Eine Reise durch den Iran

Nur alleine bin ich frei

Nadine Pungs reiste durch den Iran. Ein Land, über das hierzulande viel zu wenig bekannt ist und das oft nur als ein Teil der "Achse des Bösen" gesehen wird. Immer noch. Dabei hat es bedeutend mehr zu bieten als finstere Mullahs und eine längst vergangene Geschichte. Frank Nicolai sprach mit der Autorin.

hpd: Was hat dich dazu gebracht, gerade den Iran auszuwählen? Es ist ja die erste Reise, über die du schreibst.

Nadine Pungs: Ja, das Buch ist mein Debüt. Und dann direkt über den Iran. Uff. Aber ich hatte schon früh mein Herz an den Nahen und Mittleren Osten verloren. Der Orient war für mich immer schon ein Sehnsuchtsort.

Und der Iran bestürzt, der Iran berührt, er fordert und beschenkt. Er bestürzt mit seiner Unerbittlichkeit und wie er seine Einwohner unterdrückt und abschlachtet. Aber er berührt mit Schönheit. Schönheit, die nur sichtbar wird durch das Gegenteil. Denn da sind Menschen mit warmen Herzen, da sind Wüsten und da ist Poesie. Für uns Mitteleuropäer gibt es ja zwei Vorstellungen: Entweder Persien, dann leuchten die Gesichter und du denkst an berauschende Gärten und Mosaike und Basare. Oder Iran, da denkst du an Mullahs mit Zottelbärten und Frauen in schwarzen Tüchern. Im Iran fliegen die Atomraketen und in Persien die Teppiche.

Mich hat interessiert, ob es nichts dazwischen gibt. Meine Devise lautet, dass in einer Welt, in der Meinungen mehr zählen als Fakten, es unerlässlich ist, sich selbst auf den Weg zu machen und nachzusehen. Ich wollte wissen: Ist das so? Zum einen die Romantisierung des Orients und zum anderen die Dämonisierung. Ich wollte es wissen.

Im Iran fliegen die Atomraketen und in Persien die Teppiche.

Welche neuen Erkenntnisse hast du? Hast du irgendwas erlebt oder bist du mit anderen Erfahrungen zurückgekommen als du hingefahren bist? Du hast dich vorher schon viel mit dem Thema befasst, dir ein Bild gemacht. Inwiefern ist die Realität mit dem Bild, das du vorher hattest, konform gewesen oder wurde es ein völlig anderes?

Das ist richtig, ich sammelte schon vorher Informationen, las viel, auch im Koran, und schaute Dokus. Ich lernte sogar ein bisschen Farsi. Und trotz meiner Vorbereitungen hatten sich dennoch unzählige Klischees in mein Hirn festgezeckt. Man kommt da nicht raus, wenn man nicht reist.

Manche Klischees stimmen tatsächlich, manche haben sich nicht bestätigt. Ein klassisches Klischee, welches ich als wahr bezeichnen würde, ist die Gastfreundschaft. Das hatte ich in diesem Ausmaß nicht erwartet, muss ich ehrlich zugeben.

Was mich jedoch mehr überrascht hat als ich zuvor dachte, ist der Umgang der Iraner mit dem System. Dieses Geschmeidige, dieses Sich-Durchschlängeln und Sich-Durchmogeln und dass Freiheit ohne Lüge nicht möglich ist. Das Leben in einer Diktatur ist hart und trotzdem kann man hier glücklich sein.

Cover

Da muss ich kurz einhaken. Wenn ich dich recht im Kopf habe, schreibst du auch darüber, dass es im Iran ein großes Drogenproblem gibt, von dem wir kaum etwas wissen in Europa. Iran liegt an der "Mohnroute" zwischen Afghanistan und Europa. Drogen sind dort preiswerter als Milch und das ergibt Probleme. Das musst du doch gesehen haben.

Natürlich kreisen auf Partys die Joints. Manch einer pofelt Sheesheh, also Crystal Meth, oder zieht sich eine Nase Koks. Andere wiederum paffen das Gift eines Skorpionstachels. Ich selbst habe Opium geraucht – das verrate ich an dieser Stelle. All das ist nicht ungewöhnlich.

