Mobbing wegen geforderter Kreuzabnahme

Hexenjagd in der Hallertau

Wie schwer das Leben für nicht religiöse Menschen selbst im Deutschland des 21. Jahrhunderts noch sein kann, das erlebt seit vielen Jahren eine Familie in Bayern. Diskriminierung und Mobbing schlagen derzeit hohe Wellen, weil die Familie dafür kämpft, dass das riesige Kruzifix aus einem Schulfoyer verschwindet.

Die Hallertau ist eine jener Regionen Bayerns, die japanischen Touristen die Kameras vor die tränenden Augen treiben. Eine Idylle, in der sich Fuchs und Hase zwischen Kirchtürmen und Hopfendolden gute Nacht sagen. Ja, in der Hallertau ist die Welt noch in Ordnung. Wenigstens für Christen.

Nicht religiöse Menschen hingegen führen in der Hallertau nicht unbedingt ein idyllisches Leben. Eine Erfahrung, die Familie A.* seit vielen Jahren machen muss. In den vergangenen Monaten war es so schlimm wie selten zuvor, denn die Familie setzt sich dafür ein, dass das Gymnasium von Wolnzach, das von den beiden Töchtern besucht wird, aus seinem Foyer das Kruzifix entfernt. 

Bereits vor Jahren hatten die heute 16-jährige Emma A.* und die 14-jährige Mia* zusammen mit ihren Eltern erstritten, dass in ihren Klassenzimmern die Kreuze abgenommen werden müssen. Laut Bundesverfassungsgericht ihr gutes Recht. Auch und gerade in Bayern. Doch das über ein Meter hohe Kruzifix im Foyer, das dort bereits weit vor Söders Kreuzerlass hing, will sich die Schule nicht nehmen lassen.

Vor allem die 16-jährige Emma ist aufgrund des Streits ums Foyer-Kreuz derzeit massivem Mobbing ausgesetzt. Doch so fürchterlich die Situation für sie derzeit auch ist: Es ist nur die Spitze des Eisbergs einer bereits seit vielen Jahren andauernden Diskriminierung der religionsfreien Familie in der Hallertau.

"Seitdem die Kinder mit etwa vier Jahren anfingen, Fragen zu stellen, haben wir die Probleme", sagt Sabine A.*, die Mutter von Emma und Mia. Um Auseinandersetzungen mit der Verwandtschaft und der konservativen Stadtgemeinschaft zu vermeiden, habe sie ihre Töchter sogar taufen lassen. Doch als die Mädchen anfingen, Fragen über Gott und die Welt zu stellen, habe sie es einfach nicht über sich gebracht, sie zu belügen. Allerdings führten die unterschiedlichen Antworten, die die Kinder im Kindergarten und zu Hause erhielten, zu großen Problemen. Als der Großvater der Mädchen starb, habe Emma es zunächst akzeptiert, dass ihr Opa nun tot und einfach nicht mehr da war. Als kurz darauf im Kindergarten die christliche Ostergeschichte behandelt wurde, habe Emma der Mutter jedoch wütende Vorhaltungen gemacht, warum man ihren Opa begraben und nicht in eine Höhle gelegt habe, damit er wieder lebendig werden kann – so wie es damals laut Erklärung der Kindergärtnerin mit Jesus funktioniert hatte. "Das Kind war völlig durcheinander und hat damals zwei Wochen nicht mehr richtig geschlafen – wegen der Leidensgeschichte mit den blutenden Wunden und weil sie dachte, wir wären daran Schuld, dass ihr Opa nicht wiederkommt", sagt Sabine A.

Damals habe sie den Kindergarten darum gebeten, ihre Tochter nicht mehr mit christlichen Geschichten zu belasten und sie auch vom Gebet zu befreien. Denn obwohl sich der Kindergarten in städtischer Trägerschaft befindet, waren Gebete an der Tagesordnung und das Kindergartenprogramm nach dem Kirchenjahr ausgerichtet. "Damals fing es mit der Diskriminierung an", sagt Sabine A. Man habe ihr gedroht, die Tochter werde während des Gebets vor der Tür sitzen müssen, andere Eltern hätten nicht mehr mit ihr gesprochen und deren Kinder nicht mehr mit Emma und Mia, berichtet Sabine A. Außerdem habe es anonyme Anrufe gegeben, ob es Familie A. in der Stadt noch gefalle und ob sie glaube, dass ihre Kinder im Ort sicher seien.

