Es ist mal wieder so weit: Der Frust über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bricht sich Bahn. Auslöser der aktuellen Debatte sind kritische Äußerungen des Moderators und Schauspielers Hugo Egon Balder, der den öffentlich-rechtlichen Rundfunk jüngst als "überteuert, selbstverliebt und realitätsfern" bezeichnete. Er bemängelte, dass ARD und ZDF ihren Informationsauftrag zunehmend mit Eventshows und seichter Unterhaltung verwässerten und sprach von einem "System, das sich selbst genügt".
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: In den Kommentarspalten sammelten sich Hunderte Meinungen, in der überwiegenden Mehrheit nicht als Diskussionsbeitrag zu Balders immerhin noch differenzierter Kritik. Vielmehr war einmal mehr schlagwortgetränkte grundsätzliche Empörung und teils wütende Ablehnung des öffentlich-rechtlichen Systems zu besichtigen. Die Stereotypen der "Zwangsgebühren", der "GEZ" (die es längst nicht mehr gibt) vom "Staatsfunk", der abgeschafft gehöre und von der "Regierungspropaganda" beherrschten die Kommentare.
Was sich dort entlädt, hat längst nichts mehr mit der Frage zu tun, ob ARD und ZDF ihren Auftrag erfüllen, zu viel kosten oder zu viel unterhalten. Es geht um etwas Tieferes: um den Zerfall eines gesellschaftlichen Grundvertrauens.
Der Rundfunk als Projektionsfläche
Kaum eine Institution steht so exemplarisch für die Spannung zwischen Staat, Bürger und Öffentlichkeit wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er ist allgegenwärtig, verpflichtend, normativ aufgeladen. Man kann ihm nicht entkommen – und genau das macht ihn zur idealen Projektionsfläche.
Die Wut über den Rundfunkbeitrag, über angebliche "Zwangsabgaben" und "Staatsfunk", richtet sich selten gegen das, was tatsächlich ausgestrahlt wird. Sie richtet sich gegen das Gefühl, dass irgendjemand da draußen über das eigene Leben bestimmt. Der Rundfunk wird zum Stellvertreter für eine diffuse Erfahrung von Kontrollverlust.
Dass er rechtlich gar nicht in die Zuständigkeit des Bundes fällt, sondern Sache der Länder ist, dass er staatsfern organisiert und gesetzlich legitimiert wurde – das spielt in diesen Debatten keine Rolle. Fakten sind zu sperrig geworden, um sie zu transportieren. Übrig bleibt der Affekt. Der "Staatsfunk", den uns "die Regierung aufgedrückt hat". So wörtlich in einem Kommentar.
Historisches Gedächtnis und Gegenwartsschwund
Dass wir unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Alliierten verdanken – und damit der bewussten Entscheidung, eine unabhängige, pluralistische Medienordnung zu schaffen –, ist im kollektiven Gedächtnis kaum noch präsent.
Nach der Erfahrung totaler Propaganda wurde der Rundfunk als Gegengift gedacht, als Garant für Vielfalt und Wahrheit. Heute erscheint das selbstverständlich, fast überflüssig. Das System hat so gut funktioniert, dass sein Zweck unsichtbar geworden ist. Der Schutz vor Manipulation wirkt abstrakt, weil er über Jahrzehnte erfolgreich war. Und so halten viele das, was uns stabilisiert hat, für bloße Gewohnheit.
Der historische Sinn, warum wir ein öffentlich finanziertes Informationssystem brauchen, ist verdampft in einer Gegenwart, die alles in den Kategorien von Nutzen und Preis denkt – eben auch auf der Ebene der Bürger. Leider auch allzu oft bei den Entscheidern über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Die Ökonomie der Aufmerksamkeit
Ein weiterer Grund für die Erosion liegt in der Logik unserer Medienzeit selbst. Die digitale Öffentlichkeit belohnt nicht Verständigung, sondern Erregung. Wer laut ist, wird gehört; wer differenziert, verschwindet. In diesem Klima wirken Institutionen, die auf Ausgleich, Bildung, Verantwortung setzen, wie Relikte.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender tragen Mitschuld an ihrer Entfremdung. Sie haben zu oft versucht, marktkonform zu agieren, um Relevanz zu sichern – und dabei ihr Profil verwischt. Zwischen Influencer-Klamauk, Eventshows und hektischer Aktualität ist der eigentliche Auftrag – Orientierung, Einordnung, Verlässlichkeit – (zu) oft schwer wiederzuerkennen.
