Verschwörungstheorien

"Für das Ringen um eine bessere Welt verloren"

Wird die Menschheit von reptilienartigen Wesen regiert? Vergiften uns die Herrschenden mit Chemikalien, die von Flugzeugen versprüht werden? Wird die Weltgeschichte von geheimen Kräften gesteuert? Bernd Harder befasst sich in seinem neuen Buch "Verschwörungstheorien" mit denjenigen, die auf solche Fragen mit "Ja" antworten.

Im Gespräch mit dem hpd erläutert er, was unter einer Verschwörungstheorie zu verstehen ist, warum dieses Denken derzeit so viele Anhänger findet und weshalb davon eine Gefahr für die politische Kultur ausgeht.

hpd: Was ist denn eine "Verschwörungstheorie"? Gibt es nach dem Selbstverständnis derer, die solchen Ideen anhängen, eine einheitliche, weitgehend anerkannte Definition?

Bernd Harder: Viele Anhänger solcher Ideen behaupten, etwa auf "alternativen" Webseiten wie RT Deutsch oder Pravda TV, der Begriff "conspiracy theory" sei vom amerikanischen Geheimdienst CIA geschaffen worden, um Kritiker des Warren-Reports – nach dem John F. Kennedy von Lee Harvey Oswald als alleinigem Täter erschossen wurde – zu diskreditieren. Als "Beweis" dient ihnen ein CIA-Dokument mit der Nummer #1035-960 aus dem Jahr 1967. Darin werde das Wort "Verschwörungstheoretiker" als "Kampfbegriff der psychologischen Kriegsführung" etabliert. Beides ist falsch.

Inwiefern?

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Als 1967 die CIA das Dokument #1035-960 herausgab, war der Begriff "Verschwörungstheorie" längst mit einer delegitimierenden Komponente versehen worden. Als federführend hatten sich hierbei der Philosoph Karl Popper ("Die offene Gesellschaft und ihre Feinde", 1945) und der US-Historiker Richard Hofstadter ("The Paranoid Style in American Politics", 1965) hervorgetan. Popper bezeichnete Verschwörungstheorien als "primitive Art des Aberglaubens und säkularisierte Dämonologie".

Es ist zwar korrekt, dass das CIA-Dokument #1035-960 Argumente enthielt und Material bereitstellte, um die damals populären Verschwörungstheorien zum Kennedy-Attentat zu entkräften. Dafür klinkten sich die Geheimdienstler aber bloß in das geistige und gesellschaftliche Klima jener Zeit ein. Weder ist das Wort "conspiracy theory" ein Neologismus der CIA noch brachte erst die prominente US-Bundesbehörde den Ausdruck in Verruf.

Und wer hat das Wort erfunden?

Im deutschsprachigen Raum findet sich das Wort "Verschwörungstheorie" bereits 1787 im Journal für Freymaurer. Der englische Begriff "conspiracy theory" ist für das Jahr 1869 belegt. In amerikanischen Zeitungen kursierte der Begriff um 1880, und zwar im Zusammenhang mit der Aufklärung von Verbrechen. Bei einem ungelösten Todesfall stellten Ermittler zum Beispiel eine "suicide theory", eine "murder theory" und eine "conspiracy theory" einander gegenüber – letztere keineswegs abwertend, sondern als gleichrangige Option beziehungsweise Beschreibung des unerkannten Zusammenwirkens mehrerer Personen.

Obwohl der Begriff also recht alt ist, gibt es keine allgemein akzeptierte Definition, was eine Verschwörungstheorie eigentlich ist – und ob man überhaupt von einer "Theorie" im wissenschaftlichen Sinne sprechen kann. Auch ausgewiesene Experten sind sich da uneins. Ja – meint etwa der Kulturhistoriker Michael Butter, denn subjektiv würden Verschwörungstheorien das leisten, was man von Theorien im Allgemeinen erwartet: Sie erklärten einerseits bereits Geschehenes und erlaubten andererseits Vorhersagen über die Zukunft. Nein – sagt der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber, da Verschwörungstheorien nicht durch gegenteilige Beweise korrekturfähig, also nicht falsifizierbar seien.

Verschwörungsgläubigen sind solche akademischen Diskurse aber eh völlig egal. Denn sie sehen sich selbst ja nicht als "Verschwörungstheoretiker", sondern als "Querdenker", "Aufklärer" oder "Wahrheitssucher".

Welche Definition von "Verschwörungstheorie" legen Sie Ihrem Buch zugrunde?

Brauchbar erscheint mir die Determination, die Roland Imhoff und Pia Lamberty von der Universität Mainz in einem Aufsatz für "Gehirn & Geist" angegeben haben: "Als Verschwörungstheorie wird die Interpretation eines Phänomens oder Ereignisses verstanden, die der gängigen Erklärung widerspricht und die mächtigen Personen oder Gruppen unterstellt, insgeheim der Gesellschaft schaden zu wollen."

