Gegen Kirsten Fehrs, die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), gibt es bereits seit längerer Zeit Vorwürfe, sie habe bei der Aufklärung in einem Missbrauchsfall nicht korrekt gehandelt. Nun wird sie durch das Gutachten einer Rechtsanwaltskanzlei entlastet. Doch welchen Wert hat dieses Gutachten und was sind die Hintergründe des Falles?
Es gibt da einen denkwürdigen Satz, den die Plattform domradio.de am 9. Oktober formulierte: "Gutachter haben die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, von Vorwürfen in Zusammenhang mit einem Missbrauchsfall freigesprochen." Und das Portal Meine Kirchenzeitung formuliert die griffige Überschrift: "Freispruch für Fehrs".
Die EKD-Ratsvorsitzende wurde freigesprochen? War sie denn überhaupt angeklagt? Und sind Gutachter neuerdings in unserem Rechtsstaat für Freisprüche zuständig? Die Antwort lautet zweimal nein. Es gab keine Anklage, kein Strafverfahren gegen Kirsten Fehrs. Entsprechend konnte es auch keinen Freispruch geben. Was es aber sehr wohl gab: Eine Art juristischen Gegenangriff der Nordkirche gegen massive Kritik, mit dem sich die Kirche hinter die EKD-Ratsvorsitzende stellt.
Die Nordkirche ist die evangelische Kirche im Norden Deutschlands. Sie erstreckt sich über die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt auch einige Gemeinden der Nordkirche in Brandenburg. Die im November 2024 zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählte Kirsten Fehrs kommt aus eben dieser Nordkirche. Sie ist Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck. In der Nordkirche hatte sie in den Jahren von 2019 bis 2022 die Leitung einer Kommission inne, die sich mit kirchlichen Zahlungen für Missbrauchsbetroffene befasst. Um ihre Arbeit in dieser "Unterstützungsleistungskommission" (ULK) geht es in den seit längerer Zeit erhobenen Vorwürfen gegen Fehrs und in dem jetzt bekannt gewordenen "Freispruch"-Gutachten.
Kein strafrechtlich relevantes Verhalten von Fehrs
Eine Missbrauchsbetroffene und ein die Frau mit lautstarker Öffentlichkeitsarbeit unterstützender Hamburger Psychologe erheben heftige Vorwürfe. Im Kern geht es um die Beschuldigung, dass Bischöfin Fehrs als Leiterin der Untersuchungskommission die Aufklärung eines mutmaßlichen Missbrauchsfalls verschleppt haben soll. Hintergrund, so die Vorwürfe weiter, sei, dass Fehrs freundschaftliche Beziehungen zu einem Hamburger Pastor gehabt haben soll, der von dem Missbrauchsfall gewusst habe.
Zu einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren haben die Vorwürfe nicht ausgereicht. Die Missbrauchsbetroffene hat zwar Strafanzeige erstattet, die Staatsanwaltschaft Hamburg konnte jedoch kein strafrechtlich relevantes Verhalten von Fehrs feststellen. Und auch die daraufhin angerufene Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hatte keine Bedenken gegen die Einstellung des Verfahrens. Dennoch ging die Nordkirche aufgrund der exponierten Funktion von Kirsten Fehrs als EKD-Vorsitzende und angesichts der massiven Vorwürfe selbst in die Offensive. Sie betraute die Kölner Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger, die Sache in einem Gutachten zu überprüfen. Der Name der Anwaltskanzlei ist nicht unbekannt. Die Juristen hatten im Jahr 2021 ein ausführliches Gutachten über den Umgang mit Missbrauchsvorwürfe im Erzbistum Köln vorgelegt.
Dieter Schulz, Leitender Pressesprecher der Nordkirche, sagt gegenüber dem hpd auf die Frage, welchen Zweck die Beauftragung der Anwaltskanzlei gehabt habe: "Der Auftrag erfolgte, nachdem bei der Kirchenleitung eine Beschwerde über die Arbeit der ULK eingegangen war. Um größtmögliche Unabhängigkeit und Transparenz zu gewährleisten, hat die Kirchenleitung in der Folge eine externe Rechtsanwaltskanzlei mit der Untersuchung betraut."
Das jetzt erstellte Gutachten der Kölner Anwaltskanzlei dürfte den Auftraggeber zufriedenstellen. Die Nordkirche hat das Gutachten allerdings nicht veröffentlicht. Pressesprecher Dieter Schulz begründet das so: "Der externe Untersuchungsbericht der Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger wurde und wird nicht veröffentlicht, da sämtliche Verfahren der damaligen Unterstützungsleistungskommission (ULK) der absoluten Vertraulichkeit unterliegen, dies vor allem zum Schutz der betroffenen Menschen."
