Bundesverfassungsgericht: Ja zu Lehrerinnen-Kopftuch

Eine Entscheidung gegen den Schulfrieden

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Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

BERLIN. (hpd) Das Bundesverfassungsgericht hält ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen für verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Nach Ansicht der Mehrheit der Richter des 1. Senats verstößt eine entsprechende Regelung im Schulgesetz Nordrhein-Westfalens gegen das Grundrecht betroffener Lehrerinnen auf Glaubensfreiheit.

Für verfassungskonform erachtet das Gericht in einer erst jetzt veröffentlichten Grundsatzentscheidung von Ende Januar nur solche gesetzliche Regelungen, die auf eine konkrete Störung des Schulfriedens im Einzelfall aufgrund des Tragens eines Kopftuches abstellen.

Das Bundesverfassungsgericht hat einen unhaltbaren Zustand geschaffen: Lehrerinnen dürfen zwar grundsätzlich, aber wiederum auch nur solange ein Kopftuch in der Schule tragen, wie der Schulfrieden nicht “hinreichend konkret” gestört wird. Angesichts von Salafismus, Islamismus und islamistischem Terror, den gesellschaftlichen Debatten darüber - die in Teilen durchaus islamophobe Züge tragen - wäre es mehr als ein Wunder, wenn angesichts kopftuchtragender Lehrerinnen nicht auch in Schulen Konflikte hochkochen würden. Mit einer Wahrung des als bedeutsames Gut bewerteten Schulfriedens hat die vom höchsten deutschen Gericht mit dieser Entscheidung eröffnete Perspektive nichts zu tun; wer so urteilt, ist realitätsblind, muss sich vorhalten lassen, Schulunfrieden zu befördern. Angesichts religiös konnotierter Auseinandersetzungen auch in Deutschland lässt das Urteil jegliche Überlegung zu einer friedensstiftenden Ausgestaltung der hiesigen säkularen Gesellschaft vermissen. Die höchstrichterliche Unterstützung einer religiös motivierten demonstrativen Betonung des Andersseins, der Abgrenzung gegenüber Andersdenkenden und auch deren Ausgrenzung dient dem gesellschaftlichen Frieden nicht.

Den Bedürfnissen einer multireligiösen Gesellschaft werde das Urteil nicht gerecht, schreibt Heide Oestreich in der TAZ. Da kann man ihr immerhin noch im Grundsatz zustimmen, auch wenn sie den wachsenden Anteil von Religionsfreien in der Bevölkerung völlig ausblendet und unerwähnt lässt – auf keinen Fall zustimmen kann man aber ihrer Schlussfolgerung: "Eine solche (multireligiöse Gesellschaft) würde wohl eher dafür werben, dass religiöse Kleidungsstücke auch in Bildungsinstitutionen getragen werden dürfen – und die Kinder sich damit auseinandersetzen können." Kinder, die der Schulpflicht unterliegen, können sich kopftuchtragenden Lehrerinnen nicht entziehen, sie werden – gewissermaßen mit den Mitteln des staatlichen Verwaltungszwanges – zur Konfrontation mit einer religiösen Bekundung gezwungen, etwas, was keinem Erwachsenen zugemutet wird. Niemand darf gezwungen werden, sich mit Menschen, die ihre religiöse Auffassung nach außen – gewissermaßen missionierend - demonstrieren, auseinandersetzen zu müssen. Das verlangen die Grundrechte von niemandem. Kinder in der Schule haben keinerlei Ausweichmöglichkeit. Damit und mit den Grundrechten von Schülern und Eltern befasst sich die in der TAZ vertretene Auffassung allerdings nicht. Eine äußerst einseitige Meinungsmache wird dort betrieben.

Was aus Gründen des inneren Friedens und der staatlichen Neutralitätspflicht gegenüber Religionen erforderlich ist, ist ein völliges Fernhalten religiöser Symbole aus Schulen (egal welcher Religion). Dabei muss es unerheblich sein, ob diese in den Schulen aufgestellt oder angebracht sind oder ob sie am Körper von Lehrern und Lehrerinnen getragen werden.

Angesichts von Berichten über zunehmenden religiösen Fanatismus bei muslimischen Schülern und Schülerinnen - gerade seit dem Vormarsch von ISIS - über Versuche der Ausgrenzung und Diffamierung, des Mobbing innerhalb der muslimischen Schülerschaft (zu Lasten liberaler – eben nicht strenggläubiger – muslimischer Kinder) steht nicht die Förderung des Vormarsches religiöser Kleidung in Schulen auf der Tagesordnung, sondern dessen Zurückdrängung. Und zwar auch bei Schülerinnen. Über die Grundrechte von jungen Mädchen, die von strenggläubigen Eltern und Verwandten zum Tragen eines Kopftuches und damit zur Abgabe eines Bekenntnisses an jedem Ort und gegenüber jedermann und –frau gezwungen werden, spricht allerdings niemand. Diese Mädchen haben – wie fast immer Kinder in strengreligiösen Communities – keine Lobby. Sie werden alleingelassen.

Eindrucksvoll ist diese Problematik von der Alevitischen Gemeinde Deutschland in ihrer Stellungnahme im Bundesverfassungsgerichtsverfahren (Urteil A. III. 6. (Absatz 68)) betont worden:

"Die Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. erklärt, sie sei gegen das Kopftuchtragen von Lehrerinnen oder Angestellten des öffentlichen Dienstes, da der Staat in diesem Bereich seine strikte Neutralität wahren müsse. Mädchen sollten sich frei entscheiden können, ob sie ein Kopftuch tragen wollten oder nicht. Trage eine Lehrerin als Autoritätsperson ein Kopftuch, könne das Schülerinnen unter Druck setzen und ihre Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen. Diese Vorbildwirkung könne auch dazu führen, dass die Familie Druck auf die Schülerinnen ausübe. Alevitische Mädchen, für die das Kopftuch keine religiöse Pflicht sei, erlebten das Kopftuch in der Schule oft als diskriminierend, weil ihnen von muslimischen Mitschülerinnen die Verletzung religiöser Regeln vorgeworfen werde. Schon der Druck, der hier von anderen Schülerinnen ausgeübt werde, sei groß. Insofern werde die Wahlfreiheit von Schülerinnen durch Kopftuch tragende Lehrerinnen enorm beeinträchtigt."