Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskaliert und im Mittelpunkt der Debatte in Deutschland steht auch die Frage, was das Völkerrecht zu diesem Konflikt zu sagen hat. Handelt es sich um einen Fall von völkerrechtlich erlaubter Selbstverteidigung oder erleben wir gerade den Abgesang auf die regelbasierte Weltordnung? Der Versuch einer Einordnung.
Versuche, den Krieg zu zähmen, sind vermutlich fast so alt wie der Krieg selbst. Verträge zur Einhegung von Kriegsführung zwischen griechischen Stadtstaaten sind schon seit mindestens 700 vor unserer Zeit nachweisbar. Das Nachdenken über Krieg hat also eine lange rechtliche und philosophische Tradition. Trotzdem sind das Verbot und die Ächtung von Angriffskriegen mit dem Briand-Kellogg-Pakt eine recht junge Entwicklung. Ab 1928 verpflichteten sich 31 Unterzeichnerstaaten, darunter auch die Weimarer Republik, auf Angriffskriege zu verzichten.
Dieses Verbot von Angriffskriegen erneuerte die Charta der Vereinten Nationen 1945 in Artikel 2. Dort heißt es in Nummer 3: "Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden." Und in Nummer 4: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."
Aus diesen Absätzen lassen sich bereits einige interessante Aspekte ziehen: Erstens sind Angriffskriege geächtet und der Weltfriede wird als schützenswertes Gut gemeinsam anerkannt. Zweitens werden dem "Weltfrieden" aber auch "internationale Sicherheit" und "Gerechtigkeit" als schützenswerte Güter zur Seite gestellt. Und drittens verpflichten sich die Unterzeichnerstaaten auf die Anwendung, aber auch auf die Androhung von Gewalt zu verzichten.
Die Ausnahme für den Gewaltverzicht regelt Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen, in dem es heißt: "Diese Charta beeinträchtigt im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen keineswegs das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung [...]." Die Frage der völkerrechtlichen Bewertung wird also daran hängen, ob es sich bei den jüngsten Angriffen Israels gegen den Iran um Selbstverteidigung im Sinne des Völkerrechts handelt oder nicht.
Bewertungen und Argumentationen
So wertet es auch Franziska Kring, Autorin von Legal Tribune Online, die schreibt: "Als einziger Rechtfertigungsgrund kommt hier das Selbstverteidigungsrecht aus Art. 51 der UN-Charta in Betracht. Voraussetzung dafür wäre ein gegenwärtiger, rechtswidriger, bewaffneter Angriff des Iran. Angriffe des Iran auf Israel aus der jüngeren Vergangenheit spielen völkerrechtlich keine Rolle mehr."
Ähnlich sieht es auch der Völkerrechtler Prof. Matthias Goldmann, der auf X schrieb: "Die ganz überwiegende Zahl der Völkerrechtler:innen hält die Angriffe für eindeutig illegal. Die Angriffe Irans (= Antwort auf israel. Angriff auf Konsulat) waren lange vorbei, Israel rechtfertigt seine Angriffe auch nicht darüber." Worauf Goldmann sich bezieht, sind die Angriffe Israels auf das iranische Konsulat in Damaskus 2024, auf die der Iran mit einem Raketenangriff auf Israel reagierte. Die Argumentation, gegen die Goldmann sich hier positioniert, ist die Folgende: Weil Iran 2024 Israel mit Raketen angegriffen hat, hat Israel nun heute 2025 ein Recht auf Selbstverteidigung.
Die Sicht gegen die Goldmann argumentiert ist natürlich unangemessen, denn das Völkerrecht kennt keine Vergeltung (insofern waren bereits die Vergeltungsschläge Irans 2024 völkerrechtlich nicht legitimiert) und Selbstverteidigung kann stets nur der Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs dienen. Ein Angriff von 2024, der bereits vorbei ist, kann damit niemals Grundlage für Selbstverteidigung 2025 sein.
Nun haben aber die israelischen Völkerrechtler Amichai Cohen und Yuval Shany die folgende Argumentation ins Spiel gebracht: Eine Betrachtung einzelner Angriffswellen ist unangemessen, da der Konflikt zwischen Iran und Israel seit längerem besteht. Insbesondere die Überfälle der Hamas und der Hisbollah am 7. beziehungsweise 8. Oktober 2023 stellen einen Angriff Irans über Stellvertreter in einem andauernden Konfliktgeschehen dar. Dafür sprechen, so Cohen und Shany, insbesondere drei Punkte.