Die Folge: Sie verlieren an moralischer Autorität, ohne an Popularität zu gewinnen.
Entfremdung als Gesellschaftsdiagnose
Was aber in den Kommentarspalten durchweg geschieht, ist keine Medienkritik, sondern ein Spiegel allgemeiner gesellschaftlicher Desintegration. Nur selten taucht eine konkrete Inhaltskritik auf, meist als nostalgisch verklärte Erinnerung an gemeinsame Familienabende mit Hans-Joachim Kulenkampff oder Rudi Carrell. Ganz offensichtlich ist das keine ernstzunehmende Medienkritik.
Aber die Neigung zur gesellschaftlichen Desintegration zeigt sich eben nicht nur im Brennpunkt öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der nur eine geeignete Projektionsfläche ist. Das Vertrauen in Institutionen, in Politik, Wissenschaft, Justiz und Journalismus, erodiert gleichzeitig.
Die Menschen erleben das, was in Berlin, Brüssel oder Stuttgart beschlossen wird, nicht mehr als Ausdruck demokratischer Gestaltung, sondern als Angriff auf ihre Lebenswirklichkeit. Man könnte sagen: Die Demokratie wird noch formal akzeptiert, aber emotional nicht mehr geteilt. Und der öffentlich-rechtliche Rundfunk – als eines ihrer sichtbarsten Symbole – bekommt den Zorn ab, den eigentlich die gesamte politische Kultur auf sich zieht.
Die Aushöhlung des Konsenses
Früher gab es so etwas wie einen Grundkonsens über den Wert öffentlicher Güter. Man stritt über Inhalte, nicht über Prinzipien. Heute scheint selbst das Fundament brüchig: Solidarität wird als Zumutung empfunden, Gemeinsinn als Ideologie, Komplexität als Verdacht.
Der Rundfunkbeitrag steht dabei für das, was viele nicht mehr aushalten: dass sie Teil eines größeren Ganzen sind, dessen Nutzen sich nicht immer individuell verrechnen lässt. Wir leben in einer Gesellschaft, die gelernt hat, alles zu bepreisen – aber kaum noch, etwas zu begründen.
Wege aus der Entfremdung
Was also tun?
Zunächst: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk braucht keine PR-Offensive, sondern eine Kultur der Selbstaufklärung. Er muss zeigen, wie Journalismus funktioniert, woher seine Mittel kommen, wie Entscheidungen entstehen. Nicht in Imagekampagnen, sondern in echter, gelebter Transparenz.
Zweitens: Politik muss die institutionelle Erneuerung ernst nehmen. Nicht als Sparprogramm, sondern als demokratische Investition. Ein System, das über Vertrauen lebt, darf sich nicht in Verwaltungsroutinen erschöpfen.
Und drittens: Wir alle – Zuschauer, Bürger, Kritiker – müssen uns fragen, ob wir wirklich bereit sind, noch etwas gemeinsam zu tragen.
Denn wenn jedes "Wir" nur noch als Einschränkung empfunden wird, dann verliert auch die Demokratie ihren Resonanzboden.
Epilog
Vielleicht ist der Streit um ARD und ZDF am Ende gar kein Streit um Fernsehen, sondern um Zugehörigkeit. Er zeigt, wie tief die Kluft zwischen Individuum und Institution geworden ist – und wie dringend wir wieder eine Sprache finden müssen, die nicht in Schlagwörtern endet.
Bis dahin bleibt das bittere Fazit:
Solange wir die Orte zerstören, an denen das Gemeinsame überhaupt noch verhandelt werden könnte, wird das Gemeinsame selbst verschwinden.
Nur weiter so, liebe Bundesregierung.
Nur weiter so, liebe Sender.
Nur weiter so, liebe Öffentlichkeit.
Am Ende reden wir vielleicht gar nicht mehr miteinander – sondern nur noch über uns selbst.







