BERLIN. (hpd) Mit dem Titel "Verfehlung", Untertitel "Glaube - Vertrauen - Zweifel", ist ein deutscher Spielfilm in bundesdeutschen Kinos angelaufen. Ein katholischer Gemeinde-Priester unterwirft männliche Jugendliche seiner sexuellen Gewalt. Kindesmissbrauch wäre die Anklage, sofern es dazu kommen würde.
Wie verhält sich die katholische Kirche, die Gemeinde, die Betroffenen selbst, ihre Familie, wie verhalten sich kirchenferne Menschen und – wie gehen Freunde damit um? Die Annahme, der Täter sei Opfer einer irrsinnigen Falschbehauptung, lässt sich nicht aufrechterhalten. Der Täter gesteht, Personalverantwortliche der Amtskirche deckten den Täter zuvor und über das Ende des Films hinaus.
Drehbuch und Regie sind von Gerd Schneider, er war in seinem ersten "Beruf" Absolvent eines Priesterseminars. Eingebunden in die katholische Kirche, ihre Riten und "Gesetze" greift Gerd Schneider nach der Theologie zu einem zweiten Studiengang, wird Filmemacher. Er betrachtet, wie einerseits das Umfeld mit Verantwortlichkeit, Staatsbürgerpflicht, Zivilcourage, Opferschutz und der Täter andererseits selbst damit umgeht.
Ein Filmemacher mit kircheninternen Kenntnissen stellt sexuelle Gewalt, umgangssprachlich Missbrauch an Kindern und Jugendlichen, in das Zentrum - das ist erst einmal beeindruckend. Wie authentisch ist der Film, ist es eine filmische Realität? Das wird im Laufe des Filmes eine drängende und schließlich bedrückende Frage.
Die Handlung
Der Film spielt hier und heute, auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer demokratischen Verfassung.
Hauptfiguren sind drei Männer gleichen Alters, gleicher Ausbildung. Alle drei sind geweihte Priester und Freunde. Sie leben am gleichen Ort, ihr Arbeitgeber, wenngleich es verschiedene Rechtsträger sind, ist die "Mutter Kirche".
Da gibt es Jakob Völz, er ist Gefängnisseelsorger geworden, Dominik Bertram, Jugendpfarrer einer Gemeinde, in der Rolle des Täters und Oliver Gondek, Aufsteiger mit der Berufung zum stellvertretenden Generalvikar und Personalchef. Dominik Bertram wird direkt in der Kirche, sozusagen vom Altar weg in Untersuchungshaft genommen. In dieser Justizanstalt ist Jakob Völz der Gefängnisseelsorger. Gegen den Priester liegt eine Anzeige wegen Missbrauch an dem 15-jährigen Martin, gestellt von seiner alleinerziehenden Mutter, vor. Verdutzt, später empört bleibt die Gemeinde zurück, ebenso seine Freunde Jakob und Oliver. Während Dominik in der Justizanstalt für die Untersuchungshäftlinge der "Kinderficker" ist, treten mit Einsicht in die Akte des Anwalts bei Oliver und Jakob Zweifel an Dominiks Unschuld auf. Bei ihrem ersten gemeinsamen Besuch werden sie von einem äußerlich von der Untersuchungshaft gezeichneten Dominik empfangen, der schließlich mit den zweifelnden Freunden umzugehen weiß: "Jetzt wollt ihr hören, dass ich es war?" Euphorisch folgt sein Engagement, die "Jungs" von der Strasse zu holen, Alleinerziehende zu stützen, ein Krisen-Interventionsprogramm habe er eingeführt, Sport-Programme, Übernachtungsmöglichkeiten außerhalb der Familie … "ihr wisst doch gar nicht, wie es bei denen zu Hause aussieht." – Ein Versprechen der Freunde folgt: "Dominik, wir holen Dich hier raus".
Beim allgemeinen Gottesdienst im Untersuchungsgefängnis ist Dominik inbrünstig betend, dann, allein neben seinem Freund Jakob räumt er wie nebenbei ein, den "Jungs" gegenüber zu bemüht gewesen zu sein und dann, "…. ja, es ist passiert."
Die geistig verbundenen Freunde Jakob und Oliver bleiben im Dialog. Oliver will von Dominiks Geständnis nichts wissen: "Wir müssen das hinkriegen, es war ein kleiner Fehltritt, es steht uns nicht zu, ihn [Dominik] zu verurteilen." Und Oliver, als stellvertretender Generalvikar, spricht zu Jakob: "Das will niemand hören, halte Dich da raus, tue Du Deine Arbeit." Jakob Völz, Priester, Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt und Freund schweigt.
Die Sache nimmt ihren Lauf. Im Szenenwechsel folgen Auseinandersetzungen mit kirchenfernen Menschen und in der katholischen Glaubensgemeinschaft. In wichtigen Rollen Susanne, Psychologin im Untersuchungsgefängnis, Martin, 15 Jahre, das Opfer und seine alleinerziehende Mutter. Und ein Häftling aus der JVA mit seiner Prognose zu Dominik: Er wird bald wieder draußen sein, "ihr haltet doch zusammen!"
