Sibel Kekilli mit Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet

"Jedes Mädchen, jede Frau muss so frei leben können, wie sie es für richtig hält"

Die Schauspielerin Sibel Kekilli erhält heute neben 12 weiteren Frauen von Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz am Bande. Sie wird für ihren langjährigen Einsatz für die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen ausgezeichnet, ein Engagement, das sich aus einer persönlichen Motivation speist.

"Sibel Kekilli leistet für die Rechte von Mädchen und Frauen einen weit über die Grenzen der Bundesrepublik wirkenden Beitrag. Sie nutzt ihre Popularität, um das Thema Frauenrechte zu einem öffentlichen Thema zu machen und dadurch mehr Menschen dazu zu bewegen, genauer hinzusehen", heißt es in der Begründung für die Auszeichnung der Schauspielerin Sibel Kekilli mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande, das die 36-Jährige heute von Bundespräsident Joachim Gauck erhält.

Zugleich findet in den USA derzeit eine absurde Debatte statt, die auch etwas mit Kekilli aber auch dem Selbstverständnis von feministischen Aktivisten in den USA und in Deutschland zu tun hat. Diese Debatte geht so: Weil die US-amerikanische Schauspielerin und engagierte Frauenrechtlerin Emma Watson, bekannt als Hermine Granger aus den "Harry Potter"-Filmen, bei einem Modeshooting ihre Brüste gezeigt hat, muss sie sich wüste Vorwürfe anhören. Ihr Einsatz für die Rechte von Frauen sei nur geheuchelt, sie sei eine Schande für die feministische Sache. Watson, die als Uno-Botschafterin für Frauenrechte aktiv ist, reagierte cool und konterte die Kritik offensiv: "Was haben denn meine Brüste mit Feminismus zu tun?" Es gehe beim Feminismus doch schließlich um Freiheit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Frau, erklärte sie in einem Interview zur Vorstellung ihres neuen Films "Die Schöne und das Biest".

Sowohl die US-amerikanische Schriftstellerin und politische Aktivistin Naomi Wolf als auch die US-amerikanische Feministin, Journalistin und Frauenrechtlerin Gloria Steinem sprangen ihr zur Seite. Während Wolf erklärte, dass der Fall einmal mehr zeige, dass man in Amerika nicht "sexuell und seriös" sein könne, sagte Steinem, dass Feministinnen tragen oder nicht tragen könnten, was immer sie wollen.

Ob die deutsche Schauspielerin Sibel Kekilli diese Diskussion verfolgt hat, ist nicht bekannt, aber die moralische Empörung über die sexuellen Aktivitäten einer Frau kennt sie zur genüge. Weil sie sich in ihren frühen Zwanzigern ein paar Monate als Pornodarstellerin etwas dazuverdiente, rümpften so genannte "Qualitätsschauspieler" ein paar Jahre später die Nase. Da stand sie mit Fatih Akin auf dem Roten Teppich der Berlinale, der mit seinem Film "Gegen die Wand" den Goldenen Bären gewann. Kekilli brilliert darin in der weiblichen Hauptrolle, es ist ihr schauspielerischer Durchbruch, dem u.a. eine rolle bei "Game of Thrones" und beim Kieler "Tatort" folgen.

Dem Naserümpfen der Kollegen folgte 2004 aber zunächst eine richtiggehende Medienkampagne von Bild und Co, die selbst dann noch kein Ende fand, als der Deutsche Presserat die Berichterstattung als die Menschenwürde verletzend rügte. Das öffentliche Interesse decke eine Form der Berichterstattung nicht, "in der die Persönlichkeit der Betroffenen auf das reduziert wird, was man über diese in den Klappentexten von Pornofilmkassetten lesen kann", hieß es im Dezember 2004 in der Erklärung des Presserats.

Und hier trifft Sibel Kekillis Geschichte auf die von Emma Watson. Denn während Watson nun wegen "freizügiger Fotos" (was auch immer das hier heißen mag) in die Kritik von selbst ernannten Feministen geraten ist, nahm die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes damals Kontakt zu Kekilli auf, um sie als Botschafterin für Frauenrechte zu gewinnen. Wer sollte besser als sie wissen, was es heißt, wenn Frauen auf ein sexuelles Klischee oder eine plakative Rolle reduziert werden?

Seither macht sie sich für die Organisation und ihre Anliegen stark, was sie absurderweise wieder in eine Rolle bringt – die der Expertin für die Situation der unterdrückten muslimischen Frau. Als sie 2006 bei einer Veranstaltung der türkischsprachigen Zeitung Hürriyet, an der auch die Berliner Rechtsanwältin Seyran Ates teilnahm, erklärt, "dass körperliche und seelische Gewalt in einer muslimischen Familie als normal" angesehen werden und Gewalt "im Islam zum Kulturgut" gehörten, sorgt das für einen diplomatischen Eklat, türkische Medien schrieben gar von einer "Sibel-Kekilli-Krise".

