BERLIN. (hpd) Seit Monaten ist die organisierte Sterbehilfe ein wichtiges Thema in den Medien. Schließlich wollen CDU/CSU, christliche Bischöfe, Islamverbände, Hospizbetreiber und selbsternannte “Lebensschützer” Hilfen beim und zum Sterben kriminalisieren. Sie wollen Sterbehilfe in Deutschland verbieten und helfenden Personen mit Gefängnisstrafen überziehen.
Das Volk sieht das anders: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland befürwortet Sterbehilfe! Das ist Ergebnis einer aktuellen Umfrage des EMNID-Instituts.
Danach sprechen sich 58 Prozent der Befragten für die Zulässigkeit einer aktiven Sterbehilfe durch Ärzte aus. In den östlichen Bundesländern liegt der Anteil der Befürworter sogar bei 71 Prozent gegenüber 55 Prozent in den westlichen Bundesländern. Für die rechtliche Zulässigkeit der Bereitstellung eines tödlichen Medikaments durch einen Arzt, das der Sterbewillige dann selbst einnimmt, gibt es eine große Mehrheit von 57 Prozent der Befragten. Eine strikte Ablehnung der Sterbehilfe wird lediglich von 17 Prozent der Bevölkerung unterstützt. Die Umfrage war von der evangelischen Fernseh-Talkshow “Tacheles” (bei Phoenix) in Auftrag gegeben worden.
Bereits Anfang des Jahres hatte eine von der Krankenkasse DAK-Gesundheit bei FORSA in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage ergeben, dass 70 Prozent der Menschen in Deutschland Sterbehilfe, auch durch Ärzte, befürworten. Auch in dieser Umfrage war mit die Zustimmung in Ostdeutschland mit 82 Prozent deutlich höher als in Westdeutschland mit “nur” 67 Prozent. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen lag die Zustimmung sogar bei 86 Prozent. Lediglich 22 Prozent der Befragten lehnten damals eine derartige Regelung für sich selbst aus.
Empathie statt Ideologie
Diese Zahlen aus 2014 belegen eindrucksvoll, dass eine überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland eine eindeutige Position hat: (auch) am Ende des Lebens wird Selbstbestimmung jedes Menschen befürwortet und Hilfe, auch professionelle, ärztliche, gefordert. Empathie und nicht Ideologie, “Barmherzigkeit” und nicht Leidensromantik – das will das Volk!
Leidensposition – Minderheitsposition!
Diese Zahlen zeigen: die offiziellen Positionen der katholischen und evangelischen Kirchen, der muslimischen Verbandsfunktionäre contra Sterbehilfe werden lediglich von höchstens einem Fünftel der Menschen unterstützt.
Diese Zahlen zeigen: Auch unter den eigenen Kirchenmitgliedern findet das rigorose kirchliche Nein zu einem selbstbestimmten Sterben, die Forderung nach einem Durch-Leiden-Müssen keine Mehrheit (mehr). Nur eine Minderheit innerhalb der Kirchen folgt dem Kurs der Kirchenoberen noch.
Da stellt sich die Frage, für wen die Kirchenleitungen, die katholische Bischofskonferenz und die EKD-Leitung überhaupt sprechen. Überzeugen können sie mit ihrem Gerede von der “Unverfügbarkeit des eigenen Lebens” kaum jemanden. Nur ihre starke politische Stellung, bedingt auch durch das Finanzierungssystem der Kirchensteuer und staatlichen Zuwendungen, die Unterstützung durch religiös orientierte PolitikerInnen in allen Parteien macht es ihnen möglich, sich medial in den Vordergrund zu schieben und die eigene Position breit zu vermarkten, selbstverständlich stets betonend, dass sie die Hüter von Moral in diesem Land seien.
Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, der Münchener Erzbischof Marx, hat jetzt zur Unterstützung der offiziellen Kirchenposition zur Sterbehilfe ein Aktions-Programm “Sterben in Würde” angekündigt. Die Auseinandersetzungen werden somit wohl rauer werden.
2014: Religiöse Fundamentalisten gehen gegen Sterbehilfe auf die Straße
Jetzt unterstützen die katholischen Bischöfe erst einmal den sogenannten “Marsch für das Leben”, der am kommenden Sonnabend in Berlin stattfindet. Bei diesem zum wiederholten Male veranstalteten Aufmarsch pflegen selbsternannte “Lebensschützer” das generelle Verbot von Abtreibungen und der PID zu fordern; in diesem Jahr fordern sie zudem ein generelles Verbot von Sterbehilfe. Erzbischof Marx hat ein Grußwort an die christlichen Fundamentalisten gerichtet und lobende Worte für deren Aktion gefunden, die er als ein “augenfälliges Zeichen für das christliche Menschenbild” bezeichnet.
Berechtigte Warnung vor “Schwarz-Weiß-Denken”
Unterdessen hat der Münsteraner Prof. für Praktische Philosophie Michael Quante vor einem “Schwarz-Weiß-Denken” in der Sterbehilfedebatte gewarnt. Er sieht die Gefahr, dass durch die Schaffung eines Strafgesetzes zur Sterbehilfe Menschen gezwungen sind, sich auf kriminelle und dubiosen Machenschaften einzulassen, um überhaupt selbstbestimmt sterben zu können.
Die Argumentation der “schiefen Ebene”, wonach es bei einer Zulassung freiwilliger Sterbehilfe (wie etwa in den Niederlanden) “notwendigerweise zu einer moralischen Katastrophe mit unfreiwilligen Tötungen kommen” müsse, bezeichnet er als eine Verleumdung. Quante fordert, wer sich dieser Argumentationsfigur bediene, müsse sie auch belegen können.
Entwicklung Palliativmedizin, Ausbau von Hospizen und Sterbehilfe erforderlich
Quante spricht sich zutreffender Weise sowohl für Sterbehilfe als auch für den Ausbau von Hospizen aus. Eine Gesellschaft, die freiwillige Sterbehilfe anbietet, müsse, so der Philosoph, gleichzeitig Hospize zur Begleitung des Sterbeprozesses ausbauen, damit möglichst vielen Menschen eine Chance geboten wird, keine Sterbehilfe verlangen zu müssen. Für diejenigen aber, die sich auch bei einem Ausbau von Hospizen für das Ausscheiden aus dem Leben entscheiden, müsse das Recht auf Selbstbestimmung gelten. Die von der Gröhe-Initiative vorgesehene Kriminalisierung von Sterbehilfe lehnt er ab, er nennt diese Pläne “ein falsches Signal”.
1 Kommentar
Kommentare
Wolfgang Kloste... am Permanenter Link
Leider wird - sei es aus Naivität, sei es aus Berechnung - immer noch von Beihilfe zum Suizid gesprochen.