Gegen rassistisch motivierte Gewalttaten rufen Linke oft – und zu Recht – zu Demonstrationen auf. Auf islamistische Terroranschläge reagiert man im linken politischen Lager hingegen oft mit Schweigen. Wie kommt es zu diesem auffälligen Schweigen, das nach den jüngsten Anschlägen in Frankreich und Österreich sogar von einigen prominenten Linken kritisiert wurde? Ein Interview mit Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber.
hpd: Herr Professor Pfahl-Traughber, in den letzten Wochen gab es gleich mehrere terroristische Anschläge von Islamisten: In Dresden, Paris, Nizza und Wien starben dabei neun Menschen. Das Entsetzen und die Wut darüber waren allgemein groß. Es fiel allerdings auch auf, dass bei der Verurteilung der Morde eindeutige Statements aus einem politischen Spektrum weitgehend fehlten: dem der Linken.
Armin Pfahl-Traughber: Zunächst einmal muss man sagen, dass es "die" politische Linke nicht gibt. Gleichwohl lässt sich Ihre Feststellung gut begründet verallgemeinern. Indessen handelt es sich hier um kein neues Phänomen. Bis auf wenige Ausnahmen ist Islamismus innerhalb der Linken meist ein "Nicht-Thema". Dies gilt nicht nur für die legalistischen, sondern mitunter auch für die terroristischen Formen. Relativierungen und Verharmlosungen können häufig ausgemacht werden. Mit "Dresden" spielen sie ja auf die Ermordung eines Homosexuellen an. Man kann hier zur Erläuterung ein Gedankenexperiment wagen: Wäre ein Neonazi der Täter gewesen, wie hätte die Linke dann reagiert? Es wäre zu Demonstrationen und Protesten gekommen. Man hätte vor einer ansteigenden Homosexuellenfeindlichkeit in Statements gewarnt. Doch was geschah in dem Fall mit islamistischem Hintergrund …?
Warum tun sich viele Linke so schwer mit der Kritik an menschenverachtenden Ideologien und Taten, die in bestimmten Communities, Kulturen und Religionen verbreitet sind?
Dafür gibt es zwei unterschiedliche Gründe, wobei sie das Gemeinte erklären, aber nicht rechtfertigen sollen: "Antiimperialismus" zieht sich als Einstellung durch die politische Linke. Dass es gute Gründe für eine Kritik westlicher Politik gegenüber den ärmeren Ländern gibt, ist damit aber nicht allein gemeint. Diese Einstellung führte zu einer simplen Weltdeutung, gibt es doch "Starke" und "Schwache", und man solidarisiert sich dann mit den "Schwachen". Die Auffassung erklärt auch, warum die Linke früher antiwestliche oder linke Diktaturen in den Entwicklungsländern nicht kritisiert hat. Auch die Israelfeindlichkeit ist durch eine solche Position mit motiviert. Gleichzeitig sieht man dann selbst in der "Hamas" und "Hizb Allah" jeweils Kräfte auf der gleichen Seite im Kampf gegen den "Imperialismus". Der zweite Grund besteht ganz einfach darin, dass die Linke mit einer Kritik an migrantischen Kontexten der Rechten keinen Stoff liefern will. Schweigt man aber über dortige Entwicklungen wie Antisemitismus, Frauendiskriminierung oder Homosexuellenfeindlichkeit, so gibt man den gemeinten Rechten indessen gerade erst recht einen solchen Stoff.
Etwas weniger zurückhaltend war man in den letzten Jahrzehnten bei der Kritik am Christentum. Warum kritisieren Linke Christen und ihre mitunter fundamentalistischen Haltungen, Muslime aber nicht für die gleichen Positionen? Warum gilt das dann als islamophob und rassistisch?
Auch das erklärt sich mit durch die beiden vorgenannten Gründe. Hinzu kommt, dass es ja durchaus eine Diskriminierung von Muslimen in Deutschland und anderen westlichen Ländern gibt. Demgegenüber gelten fundamentalistische Christen als Angehörige der Dominanzkultur. Dies erklärt, warum Linke mit einem "herrschaftskritischen" Selbstverständnis eben fundamentalistische Christen, aber nicht fundamentalistische Muslime verdammen. Es gibt dazu etwa in der Identitätslinken eine ganz absonderliche Position: Demnach kann ein Schwarzer einen Weißen nicht rassistisch beleidigen, sei doch Rassismus immer auch ein Dominanzverhältnis und dieses wäre nicht den Schwarzen, aber den Weißen eigen.
Und noch zum letzten Punkt der Frage?