Das ganze Zeug sickert hauptsächlich über Schmuggelrouten aus Afghanistan und Pakistan ins Land. Und die Pasdaran, die Revolutionswächter, verdienen sich goldene Nasen. Gleichermaßen am Alkohol, obwohl der ja ebenfalls in der Islamischen Republik verboten ist. Und Alkohol ist tatsächlich ein großes Problem im Gottesstaat. Wenn das Regime jungen Menschen keine Alternative bietet, dann saufen sie sich ins Koma. Doch Rauschmittel sind auch Teil eines Spiels. Denk mal zurück an die Prohibition in Amerika – alle haben gezecht wie die Irren und der Nervenkitzel hat dem Geschäft sicher nicht geschadet. Es bleibt stets die Frage: Wo kann ich Alkohol herkriegen, ohne dass ich erwischt werde? Bin ich cleverer als der Rest?

Du hast ja auch die Tricks beschrieben, wie man in der Öffentlichkeit Alkohol beim Picknick trinkt, in einer Cola- oder Pepsiflasche …

… (lacht) Ja genau, man kippt dann Rotwein in eine Pepsiflasche und tut dabei ganz unschuldig.

Aber um auf deine Frage zurückzukommen, welche persönlichen Erfahrungen ich während der Reise eingesammelt habe: Tatsächlich bin ich viel politischer geworden, setze mich für humanistische Werte ein, achte meine Freiheit und ich habe verstanden, was Feminismus bedeutet. Echter Feminismus ist nämlich nicht, wenn ich die High Heels gegen Boots tausche oder ein T-Shirt von Dior trage mit der Aufschrift "We should all be feminists". Oder wenn ich für irgendwelche pseudo-emanzipatorischen Dinge kämpfe wie …

… wie das Binnen-I.

Ja genau! (lacht) Das habe ich aber erst im Iran begriffen. Die Frauen, die hier auf die Straße gehen und das Kopftuch abnehmen für My Stealthy Freedom oder White Wednesday und sich verhaften lassen – das sind Feministinnen. Das sind wahre Heldinnen!

Eine Reise als Frau, als ausländische Frau durch den Iran, weil ich ja ebenfalls Hejab tragen muss, ist von der ersten bis zur letzten Sekunde politisch. Das erlebt ein Mann vielleicht nicht in diesem Ausmaß.

Eine Reise als Frau ... durch den Iran ... ist von der ersten bis zur letzten Sekunde politisch.

Deswegen ist ja, glaube ich, deine Reise eine ganz andere als die, die Stephan Orth in "Couchsurfing im Iran" beschreibt ...

Wir haben teilweise die gleichen Städte bereist. Aber er hat andere Erfahrungen gemacht, denke ich.

Völlig andere Erfahrungen! Als Mann kann man sich anders bewegen als als Frau.

Wobei vielleicht noch ein Unterschied besteht, ob ich als Frau alleine reise oder nicht.

Ich werde ja oft gefragt: "Als Frau alleine? Du traust dich? Oh, wie mutig!" – mir wird also oft Mut vorgeworfen (lacht). Ich verstehe mich selbst aber gar nicht als mutig. Ich muss ja reisen, ich muss raus und die Welt zerpflügen. Ich habe gar keine andere Wahl. Das ist nicht mutig, sondern alternativlos.

Was das Reisen im Orient betrifft, so vermute ich, ist es für Frauen oft leichter. Denn ich werde eingeladen, mir wird die Tasche getragen, die Menschen begegnen mir freundlich, möchten mir helfen. Ich habe als ausländische – ich sage bewusst ausländische Frau – das Privileg in beiden Gesellschaften willkommen zu sein. Sowohl als Gast in der Männergesellschaft, aber auch in der Frauengesellschaft. Diese Erfahrungen beschreiben bereits Gertude Bell oder Freya Stark, die im 20. Jahrhundert durch das Morgenland getuckert sind. Als reisender Mann bleibt dir die Frauengesellschaft jedoch stets verschlossen. Der sieht nur die Hälfte.

