Was macht die Rutschbahn in der Kirche?

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Die Deckenkonstruktion der Norwich Kathedral kann man jetzt auch von einer Rutschbahn aus betrachten.
Die Deckenkonstruktion der Norwich Kathedral kann man jetzt auch von einer Rutschbahn aus betrachten.

Wie zur Hölle holt man die Schäfchen zurück? Das muss man sich wohl in England gefragt haben und kam auf ungewöhnliche Ideen: So verpasste man altehrwürdigen Kathedralen kurzerhand einen Volksfestcharakter – samt Rutschbahn oder Minigolfplatz.

Andächtige Ruhe, um andere nicht beim Gebet zu stören? Wer braucht das schon, wenn man auch eine fast 17 Meter hohe, spiralförmige Rutschbahn (im Englischen: "Helter-Skelter") im Kirchenschiff haben kann? So finden in diesem Sommer etwas ungewöhnliche Attraktionen Platz in der ein oder anderen englischen Kathedrale, wie die New York Times berichtet. Die bunte, beleuchtete Rutsche befindet sich beispielsweise in der Norwich Cathedral im Osten des Landes.

In der Lichfield Cathedral im westlichen Mittelengland können Kirchenbesucher knapp 10 Wochen lang eine Mondlandschaft erkunden, anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Apollo-11-Mission. "Kommen Sie und machen Sie ein einmaliges Selfie auf der Mondoberfläche!", wirbt die Gemeinde auf ihrer Website.

In der Peterborough Cathedral, ebenfalls in der Mitte Englands, kann man noch bis Mitte September ein Modell der Erde bestaunen, für das hochauflösende Aufnahmen der NASA verwendet wurden. Und im Südosten, in der Rochester Cathedral, kann man bis Anfang nächsten Monats Minigolf spielen. Das Thema dort sind Brücken, also ja irgendwie auch spirituelles Brückenbauen, worüber man ja mal reden könnte, dachten sich die Macher.

Andy Bryant, Pfarrer der Norwich Cathedral und dort zuständig für Missionierung, will Besuchern für zwei Pfund pro Rutsch einen neuen Blick auf die prunkvolle Deckenkonstruktion ermöglichen – und natürlich auf den Glauben. Man könne denken, die Rutschbahn sei einfach nur grell und laut, aber auf diese Weise könnten die Menschen die Kathedrale in all ihrer Herrlichkeit wahrnehmen, sagte der Geistliche der Zeitung. Herrlich auch, wie sich Theologen alles immer so zurechtlegen, wie es gerade passt. Ist ja sonst bisweilen schon ein Gespräch zu viel, selbst wenn ja nicht auszuschließen ist, dass man sich über ebendiese Herrlichkeit unterhält und sie würdigt.

Anders in der Norwich Cathedral: Hier wird die Rutschbahn im Rahmen eines 11-tägigen Projekts namens "Es anders sehen" noch bis kommenden Sonntag in den kirchlichen Alltag integriert. Als Höhepunkt des Experiments wird Bischof Jonathan Meyrick dann gar die Predigt von ihrem Türmchen aus halten und anschließend den schnellsten Weg nach unten nehmen. Die Dekanin hat's erlaubt. Und die (meisten) Leute finden das Ganze allem Anschein nach gut. Die Kathedrale sei voll von neuen, lächelnden, glücklichen Leuten, mit denen man über den Glauben reden könne, so Pfarrer Bryant gegenüber der New York Times.

Der Grund für den Zirkus, man kann es sich denken, ist auch in der Church of England eine sinkende Zahl von Gottesdienstbesuchern. Erstaunlich aber, wie weit die Kirche zu gehen bereit ist.

Eine Jahrmarktatmosphäre anstatt ehrfürchtiger Stille, das Feiern ausgerechnet der lange bekämpften Wissenschaft, die ihren Gott und ihr Welterklärungsmodell unnötig macht – die Verzweiflung muss groß sein in England. Dort hat man ebenfalls mit einem Missbrauchsskandal zu kämpfen und die britischen Kirchenmitglieder sind von 40 im Jahr 1983 auf 14 Prozent in 2018 gesunken.

Man will ja nicht so sein, trotzdem stiehlt sich bei alldem ein Obelix-Zitat ins eigene Gehirn: "Die spinnen, die Briten!"