… Ach ja, "Islamophobie" und "Rassismus" als Vorwürfe. Es gibt sehr wohl eine in der Gesellschaft kursierende hetzerische Muslimenfeindlichkeit. Es gibt aber auch eine menschenrechtliche Islamkritik. Beide Einstellungen setzen manche Linke mitunter objektiv gleich, womit eine aufklärerische Position diskreditiert wird. Das kann man übrigens ganz gut daran ablesen, dass Feministinnen als Rassistinnen gelten, wenn sie die Frauendiskriminierung in muslimischen Kontexten kritisieren. Auch Islamisten bedienen sich derartiger Vorwürfe. Hier gibt es also eine bedenkliche "Diskurs-Koalition".
Wie kann es sein, dass man sich hierzulande gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und Juden engagiert, aber gleichzeitig Antisemitismus und Schwulenhass in muslimischen Gemeinschaften und Ländern ignoriert? Welche Denkmuster stehen dahinter?
Es gibt hier die genannten Doppelstandards. Dies macht übrigens zunächst deutlich, dass es nicht zentral um die Ablehnung von Antisemitismus und Homosexuellenfeindlichkeit geht. Denn ansonsten müssten darauf bezogene Einwände eben auch gegen solche Einstellungen und Handlungen in muslimischen Kontexten gerichtet sein. Offenbar wollen die gemeinten linken Akteure wohl mehr die westlichen Gesellschaften kritisieren, als sich für die Opfer der gemeinten Diskriminierungsideologien engagieren. Übrigens gibt es dabei eine gewisse Tradition: Vor 1990 engagierten sich auch viele Linke für Menschenrechte, aber nicht gegen Menschenrechtsverletzungen im "real existierenden Sozialismus". Auch hier artikulierten sich die gemeinten Doppelstandards, welche eben diese Linken nicht zu glaubwürdigen Menschenrechtsverteidigern machen.
Dass viele Linke zu islamistischem Terrorismus schweigen, ist ja kein neues Phänomen. Neu war diesmal aber trotzdem etwas: Einige eindeutig links stehende Prominente kritisierten diesmal das Schweigen. Deutet sich da bei den Linken eine Trendwende an?
Auf solche Fragen antworte ich immer mit: Ich bin Politologe, kein Astrologe. Aber ganz ernsthaft, das kann ich seriös nicht sagen. Erfreulich ist sicherlich, dass Kevin Kühnert mit anderen von einem "blinden Fleck der Linken" spricht. Ob dies längerfristig zu einer Änderung von deren Haltung und demnach zu einer Kritik des Islamismus führen wird, lässt sich aktuell nicht sagen. Man braucht aber nur den linken Buchmarkt zu betrachten: Zwar gibt es Berge von Büchern zu angeblicher und tatsächlicher Muslimenfeindlichkeit, die kritischen Monographien zum Islamismus kann man aber an den Fingern zweier Hände abzählen. Generell wäre eine einschlägige Debatte darüber nötig. Der Ausgangspunkt dafür könnte die Berufung auf die individuellen Menschenrechte sein, die etwa auch Frauen in muslimischen Kontexten zustehen. An einem glaubwürdigen Bekenntnis dazu als persönliche wie politische Haltung mangelt es nicht wenigen Linken.
Das Interview führte hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.
26 Kommentare
Kommentare
Roland Fakler am Permanenter Link
Es erfordert große intellektuelle Redlichkeit, Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren, unabhängig von welcher „Gruppierung“ sie begangen wurden, ja es kostet sogar große Überwindung zugeben zu müssen: „Da haben Ang
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Eine erfreulich offene und hilfreiche, weil substantiierte Kritik an „nicht wenigen Linken“. Es hat wohl seinen guten Grund, warum deren politische Vertreter bei Wahlen sich in Richtung Splitterparteien bewegen.
A.S. am Permanenter Link
Tolles Interview.
Der Doppelstandard der Linken ist es meiner Ansicht nach, der sehr viel Wasser auf die Mühlen der Rechten gibt.
Was sich die Linke aber auch endlich mal eingestehen sollte:
Sie hat sich in den 70ern von Ruholla Chomeini böse hinter die Fichte führen lassen. Die unsäglichen Narrative eines Michel Foucault wirken bis heute nach. Foucault hatte damals in der linken Szene eine Art Meinungsführerschaft inne und hat dem Ayatollah naiv geglaubt, es ginge ihm um Frieden, nicht um Macht.
Von der Kirche wird zu Recht verlangt, sie solle sich den Schandtaten und Fehlern ihrer Vergangenheit stellen. Den Linken stünde es gut zu Gesicht, den selben Maßstab an sich selber anzulegen. (Aber immerhin berufen sich die Linken nicht auf göttliche Autorität, sondern blos auf Marx. Den darf man kritisieren ohne das einem der Kopf abgesäbelt wird.)
