Kirchengelder für Missbrauchsbetroffene: Zweierlei Maß?

300.000 Euro Schmerzensgeld für ein Opfer sexueller Gewalt durch einen Priester – dieses Gerichtsurteil setzte 2023 einen Maßstab für den Umgang der Kirchen mit den Verbrechen ihrer Angehörigen. Erheblich weniger, nämlich nur 191.000 Euro insgesamt, sollen 16 Betroffene von Missbrauch durch Ordensleute der Missionare von der Heiligen Familie erhalten. In einem Offenen Brief fordern sie jetzt die gleiche Behandlung aller Betroffenen und Transparenz bei den Entscheidungen.

Der überwiegende Teil dieser Fälle ereignete sich in einem Internat, das die Missionare von der Heiligen Familie im unterfränkischen Ort Lebenhan (bei Neustadt an der Saale) betrieben. Dort sei es zwischen 1972 und 1976 wiederholt zum sexuellen Missbrauch von mindestens 16 minderjährigen Schülern gekommen, so das Ergebnis einer kirchlichen Untersuchung 2009. Erst im Jahr zuvor hatte ein früherer Schüler die schweren Missbrauchsfälle bekannt gemacht. Der damals 71-Jährige, der die Taten gestand, wurde wenig später durch Papst Benedikt XVI. aus dem Priesteramt entlassen. Nach Angaben des Ordens blieb er jedoch weiterhin Mitglied und lebt heute in einem Pflegeheim (Stand: April 2024). Ein Strafverfahren gegen den Mann wurde wegen Verjährung eingestellt.

In ihrem Schreiben schildern die Betroffenen eine stetige Atmosphäre sexueller Gewalt, die teilweise auch nach der Schulzeit anhielt: "Beinahe Nacht für Nacht mussten wir über den Zeitraum von mehreren Schuljahren den Missbrauch durch den Priester erdulden oder im Schlafsaal am Nachbarbett beobachten, einer von uns wurde sogar noch nach Verlassen der Schule Opfer sexueller Gewalt."

All das Leid soll mit 191.000 Euro beglichen sein? Das scheint zweifelhaft, selbst wenn man die Erstattung von Therapiekosten in fünfstelliger Höhe und weitere erhebliche Kosten für Beratung, Aufwandsentschädigung und Reisekosten mitberücksichtigt. Wie sich diese Summen zusammensetzen, sei nicht transparent nachvollziehbar, beklagen die Betroffenen in ihrem Offenen Brief. Nach ihrer Ansicht werde der Eindruck erweckt, dass die Kommission bestimmte Betroffene oder Narrative bevorzuge. Die Unterzeichner fordern deshalb eine "nachvollziehbare und gerechte Gleichbehandlung aller Betroffenen" durch die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA).

Für eine konkrete Stellungnahme zum Offenen Brief stand das Gremium nicht zur Verfügung, wie die Katholische Nachrichten-Agentur KNA berichtete. Der UKA-Sprecher berief sich hierbei auf den Datenschutz. In allen Fällen handele es sich um Einzelfallentscheidungen auf Grundlage des jeweiligen individuellen Antrags. Die Mitglieder des Gremiums, Fachleute der Bereiche Recht, Medizin und Psychologie, würden sich dabei an den Entscheidungen staatlicher Gerichte orientieren.

Die UKA besteht seit 2021 und entscheidet, welche Summen die Kirchen an Opfer von kirchlichem Missbrauch als Anerkennung von erlittenem Leid zahlen müssen. Den Betroffenen im Fall Lebenhan bleibt nur der Weg des Widerspruchs gegen die Entscheidung.

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