Kommentar

Nius: Rechte Empörung mit dem Ziel der Verteidigung des "bedrängten" Christentums

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Das rechtskonservative Medienportal Nius, bekannt für Stimmungsmache gegen Minderheiten, Paniknarrative und die regelmäßige Leugnung wissenschaftlicher Fakten zur Klimakrise, hat ein neues Thema für sich entdeckt: Die angebliche Verfolgung des Christentums in Deutschland.

Geführt vom ehemaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und finanziert vom IT-Milliardär Frank Gotthardt, steht Nius seit seiner Gründung massiv in der Kritik – wegen fragwürdiger Recherchen, mangelnder journalistischer Standards und wiederholter Grenzüberschreitungen, die zu Strafanzeigen wegen Volksverhetzung führten. Erschreckenderweise verharmloste unlängst die CDU-Politikerin und Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, eine enge Bekannte Gotthardts, Nius als eine Art konservatives Gegengewicht zur linken taz.

Die Erzählung vom "bedrohten" deutschen Christentum

In der Nius-Redaktion scheint man derzeit entschlossen, das "von allen Seiten bedrängte" Christentum zu verteidigen. Auffällig ist vor allem die Schlagseite: Während Nius unermüdlich den Islam als Bedrohung für die christliche Welt problematisiert, gibt es bis heute keinen Artikel zum Thema sexueller Missbrauch in katholischen und evangelischen Einrichtungen – eines der größten innerkirchlichen Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte mit großer Tragweite.

Stattdessen schrieb Laura Sachslehner im Juli einen Kommentar mit dem Titel "Wie Hass gegen das Christentum salonfähig gemacht wird". Darin behauptet sie, öffentlich-rechtliche Sender würden "abfällig über Christen berichten. Sportler, Influencer oder Politiker, die sich zum Christentum bekennen, werden immer schneller zum Freiwild." Unter der Zwischenüberschrift "Christen im Fadenkreuz bei ARD und ZDF" wirft sie den Sendern systematischen Spott gegenüber christlichen Sportlern und Influencern vor – und bezeichnet die Kritik an fundamentalistischen Christfluencern sowie die Satire von Jan Böhmermann als "Christenbashing".

Im Oktober setzte Nius die Empörungsstrategie fort: Unter Verweis auf Länder wie Nigeria und Syrien beschwört die Plattform eine "weltweite Jagd auf Christen" herauf, warnt vor einer "dramatischen Zunahme antichristlicher Gewalt" in westlichen Ländern – antimuslimische Gewalt wird hingegen nicht thematisiert – und berichtet in einem weiteren Artikel über die Lage der Christen im Sudan – wo Kinder "bereits ab dem Kindergarten islamisiert" würden.

Unbestreitbar ist: In vielen Ländern werden Christinnen und Christen bedroht, diskriminiert oder ermordet. Besonders in Teilen Afrikas, des Nahen Ostens oder Südasiens sind Christen Minderheiten, die unter Bürgerkriegen, islamistischen Milizen oder autoritären Regimen leiden. Diese Verbrechen verdienen Aufmerksamkeit – und sind lautstark zu verurteilen.

Gewalt und Religion: Ein komplexer Zusammenhang, kein Kampf der Zivilisationen

Dabei gehört zur Wahrheit: Ein erheblicher Teil der Gewalt gegen Christen, die auch von der katholischen Kirche beklagt wird, geht tatsächlich von islamistischen Gruppen aus – nicht vom Islam als Religion, sondern von politischen und extremistischen Auslegungen, die religiöse Begriffe für Unterdrückung, Terror oder ethnische Säuberungen missbrauchen. Gruppen wie Boko Haram, der Islamische Staat oder Al-Shabaab ermorden nicht nur Christen, sondern auch unzählige muslimische Zivilisten, die ihrer Ideologie widersprechen.

Diese politisierte Instrumentalisierung religiöser Inhalte ist ein reales Problem – aber gerade deshalb ist eine kompetente Analyse wichtig. Leider liefert Nius diese notwendige Differenzierung nicht. Statt klar zwischen Islam, Islamismus und autoritären politischen Systemen zu unterscheiden, nutzt das Portal jede Gelegenheit, um pauschale Ressentiments zu schüren und einen Kampf der Kulturen zu konstruieren.

Gewalt gegen Christen ist weltweit ein reales, ernstzunehmendes und oft dramatisches Problem. Wer diese Übergriffe kleinredet, verhöhnt die Betroffenen. Aber wer sie – wie Nius – instrumentalisiert, um im eigenen Land Kulturkämpfe anzuheizen, spielt bewusst mit gefährlichen Vereinfachungen.

Während Christinnen und Christen in Teilen der Welt tatsächlich um ihr Leben fürchten müssen, erleben wir in Deutschland vor allem eine Pluralisierung religiöser Stimmen – verbunden mit berechtigter Kritik an Institutionen, die lange unantastbar waren. Demokratie lebt von dieser Kritik.

Die größte Gefahr für eine offene Gesellschaft entsteht nicht dort, wo Religion hinterfragt wird, sondern dort, wo sie politisch vereinnahmt wird, um Angst, Opfermythen und Feindbilder zu produzieren – egal, ob im Namen des Christentums, des Islam oder irgendeiner anderen Glaubensrichtung.

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