17 Kommentare
Kommentare
Guggemos, Walter am Permanenter Link
Dazu eine Umfrage:
Die Ablehungeszahlen erhöhen sich sicher noch etwas, wenn man berücksichtigt, dass 6% der Haushalte von den Rundfunkgebühren befreit sind. Es durfte wahrscheinlich sein, das eine Befragung nur der Personen, die die Gebühr zu zahlen haben zu noch schlechteren Werten für den ÖRR führen würde.
uwe hauptschueler am Permanenter Link
"Halt du sie blöd, ich halt sie arm." Der Auftrag zur Verblödung ist von den Kirchen auf den öffentlich rechtlichen Rundfunk übergegangen. Bei den Kirchen hab ich mich vor über vierzig Jahren abgemeldet.
Andreas Kielmann am Permanenter Link
Kann gut sein daß die öffentlich Rechtlichen bald beseitigt werden.
Es besteht eine Staatskirche verbotenerweise.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Eine berechtigte Mahnung an uns alle!
adam sedgwick am Permanenter Link
Also, die Kritik von Herrn Balder, so wie sie hier wiedergegeben ist, kann man gerne teilen.
Nur Wiederholungen von Tatort-Krimis und ähnlichen Sendungen empfinde ich als unerhört, schließlich habe ich doch schon früher dafür bezahlt, und diese bringen einen nicht weiter.
Nun zum Inhaltlichen: Vor allem die Nachrichten-Sendungen wie Tagesschau, vor allem das heute-journal oder die ähnlichen Formate sind ja steril, und alles andere als für den politisch Interessierten anregend oder des Nachdenkens wert.
Ein kleines Beispiel: Christian Sievers stellte vor einigen Wochen fest, dass von der Weltöffentlichkeit unbemerkt ein grausamer Bürgerkrieg im Sudan stattfindet, aber in den Medien keine Beachtung findet und fand. Ja das stimmt, aber wer ist denn die Weltöffentlichkeit? Das sind doch die "Topjournalisten" der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, die doch Zugriff auf solche Informationen haben! Ich, als einfacher Bürger, komme nicht so schnell in den Sudan. Herr Sievers und alle seine Kolleginnen und Kollegen halten uns viele Informationen vor, die sie laut unseren Rundfunk-Gesetzen verpflichtet wären, uns mitzuteilen. Auf dem Kontinent Afrika gibt es 54 Staaten und ca. 1 Milliarde Menschen, von denen wird aber nicht einer in unseren Medien erwähnt. Ich könnte mir vorstellen, dass es etliche afrikanische Journalisten gibt, die des Nachdenkens werte Informationen und Ideen zum Ukraine Krieg und auch zum Gaza Krieg haben, auch zu den autoritären Entwicklungen in Europa und USA, und über viele, auch gute Beziehungen, Europas und Afrikas. Der ganze Kontinent Afrika wird von unseren Medien immer außen vor gehalten (auf Gegenbeispiele bin ich sehr gespannt), obwohl Afrika langfristig für uns Europäer sehr wichtig wird, mittlerweile aber auch schon in einigen Bereichen bereits ist, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch, als Gegengewicht zu China, USA und Russland.
Ähnliches Verhalten der Medien betrifft die Entwicklungen in den USA, uns werden im Zweiten Programm immer nur die Ansichten einer einzigen Person präsentiert, nämlich die von Elmar Teveßen, auch bei Markus Lanz und ähnlichen Formaten tritt er oft auf, so als gäbe es keinen einzigen weiteren kompetenten Amerika-Journalisten. Es gibt in den USA viele Journalisten, die sicherlich auch ein anderes Bild von den USA zeichnen, vielleicht eines, was zu berechtigten Hoffnungen Anlass geben könnte. Andere führende europäischen Zeitungen könnten unser Bild von den USA aber auch vielen anderen Regionen, vervollständigen und zu einem vielschichtigen Urteil beitragen.
Hier nun noch eine Bemerkung zum Fernseh-Programm, wie wäre es, wenn mehr Fernsehspiele und gute Geschichten erzählt würden in denen vor allem einige wichtige Artikel unserer Verfassung eine eindringliche Rolle spielen? In all den gängigen Krimis keine Hinweise auf die Rechte beschuldigter, verdächtiger Personen. Solche Beiträge könnten den Wert unserer freiheitlichen Gesellschafts-ordnung mehr nahebringen und vielleicht den einen oder anderen immun gegen die Thesen der menschenverachtenden Extremisten machen.