Egal ob TV-Prediger, Hinterhof-Sekte oder Welt-Religion:
Der Erfolg basiert auf der Kunstfertigkeit ihrer religiösen Führer, die Menschen über ihre wahren Absichten der Macht- und Habgier zu täuschen.
M. Landau am Permanenter Link
Hallo A.S.
»» sondern blos auf Marx. Den darf man kritisieren ohne das einem der Kopf abgesäbelt wird. ««
Da habe ich ja noch mal Glück gehabt ::))
An die Mullahs hatte ich gar nicht gedacht, als ich meinen Kommentar geschrieben habe, war wohl zu tief im RAF-Terror versunken :-\, und das obwohl Chomeini fast zur gleichen Zeit das Mittelalter im Iran eingeführt hat.
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Michel Foucault ? Naja, ich weiß nicht ob er so naiv war...
https://geschichtedergegenwart.ch/zeitenwende-michel-foucault-und-die-iranische-revolution/
A.S. am Permanenter Link
Ich bezog mich auf die Zeit von Chomenis Exil in Frankreich. Da sind die linken Intellektuellen zu ihm gepligert und haben sich von Ayatollah einwickeln lassen.
Das ist generell die Methode der religiösen Führer: Erst mit schönen Worten die Menschen einwickeln, dann Psychoterror aufbauen. Ist die Macht erst groß genug, kommt zum psychologischen Terror der physikalische dazu (Folter genannt). Beispiel: Paul Schäfer, Gründer der Colonia Dignidad.
Der Artikel in "Zeitenwende" zu Foucault ist interessant, er setzt aber erst zur Zeit der iranischen Revolution ein. Zweifellos hat das Phänomen "Revolution" Foucault begeistert. Was ich nicht weiß: Kannte Foucault das Buch "Psychologie der Massen" von Gustave Le Bon? Mit massenpsychologischen Erklärungsmustern lassen sich Revolutionen m.E. besser verstehen als mit marxistischen. Mit massenpsychologischen Erklärungsmustern lassen sich m.E. auch Religionen besser verstehen als mit philosophischen. Ich z.B. sehe Religionsgemeinschaften als Groß-Horden mit virtuellem Anführer und einem realen, machtgeilen, korrupten Offizierskorps.
M. Landau am Permanenter Link
》》Ich bezog mich auf die Zeit von Chomenis Exil in Frankreich. 《《
OK, zu der Zeit galt er vielen in der (politisierten Zweck-) Linken sogar als 'Hoffnungsträger'; das Zauberwort 'Revolution' hat schon so manchen Genossen um den Verstand gebracht, allen voran niemand geringerer als Wladimir Iljitsch Lenin höchstselbst... Viele sind vom Nymbus der 'Revolution' geblendet worden
Aus ähnliche religiös-revolutionären Trugbilder sind die US (IMHO vorsätzlich) reingefallen, einmal in Afghanistan, als 'Sponsoren' der Mudjahedin (später Taliban) wo übrigens Ossama Bin Laden maßgeblich mitgemischt hat und im Iran-irak-krieg, wo sie Saddam Hussein massiv unterstützt haben. Nun gut, Politik ändert sich ständig, insofern ist das sogar fast Normalität. Nur das Ergebnis war, dass sie ihre späteren Feinde großgezogen haben.
》》Sein Buch "Der islamische Staat", in dem er offen beschreibt was er vorhat (so wie Hitler in "Mein Kampf"), 《《
Als ich diesen, sich nun wirklich aufdrängenden, Vergleich seinerzeit (so um die 1980 ?) und relativ dezenz bemüht habe, galt ich gleich als paranoid. Schließlich habe Chomeini die imperialitisch-kapitalistische Marionette der USA, den Schah und seine Schergen, beseitigt. Stimmt auch wieder. Und so wurde eine Bestie gegen ein andere ausgetauscht. Es war so wie in Deutschland 1945, in der sich anbahnenden 'SBZ' - auf Hitler folgte Stalin.
》》 ich nicht weiß: Kannte Foucault das Buch "Psychologie der Massen" von Gustave Le Bon? 《《
Vermutlich. 》Der lange Schatten von Gustave Le Bon 《auf Hypothese.org
Bin gerade auf dem Tablett und schaffe es nicht den PDF-Link hier reinzukopieren; bitte googlen. :)
A.S. am Permanenter Link
Ich bin zu meiner Wehrdienstzeit stutzig geworden, weil ich erkannt habe, welchen militärischen Nutzen die Vorstellung von der Wiederauferstehung von den Toten hat.