Erstens habe der Iran eine nationale Strategie, die darin besteht, einen "Ring aus Feuer" bestehend aus Stellvertretern um Israel zu ziehen, die sich immer wieder und spätestens mit dem 8. Oktober 2023 in Kämpfen mit Israel befinden. Zweitens hat der Iran mindestens zweimal auf Seiten dieser Stellvertreter mit Angriffen auf Israel aktiv in die Kämpfe dieser Stellvertreter eingegriffen. Und drittens hat der Iran wiederholt gegen das Verbot der Androhung von Gewalt aus Artikel 2 Nummer 4 der UN-Charta verstoßen, indem er Israel mit der totalen Auslöschung gedroht habe.
Die Sicht, dass Konflikte länger andauern und auch Phasen kennen, in denen die Waffen schweigen, ist dabei nicht besonders kontrovers. Zwischen Nord- und Südkorea besteht heute noch, trotz über 70 Jahren Waffenruhe, ein formaler Kriegszustand. Umstrittener ist die Frage nach den Stellvertretern und ob sich deren Angriffe dem Iran in einem völkerrechtlich relevanten Sinn zurechnen lassen.
Ein Präzedenzfall
Ausgehend von einem Urteil des Internationalen Gerichtshofs in einem Fall von Nicaragua gegen die Vereinigten Staaten von Amerika 1986 ist im Völkerrecht vom sogenannten Nicaragua-Test oder "effective control test" die Rede. Dort hatte das Gericht entschieden, dass das Konzept eines bewaffneten Angriffs die Unterstützung von Rebellen in Form von Waffenlieferungen, Logistik und anderem nicht einschließt.1 Die USA könnten also nicht direkt für die Verbrechen der Contras verantwortlich gemacht werden, da die USA keine "effektive Kontrolle" über diese Gruppe ausgeübt hätten.
Wenn also Völkerrechtler auf den Nicaragua-Test verweisen und daraus ableiten, dass die Unterstützung von Stellvertretern (engl. proxys) nicht ausreicht, so weisen sie darauf hin, dass das im konkreten Fall der Contras und der USA der Fall war. Damit ist aber noch nicht gezeigt, dass es auch für Iran und seine Stellvertreter gilt.
Übertragen auf den Konflikt zwischen Israel und Iran wäre also erst zu prüfen, ob der Iran eine effektive Kontrolle über entweder Hamas oder Hisbollah (oder auch die oft vergessenen Huthis) ausübt. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn der Iran in der Lage gewesen wäre, bestimmte Ziele, Angriffszeitpunkte oder ähnliches vorzugeben. Wer also die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit in Bezug auf legitime Selbstverteidigung beurteilen will, braucht eigentlich diese Information und soweit ich das beurteilen kann, ist diese Information nicht verfügbar.
Damit wäre aber die abschließende völkerrechtliche Beurteilung des israelischen Angriffs vorerst unmöglich, bis diese Prüfung erfolgt ist. Andere Fragen, wie die nach einem Präventivschlag, werden hingegen von allen Beteiligten (auch Cohen und Shany) abschlägig beurteilt. Ein solcher ist nach dem Völkerrecht nicht zulässig.
Bei all den juristischen Diskussionen um Detailfragen des Völkerrechts sollte jedoch ein anderer Punkt nicht aus dem Auge geraten: Die Frage nämlich, welche Rechtsgüter eigentlich geschützt werden sollen. Ziel muss es sein, Leib und Leben der Zivilbevölkerungen sowohl in Israel als auch im Iran zu schützen. Gerade die iranische Zivilbevölkerung scheint dabei zum Spielball der Politik, sowohl der internationalen als auch der ihrer eigenen Führung zu werden, wie Negin Behkam anmerkt.
Erinnern wir uns an Artikel 2 Nummer 3 und 4: Danach sollen aber auch Weltfriede, internationale Sicherheit und Gerechtigkeit durch das Gewaltverbot geschützt werden. Diese in Einklang zu bringen ist schon in Friedenszeiten eine Herausforderung. Jetzt, da nach dem Eingreifen der USA in den Konflikt die Zeichen auf Sturm stehen, können wir für die Menschen in der Region nur das Beste hoffen, dass auch ihre Interessen in den Überlegungen der Entscheider eine Rolle spielen.