Schulz fasst die Fragestellung und die Ergebnisse der Gutachter so zusammen:
"Die unabhängige Anwaltskanzlei Gercke Wollschläger wurde von der Kirchenleitung der Nordkirche beauftragt zu prüfen, ob im Fall einer Betroffenen das Verfahren der früheren ULK im Zeitraum 2019-2022 nach den damals geltenden rechtlichen und konzeptionellen Vorgaben ordnungsgemäß geführt wurde. Kernergebnis: Die Vorwürfe gegen die Vorsitzende der ULK (Bischöfin Kirsten Fehrs) und weitere Kommissionsmitglieder, Recht oder konzeptionelle Vorgaben verletzt zu haben, sind sämtlich unbegründet. Zu keinem Zeitpunkt haben Bischöfin Fehrs oder andere Kommissionsmitglieder im Rahmen ihrer Arbeit gegen strafrechtliche Bestimmungen oder gegen kirchenrechtliche Verfahrensvorgaben verstoßen. Es wurden insbesondere keine Verstöße gegen Verschwiegenheitspflichten oder gegen sich aus Befangenheitskonstellationen ergebende Mitwirkungsverbote festgestellt."
Ergänzend heißt es in einer Presseerklärung der Nordkirche:
"Lediglich das im Untersuchungszeitraum konzeptionell vorgesehene Gebot der beschleunigten Durchführung von Verfahren sei dem Bericht zufolge nicht durchgängig eingehalten worden. Ursache hierfür sei die mehrmonatige Ruhendstellung des ULK-Verfahrens wegen Aufklärungsbemühungen durch die Nordkirche gewesen. Hinzu seien pandemiebedingte Verzögerungen gekommen, die allerdings keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dargestellt hätten. Alle festgestellten Verzögerungen seien allerdings weder von Bischöfin Fehrs, die sich wegen einer möglichen Befangenheit vorsorglich aus dem Verfahren zurückgezogen hatte, noch von den weiteren ULK-Mitgliedern zu verantworten."
Zurück bleibt der Eindruck der Selbstrechtfertigung
Den Hamburger Psychologen, der die Nordkirche mit seinen massiven Vorwürfen seit geraumer Zeit unter Druck setzt, vermag das nicht zu überzeugen. Er spricht auf seiner Internetseite mit Blick auf das Gutachten von "gekaufter Unschuld". Die EKD-Vorsitzende nennt er "Vertuschungs-Queen" oder auch "Lügen-Baronin".
Zusammenfassend lässt sich sagen: Weder die Staatsanwaltschaft Hamburg noch die übergeordnete Generalstaatsanwaltschaft sahen in dem Fall einen Anlass, strafrechtliche Ermittlungen vorzunehmen oder gar eine Anklage gegen Kirsten Fehrs oder andere Beteiligte zu erheben. Die Nordkirche wollte gegenüber Missbrauchs-Betroffenen und Öffentlichkeit signalisieren, dass sie das Problem ernst nimmt. Und beauftragte daher eine Rechtsanwaltskanzlei mit einem Gutachten in dieser Angelegenheit. Ein entsprechendes Auftragsgutachten, zumal wenn es nicht veröffentlicht wird und der Inhalt daher unüberprüfbar bleibt, kann freilich nicht den Wert einer unabhängigen Untersuchung haben. Anwälte können, anders als staatsanwaltliche Ermittler, nur auf freiwillig zur Verfügung gestellte Dokumente beziehungsweise freiwillig gemachte Zeugenaussagen zurückgreifen. Der Verdacht, dass der Auftraggeber bei einem Auftragsgutachten Einfluss nimmt, ist kaum zu entkräften. Zurück bleibt der Eindruck der Selbstrechtfertigung. Wie angenehm ist es da doch für die Nordkirche, dass Medien wie domradio.de oder Meine Kirchenzeitung dann von einem Freispruch sprechen. Das richtigzustellen oder zu dementieren, ist keine Pflicht der Nordkirche. Nordkirche-Pressesprecher Dieter Schulz sagt denn auch: "Der Begriff 'Freispruch' ist nicht nur Gerichten vorbehalten, Medien sind bekanntlich frei in ihrer Wortwahl."







3 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ein verlogener Saustall welcher längst ausgemistet werden müsste, aber was geschieht?
die Täter sprechen sich selbst frei von ihren Schandtaten und die Opfer werden vergessen,
Thies Stahl am Permanenter Link
Danke für diese (endlich mal zu diesem Thema) gute Berichterstattung.
Thies Stahl und Silke Schumacher
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Thies Stahl Seminare
Dipl.-Psych. Thies Stahl
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HuGo am Permanenter Link
Wie s um solche "bestellten" Gutachten bestellt ist, hatte so dramatisch wie aufschlussreich das Bistum Trier gezeigt, wobei der damalige wie heutige Bischof Ackermann den "Aufklärer", seines Zeich
Wenn ein Sumpf trocken zu legen ist, darf man nicht die Frösche fragen oder beteiligen!;-)