- Die Taliban wurden m.E. von den USA gezüchtet als todesmutige Spezialtruppe gegen die Soiets in Afghanistan
- Nach dem 1. Golfkrieg hat vermutlich auch Saddam Hussein sich solch eine Spezialtruppe zugelegt, aus der dann der IS entstand
- die Revolutionswächter im Iran sind solch eine Spezialtruppe, religiös extrem indoktriniert und zu allem bereit, ebenso Hizbollah und Hamas
- die Janitscharen der Osmanen waren solch eine Spezialtruppe, ebenso die christlichen Ritterorden im Mittelalter.
Mit Religion werden Menschen abgerichtet für den Krieg. Das ist meine Erkenntnis, die ich durch die aktuellen Geschehnisse in Europa bestätigt sehe.
Der Aufruf von Hypothese.org führt zu einer Seite die sagt: This domain is for sale ...
M. Landau am Permanenter Link
»» er Aufruf von Hypothese.org führt zu einer Seite die sagt: This domain is for sale ...««
Jaja, meine Tippkunst :-D - Tut mir leid, hier der Link zum PDF
https://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/718/files/2019/10/20-Der-lange-Schatten-von-Gustave-Le-Bon.pdf
Diese 'Glaubens-Sachen' sind nicht nur religiösen Ursprungs, man denke an den 'Glauben an den Führer'. Kaiser Bill, wie die Briten ihn nannten, hatte »Gott mit uns« darauf, die SS hat das dann später übernommen, trotzdem Heinrich Himmler einen 'neuen Glauben' schaffen wollte... usw. Bis hin zu Gottfried von Bouillon, dem Kreuzritter. Es hat sogar den 'Glauben an den Sozialismus' gegeben. Der Glaube hat sie alle so entsetzlich stark gemacht, das sie alle - ohne jeden Skrupel - über Leichen gehen konnten und das immer weiter tun.
A.S. am Permanenter Link
Vielleicht sollte man "Glaube" als "die Abwesenheit von Zweifel" verstehen?
Die Abwesenheit von Zweifel ist zwar intellektuell dumm, macht aber auch stark.
Diese Interpretation von "Glaube" ist gut verträglich mit dem Glauben der Nazis an die Überlegenheit der arischen Rasse oder dem Glauben der Linken an den Sieg des Kommunismus.
M. Landau am Permanenter Link
»» Die Abwesenheit von Zweifel ist zwar intellektuell dumm, macht aber auch
stark.««
Nicht nur dumm, sondern gefährlich ignorant. Nicht stark, sondern kraftvoll.
»»Gläubige rennen mangels Zweifel mit Karacho in die Katastrophe und reißen viele andere mit.««
Die Titanic: niemand hatte Zweifel. Alle glaubten sie sei unsinkbar. Das Wasser war eiskalt.
»»Diese Interpretation von "Glaube" ist gut verträglich mit dem Glauben der Nazis an die Überlegenheit der arischen Rasse oder dem Glauben der Linken an den Sieg des Kommunismus.««
Sieg oder Endsieg, das ist keine Frage. Ein Sieg kann nie Sinn und Ziel politischen Handelns sein, denn ein Sieg ist auch Ende und Politik endet nicht, solange es Menschen gibt. Was wird aus Siegern und Besiegten? Was kommt danach? Was tun danach?...
Walter Otte am Permanenter Link
Hervorragendes Interview. Danke. Wir können daraus etliches für unsere politische Arbeit entnehmen
Walter Otte
Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne
M. Landau am Permanenter Link
Das unkritische Verhalten erstaunt doch sehr, gilt doch Religionen in der Grundlage linker Ideologie als 'Opium des Volkes' (Karl Marx) und ist linksorientierte Politik weitestgehend säkular, laizistisch und
»» … Ach ja, "Islamophobie" und "Rassismus" als Vorwürfe.
Nee nee, das ist etwas anderes.
Man erinnere sich an Kritiklosigkeit bis hin zur Fürsprache des RAF-Terrors und dem dauerhaften Totalschweigen zu Selbstschussanlagen, Schießbefehl, Mauer, Stasi u.v.a. stilistische Gewalttaten, bis zur Wende und, bei manchen, bis heute. Wer in diese Richtung Kritik gewagt hat, ist damals sehr schnell als 'Imperialist-in' und sogar als 'Feind-in der Werktätigen' abgestempelt worden - nicht aus Erichs Lampenladen heraus, sondern hier, in der Beh-Ärr-Deh.