Familie A. beschloss damals, Emma in einen anderen Kindergarten wechseln zu lassen. Wegziehen konnte die Familie nicht, weil sie durch Haus und Arbeit an die Gegend gebunden war und ist. "Und wir wollen es auch nicht", sagt Sabine A. "Hier ist unsere Heimat, die Kinder wurden hier geboren. Wir würden unser Zuhause verlieren und das wollen wir nicht. Wir wollen uns nicht vertreiben lassen, denn was wir verlangt haben, ist nichts weiter als unser Recht".

Doch auch im neuen Kindergarten wurde versucht, Emma zum Beten zu animieren. Sabine A. beschwerte sich beim Bürgermeister. Aber trotz Zusicherungen passierte nichts, sagt sie. "Von mir aus hätte Emma sogar mitbeten können, aber das Problem war, dass sie sagte: Ich will das nicht. Ich find' das so albern, mit einem Mann zu sprechen, den es nicht gibt", berichtet Sabine A.

Als Emma in die Grundschule kam, setzten sich die Probleme fort. Denn statt des Fachs "Religion" konnte sie zwar "Ethik" belegen, doch erstaunlicherweise gelang es der Schulleitung nie, die Fächer "Religion" und "Ethik" parallel stattfinden zu lassen. Überraschenderweise waren es hierbei stets die nicht-christlichen Schülerinnen und Schüler, die schlechte Karten hatten und länger in der Schule bleiben mussten, um am nachmittäglichen Ethik-Unterricht teilzunehmen, während die Religions-Schüler längst frei hatten. Auch hiergegen setzte sich Familie A. zur Wehr und trat für die parallele Unterrichtserteilung von "Ethik" und "Religion" ein.

Ungefähr zur selben Zeit wurde Sabine A. von Arbeitskolleginnen gewarnt, dass sich etwas gegen sie zusammenbraut. Da es massiv an Arbeitskräften mangelte, war Sabine A. von der Caritas einer Nachbargemeinde als Kindergärtnerin eingestellt worden. Dort war sie für ihre Arbeit stets gelobt worden, wie sie erzählt, doch auf einmal habe sich von der Grundschule zur Diözese Regensburg herumgesprochen, dass sie und ihre Kinder Atheisten sind, die noch dazu für ihre Rechte kämpfen. "Plötzlich hat mich auf der Arbeit keiner mehr angeschaut und meine Vorgesetzte, die mich immer gelobt hatte, war für mich nicht mehr erreichbar." Schließlich wurde sie dienstlich angewiesen, bei der Weihnachtsfeier zu erscheinen. Dort hielt der Pfarrer mit deutlichem Blick in ihre Richtung eine Ansprache. Er bedankte sich bei den Christen für ihre gute Arbeit und betonte, dass ein Atheist niemals im Stande wäre, eine solche Leistung zu erbringen. Überhaupt sollten sich die Atheisten, die sich dort eingeschlichen hätten, in Acht nehmen. Denn es sei Aufgabe der Christen, sie zu bekämpfen, weil, wo immer die Atheisten die Macht ergriffen, die Welt unterzugehen drohe. Als Beweis dafür habe er Hitler und Stalin genannt, berichtet Sabine A. Nach dieser Weihnachtsfeier habe sie gekündigt.

Um zu vermeiden, dass sich das Schul-Drama ihrer Töchter auch in der weiterführenden Schule fortsetzt, erkundigte sich Familie A. vor der Anmeldung beim naturwissenschaftlichen Gymnasium in Wolnzach, ob dort Kinder aller Weltanschauungen gleich behandelt würden. Dies wurde bejaht. Doch es stimmte nicht. Während der mehrfach im Jahr stattfindenden Gottesdienste kam es wiederholt vor, dass die Ethik-Schüler mehrerer Jahrgänge, die von der Schule während des Gottesdienstes zu beaufsichtigen sind, in einen Klassenraum gepfercht wurden, so dass Kinder wegen Überfüllung auf dem Boden sitzen mussten. "Ich bin ein Mensch zweiter Klasse an dieser Schule, ich muss wie ein Hund in der Ecke liegen", hatte Emma ihrer Mutter nach einem solchen Erlebnis gesagt.