Aber nochmal zurück zu der Reise selbst. Du warst ja in Ghom, einer heiligen Stadt, das, so finde ich, ist ungefähr der faszinierendste Part deiner Reise. Es gibt da im Buch dieses Foto mit einem Mullah. Wie kommt man bitte auf solch eine Idee? War das Provokation oder war das wirklich so – jetzt prüfe ich mal meine Vorurteile? Dahinzugehen und nicht nur die Bauten anzusehen, sondern mit dem auch zu reden?

(lacht) Es war schlichte Neugier. Betonung auf Gier. Ich wollte wirklich mit einem Mullah sprechen. Und in Ghom studierte damals Khomeini den Koran. Also wahrlich ein heiliger Ort. Ich hatte keine Erwartungen, wie: jetzt führen wir ein großes theologisches Gespräch über Schia und Sunna. Aber ich wollte da rein und ich wollte es sehen und ich wollte auch wissen, wie ich mich fühle als Ungläubige und was das mit mir macht. Aber in erster Linie wollte ich … vielleicht etwas verstehen. Vielleicht wollte ich verstehen, warum Menschen fasziniert sind von Religion, warum sie glauben. Weil ich es nicht kann. Wie sagte es Max Weber? Ich bin religiös unmusikalisch. Und in Ghom spielt ein ganzes Orchester, es ist das Orchester und das wollte ich sehen. Und hören.

An einer Raststätte irgendwo im Iran.
An einer Raststätte irgendwo im Iran.

Ich habe mir nochmal die Karte angeschaut, du bist ja tatsächlich von Teheran nach Süden und dann bist du quasi an der irakischen Grenze nach Norden gezogen und dann wieder zurück. Du hast ja die große Wüste nicht gesehen, du bist daran vorbeigefahren …

… Du meinst die Dasht-e Lut? Ich war in der Dasht-e Kavir. Da habe ich in einer Karawanserei übernachtet.

Genau, das schreibst du ja. Aber Richtung Pakistan warst du nicht.

Auf der zweiten Reise bin ich – ich war letztes Jahr wieder im Iran – nach Sistan und Belutschistan gereist. Dasselbe Land und doch eine andere Welt. Vergessen, verdammt. Diese Provinz hat mich sehr an Afghanistan erinnert.

Das mit der zweiten Reise wusste ich nicht.

Ja, ich kann vom Land nicht lassen (lacht). Und ich habe auch fast jeden Tag Kontakt in den Iran und bin immer auf dem Laufenden. Und richtig, ich war noch einmal dort. Und möchte wieder.

Plakat in Kashan
Plakat in Kashan

Eine der Begebenheiten, die mich am meisten getroffen hat, war, wo Du über ein Plakat in Kashan schreibst. Mit den Frauen drauf. Das ist für mich so unglaublich menschen- und frauenverachtend.

Du meinst das Plakat bezüglich "Islamic Veil" und dass die Frau wie eine Perle durch den Schleier geschützt werden soll?

Ja, das Foto, das im Buch auch abgebildet ist. Das sagt mehr über die Denkungsart und den allgegenwärtigen Sexismus ...

Ich weiß, welches du meinst. Ja, das ist Geschlechterapartheid par excellence. Mich bestürzt das sehr. Und dann erinnert man sich wieder, dass man durch einen Gottesstaat reist. In Teheran habe ich mich auch einmal sehr erschrocken, obwohl die jungen Hauptstädter hip unterwegs sind und in ebenso hippen Cafés ihren Latte Macchiato mit Herzen aus Schaum schlürfen. Trotz Kopftuch kann man die Diktatur ausblenden. Das klappt ganz gut.

Aber als ich später eine Buchhandlung betrat und ein Kunstband der europäischen Renaissance aufschlug und plötzlich schwarze Balken erblickte, weil die halbnackte Königstochter im Raub der Europa überpinselt war und auch die Hintern der Putten geschwärzt wurden – da spürte ich wieder den harten Faustschlag der Mullahs. Und zwar volle Breitseite.