Als ich zu J.-P. Books Entlassung, 1998, gemeint hatte: »Hierzulande reicht es schon, wenn ein Killer abschwört - 'Ich tue's nie wieder, großes Ehrenwort' - und schon kommt er, nach kurzer Haft, wieder frei«, ist so manche-r Genoss-e/in kreidebleich geworden. Und, ja, ich hatte das - auch und nicht nur - provokativ gemeint. Es ging mir gar nicht um Boock, ein einst überzeugter Killer und ex-Junkie, der sich heute gerne in der Rolle des Intellektuellen stilisiert, sondern um diesen immer wieder neu aufgelegten vorsätzlichen Widerspruch - manche nennen das dezent 'Doppelstandards' - Boock kommt mir heute ein wenig wie Albert Speer nach 1965 vor. Beides 'Geläuterte' von erschreckend ähnlicher Beschaffenheit. Freilich sind 17 Jahre eine relativ lange Zeit, oder? Im Zirkus Stammheim seinerzeit ging es - vor allem medial - fast immer nur um die Terroristen und das Opfer Schleier - UND - um Politik. Die Unschuldigen, die gleichzeitig ermordet worden waren, um den Schleicher zu entführen, waren dabei, so konnte man meinen, nur bedauerliche Kollateralschäden. Es waren gemeinschaftlich begangene Morde, folglich spielt es kaum eine Rolle wer da wen erschossen hat oder wer wen nicht. Dem ehemaligen NS-Funktionär Hans-Martin Schleyer trauere ich keine Träne nach. Er hätte für seine NS-Vergangenheit und seinen Verbrechen und/oder Beteiligungen an solchen vor ein Gericht gestellt werden müssen und niemals von ein paar Dumpfbacken, ganz nach Nazi-Art, mit einer Kugel durch den Kopf, ermordet werden sollen. Denn, das dann zum rechtlichen Teil des Chaos, bleiben die Taten des H.-M. Schleyer bis heute unaufgeklärt und werden das auch bleiben. Damit ist dieses Kapitel der NS-Vergangenheits-Aufarbeitung elegant entsorgt und niemand muss sich mehr 'offiziell' damit befassen. Genug davon, für heute.
Heute möchte die Linke sich eher weltoffen geben, was ja vollkommen in Ordnung ist und was sie auch geworden sind. Auch vom 'mentalen Terror' hat man Abstand genommen und bewegt und bemüht sich hin zu den eigentlichen und wichtigen Dingen des Lebens vieler Menschen, die Essenz linker Ideen, Ideologie und Politik sein sollten und, ab und zu jedenfalls, auch sind, je nach dem. Leider gerieren sich manche in der Linken - immer noch, denn das ist nicht neu - als Terror- und Terroristenversteher. Gerne wird das dann, etwa in der Palästina-Problematik, in eine entsprechende Israel-Kritik gekleidet mit der mindestens fragwürdig brauen Konnotation des Juden, der ja selbst Schuld an ihrem Unglück hat... Erstaunlich, denn dabei hat dann der oft und gerne plakatierte 'Kampf gegen den Antisemitismus' der Linken erst einmal Pause. Und seltsam ist auch, wenn sie - VOR ALLEM als Linke - über Israel ablästern, und den ewigen Bibi, politisch rechts, korrupt und möglichweise sogar kriminell, ignorieren ... Manche lästern über Avigdor Lieberman (Yisrael Beitanu), der politische Rechtsaußen-Führer in der Knesseth, aber wirklich überzeugend ist das nicht.
Vielen 'alten und auch neuen Kämpfer-n/innen' der (deutschen) Linken sind nicht bzw. immer noch nicht in der Lage Politischen Kampf und Terror zu unterscheiden. Wenig tröstlich ist dabei, dass auch Genosse Lenin, dass seinerzeit genauso wenig vermochte. Aber das ist vorbei - hoffentlich. Leider werden solche kruden Denkmuster jedoch immer weiter tradiert, ganz genauso wie in anderen politischen Richtungen und ihren Umfeldern. Die Rechten sind immer noch dem Führer verpflichtet und manche Linke immer noch dem Genossen Stalin bis hin zu den notorischen Putin-Verstehern, die immer noch nicht begriffen haben, dass der auf ewig ein KGB-Apparatschik bleiben wird. Warum sollte sich Putin auch ändern? Schließlich läuft es ganz gut für ihn...
Über den Islam habe (noch) ich kein Wort verloren. Ja was auch? Was die Linke angeht ist es ein Déjà-vu. Terror, Ideologie und Religion. Beim Islam säuselt mancher etwas von 'Verstehen' und vom 'Palästinakonflikt' als Erklärungsmodell für das Seelenleben der fanatischen Klerikal-Faschisten der Hamas, Hisbollah & Co. Und Obacht vor Mohamed-Karikaturen! Menschenketten, Kerzenmeere, Blumenberge... Mit der empathischen Pflege des eigenen sensiblen Seelchens ist es aber leider nicht getan. Bin ich mal wieder zu grob? Mag sein, dennoch ist es so. Dieser Betroffheitskitsch des 'Zeichensetzens', dient einzig dem eigenen Zweck, denn danach geht jeder nach Hause, wo alles Bestens ist und man sein Friedenzeichen im Fernsehen sehen kann. Terroristen und Mörder werden sich davon nicht beeindrucken lassen, wie sich längst erwiesen hat.
