"Von den Juden und ihren Lügen" in neuer Übersetzung erschienen

"Wir wollten Luther selbst sprechen lassen."

BERLIN. (hpd) Vor wenigen Tagen erschien im Alibri-Verlag das Buch "Von den Juden und ihren Lügen" in einer neuen Übersetzung mit Begriffserläuterungen. Der hpd sprach mit drei der vier Herausgeber des Buches über ihrer Bewegründe zum und Reaktionen auf das Buch.

hpd: Was hat Sie dazu gebracht, sich mit diesem eher marginalen Thema zu befassen und weshalb gerade dieses Buch von Luther? Der Alibri-Verlag weist in seiner Ankündigung darauf hin, dass Luther "ein wirkmächtiger Judenhasser" war. "Unter seinen judenfeindlichen Hetzschriften sticht sein Buch 'Von den Juden und ihren Lügen' von 1543 in makabrer Weise hervor." Kann man sagen, dass dieses Buch typisch für Luther ist?

Bernd Kammermeier (BK): Marginal wäre das Thema, wenn Luther einer der vielen vergessenen Theologen wäre. Doch die EKD stellt ihn als Weltstar vor, lässt ihn zehn Jahre lang feiern und wir Steuerzahler werden dafür kräftig zur Kasse gebeten. Da wollten wir doch mal genauer hinschauen, was Luther denn so alles geschrieben hat. Spätestens in seiner zweiten Lebenshälfte hat er einen unglaublichen Judenhass entwickelt – wobei er wohl nie ein Judenfreund war.
"Von den Juden und ihren Lügen" ist insofern typisch für Luther. Deshalb irritierte mich ja die "Lutherdekade" so sehr, weil wir in Deutschland in Bezug auf Antisemiten besonders sensibel sein sollten. Das scheint aber die geldgebende Politik bei Luther auszublenden – oder nicht zu wissen.

Reinhold Schlotz (RS): Die Evangelische Kirche eröffnete 2008 die Lutherdekade, die am 31. Oktober 2017 mit der Erinnerung an Luthers 95 Thesen ihren Höhepunkt erreicht. Diese Dekade ist auf die Person Martin Luthers ausgerichtet, sonst hätte man sie auch Reformationsdekade nennen können. Luthers Konterfei auf dem dazugehörigen Logo verstärkt diesen Personenkult noch erheblich. Wenn man nun weiß, dass der gefeierte Reformator einer der wirkmächtigsten Judenhasser war, auf den sich auch die Nationalsozialisten berufen hatten, so ist das alles andere als ein marginales Thema.
Es wird geradezu zum Lackmustest unserer freiheitlichen, an den Menschenrechten orientierten, demokratischen Gesellschaft. Können wir es uns im Land des Holocaust leisten, einem geistigen Brandstifter wie Martin Luther, der einen vorbereitenden Beitrag zur Vernichtung der europäischen Juden geliefert hat, zehn Jahre lang zu gedenken und ihn zu feiern?
Es ist die vierte Jahrhundertfeier für Luther, aber die erste nach Auschwitz. Angemessener wäre ein Gedenkjahr an die Opfer eines christlich fundierten Judenhasses, der über die Kreuzzüge und die spanische Inquisition im Holocaust einen furchtbaren Höhepunkt fand. Luther war auch in jüngeren Jahren nie ein Freund der Juden, wie manche Theologen behaupten. In seinen letzten 20 Jahren verfasste er mehrere Hetzschriften gegen die Juden. Für diesen Lebensabschnitt ist das Buch "Von den Juden und ihren Lügen" durchaus typisch.