In Kashan stand hingegen dieser Aufsteller, von dem du sprachst. Eine lächelnde junge Frau war abgebildet und darunter prangte der Spruch, sie sei eine Auster, eine Perle, die geschützt werden müsse und deswegen sei der Schleier ja kein Gefängnis, sondern ein Segen für die Frau. Immerhin lächelt sie ja glücklich. Da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Aber es gibt ja noch härtere Plakate. Auf manchen werden schlecht verpackte Damen mit angelutschten Lollis verglichen oder mit verschimmelten Zwiebeln. Das ist schrecklich, mich erschüttern diese Herabwürdigungen zutiefst. Es hat aber sonst keinen interessiert. Es hat niemand hingeschaut.

Wir haben ja vorher schon darüber gesprochen, dass ich die aktuelle Situation im Iran immer ein wenig mit der am Ende der DDR vergleiche. Also mit dem, was die DDR nach außen und in der Selbstwahrnehmung – also der Leitenden und Führenden, der Eliten – war. Und das, was sie für die durchschnittliche DDR-Bevölkerung bedeutete: Niemand hat mehr an das System geglaubt, alle wussten, dass das nicht mehr lange gut geht. Aber jeder hat sich zum Überleben damit arrangiert. Das darf man den Menschen auch nicht zum Vorwurf machen. Die Kehrseite davon ist natürlich, dass es das System auch stützt.

Wir dürfen eins nicht vergessen: Die Islamische Republik existiert jetzt seit 40 Jahren, die scheint bisher stabil. Gestritten wurde schon immer im Parlament. Was wir hier im Westen für Aufstände halten, wird im Iran teilweise anders bewertet. Das System an sich ist veränderungsresistent. Allerdings können wir hier nichts Genaues sagen. Prognosen sind schwierig. Die neuen Sanktionen beuteln das Land sehr, insofern ist alles möglich. Doch momentan gibt es keine Alternative zum Regime. Es gibt keinen Anführer, der eine tragbare Opposition leiten kann. Wer sollte da die Macht übernehmen?

Wir als Westen sollten unsere Finger eh aus den Angelegenheiten anderer Länder heraushalten.

Nach der mutmaßlichen Wahlfälschung von Ahmadineschad 2009 sind ja viele junge Leute geflohen. Und das passiert jetzt wieder, das ist die vierte Generation iranischer Flüchtlinge. Wir sehen diese Abkehr vom System häufig mit einem enthusiastischen Optimismus. Doch das scheint falsch zu sein.

Richtig, wir verwechseln manchmal Dinge. Wir verwechseln ein verrutschtes Kopftuch mit Selbstbestimmung. Wir verwechseln Hedonismus mit Rebellion. Das muss aber nichts bedeuten. Vielleicht ja, vielleicht nein.

Ist das verrutschte Kopftuch einfach nur als Provokation zu verstehen? Wie die "westliche" Jeans in der DDR? Und im Iran ist es das Kopftuch, das nach hinten geschoben wird.

Es muss noch nicht einmal Provokation sein. Es kann auch einfach als Mode verstanden werden. Manchmal gewiss, dann ist es Protest, aber das Ausreizen der Bekleidungsvorschriften hat nicht unbedingt eine politische Aussage. Früher schon eher. Ja. Aber mittlerweile ist es oft ein Spiel mit dem Zeigen und dem Verbergen.

Und ja, natürlich sind da auch die Frauen, wie in My Stealthy Freedom, die ganz bewusst revoltieren und gegen den Dogmatismus ankämpfen. Aber nicht alle Iraner begehren auf. Viele mogeln sich durch und arrangieren sich. Was will ich damit sagen? Nicht jede Grenzüberschreitung bedeutet Rebellion.

Meine Jeans bedeuteten das wohl eher auch nicht. Ich wollte einfach meine Eltern und meine Lehrer ärgern. Mehr war da nicht.

Und wir dürfen nicht vergessen, 60 Prozent der Iraner sind jünger als 30 Jahre.