Religiöser wie ideologischer Wahn, was im Ergebnis dasselbe ist, ist nur dann vorhanden, wenn Menschen involviert sind. Da wir uns mit den Linken befassen, bekommt Stalins entsetzliches Leitmotiv »Keine Menschen, keine Probleme«, heute noch politische Rechtfertigung. So grotesk es vor diesem Hintergrund auch erscheinen mag, aber jede Ideologie und Religion ist nur dann umzusetzen, wenn Menschen dies tun.
Und nein, wir, die Spezies Homo Sapiens, sind nicht die Guten. Oder hatte das jemand angenommen?
A.S. am Permanenter Link
Wir Menschen sind wahre Meister darin, uns selbst was vorzumachen. Die besonders Schlauen unter uns schaffen es, auch anderen was vorzumachen. Es fehlt am Willen zur kritischen Selbstreflexion.
M. Landau am Permanenter Link
》》Eigentlich geht es dabei um die Verteidigungs des Selbstbildnis, klüger und besser zu sein als die anderen. 《《
Also um Eitelkeit ::-) Es geht doch nichts über unedle Motive die unbedingt glaubhaft sind.
Was ich da kurz umrissen habe, war eine ganz Zeit der Standard in der Linken in Deutschland; ein Stück aus dem Tollhaus.
Unlängst hier, in HPD, i.S. 'linke Identität'
https://hpd.de/artikel/identittaetslinke-und-ihre-positionen-18679
Manch linkes politisches Treiben erinnert an einen dieser Debattierklubs. Na, ich nehme mich da nicht aus. :-)
Ralf Osenberg am Permanenter Link
Ich kann anerkennen, wenn ein Faschist eine schwere Kindheit hatte, aber er bleibt doch ein Faschist. Warum sollte ich an einen Islamisten andere Maßstäbe ansetzen? Ihn (oder sie) entschuldigen?
Wer Sorge hat, mit Kritik am islamistischen Faschismus, Wasser auf die Mühlen des nationalistischen Faschismus zu gießen, der nenne halt beide in einem Atemzug.
SG aus E am Permanenter Link
Armin Pfahl-Traughber: „Man kann hier zur Erläuterung ein Gedankenexperiment wagen: Wäre ein Neonazi der Täter gewesen, wie hätte die Linke dann reagiert? Es wäre zu Demonstrationen und Protesten gekommen.”
Am 18. April 2018 wurde der 27-jährige Kochlehrling Christopher W. in Aue (Sachsen) zu Tode gequält (1). Von irgendwelchen speziellen Demonstrationen ist mir nichts bekannt. Ist auch verständlich, denn der extremistische Hintergrund war in beiden Fällen nicht sofort bekannt (2).
Armin Pfahl-Traughber: „Man braucht aber nur den linken Buchmarkt zu betrachten: Zwar gibt es Berge von Büchern zu angeblicher und tatsächlicher Muslimenfeindlichkeit, die kritischen Monographien zum Islamismus kann man aber an den Fingern zweier Hände abzählen.”
Das liegt vielleicht daran, dass die nicht-dogmatische Linke sich seit Jahren praktisch um die Lösung der anstehenden Probleme kümmert. Hier nur ein Beispiel dafür, wie man das Thema „Islam, Islamfeindlichkeit und Islamismus” auch angehen kann: → www.ufuq.de – Dort findet sich übrigens auch ein lesenswertes Gespräch zur Identitätspolitik (3).
Doch zurück zu den Protesten und Demonstrationen: Was stellt sich die islamkritische Linke eigentlich vor, was auf den Bannern und Schildern gegen Islamismus stehen soll? Sprich: Welche politischen Forderungen sollen eigentlich aus linker Islamkritik erwachsen?