Adrian Anders am Permanenter Link
Lieber Adam Sedgwick, DANKE für Ihren Beitrag, der als einer der wenigen treffend beschreibt, worum es eigentlich gehen sollte. Ich schließe mich vorbehaltlos an!
adam sedgwick am Permanenter Link
Lieber Herr Anders,
Stefan Dewald am Permanenter Link
Man kann sehr gut ohne Glotze auskommen. Das tue ich schon seit 1988.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Es ist vielen nicht geläufig, dass ÖRR eine Rechtsform ist und nichts mit dem Programm zu tun hat. Diese Rechtsform wurde nach dem 3ten Reich eingeführt wegen und gegen jene, die heute wieder den ÖRR bekämpfen.
Leon Paysan am Permanenter Link
In den USA sehen wir, was geschieht, wenn es keine unabhängigen Medien gibt: Die Leute schauen nur noch Sendungen an, die ihre eigene Meinung bestätigen und reden nicht mehr miteinander. Ergebnis: Autokratie.
Wenn im ÖRR ständig etwas berichtet wird, was der eigenen Meinung widerspricht, denken die Leute, der ÖRR muss falsch sein, kommen aber nicht auf die Idee, vielleicht selbst schief gewickelt zu sein.
Für mich ist der ÖRR ein wichtiger Indikator: Wird er abgeschafft, sollte man das Land schnellstmöglich verlassen.
Claudia Schulte am Permanenter Link
"... sollte man das Land schnellstmöglich verlassen" und wohin gehen Sie?
Leon Paysan am Permanenter Link
Gute Frage! Neuseeland? Wenn die einen dann noch reinlassen.
lachmann am Permanenter Link
Es fehlt oft die Toleranz, die Meinung des anderen zu akzeptieren.
Da wird auch Patrick Bahners empfohlen, der in einem anderen Buch (Die Panikmacher) schreibt:
"... Religionsfeinde, die sich in der Giordano-Bruno-Stiftung sammeln, humorlose Eiferer ... ... sektiererisches Umfeld ..." Und eine Seite vorher Steht der Satz "Der Antikatholizismus ist seit jeher die Pornographie des Puritaners" Es könnte der Eindruck entstehen, P. Bahners steht für Krawall-Journalismus, trotzdem wird eines seiner Bücher hier auf dieser Seite empfohlen. Das ist Toleranz.
PJ am Permanenter Link
Der Wandel wird auch an ARD und ZDF keinen Halt machen. Die linearen Fernsehsender (egal ob ÖRR oder RTL, Pro7, etc.) haben mit massiven, disruptiven Veränderungen zu kämpfen.
_ Wie viel streame ich?
_ Wie viel lineares Fernsehen schaue ich?
_ Wen kenne ich, der noch lineares Fernsehen schaut?
Der ÖRR hat daher ein großes Akzeptanzproblem. Fussball-WM und Olympia bringen noch die Zuschauer vor die Geräte. Der Rest vom Programm ist leider nur noch auf eine einzige, umso größere Zielgruppe zugeschnitten - Menschen 55+, die in Deutschland aufgewachsen sind und die Sprache (perfekt) können.
Für alle anderen ist das TV-Programm uninteressant und langweilig.
Daher halte ich den Streit pro und contra ÖRR, dessen Finanzierung und die Programminhalte für durchaus angebracht und sogar essenziell für den gesellschaftlichen Zusammenhang.
Denn was sich der ÖRR im Bereich Podcasts und Streaming leistet, ist teilweise ein Witz. Beste Beispiele dafür sind die funk-Formate "Böse Mädchen", "Die da oben", "Strg+F" und "Leeroy wills wissen".
Mark am Permanenter Link
Die Öffentlich-Rechtlichen bekommen jedes Jahr 8 Milliarden Euro und die Qualität des Programs ich nicth besser, als dass der privaten Sender.
Frank Roßner am Permanenter Link
Lieber Herr Endruscheit, vielleicht schauen Sie sich mal an, wie die Rundfunkräte in unserer Berliner Republik "zusmmengewählt" werden. Da kann von religiös-weltanschaulicher Neutralität keine Rede sein.
Beate Müller am Permanenter Link
... besser Pier Silvio Berlusconi übernimmt mit seinem gigantischen Kapital die deutschen Medien, wie gerade geschehen ... Aber "zwei Worte zum Sonntag" sind natürlich ein viel ernsteres Problem!