Das ist etwas, was kaum zu begreifen ist. So wie die Tatsache, dass der Großteil der jungen Menschen sehr gut ausgebildet ist.

Ja, aber da muss ich einen Einspruch erheben.

Klar, Millionen Iraner sind hervorragend ausgebildet und Akademiker, aber was heißt es, an einer staatlichen Hochschule einer Theokratie studiert zu haben? Khomeini hat damals schon gesagt "Universitäten sind gefährlicher als Handgranaten". Und an diesem Leitsatz hält sich die Obrigkeit bis heute. Was bedeutet das folglich? Das bedeutet, dass keine Universität im Land daran interessiert ist, freiheitliche Gedanken zu fördern.

60 Prozent der Iraner kennen nichts anderes als dieses System.

60 Prozent der Iraner kennen nichts anderes als dieses System. Welchen Wert hat in diesem Zusammenhang Freiheit? Ist es das Kopftuch, das weg muss? Was ist mit der Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit? Kunstfreiheit, Bildung für alle? Was ist mit diesen ganzen Freiheiten? Und Freiheit ist erschütternd. Kann jemand mit Freiheit umgehen, der nichts anderes kennt als Despotie?

Da ich in der DDR sozialisiert wurde, verstehe ich, was Du meinst. Freiheit bedeutet auch immer "frei zu etwas", nicht nur "frei von etwas".

Es gibt ja auch die andere Seite. Viele Iraner, die das System eigentlich missbilligen, dulden das Regime trotzdem, weil es ein Garant für Unabhängigkeit ist. Der Nahe und Mittlere Osten zerfällt – Irak, Syrien, Afghanistan.

Es ist immer noch ein starkes Iran – das Iran, was nicht angegriffen wird.

Es gibt dieses Gedicht von Leonard Cohen, in dem er sagt "Der fremde Mörder wird mehr von uns töten als unser eigener Mörder". Da ist was dran.

Ein Iraner, den ich kennengelernt habe, meinte: "Besser wir sind Sklave unserer eigenen Regierung als Sklave einer anderen Regierung." Wir werden sehen, wie sich die Bevölkerung unter den neuen Sanktionen entwickelt. Ob sie rebellieren oder fester zusammenstehen.

Schon die ersten Sanktionen hatten Auswirkungen auf die Bevölkerung. Ich habe davon gelesen, dass Flugzeuge abgestürzt sind, weil es keine Ersatzteile mehr gab. Das Embargo hat dazu geführt, dass es kein Insulin im Land gab. Im Iran sind Menschen an Diabetes gestorben.

Das kann ich bestätigen. Ein Bekannter im Iran hat eine Niere gespendet bekommen und muss bis zu seinem Lebensende Pillen schlucken. Doch die Apotheke kann momentan keine Medikamente mehr einführen. Jetzt hat er nur noch für zwölf Tage Tabletten. Und dann?

In Nad Shiraz
In Shiraz

Wir kommen nochmal zu deiner Reise zurück. Du warst in Susa. Persepolis kennt jeder, doch von Susa hat kaum jemand gehört. Heute sind das ein paar Ruinen in der Wüste und kaum jemand weiß, dass hier einmal der "Mittelpunkt der Welt" war.

Susa und Shushtar waren neben Persepolis die wichtigsten Städte seinerzeit. Von den Wassermühlen, die vor tausenden Jahren in Shushtar erbaut wurden, erzählt dir in der Schule kein Lehrer. Nicht einer! Deshalb sage ich: Je mehr ich reise, desto größer wird die Welt.

Und wenn du jetzt in den Irak oder nach Syrien schaust, und diese wundervollen, legendären Städtenamen hörst wie Bagdad oder Damaskus – da klingeln die Ohren und du hast Glitzerbilder im Kopf. Und dann klickst du durch die Nachrichten und es bricht dir das Herz.

Ja, das schmerzt. Und doch hast du ja schon viel gesehen, wie zum Beispiel Susa. Du schreibst, so hab ich es dem Buch entnommen, von deiner Ergriffenheit. Wovon warst du ergriffen?