Beispielbild

Sibel Kekilli im Gespräch mit Ralf Fücks und Renate Künast | Foto: www.stephan-roehl.de

Danach wurde es etwas ruhiger um die Schauspielerin, aber seit sie 2010 in dem Film "Die Fremde" eine junge Deutsch-Türkin spielte, die gegen die Regeln ihrer Familie aufbegehrt, wurde sie zur Expertin für das Thema Gewalt in türkischen Familien und die Unterdrückung der muslimischen Frau gemacht. Selbst in Fachmedien wie dem österreichischen Filmmagazin RAY geht es vorrangig um ihre Expertenrolle als um ihre schauspielerische Leistung. Im Interview auf das Thema Ehrenmord angesprochen, erklärt sie: "So etwas passiert in konservativen, fundamentalistischen Milieus in Ostanatolien. Aber die Religion ist eine Ausrede. Das sind archaische Traditionen. Da benutzen die Täter die Religion als Entschuldigung, weil sie das vor Gott oder vor sich selbst erklären müssen, was sie da tun."

Zu einer klaren Religionskritik lässt sie sich nicht hinreißen, wohl auch, weil sie sich selbst religiös nicht festlegen will. In einem Spiegel-Interview beantwortete sie 2007 die Frage, ob sie Atheistin sei, nur mosaisch: "Ich respektiere alle Religionen, fühle mich aber keiner zugehörig. Es gab eine Zeit, in der ich an gar nichts geglaubt habe. Mittlerweile glaube ich an eine Macht, die einen schützt und einem im Laufe des Lebens Aufgaben stellt. Ich nenne sie aber nicht Gott." Zugleich scheut sie sich nicht, den Islam als Vehikel zu bezeichnen, dessen sich muslimische Männer gern bedienen, um ihre verkommenen Vorstellungen durchzusetzen.

Die Wochenzeitung Die Zeit stellte in einem Porträt der Schauspielerin die Behauptung auf, sie negiere bewusst die Parallelen zwischen ihren filmischen und frauenrechtlichen Engagements, um sich selbst zu schützen. Tatsächlich ist es nicht vollkommen abwegig, dass es Kekilli schwer fällt, die eigenen Erfahrungen von ihrem Engagement zu trennen. Kekilli ist die Tochter moderat muslimischer Eltern. Sie musste nie Kopftuch tragen, durfte aber beispielsweise kein Abitur machen. Als die Pornogeschichte öffentlich gemacht wird, kommt es zum Bruch mit ihrem Elternhaus.

Als sie vor exakt zwei Jahren im Schloss Bellevue über Gewalt gegen muslimische Frauen im Namen der Ehre spricht, kann sie die Tränen nicht völlig zurückhalten. Dort fragte sie provokant, warum die Frauen von der eigenen Familie und der muslimischen Gesellschaft so klein gehalten werden?

"Die Familie ist mächtig, die Tradition ist noch viel mächtiger. Wer den Mut aufbringt, gegen alle Widerstände zu kämpfen und sich loszureißen, hat anschließend nicht nur die Familie, sondern auch den öffentlichen Respekt verloren und lebt fortan schutzlos in der Gesellschaft", heißt es in ihrer Rede. Und weiter: "Ist es das wert? Die eigene Identität, die Familie und den Kulturkreis einzutauschen gegen ein freies Leben? Denn genau das bedeutet es. Die bisher gelebte Identität abzustreifen. Schon allein diese Fragestellung ist schizophren. Wer zwischen diesen beiden Welten wandert, unterliegt einem fast unmenschlichen Druck. Er macht einen buckelig, traurig, depressiv. Ich will mich und andere nicht belügen und alles versteckt machen, nur damit die Familie und der Kulturkreis mich hoffentlich irgendwie akzeptieren. Ich möchte ein selbstbestimmtes Leben führen, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen oder gesellschaftlich geächtet zu werden."

Als Botschafterin von Terre des Femmes setzt sie sich dafür ein und ergreift das Wort gegen antifeministische und patriarchale Positionen. Sibel Kekilli sei "ein Vorbild für alle Mädchen und Frauen, um ein selbstbestimmtes Leben gegen alle Widerstände von außen zu führen", erklärte die Bundesgeschäftsführerin von Terre des Femmes Christa Stolle.

Und was sagt die Ausgezeichnete selbst? Das hätten wir sie gern gefragt, aber ein Interview war "aus Zeitgründen vor der Verleihung" nicht möglich. In der Presseerklärung der Frauenrechtsorganisation stellt die deutsche Schauspielerin mit türkischem Hintergrund aber eine unmissverständliche Forderung auf: "Jedes Mädchen, jede Frau muss so frei leben können, wie sie es für richtig hält, ohne durch Familie und Freunde massiv eingeschränkt oder wegen ihres Lebenswandels gar mit dem Tode bedroht zu werden".

Was es dazu braucht, ob religiöse Mäßigung oder mehr engagierte Frauenrechtler*innen oder beides, das werden wir sie beim nächsten Interview fragen.