Demographische Studien der Religiosität

Berlin ist das atheistische Zentrum Europas

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Rotes Rathaus, Sitz des Berliner Senats
Rotes Rathaus

Verschiedene statistische Erhebungen der jüngsten Vergangenheit nahmen sich zum Ziele die volksinterne (Nicht-)Religiosität der Bürgerinnen und Bürger zu messen und zwischen den unterschiedlichen Regionen eines Staates zu vergleichen. Inhaltliche und methodologische Schwächen sind allerdings dafür verantwortlich, dass die Ergebnisse einiger Erhebungen nicht sonderlich valide sind.

In einem Artikel der britischen Tageszeitung The Guardian wird beispielsweise die Frage aufgeworfen, wo sich die "gottloseste" Stadt der Welt befindet? Allein die schwammige Formulierung der Ausgangsfrage lässt schon vermuten, dass die Erzielung von den allgemeinen wissenschaftlichen Standards entsprechenden Ergebnissen schwer möglich ist. Denn was bedeutet konkret "gottlos" und wie lässt sich dies adäquat anhand statistischer Survey-Methoden erfassen? Ist damit die bloße Abwesenheit von Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit gemeint oder eventuell doch eher die explizite Überzeugung der Nicht-Existenz eines Gottes oder mehrerer Götter? Ferner ist es naheliegend, dass jene "gottlosen" Menschen sich in westlich, liberalen Staaten eher zu ihrer religiös-weltanschaulichen Gesinnung bekennen als in religiös fundamentalistischen Staaten, oder gar in vom Islamischen Staat kontrollierten Gebieten. Resultierend daraus ist eine internationale Kommensurabilität der Ergebnisse nur schwer bis gar nicht möglich.

Eine nationalstaatliche Erhebung, in der zwischen verschiedenen Regionen verglichen wird, erscheint da schon deutlich sinnvoller. Eine 2011 in England und Wales durchgeführte Umfrage hat diesen Versuch unternommen und den Anteil derjenigen Menschen, die sich selbst als nicht-religiös begreifen, an der Gesamtbevölkerung einzelner Städte gemessen. Diese relativen Anteile wurden dann wiederum zwischen einigen Städten in England und Wales verglichen. Der höchste Anteil nicht-religiöser Bürgerinnen und Bürgern lässt sich mit ca. 42,5 Prozent in Norwich lokalisieren, gefolgt von Brighton und Hove mit 42,4 Prozent. Bemerkenswert, denn der Anteil nicht-religiöser Menschen an der Gesamtbevölkerung England und Wales liegt lediglich bei 25,1 Prozent. Erklären lässt sich das Zustandekommen dieses signifikanten Anteils durch die viele jungen Menschen und Studierenden in den eben genannten Städten. Als "atheistisches Zentrum in Europa" wird gemeinhin Berlin betrachtet, wo sich knapp 60 Prozent der Bevölkerung als nicht-religiös einschätzen.

Eine andere Studie in den Vereinigten Staaten hat sich ein ähnliches Ziel der Religiositätsbestimmung in den verschiedenen Bundesstaaten und Städten gesetzt, allerdings mit einer differenten methodologischen Vorgehensweise. Die American Bible Society beauftragte dort die Barna Group eine Rangfolge der amerikanischen Städte in Bezug auf die Bibel-Affinität zu erstellen, welche sich aus individuellen Lesegewohnheiten der Bibel und dem Glauben an ihre inhaltliche Richtigkeit zusammensetzt. Allerdings ist durchaus fragwürdig, inwiefern die Bibel-Affinität die Religiosität einzelner Individuen implizieren soll? Schließlich ist es auch denkbar, dass Menschen religiös sein können ohne sonderlich umfangreiche Kenntnisse über die Bibel zu besitzen. Augenscheinlich handelt es sich also um keinen wirklichen geeigneten, sondern nur um einen unzureichenden, monodimensionalen Indikator.

Durch interessant ist fernerhin der Zusammenhang zwischen religiösem Glauben und einem moralisch hochwertigen Wertesystem. So erachten ca. 45 Prozent der US-Amerikaner den Glauben an Gott als unabdingbar für individuell moralisches Handeln. Mit 53 Prozent widerspricht jedoch eine knappe Mehrheit dieser transzendentalen Moralbegründung und hält den Glauben an einen Gott nicht für eine Voraussetzung, um moralisch handeln zu können, so das Pew Research Center 2014.

Eine weitere Studie des Pew Research Centers versucht die Entwicklung der Religionszugehörigkeit der Weltbevölkerung bis 2050 zu prognostizieren. Dabei rechnen die untersuchenden Experten damit, dass bis zum Jahre 2050 beispielsweise die absolute Anzahl an Atheisten, Agnostikern usw. steigt, der relative Anteil an der Weltbevölkerung würde allerdings aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums sinken. Überdies wird spekuliert, dass die Anzahl an Muslimen (2,8 Milliarden) dann fast denen der Christen (2,9 Milliarden) gleicht, was vor allem auf ein exponentielles Wachstum der Anzahl an Muslimen zurückzuführen sei. Die Ursache dafür ist wohl die unterschiedliche demographische Entwicklung in eher christlich und eher islamisch geprägten Ländern. Denn während im eher christlich dominierten Europa Geburtenzahlen rückläufig sind, steigt die Bevölkerungszahl im arabischen, islamisch geprägten Raum konstant an.