Ich neige zu Sentimentalitäten und ich stelle mir dann genau vor, wie es hier mal aussah. Wie Menschen hier lebten und liebten und tanzten und weinten.

Ich habe Geschichte studiert. Aus Leidenschaft. Deswegen ist das nochmal eine Schippe geiler, tatsächlich dort zu stehen, wo Alexander der Große entlang promeniert ist und wo ganze Zivilisationen entstanden sind. Für mich ist das himmelschön und ich fühle mich dann ganz klein in der Welt, aber auch so beschenkt, dass ich das sehen darf.

Eine letzte Frage will ich noch loswerden: Du willst jetzt wieder eine Reise machen, wieder in den Mittleren Osten und jetzt hattest du dir Saudi-Arabien vorgenommen ...

… nein, in Saudi-Arabien darf ich nicht rein. Nur, wenn mich ein Saudi offiziell einlädt oder ich dort Business hätte. Allerdings herrschen für alleinreisende Frauen wohl besondere Vorschriften.

Also Saudi-Arabien funktioniert offensichtlich nicht, aber du reist jetzt nach...?

Ich werde in Jordanien starten und dann reise ich weiter nach Kuwait, Bahrain, Katar, Oman und in die Vereinigten Arabische Emirate ...

… alleine und als Frau.

Richtig.

Wie kommt man bitte auf so eine Idee? Ich hätte Angst.

Ich habe auch ständig Angst (lacht). Ich habe schrecklich viel Angst. Ich habe aber auch Angst, wenn ich alleine nach Österreich reise. Nicht nur wegen der FPÖ (lacht) – grundsätzlich, ich habe vor jedem Aufbruch Angst, weil jeder Aufbruch bedeutet das Verlassen der Komfortzone. Und mich befällt jedes Mal eine Scheißangst. Aber ich muss an meine Grenzen. Reisen ist Leben in komprimierter Form. Es kann schwere Langeweile sein, es kann schwerste Entzückung sein, es kann erschütternd sein.

Und wenn ich reise, dann will ich ein Stück weit fremd werden. Deshalb reise ich allein. Wenn mich ein Freund oder eine Freundin begleitet, dann nehme ich ja die Heimat mit. Und die redet mit mir und glotzt mich an und will irgendetwas von mir. Und ich kann nicht liefern. Zu zweit versage ich. Das gebe ich ehrlich zu. Ich bin eine ganz schlechte Reisebegleiterin. Jetzt ist es raus. Uff. Ich werde zum Jämmerling und ich werde bräsig und faul und gehe nicht mehr in Kontakt mit den Menschen da draußen. Nein, ich muss mich alleine durchschlagen, und für die kleine Sozialphobikerin, die in mir steckt, ist Alleinereisen wichtig, weil ich mich überwinden muss, um mit den Leuten da draußen zu sprechen. Und damit ich an ihren Leben teilnehmen kann.

Nur alleine bin ich frei. Nur alleine wachse ich über mich hinaus.

Du machst mir ein schlechtes Gewissen. Ich glaube du hast gerade etwas ausgesprochen, was ich mir noch nicht eingestanden habe. Mir gefällt der Satz "du nimmst deine Heimat mit". Vielleicht sollte ich genau darüber noch einmal nachdenken.

Oh, nicht, dass ich jetzt als verschrobene Alte daherkomme (lacht). Natürlich reise ich auch gelegentlich mit Freunden, ich habe einen sehr guten Freund, der erträgt mich als einziger Mensch auf diesem Planeten. Aber wie gesagt; ich bin eine lausige Reisebegleiterin. Nur alleine bin ich frei. Nur alleine wachse ich über mich hinaus. Der persische Dichter Hafis hat einen schönen Satz gesagt: "Du bist deine eigene Grenze. Erhebe dich darüber." Das versuche ich.

Nadine Pungs, Das verlorene Kopftuch - Wie der Iran mein Herz berührte, Piper 2018, ISBN 978-3-89029-494-0, 16,00 Euro