Interview

Islamismus ist innerhalb der Linken meist ein "Nicht-Thema"

Gegen rassistisch motivierte Gewalttaten rufen Linke oft – und zu Recht – zu Demonstrationen auf. Auf islamistische Terroranschläge reagiert man im linken politischen Lager hingegen oft mit Schweigen. Wie kommt es zu diesem auffälligen Schweigen, das nach den jüngsten Anschlägen in Frankreich und Österreich sogar von einigen prominenten Linken kritisiert wurde? Ein Interview mit Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber.

hpd: Herr Professor Pfahl-Traughber, in den letzten Wochen gab es gleich mehrere terroristische Anschläge von Islamisten: In Dresden, Paris, Nizza und Wien starben dabei neun Menschen. Das Entsetzen und die Wut darüber waren allgemein groß. Es fiel allerdings auch auf, dass bei der Verurteilung der Morde eindeutige Statements aus einem politischen Spektrum weitgehend fehlten: dem der Linken.

Armin Pfahl-Traughber: Zunächst einmal muss man sagen, dass es "die" politische Linke nicht gibt. Gleichwohl lässt sich Ihre Feststellung gut begründet verallgemeinern. Indessen handelt es sich hier um kein neues Phänomen. Bis auf wenige Ausnahmen ist Islamismus innerhalb der Linken meist ein "Nicht-Thema". Dies gilt nicht nur für die legalistischen, sondern mitunter auch für die terroristischen Formen. Relativierungen und Verharmlosungen können häufig ausgemacht werden. Mit "Dresden" spielen sie ja auf die Ermordung eines Homosexuellen an. Man kann hier zur Erläuterung ein Gedankenexperiment wagen: Wäre ein Neonazi der Täter gewesen, wie hätte die Linke dann reagiert? Es wäre zu Demonstrationen und Protesten gekommen. Man hätte vor einer ansteigenden Homosexuellenfeindlichkeit in Statements gewarnt. Doch was geschah in dem Fall mit islamistischem Hintergrund …?

Beispielbild
Politikwissenschaftler Prof. Armin Pfahl-Traughber (© Evelin Frerk)

Warum tun sich viele Linke so schwer mit der Kritik an menschenverachtenden Ideologien und Taten, die in bestimmten Communities, Kulturen und Religionen verbreitet sind?

Dafür gibt es zwei unterschiedliche Gründe, wobei sie das Gemeinte erklären, aber nicht rechtfertigen sollen: "Antiimperialismus" zieht sich als Einstellung durch die politische Linke. Dass es gute Gründe für eine Kritik westlicher Politik gegenüber den ärmeren Ländern gibt, ist damit aber nicht allein gemeint. Diese Einstellung führte zu einer simplen Weltdeutung, gibt es doch "Starke" und "Schwache", und man solidarisiert sich dann mit den "Schwachen". Die Auffassung erklärt auch, warum die Linke früher antiwestliche oder linke Diktaturen in den Entwicklungsländern nicht kritisiert hat. Auch die Israelfeindlichkeit ist durch eine solche Position mit motiviert. Gleichzeitig sieht man dann selbst in der "Hamas" und "Hizb Allah" jeweils Kräfte auf der gleichen Seite im Kampf gegen den "Imperialismus". Der zweite Grund besteht ganz einfach darin, dass die Linke mit einer Kritik an migrantischen Kontexten der Rechten keinen Stoff liefern will. Schweigt man aber über dortige Entwicklungen wie Antisemitismus, Frauendiskriminierung oder Homosexuellenfeindlichkeit, so gibt man den gemeinten Rechten indessen gerade erst recht einen solchen Stoff.

Etwas weniger zurückhaltend war man in den letzten Jahrzehnten bei der Kritik am Christentum. Warum kritisieren Linke Christen und ihre mitunter fundamentalistischen Haltungen, Muslime aber nicht für die gleichen Positionen? Warum gilt das dann als islamophob und rassistisch?

