Verschwulung", "Feminisierung", "Degeneration", vor der "Zersetzung traditioneller Werte" oder vor dem "Untergang naturwüchsiger Gemeinschaften". Im Ergebnis kann eine politische Entscheidungskraft von DAVA Angriffe auf gleichgeschlechtliche Ehen, Antidiskriminierungsgesetze oder Paragraf 218a nach sich ziehen und somit die Demontage von emanzipatorischen Errungenschaften bedeuten.

Zusätzlich lassen sich im Wahlprogramm Haltungen zur Demokratieförderung, inneren Sicherheit, deutsch-türkischen Beziehung, zum Angriffskrieg auf die Ukraine und Distanzierungen vom Islamismus vermissen. Bemerkenswert viel Platz bekommt das Bekenntnis zur "Zwei-Staaten-Lösung in Nahost" im außenpolitischen Part eingeräumt. "Wir unterstützen die Schaffung eines souveränen, lebensfähigen und unabhängigen palästinensischen Staates, der in Frieden neben Israel existiert", heißt es bei DAVA. Gefordert wird "die Beendigung aller Aktivitäten, die eine Zwei-Staaten-Lösung gefährden könnten". Welche Führung Palästina regieren soll, welche Bewertung die Hamas erfährt und ob Juden in dem palästinensischen Gebiet gleichberechtigt leben dürfen, bleibt unerwähnt. Çopur resümiert: "Die Dava-Partei kann im Wahlkampfprogramm schreiben, was sie will, sie bleibt ein Ableger der AKP und wird hierzulande Lobbyarbeit für das Erdoğan-Regime machen – nach der Europawahl vielleicht sogar in europäischen Gremien."

Erfolgsaussichten

1,5 Millionen Muslime türkischer Abstammung besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Wahlbeteiligung unter Deutsch-Türken bei der türkischen Parlamentswahl 2023 lag bei 50,4 Prozent. Von ihnen wählten 67,2 Prozent Recep Tayyip Erdoğan. Mobilisiert DAVA ernsthaft in den Auslandsdependancen des türkischen Staates, der UID, DITIB und IGMG, kann sie sich den Stimmen der Erdoğan-treuen Türken in Deutschland sicher sein. Bei der Europawahl existiert keine Fünf-Prozent-Hürde. Hier ist ein Einzug ins Parlament realistisch.

Um über die Fünf-Prozent-Hürde der Bundestagswahl zu gelangen, bräuchte eine Partei mindestens zweieinhalb Millionen Stimmen. Die Stimmen bisheriger Erdoğan-Wähler aus Deutschland (342.251 gültige Angaben) wären nur ein Siebtel davon und reichen nicht aus. Von 5,5 Millionen Muslimen im Land haben 2,5 Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft. Weitet DAVA ihr politisches Profil von ethnisch-national zu islamisch-orthodox aus, so könnte sie einen breiteren Fundus an Wählern gewinnen. Eine noch größere Chance für die Wählervereinigung bietet sich mit der Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, das die Einbürgerung von Zuwanderern erleichtern soll. Viele Migranten bringen deutlich traditionellere Werte als die deutsche Aufnahmegesellschaft mit, wovon DAVA profitieren kann.

Selektiver Antifaschismus

Ultranationalismus, religiöser Fundamentalismus, Ausschluss von Minderheiten, patriarchale Rollenbilder und populistisches Politiktreiben mit Ängsten charakterisieren DAVA. Eigenschaften, die sich bei den extremen Rechten der AfD wiederfinden. Nicht unbegründet spricht der Bundesvorsitzende der Kurdischen Gemeinde Deutschland Ali Ertan Toprak gegenüber der taz von einer "türkischen AfD". Während zur selben Zeit in der Bundesrepublik geschlossene Bündnisse gegen den Rechtsextremismus demonstrieren, bleibt der islamische Faschismus ein blinder Fleck. Noch mehr enttarnt sich eine Doppelmoral, wenn die Parole "Nie wieder ist jetzt" gegen Abschiebefantasien von Neurechten ins Feld geführt wird, sie aber den Hamas-unterstützenden DAVA-Kandidaten Yoldas ausspart.

Um die AfD realpolitisch zu isolieren, schlossen sich alle demokratischen Parteien zur "Brandmauer gegen rechts" zusammen. Gegenüber DAVA lässt sich ein Statement seitens der Linkspartei vermissen und die SPD reagiert gelassen. Mit antirassistischen Diskursstrategien erhofft sich DAVA eine Anschlussfähigkeit an den Mainstream. In Skepsis verbleibend sei noch einmal Erdoğans Gedichtrezitation vor Augen geführt: "Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."

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