Karl-Heinz Büchner (KHB): Dieses Thema ist alles ander als marginal. Der Autor dieses Buches war der wirkmächtigste deutsche Antisemit, der nicht NSDAP-Mitglied war und er hat mit seinen judenfeindlichen Schriften die Schikanierung, Vertreibung und Ermordung ungezählter Juden bewirkt, auch wenn er selbst keinen Menschen eigenhändig umgebracht hat, aber das haben Hitler, Göbbels und Eichmann auch nicht.
Außerdem war sein Buch noch vor 70 Jahren in breiten Bevölkerungsschichten durchaus wohlbekannt und wurde von der Evangelischen Kirche propagiert und von den Katholiken geduldet.
Luther war Zeit seines Lebens ein Fanatiker. Er hat gegen die Juden genauso gehetzt wie gegen die Bauern, die Zigeuner, den Papst, Behinderte, geistig Zurückgebliebene und Muslime, die er Türken nannte. Er war ein maßloser Mensch, nicht nur beim Essen und Trinken.
Was "Von den Juden und ihren Lügen" so besonders macht, ist die Anleitung zur Vernichtung einer Menschengruppe, die knapp 400 Jahre Punkt für Punkt kopiert und umgesetzt wurde. Dass Luther die Gaskammern nicht vorgeschlagen hat, hat nichts damit zu tun, dass ihm der Tod Andersdenkender etwa zuwider gewesen wäre, Im Gegenteil hat er das Abschlachten solcher Menschen zum Teil gefordert (Bauern) bzw. billigend in Kauf genommen, ohne je dagegen zu protestieren.

Bernd Kammermeier, Reinhold Schlotz - Foto: © Evelin Frerk
Bernd P. Kammermeier, Reinhold Schlotz; Foto: © Evelin Frerk

Unbestritten ist, dass der Lutherische Antisemitismus sich in der nationalsozialistischen Ideologie wiederfand. Doch hat diese Schrift Luthers heute noch Auswirkungen auf die evangelische Kirche? Finden sich noch Teile dieser menschenverachtenden Ideologie in den heutigen Veröffentlichungen der Landeskirchen oder bei den evangelikalen Freikirchen?

BK: Das nicht. Aber Luthers "Schattenseite" wurde lange totgeschwiegen und von Seiten der EKD marginalisiert. Er dient als bekanntes Zugpferd für eine staatsfinanzierte Missionskampagne. Man hofft auf einen "Luther-Tourismus" nächstes Jahr und da sprach Bischof Wolfgang Huber 2008 auch gerne mal verharmlosend von "beschämenden Aussagen" Luthers.
Natürlich unterstellt niemand der EKD, dass dort heute noch antisemitisches Denken verbreitet sei. Aber darum geht es auch nicht. Denn was nach wie vor bestritten wird, ist, dass Luther die Blaupause für die Judenverfolgung im Dritten Reich geliefert habe. Doch das hat er zweifelsfrei. Einige der Landeskirchen haben hier eher aufklärerisch gewirkt, doch auch die sehen keine direkte Verbindung zwischen Luther und Hitler – und feiern mit.

KHB: Nein, meiner Meinung nach nicht, schließlich stünde das in Deutschland heutzutage unter Strafe. Aber sie müsste die Auswirkung haben, dass sich die EKD von ihrem Religionsgründer schärfstens distanziert und seine Geisteshaltung als inakzeptabel und unentschuldbar brandmarkt.
Seine "Bibelübersetzung" in allen Ehren, wenn man denn die Übertragung eines Märchenbuches aus dem Lateinischen ins Deutsche für eine große Leistung hält, ebenso wie seine unbestreitbaren Verdienste um die Gestaltung und Prägung der deutschen Sprache, die sich eben aus der großen Verbreitung seiner Bibelversion ableiten läßt.
Das alles gibt einem das Recht, seine Leistung, aber keinesfalls den Menschen Martin Luther zu würdigen.

R.S.: Nein. Die evangelischen Kirchen sind sich nach 1945 inzwischen wieder der sogenannten "dunklen Seite" ihres Kirchenvaters bewusst, nachdem diese 70 Jahre lang unter den Teppich gekehrt wurde. Während die EKD versucht, dieses inzwischen unvermeidliche Thema so zu handhaben, dass es sich nicht zu einem öffentlichen Diskurs ausweitet, gibt es in einigen Landeskirchen evangelisch-jüdische Gesprächsgruppen, die offen und schonungslos mit diesem Thema umgehen.
Als Beispiele seien hier der "Evangelische Arbeitskreis für das Christlich-Jüdische Gespräch in Hessen und Nassau", sowie das "Referat für Christlich-Jüdischen Dialog der Nordkirche" genannt. Beide Gruppen haben je eine Ausstellung unter dem Titel "Drum immer weg mit ihnen" bzw. "Ertragen können wir sie nicht" auf die Beine gestellt, die Luthers Judenhass eindrucksvoll darstellen.