Auch das erklärt sich mit durch die beiden vorgenannten Gründe. Hinzu kommt, dass es ja durchaus eine Diskriminierung von Muslimen in Deutschland und anderen westlichen Ländern gibt. Demgegenüber gelten fundamentalistische Christen als Angehörige der Dominanzkultur. Dies erklärt, warum Linke mit einem "herrschaftskritischen" Selbstverständnis eben fundamentalistische Christen, aber nicht fundamentalistische Muslime verdammen. Es gibt dazu etwa in der Identitätslinken eine ganz absonderliche Position: Demnach kann ein Schwarzer einen Weißen nicht rassistisch beleidigen, sei doch Rassismus immer auch ein Dominanzverhältnis und dieses wäre nicht den Schwarzen, aber den Weißen eigen.

Und noch zum letzten Punkt der Frage?

… Ach ja, "Islamophobie" und "Rassismus" als Vorwürfe. Es gibt sehr wohl eine in der Gesellschaft kursierende hetzerische Muslimenfeindlichkeit. Es gibt aber auch eine menschenrechtliche Islamkritik. Beide Einstellungen setzen manche Linke mitunter objektiv gleich, womit eine aufklärerische Position diskreditiert wird. Das kann man übrigens ganz gut daran ablesen, dass Feministinnen als Rassistinnen gelten, wenn sie die Frauendiskriminierung in muslimischen Kontexten kritisieren. Auch Islamisten bedienen sich derartiger Vorwürfe. Hier gibt es also eine bedenkliche "Diskurs-Koalition".

Wie kann es sein, dass man sich hierzulande gegen die Diskriminierung von Homosexuellen und Juden engagiert, aber gleichzeitig Antisemitismus und Schwulenhass in muslimischen Gemeinschaften und Ländern ignoriert? Welche Denkmuster stehen dahinter?

Es gibt hier die genannten Doppelstandards. Dies macht übrigens zunächst deutlich, dass es nicht zentral um die Ablehnung von Antisemitismus und Homosexuellenfeindlichkeit geht. Denn ansonsten müssten darauf bezogene Einwände eben auch gegen solche Einstellungen und Handlungen in muslimischen Kontexten gerichtet sein. Offenbar wollen die gemeinten linken Akteure wohl mehr die westlichen Gesellschaften kritisieren, als sich für die Opfer der gemeinten Diskriminierungsideologien engagieren. Übrigens gibt es dabei eine gewisse Tradition: Vor 1990 engagierten sich auch viele Linke für Menschenrechte, aber nicht gegen Menschenrechtsverletzungen im "real existierenden Sozialismus". Auch hier artikulierten sich die gemeinten Doppelstandards, welche eben diese Linken nicht zu glaubwürdigen Menschenrechtsverteidigern machen.

Dass viele Linke zu islamistischem Terrorismus schweigen, ist ja kein neues Phänomen. Neu war diesmal aber trotzdem etwas: Einige eindeutig links stehende Prominente kritisierten diesmal das Schweigen. Deutet sich da bei den Linken eine Trendwende an?

Auf solche Fragen antworte ich immer mit: Ich bin Politologe, kein Astrologe. Aber ganz ernsthaft, das kann ich seriös nicht sagen. Erfreulich ist sicherlich, dass Kevin Kühnert mit anderen von einem "blinden Fleck der Linken" spricht. Ob dies längerfristig zu einer Änderung von deren Haltung und demnach zu einer Kritik des Islamismus führen wird, lässt sich aktuell nicht sagen. Man braucht aber nur den linken Buchmarkt zu betrachten: Zwar gibt es Berge von Büchern zu angeblicher und tatsächlicher Muslimenfeindlichkeit, die kritischen Monographien zum Islamismus kann man aber an den Fingern zweier Hände abzählen. Generell wäre eine einschlägige Debatte darüber nötig. Der Ausgangspunkt dafür könnte die Berufung auf die individuellen Menschenrechte sein, die etwa auch Frauen in muslimischen Kontexten zustehen. An einem glaubwürdigen Bekenntnis dazu als persönliche wie politische Haltung mangelt es nicht wenigen Linken.

Das Interview führte hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.

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