Als in der 7. Klasse die Kreuzzüge durchgenommen wurden, trat Emma schließlich die Gegenwehr an. Nachdem sie erfahren hatte, welche Gräueltaten im Namen des Christentums begangen worden waren, hielt sie es für unzumutbar, in einem Raum mit Kreuz unterrichtet zu werden. Immer, wenn sie das Kreuz sah, habe sie die Bilder von den Blutbädern im Kopf gehabt, von denen sie im Unterricht gelesen habe, und von Hexen, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, berichtet ihre Mutter. Da sich die Schule weigerte, die Kreuze abzuhängen, musste zunächst eine Anwältin eingeschaltet werden, die am Gymnasium die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durchsetzte. Das Kreuz im Foyer jedoch will die Schule hängen lassen. Eltern und Lehrer empfahlen Emma, die Schule zu wechseln oder das Gebäude durch den Hintereingang zu betreten, falls sie sich durch die Darstellung eines gefolterten Mannes am Kreuz so aufrege.

Beispielbild
Das strittige Kruzifix im Foyer des Gymnasiums Wolnzach. (© Privat)

Vor zwei Monaten erfuhr der Streit ums Kreuz eine ungeahnte Verschärfung durch die Politik. Ausnahmsweise nicht durch Markus Söder, sondern durch den örtlichen CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer. Bei einer Klassenfahrt nach Berlin hatten Emma und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler Irlstorfer einen offiziellen Schulbesuch abgestattet. Der CSU-Mann erklärte hierbei, dass er weder vor dem Islam noch vor anderen Religionen Angst habe, wohl aber vor den Religionslosen. Deshalb müsse man das Kreuz vor sich hertragen.

Während dieser Klassenfahrt begann das Mobbing durch ihre Klassenkameraden, berichtet Emma. Angeheizt von einem Rädelsführer teilten ihre Klassenkameraden Emma mit, dass sie kein Recht auf einen Raum ohne Kreuz habe, vielmehr entscheide die Mehrheit, was gemacht werde. Zurück in Wolnzach hängten die Schülerinnen und Schüler im Klassenzimmer ein Kreuz auf und Emma erhielt Warnungen, sie solle auf sich aufpassen. Der Direktor ließ das Kreuz im Klassenzimmer wieder abhängen. Doch erst weil Emma darauf drängte und weil ein Journalist Nachfragen stelle, thematisierten endlich auch Lehrer und Direktion das Mobbing im Unterricht.

Emma ist durch das Verhalten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler weiterhin bis ins Mark erschüttert. "Sie hat Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und meidet stille Ecken, damit ihr keiner etwas tun kann", berichtet Sabine A., die froh ist, dass ihre Tochter zu den besten Schülerinnen der Klasse gehört und deswegen wenigstens nicht um ihre Noten fürchten muss. Was Emma vor allem in die Verzweiflung treibt, ist dass sie in der Schule ständig etwas über Menschenrechte lernt und die Schule sogar als "Schule ohne Rassismus" ausgezeichnet ist, sie jedoch trotzdem in ihrem Recht auf Weltanschauungsfreiheit so massiv beschnitten wird. Von der Schulleitung fühlt sie sich alleingelassen.

Doch bei der Hexenjagd in der Hallertau gibt es auch einen Silberstreif am Horizont. Die Mitschülerinnen und Mitschüler ihrer Klasse mobben Emma zwar weiterhin, aber aus der Parallelklasse gibt es Solidaritätsbekundungen. Ein Schüler, berichtet die 16-Jährige, habe sogar ganz laut und demonstrativ im Gang erzählt, dass er jetzt zu Emma in den Ethikunterricht käme und dass er auch schon recherchiert habe, wie man aus der Kirche austritt. Auch von einzelnen Lehrern gibt es – im Geheimen – Hinweise, dass sie Emmas Standhaftigkeit gut finden und ihr Anliegen unterstützen.

"Wir müssen jetzt sehen, wie sich die Sache weiterentwickelt", sagt Sabine A. " Vielleicht gelingt es den Christen ja doch noch, uns zu vertreiben. Die Hallertauer Gesellschaft toleriert keinen Ungehorsam. Sie erlaubt es nicht, dass es uns gibt." Sabine A. ist es deshalb wichtig zu betonen, warum sie und die Mitglieder ihrer Familie tun, was sie tun: "Wir ziehen nicht in den Kampf, weil wir ein bisschen eingeschnappt sind oder weil wir aus Prinzip auf unser Recht bestehen. Wir verteidigen uns, weil wir überleben wollen – und zwar so, wie wir sind."


* Namen von der Redaktion geändert