Gibt es auch "Verschwörungstheorien" in dem Sinne, dass der Versuch unternommen wird, reale Verschwörungen, die in den letzten Jahrzehnten aufgedeckt wurden, theoretisch zu erfassen?

Meines Wissens nicht. Was schade ist, denn gerade aufgedeckte Verschwörungen zeigen sehr deutlich, dass Verschwörungstheorien mit der Realität wenig zu tun haben – also Phantasieprodukte sind.

Das müssen Sie erklären.

Bekannt gewordene echte Verschwörungen wie Watergate oder die Ermordung Cäsars unterscheiden sich signifikant von den imaginären Verschwörungen der Konspirologen. Deren Verschwörungstheorien – zum Beispiel "Chemtrails", "Umvolkung" oder die "New World Order" – zeichnen von politischen, gesellschaftlichen und historischen Prozessen ein realitätsverzerrendes Bild, in dem Zufälle, individuelle Fehleinschätzungen und Versäumnisse, Irrtümer, Unfähigkeit, Kompromisse, Getriebensein und vieles mehr keine Rolle spielen.

Bernd Harder, Foto: privat
Bernd Harder, Foto: privat

Verschwörungstheoretiker entwerfen fast immer Szenarien, an denen Dutzende, Hunderte oder noch mehr Verschwörer beteiligt sein müssten. Außerdem behaupten sie nahezu ausnahmslos, dass die Akteure über einen längeren Zeitraum aktiv sind und dass Geschichte mittel- und langfristig planbar ist. Tatsächlich aber haben wir es in unserer multikausalen Gegenwart mit hochkomplexen Systemen zu tun, in denen sich eine Vielzahl von Akteuren mit zum Teil widerstrebenden Interessen, Zielen und Absichten tummeln – und die allesamt mit Problemen der realen Welt zu kämpfen haben. Etwa mit der Tatsache, dass die wenigsten Menschen ein Geheimnis lange für sich behalten können.

Reale Verschwörungen kommen zumeist mit einer überschaubaren Anzahl an Mitwissern aus und beschränken sich fast immer auf ein klar eingrenzbares Ereignis wie einen Staatsstreich oder ein Attentat. Die Existenz von solchen echten Verschwörungen genügt Verschwörungstheoretikern zwar als Grund, um alles, was in der Welt passiert, in diesem Licht zu sehen. Aber trotzdem – oder gerade deswegen – decken die Pseudo-Enthüller am heimischen PC keine Verschwörungen auf noch tragen sie etwas zu einer investigativen Recherche oder zur Aufklärung von wirklichen Lügen, Skandalen und Geflechten bei.

Woher kommt das Bedürfnis, für Ereignisse andere Erklärungen anzuführen als die offizielle Version?

Intensiveres Hinschauen, Hinterfragen, Recherchieren und Abwägen ist mühsam. Die Vorstellung, dass hinter allem, was man als beängstigend und falsch empfindet, ein niederträchtiger Plan steht, der einen in eine bequeme Opferrolle drängt, umso attraktiver. Verschwörungstheorien dienen einerseits der Komplexitätsreduktion: Sie geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen und Zusammenhänge. Zum anderen sind Verschwörungstheorien ein Ego-Booster: Verschwörungstheoretiker halten sich selbst für eine Wissenselite, Teil einer großen Aufklärungsbewegung, die exklusive Erkenntnisse besitzt, durch die man sich der Masse der "Schlafschafe" überlegen fühlen kann.

Und warum halten die Beteiligten an ihrer Sicht der Dinge fest, auch wenn die von ihnen angeführten Fakten sich als falsch beziehungsweise ihre Erklärungen sich als fehlerhaft erweisen?

Wenn Verschwörungstheoretiker erst einmal an ihre Theorien glauben, werden diese Überzeugungen von überaus wirksamen psychologischen Abwehrmechanismen gegen jede Infragestellung verteidigt, da sie relevant für das Selbstbild geworden sind. Mit anderen Worten: Verschwörungstheoretiker beziehen daraus einen Teil ihrer sozialen Identität. Und das macht den Umgang mit Verschwörungstheorien und ihren Anhängern so schwierig.

Wie lässt sich eine Grenze ziehen zwischen berechtigter und notwendiger Kritik am Weltbild der Herrschenden und unsinnigen Verschwörungstheorien?

