Bundesverfassungsgericht: Ja zu Lehrerinnen-Kopftuch

Eine Entscheidung gegen den Schulfrieden

Einzig erfreulicher Aspekt im Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist, dass das im NRW-Gesetz enthaltene Privileg für eine "Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen" nicht akzeptiert. So hält der 1. Senat ausdrücklich fest, dass es "… für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten" nicht gäbe.

Insgesamt aber: ein Urteil, das den Erfordernissen einer säkularen Gesellschaft und dem staatlichen Neutralitätsgebot nicht gerecht wird.

 


Das vollständige Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 (Entscheidungsbegründung im Teil B, ab Absatz 77) mit abweichendem Votum des Richters Schluckebier und der Richterin Hermanns

 

Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts mit Zusammenfassung der wesentlichen Entscheidungsgründe und mit abweichendem Votum des Richters Schluckebier und der Richterin Hermanns

 


Stellungnahme des IBKA im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (Urteil A III 8, ab Absatz 70) :

 

70
Der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA) ist der Ansicht, ein allgemeines Verbot religiöser Bekundungen durch Lehrer sei verfassungskonform. Der hierin liegende Grundrechtseingriff sei gerechtfertigt. Der mit der Religionsfreiheit gewährleistete staatsfreie Raum finde seine Schranken jedenfalls dort, wo durch den Grundrechtsträger der Staat selbst handele. Dem Freiheitsrecht des Lehrers trete nicht ein Anspruch des Staates auf Neutralität entgegen, sondern jene grundrechtlichen Ansprüche Dritter, die den Staat verpflichteten. Als Repräsentant des Staates dürfe der Lehrer nicht in einer Weise in Grundrechte eingreifen, die dem Staat selbst verboten sei. Dies gelte unabhängig von der Art des Dienstverhältnisses. Der Staat sei berechtigt, seine Organisation so zu gestalten, dass die Einhaltung der ihm auferlegten Grenzen durch die einzelnen Amtsträger möglich sei. Da auch der Amtsträger grundrechtsberechtigt sei, dürfe nicht jede religiöse Äußerung verboten werden, sondern nur jene, die geeignet sei, den Schulfrieden zu stören. Eine Einzelfallprüfung sei dabei nicht zwingend, auch nicht im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zu schrankenlosen Grundrechten; denn diese beziehe sich nicht auf die Grundrechtsausübung im Amt, so dass hier eine engere Grenzziehung nicht ausgeschlossen sei.

71
Mit Blick auf die Feststellung einer Eignung der religiösen Bekundung, den religiösen Frieden zu stören, müsse gewährleistet sein, dass nicht jede religiöse Äußerung verboten werde; ein friedlicher Diskurs müsse möglich bleiben. Überdies dürfe die Friedensgefährdung nicht demjenigen zur Last gelegt werden, der die Intoleranz anderer auf sich ziehe.

72
Die Ausnahmeregelung des § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG NW sei verfassungswidrig; eine verfassungskonforme Interpretation scheide aus. Schon die in Bezug genommenen Vorschriften des Landesverfassungsrechts seien verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht sei aufgefordert, seine Rechtsprechung zur Anerkennung des Christentums als prägendem Kultur- und Bildungsfaktor aufzugeben. Die Werteordnung des Grundgesetzes beruhe nicht auf dem Christentum. Soweit kulturelle Elemente christlichen Ursprungs seien, seien sie heute gänzlich säkularisiert und dürften deshalb nicht als Grundlage einer Privilegierung herangezogen werden. Schließlich habe sich die Gesellschaft in den letzten Jahren so sehr entkirchlicht, dass niemand mehr gezwungen sei, mit Elementen christlichen religiösen Lebens umzugehen.

73
Die Anwendung des Kopftuchverbots auf sonstige pädagogische Mitarbeiter sei unbedenklich. Denn diese hätten durch ihre Schiedsfunktion sogar eine höhere Autorität als Lehrer. Insofern sei es bedenklich, wenn geltend gemacht werde, dass gerade durch das Kopftuch eine höhere Akzeptanz bestehe. Denn der schulische Erziehungsauftrag bestehe auch darin, Respekt für Frauen ohne Kopftuch zu erwirken. Es sei zu befürchten, dass die Kehrseite dieser besonderen Akzeptanz in einer Bestärkung der Ablehnung von Frauen ohne Kopftuch liege. Auch könne nicht eingewandt werden, dass das Angebot für Schüler freiwillig sei. Auf diese Weise würden Schüler diskriminiert, die das Kopftuch als Beeinträchtigung ihrer Rechte ansähen. Gleiches gelte für den muttersprachlichen Ergänzungsunterricht. Hier könne weder davon ausgegangen werden, dass alle potentiellen Schüler Muslime seien, noch dass alle muslimischen Schülerinnen mit der Wirkung, die von einer kopftuchtragenden Lehrerin ausgehe, einverstanden seien