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(1) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-09/rechte-gewalt-todesopfer-bundeskriminalamt-wiedervereinigung/komplettansicht
(2) https://www.mdr.de/sachsen/dresden/dresden-radebeul/soko-getoeteter-tourist-dresden-100.html
(3) https://www.ufuq.de/ihr-betreibt-identitaetspolitik-ein-streitgespraech-mit-kurt-edler/
malte am Permanenter Link
„Welche politischen Forderungen sollen eigentlich aus linker Islamkritik erwachsen?“
Also da gibt es einiges. Als erstes würden mir z.b. einfallen:
Konsequente Trennung von Staat und Religion, um den Einfluss von islamischen Verbänden auf Schule und Universität zu unterbinden. Ende der Zusammenarbeit von staatlichen Institutionen mit konservativen Islamverbänden. Auflösung der deutschen Islamkonferenz zugunsten einer Integrationskonferenz, in der alle Migrantenverbände eine Stimme bekommen. Hilfe für Mädchen, sich von patriarchalen Familienstrukturen zu emanzipieren. Hilfe für säkular orientierte Flüchtlinge, die auch in Deutschland noch in den Flüchtlingsheimen von religiösen Fanatikern terrorisiert werden...
SG aus E am Permanenter Link
malte: „Auflösung der deutschen Islamkonferenz zugunsten einer Integrationskonferenz, in der alle Migrantenverbände eine Stimme bekommen.
Ob man den Muslimen in Deutschland gerecht wird, wenn man sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt Migration wahrnimmt, sei dahingestellt. Im grünen Baden-Württemberg gab es den Ansatz, alle Religionsgemeinschaften und die Religionslosen(!) an einen Tisch zu bringen. Aber beide der Ansätze sind interessant, weil sie unabhängig von der Religion der Akteure auf konkrete Probleme reagieren. Traditionelle Familienbilder, Homosexuellenfeindlichkeit, bildungsferne Milieus usw. gibt es ja nicht nur unter Muslimen.
malte am Permanenter Link
"Ob man den Muslimen in Deutschland gerecht wird, wenn man sie ausschließlich unter dem Gesichtspunkt Migration wahrnimmt, sei dahingestellt."
Das ist tatsächlich eine berechtigte Frage. Man kann sie aber auch genau umgekehrt stellen: Wird man Menschen mit Migrationshintergrund gerecht, wenn man sie ausschließlich unter dem Aspekt der Religion wahrnimmt? Die Deutsche Islamkonferenz ist ja als "Integrationsmaßnahme" gedacht. Dass der deutsche Staat wie selbstverständlich davon ausgeht, Integration sei primär über die Religion zu erreichen und die Vertreter des Islams seien automatisch legitime Vertreter der Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern, lässt tief blicken. Dahinter steht die Vorstellung, die Religion stelle die wesentliche Identität dieser Menschen dar, wo sie doch tatsächlich immer nur ein Teilaspekt von stets vielschichtigen Identitäten ist. Darum nimmt die absurde Diskussion darüber, ob der Islam denn nun "zu Deutschland gehört" auch einen so großen Raum ein. Und das ist wirklich ein Problem.
libertador am Permanenter Link
Das verlinkte Interview ist ganz interessant, wobei ich die Rede vom "politisierten Islam" etwas merkwürdig finde.
Im verlinkten Interview ist das gemeinsame Fundament das Grundgesetz oder die Menschenrechte, die dazu dienen zu überlegen, wie eine Gesellschaft aussehen kann, in der Menschen verschiedener Weltanschauung zusammen leben. Dafür ist aber ein Teil des religiösen Fundamentes aufzugeben, nämlich die Offenbarung als oberste Quelle, die unter anderem durch Vernunft und Mitmenschlichkeit abgelöst wird.
SG aus E am Permanenter Link
libertador: „Dafür ist aber ein Teil des religiösen Fundamentes aufzugeben, nämlich die Offenbarung als oberste Quelle, die unter anderem durch Vernunft und Mitmenschlichkeit abgelöst wird.” – Interessanterweise behau
Man kritisiert die großen Islamverbände wegen ihrer fundamentalistischen Islaminterpretation – gleichzeitig übernimmt die Mehrheit der Islamkritiker deren Argumentation: der fundamentalistische Islam sei der wahre Islam. Das ist kontraproduktiv. Man sollte die Fundamentalisten nicht auch noch bestätigen (2).
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(1) Gemeint sind gewöhnliche muslimische Nachbarn, Kollegen, Ladeninhaber usw. (die unauffällige Mehrheit eben) bzw. auch die alte Ankaraer Schule oder die Muslimische Gemeinschaft Bosniens – der 'nicht-politisierte Islam' (um die ungewohnte Rede aus dem verlinkten Interview nochmal aufzunehmen).
(2) Argumente gegen den Fundamentalismus könnte man z.B. auch aus dem entnehmen, was an den neuen islamischen Fakultäten in Deutschland erarbeitet wird. Man müsste es nur zur Kenntnis nehmen.
libertador am Permanenter Link
"Vernunft und Mitmenschlichkeit seien der Kern muslimischer Lebensführung."
