Silvesternacht-Attacken und Istanbuler Terroranschlag

Zwei Seiten einer Medaille!

Bevor die Bundeskanzlerin mit der Türkei eine Vereinbarung getroffen hatte, kamen aus der Türkei wöchentlich 10.000 Flüchtlinge über die europäischen Grenzen. Jetzt kommen trotz der Wintermonate täglich 4.000 Flüchtlinge aus der Türkei an. Bald werden sich nicht nur syrische, sondern auch kurdische Flüchtlinge nach Europa aufmachen, weil die türkische Regierung unter dem Schweigen der EU in kurdischen Städten mit Militärpanzern Häuser niederreißt und zahlreiche Zivilisten getötet hat.

Das Ergebnis?: Mehr Flüchtlinge, Gesicht verloren, Glaubwürdigkeit verloren, europäische Werte- und Zusammenhalt verloren.

Was tun?

Seitdem die türkische Regierung das Geheimdienstgesetz novelliert hat (2014), darf der türkische Geheimdienst (MIT) auch im Ausland nach türkischem Recht legal “operativ” tätig sein. Die türkische Regierung beschäftigt mehr als 1.000 “Mitarbeiter”, die auf den sozialen Medienplattformen (Facebook, Twitter) Propaganda zu betreiben, Sammelangriffe auf Ungeliebte starten, Drohungen und Einschüchterungen organisieren.

Islamisten haben in Europa mit Unterstützung der Türkei, von Saudi Arabien und Katar Netzwerke von Geschäftsleuten, Anwälten und Politikern ausgebildet. Die Radikalisierungen werden mit angeblichen NGO’s und abhängigen Moscheevereinen vorangetrieben.

Wer glaubt, dass wir mit dem viel propagierten “Islamunterricht in der Schule” den Islamismus kontrollieren könnten, irrt sich gewaltig. Diesen Irrweg ist die Türkei schon gegangen. Der Staat wollte mit einem eigenen Amt und mit dem Religionsunterricht die Religion steuern. Jetzt steuert die Religion den Staat.

Die Diskussion muss nicht auf die Frage “Islamunterricht ja oder nein” eingeengt werden, sondern auf weitere Formen – Religionskunde, Ethikunterricht, humanistische Lehre- erweitert werden.

Die Politik auf allen Ebenen (EU, Bund, Land, Kommune) muss deutlich machen, dass wir mit Gruppierungen nicht zusammenarbeiten, die eine Aufklärung im Islam ablehnen und sich nach jeder Fehlentwicklung und nach jedem terroristischen Anschlag mit dem magischen Satz “Das hat mit dem Islam nichts zu tun” begnügen.

Eine Religion wird so wahrgenommen, wie ihre Anhänger sich benehmen und diese leben, nicht wie diese glorifiziert wird.

Wenn die religiösen Verbände, die sich auf den Koran berufen, nicht bereit sind, heikle Stellen des Korans (z.B. Gewalt, Frauenrechte) unter einer historischen Reflexion zu erklären und aufklären, dürfen sie in der europäischen Gesellschaft nicht auf Unterstützung hoffen. Wenn sich diese Verbände gegenüber der Diskriminierung anderer Minderheiten in ihren Ursprungsländern gleichgültig verhalten, diese sogar mit anheizen, dürfen sie sich nicht auf europäische Unterstützung verlassen.

Damit keine Missverständnisse auftauchen: Wir machen die Verhältnisse in den vermeintlichen Herkunftsländer nicht zum Maßstab für unsere Positionierung gegenüber diesen Verbänden; Maßstab ist Ihre Haltung zu unserem Grundgesetz und zu den universell gültigen Menschenrechten.

Säkulare Strukturen und die staatliche Neutralität stärken, nicht schwächen.

Bei der Ausbildung der muslimischen Vorbeter in Europa muss der Aufklärungsgeschichte und der Philosophie eine zentrale Bedeutung zukommen. Islamisten scheuen die Philosophie wie “Weihwasser”, weil diese ein Tor zur Aufklärung ist.

Religiöse Minderheiten und Immigrantengruppen (Aleviten, Assyrer, Jesiden, Philippinen, Spanier, Griechen etc.), die sich gut integriert haben, dürfen nicht in den Hintergrund geraten. Im Gegenteil. Es muss hervorgehoben und sichtbar werden, dass eine bessere Integration belohnt wird.

Die Politik muss aufhören, bei der Integrationsarbeit den religiösen und ethnischen Verbänden eine zentrale Rolle zu geben und als Hauptgesprächspartner zu verstehen. Die Stellung von überethnischen, religionsneutralen Organisationen (Gewerkschaften, Künstler- und Journalistenverbände, Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat etc.) muss in diesem Prozess stärker berücksichtigt werden, als bisher der Fall.

Flüchtlinge müssen gut behandelt und frühzeitig integriert werden, ohne die Sicherheitsaspekte zu vernachlässigen. Dass ist im Interesse der Gesamtgesellschaft, wie im Interesse der schutzsuchenden Flüchtlinge.

Europa darf vor der Energie- und Waffenlobby nicht einknicken und den Islamismus-Exporteuren wie Saudi Arabien, Katar und der türkischen Regierung klare Kante zeigen, selbst wenn dies nicht in die angebliche “Strategie” der USA passen mag.

Memet Kilic, MdB a.D.