Verschwörungstheoretiker werden ja nicht deswegen so genannt, weil sie auf die unstrittige Tatsache hinweisen, dass es reale Verschwörungen gibt. Sondern weil sie ihren Annahmen eine ganz spezielle Herangehensweise sowie bestimmte Prioritäten zugrunde legen, die darauf abzielen, konkrete, sinistere Täter zu identifizieren. Statt eines analytischen Blickes wird ein bereits feststehender Erklärungsansatz auf alles und jeden angewendet und, wenn nötig, passend zurechtgebogen. Verschwörungstheorien kommen in Gestalt von scheinkritischen Fragen daher, hinter denen sich eine selbstgerechte, unhinterfragbare Überzeugung verbirgt. Das merkt man im Gespräch oder auch in der Online-Kommunikation recht schnell – also ob der- oder diejenige die Bereitschaft zeigt, einzusehen, dass er oder sie auch falsch liegen könnte. Als Faustregel, um ernstzunehmenden Argwohn von Bullshit zu unterscheiden, bieten sich deshalb drei Punkte an: Ist das, was da behauptet wird, noch überprüfbar? Verstößt die Begründung der Behauptung gegen Grundsätze der Vernunft oder der Argumentation? Und wie reagieren die Vertreter der Behauptung auf Kritik?

Sind Verschwörungstheorien Ausdruck eines Willens, nicht manipuliert zu werden? Ist hier gesellschaftskritisches Potential vergraben?

Das könnte man zunächst meinen. Manche Wissenschaftler billigen Verschwörungstheorien zum einen eine utopische Dimension zu, da sie zumindest die theoretische Chance zur Verbesserung der Verhältnisse böten, und zum anderen den Status von "Alarmanlagen der Demokratie", die das Unbehagen vieler Menschen an undurchschaubaren politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen zum Ausdruck brächten. Ich habe eher den Eindruck, dass politisches, soziales und gesellschaftliches Engagement, das tatsächlich etwas bewirken könnte, durch Verschwörungstheorien unterminiert wird. Das zeigen auch verschiedene Studien. Die Suche nach einem Schuldigen für alles, was schiefläuft, nach den Gegenmächten, nach dem geheimen Plan, verstellt den Blick auf die Realität und führt offenbar zu wenig mehr als resignativer Wut. Die meisten Verschwörungstheoretiker scheinen für das Ringen um eine bessere Welt verloren zu sein.

Wie kann man jene argumentativ erreichen, die einer Verschwörungstheorie anhängen?

Das ist sehr schwierig. Eine allseits erprobte Kommunikationsstrategie für den Umgang mit Verschwörungstheoretikern, die in jedem Einzelfall und bei jedem Thema funktioniert, gibt es nicht. Praktisch zu jeder Empfehlung findet sich ein ebenso plausibles Abraten. Und eine Gesprächstaktik, mit der man hier und da Erfolge erzielt, kann schon in der nächsten Situation krachend scheitern. Ich denke, jeder Einzelne muss seine individuelle Vorgehensweise finden, die abhängig ist von Zeit, Geduld, Temperament, Frustrationstoleranz, Wissen, Umfeld, Zielsetzung und anderem mehr. Jedenfalls gibt es auch im angeblich "postfaktischen Zeitalter" keinen Grund, das Anliegen der Aufklärung nicht weiterhin hochzuhalten und sowohl mit Fakten als auch mit Emotionen und Überzeugungen dagegen zu argumentieren. Denn eines kann jeder in der Debatte erreichen: Zweifel säen und zum Nachdenken anregen.

Eine abschließende Bewertung: Dürfen wir über Verschwörungstheorien lachen oder sind sie für die Gesellschaft so gefährlich, dass wir sie ernst nehmen sollten?

Mir jedenfalls ist das Lachen vergangen. Eine Zeitlang fand ich die Reptiloiden-Verschwörungstheorie ganz spaßig – also die Behauptung, dass die mächtigsten Persönlichkeiten dieser Erde in Wahrheit mimikröse Echsenwesen seien, die durch Kreuzung von Menschen mit außerirdischen reptilienartigen Rassen entstanden sind. Als ich dann aber in den geschlossenen Foren von Verschwörungsgläubigen mitlas, wurde mir bewusst, dass das überhaupt nicht lustig ist. Denn die Absicht dahinter liegt in der systematischen Dehumanisierung vermeintlicher Gegner. Gegen unmenschliche Kreaturen aus dem Weltraum ist schließlich jedes Mittel erlaubt. Selbst solche vermeintlich harmlos-amüsanten Verschwörungstheorien konstruieren Feindbilder, tragen zur Radikalisierung bei und vertiefen die Gräben und Spannungen in der Gesellschaft. Und das ist nun wirklich das Letzte, was wir derzeit brauchen.

Die Fragen stellte Martin Bauer für den hpd.

Bernd Harder: Verschwörungstheorien. Ursachen – Gefahren – Strategien. Reihe Kritikpunkt.e. Alibri, 2018. 165 Seiten, kartoniert, ISBN 978-3-86569-123-1, 10,00 Euro

Siehe auch: Gute Überblicksdarstellung zu Verschwörungstheorien