Film über westliche Frauen, die sich dem IS anschlossen

Das Abenteuer, das zum Albtraum wurde

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Jessica alias "Rabia" blickt vom Dach des "Frauenverteilzentrums" auf das umkämpfte Raqqa
"Rabia" blickt auf Raqqa

Zwei junge Frauen reisen nach Syrien zum IS. Schnell müssen sie feststellen, was es bedeutet, in einem Umfeld zu leben, in dem Frauen keine Rechte haben. Die sehenswert verfilmte Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten.

Als der Islamische Staat in Teilen Syriens und des Iraks die Macht ergriff, flankierten die Terroristen ihr Tun durch geschickte Propaganda im Internet. Heroische Bilder, die ihre vermeintlich göttliche Mission verklärten, entfachte die Sehnsucht auch bei jungen Menschen im Westen, Teil von etwas Bedeutendem zu sein. Eine Gelegenheit, aus dem Alltag auszubrechen und sich etwas anzuschließen, was wichtiger ist, als im als langweilig empfundenen friedlichen Alltagstrott vor sich hin zu rödeln. Dem Leben einen Sinn geben schafft nicht jeder, und wenn man Krieg nur aus Filmen kennt, wo am Schluss immer alles gut ausgeht, kann man sich vorstellen, warum beeinflussbare Charaktere darauf ansprangen. Der Traum entpuppte sich als Alptraum. Das Leben unter gewaltbereiten Gotteskriegern ohne jegliche gewohnte Rechte war für manche dann doch nicht das, was sie sich von ihrem Abenteuer versprochen hatten – vor allem für Frauen. Viele kehrten wieder zurück – und landeten vor Gericht, da sie als Teil des Systems selbst in Verantwortung für die Gräueltaten genommen wurden, die der IS verübt hatte.

Zehn Jahre ist das nun her. "Rabia" ist der Name eines Films von Mareike Engelhardt, der Ende Januar erschienen ist und bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Er erzählt, inspiriert von wahren Begebenheiten, eine solche Geschichte zweier junger Frauen aus Frankreich, die das erlebt haben. Angelockt von der Aussicht auf ein spannendes Leben reisen die Freundinnen Jessica (in all ihren Facetten glaubhaft verkörpert von Megan Northam) und Laïla (Natacha Krief) 2014 nach Raqqa, um Ehefrau 1 und 2 eines gutaussehenden Kämpfers zu sein. Sie landen in einem Frauenzentrum (genannt "Madafa", "eine seltsame Mischung aus Gefängnis, Bordell und Jugendherberge", wie es in den Regienotizen heißt) und müssen alles hinter sich lassen, Handys und Ausweis abgeben. Sie bekommen sogar neue Namen, alle nennen sich "Schwestern" wie in einem Nonnenkloster. Die Protagonistin Jessica heißt nun "Rabia", was wahlweise "Wut" oder "Garten" bedeutet. Die Mädchen feiern ausgelassen, als das Kalifat ausgerufen wird.

Der zugesagte Ehemann ist gefallen, erfahren Jessica und Laïla. Sie sollen also anderweitig verheiratet werden. Was als religiöse Zeltlageratmosphäre begann (es gibt kein fließend Wasser, alle Frauen schlafen in einem Raum), wird Stück für Stück beklemmender, düsterer, auch optisch. Als die beiden jungen Frauen getrennt werden, beginnt für "Rabia" eine Tortur. Sie will ohne ihre Freundin keine Ehefrau und Gebärerin sein, sie will lieber als Krankenschwester verwundete Krieger behandeln. Ein Heiratswilliger ist augenscheinlich nett, versucht sie aber sogleich zu vergewaltigen. Bestraft wird "Rabia" – mit Hunger, mit Schlägen, mit Dunkelheit, mit dem Abschneiden ihrer Haare. Die Täter-Opfer-Umkehr ist kaum zu ertragen.

Doch die Protagonistin wendet sich in der Folge der strengen Leiterin der Einrichtung zu (überzeugend: Lubna Azabal), die von allen nur "Madame" genannt wird. Sie verwaltet die Kalifats-zugereisten Frauen. Jessica scheint in ihr eine Art Mutterfigur zu sehen. "Rabia" denunziert andere und soll diese dann physisch bestrafen. ("Aber (…) nicht ins Gesicht. Sonst will sie keiner mehr. Sie verlieren an wert und ich verliere Geld", weist sie die "Madame" an.) Sie wird selbst zur Täterin, wenn sie auch dabei mit sich hadert, steigt in die Verwaltungsebene des "Frauenverteilzentrums" auf. Interessant wird es, als Laïla auf der Flucht vor ihrem sie misshandelnden Ehemann gefasst wird und wieder in der Madafa landet. Die ehemals treibende Kraft, von der sich die Hauptfigur allein gelassen fühlte, erkennt ihre gehirngewaschene Freundin jetzt kaum wieder. Wie viel Freundschaft ist hinter all der Ideologie noch übrig? Ist der Fanatismus schon stärker als die emotionale Bindung?

Ungehorsame Menschen werden gebrochen, Vertrauen zueinander wird nicht zugelassen, um ein gegenseitiges Kontrollsystem sicherzustellen. Die Gleichzeitigkeit von fast zu liebevollem Kümmern und planvoller Grausamkeit ist verstörend. Der Film vermittelt eindringlich die damit einhergehende Beklemmung, mehrere Szenen des sich fast ausschließlich im Frauenvermittlungszentrum abspielenden Dramas sind ohne Dialog, in ihnen ist der Zuschauer eher indirekter Beobachter der Figur und ihres Tuns. Man wird von Beginn an in den Bann der Geschichte gezogen. Erzählkunst ohne Kitsch, die zwar mitunter wenig überraschend daherkommt, doch das mag daran liegen, dass die Psychologie von autoritären Strukturen und Kollektividentität bekannten Mustern folgt. Und diese werden präzise beschrieben.

Für den Film hat die Regisseurin mehrere reale Geschichten verknüpft. "Dabei ist nichts erfunden, im Gegenteil: Viele Details waren so unglaublich und brutal, dass ich oftmals die Realität 'abschwächen' musste, um sie für den Zuschauer glaubwürdig zu machen und ihm zu ermöglichen den Film überhaupt anschauen zu können", schreibt Engelhardt in den Regienotizen. Weiter heißt es: "Was mich an den Erzählungen erstaunte, war die Tatsache, dass sich die Mädchen keineswegs als Opfer sahen. Obwohl diese Positionierung die Grundlage ihrer Verteidigung vor den europäischen Gerichten darstellt, wurde in unseren Gesprächen deutlich, dass sie genau wie die Männer, fast alle wussten, wohin sie gingen und warum. Statt naiver, etwas dummer Mädchen, die dem Märchenprinzen nachreisen, können sie genauso engagierte, fanatische Verteidigerinnen dieser mörderischen Ideologie sein wie die Männer." Es sei der Filmemacherin ein feministisches Anliegen zu zeigen, dass Frauen genauso schuldig sein können wie Männer, da sie es für sehr wichtig halte, komplexe Frauenfiguren in ihrer ganzen Ambivalenz darzustellen.

Mareike Engelhardt: "Rabia – Der verlorene Traum". Spielfilm, Frankreich, Deutschland, Belgien 2024, 94 Minuten, FSK 12

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