"gleichzeitig übernimmt die Mehrheit der Islamkritiker deren Argumentation: der fundamentalistische Islam sei der wahre Islam"
Wenn Moslems der Meinung sind, dass Vernunft und Mitmenschlichkeit zum Kern gehören, dann nehmen Sie bereits nicht mehr die Offenbarung als obersten Quelle, sondern haben sich davon distanziert. Dafür gibt es innerhalb des Islams Raum, soweit ich das von den islamischen Theologen höre, mit denen ich Kontakt hatte, insb. aus Indonesien.
Gleichzeitig widerspricht dies aber nicht dem Konzept im Islam, dass dieser ein politisches Programm beinhaltet. Die Frage ist dann, wie man diese überlieferten Regeln in die heutige Welt überträgt und welche Methode dabei angewandt wird. Wenn die Vernunft als etwas inhärent islamisches verstanden wird, ohne eine universalistische Komponente, dann taugt dies nicht zum gleichberechtigten Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen. Nur wenn die Vernunft und Mitmenschlichkeit als (zumindest teilweise) unabhängig vom Islam verstanden werde, kann ein gleichberechtigtes Zusammenleben verschiedener Weltanschauungen respektiert werden.
David Z am Permanenter Link
"Man kritisiert die großen Islamverbände wegen ihrer fundamentalistischen Islaminterpretation – gleichzeitig übernimmt die Mehrheit der Islamkritiker deren Argumentation: der fundamentalistische Islam sei der wah
Bestätigung ist gar nicht notwendig. Man braucht nur mit den allen Muslims eigenen religiösen Prämissen (1. Mo ist der beste Mensch ever - 2. der Koran ist das finale und unveränderbare Wort Gottes) in den Koran zu schauen, um zu erkennen, dass die fundamentalistische Auslegung die konkludent-logische Auslegung ist.
Wer in "..und dann schlagt sie" ein "...und dann streichelt sie" reininterpretiert, ist ein netter Muslim, aber einer, der sich ganz offensichtlich etwas vor macht. Und Selbstbetrug führt früher oder später zu Problemen mit der Realität.
Der einzige Weg führt über die "Entgöttlichung", sprich die Entmachtung von Koran und Propheten. Kurzum: die historische Dekonstruktion. Über Interpretationen zu streiten führt zu rein gar nichts. Im Gegenteil, es begünstigt die Fundamentalisten, weil die sie Plausibilität auf ihrer Seite haben. Seit 1400 Jahren wird dieses Interpretationsspiel gespielt - und es hat zu rein gar nichts geführt. Nur wenn wir Mo und seine (Un-)Taten plausibel im Mittelalter belassen können, wir er keine Weisungsmacht mehr in der Gegenwart entfalten.
UltimaRatio am Permanenter Link
Naja...
Also wie euer Gesprächspartner schon anmerkte, es gibt nicht "die Linke" (außer als Partei).
Meist geht sowas von Anarchisten aus, die nicht mit Sozialisten gleich zu setzen sind.
Hier z.B. ein Artikel von indymedia:
https://de.indymedia.org/node/117374
Dennoch liegt der Fokus auch hier auf der Instrumentalisierung durch staatliche und rechte Institutionen.
Das meiner Meinung nach aber auch zu recht, wie man an den erotischen Phantasien der EU-Minister deutlich sehen kann.
Im Grundtenor stimme ich allerdings diesem hpd-Artikel zu, vor allem die in den Medien präsenten links-politisch eingestellten Menschen üben in den letzten Jahren viel zu wenig und oder zu leise Kritik am Islamismus, bzw. generell an Religion / Esoterik.
CnndrBrbr am Permanenter Link
> Erfreulich ist sicherlich, dass Kevin Kühnert mit anderen von einem "blinden Fleck der Linken" spricht.
Ach ja, ist das erfreulich?
Erfreulich wäre, wenn überhaupt irgendjemand, wenn schon nicht die Angeschriebene, mal eine Antwort auf den offenen Brief von Mina Ahadi an Sahra Wagenknecht gebracht hätte.
http://exmuslime.com/offener-brief-von-mina-ahadi-an-sahra-wagenknecht-vorstandsmitglied-der-partei-die-linke/
Klaus Schmidt am Permanenter Link
Es gab ja in den vergangenen Wochen einige kritische Artikel und Aufrufe an die Linke, ihr "Verhältnis" zum Islam (oder den Islamismus) zu ändern.
Wenn doch die Linke nur endlich und vereint mit anderen politischen Kräften den Islamismus aktiv bekämpfen würde, dann wäre er quasi schon besiegt.
Liebe Linke, ihr seid offenbar mächtiger als man euch gemeinhin zutraut.
Macht was draus und verändert die Gesellschaft!