So kommt es. Eine Anklage gegen den Täter wird nicht erhoben. Das Tor der Justizanstalt öffnet sich für den Priester. Er kehrt direkt in "seine" Gemeinde zurück, als diese eine Messe feiert. Vorerst still und verhalten bleibt Dominik im Hintergrund. Einem jungen Messdiener wohl 14 bis 15 Jahre alt entgeht seine Rückkehr nicht, der Junge fällt ohnmächtig zu Boden.
Die Amtskirche betont in dem Film, wir nehmen unsere Verantwortung ernst und wir nehmen sie an: In die "Sache" von dem Gefängnisseelsorger hineingezogen und mit ihr belastet, nimmt der Kardinal Schöller Stellung zu dem Geständnis des Gemeindepriesters, die Kirche habe nicht die Aufgabe, Ermittlungen zu führen, sie habe zu verzeihen. "Die Kirche ist wie eine Mutter und eine Mutter schlägt man nicht."
Der stellvertretende Generalvikar Oliver Gondek macht in Einzelgesprächen sowohl der Mutter von Martin wie dem Vater des als Messdiener gezeigten Jungen klar, Geld heilt und Heilung ist das beste für ihre Kinder. Besser jedenfalls als ein aufreibender Prozess, dessen Ausgang unklar ist.
Und Dominik Bertram? Der trainiert und bolzt wie eh und je auf dem Fußballplatz, "… so, als sei nichts gewesen." Dominik Betram sieht sich nicht als Täter und nicht verantwortlich für kaputt gegangene Familien. Er sieht sich als Opfer und schreit: "Ich habe mich verliebt …"
Prolog
Jakob Völz, zerrissen zwischen Freundschaft, Loyalität und Wissen steht am Ende des Films im Treppenhaus der Staatsanwaltschaft. Damit endet der Film. Wohl gibt es ein Zitat in den Kommentaren zum Film: "Die schmerzhafte Wahrheit jedoch, die Jakob in seiner letzten Konfrontation mit Dominik erfährt, ist am Schwersten zu ertragen. Was Jakob zu tun bleibt, ist sich seiner Verantwortung zu stellen: Was nicht geschehen darf, muss aufhören."
Jakob Völz ist die Identifikationsfigur für die kritischen Katholiken, das Angebot daran zu glauben, dass sich in der Kirche etwas verändert wird. Für sie wird Jakob Völz die Tür zur Staatsanwaltschaft öffnen. Der hoffnungsvolle Katholik, der an die Erneuerung seiner Kirche glaubt, findet in dem Film seine Chance, wohlmeinend in die Zukunft zu schauen.
Säkulare sehen das anders: Der Film ist unentschlossen.
Die Schauspieler sind großartig.
Ein Kommentar von Gerd Schneider (Auszug): "Schon lange hat mich der Umgang der katholischen Kirche mit Missbrauchsfällen erschüttert. Vor etwa sieben Jahren hatte ich dann die ursprüngliche Idee zu einem Film, der sich mit genau diesem Thema auseinandersetzt: Ein Gefängnisseelsorger hat den eigenen Kollegen und guten Freund plötzlich in der Untersuchungshaft sitzen. Was geht in ihm vor, wie verändert sich ihr Verhältnis – was wird er tun?
Diese Fragen liegen mir sehr nahe: Ich war selbst Priesteramtskandidat der Erzdiözese Köln und festen Willens, mein Leben in den Dienst der katholischen Kirche zu stellen. Vor dem Hintergrund dieser tiefgreifenden Erfahrung war es mir wichtig zu erzählen, dass es kein System der Vertuschung gibt, aber das Vertuschen durchaus systematische Züge hat.
Angst, Unvermögen und vorauseilender Gehorsam haben ein Klima geschaffen, in dem diese ungeheuren Vorgänge stattfinden konnten. …"
Genre: Drama
Originaltitel: Verfehlung
Land: Deutschland 2014
Regisseur: Gerd Schneider
Besetzung: Sebastian Blomberg, Kai Schumann, Jan Messutat, Valerie Koch, Sandra Borgmann, Rade Radovic u. a.
Dauer: 95 Minuten
FSK: 12
Kinostart: 26. März 2015
Website: www.verfehlung-film.de
Der Film wurde ausgezeichnet mit dem Preis des 6. Kirchlichen Filmfestivals Recklinghausen.
1 Kommentar
Kommentare
Angelika Oetken am Permanenter Link
"Die" Katholische Kirche gibt es im Grunde nicht.
Folge: es gibt wohl keine Institution, der mehr Whistleblower angehören als die Katholische Kirche. Und das lässt hoffen. Neben Leuten, denen das Schwindeln, Mogeln und Täuschen schon so in Fleisch und Blut übergegangen zu sein scheint, dass sie gar nicht mehr zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können, gibt es auch solche die trotz eines hohen persönlichen Risikos das Richtige tun.
Weil ihnen die Grundwerte, die das Evangelium verkündet und die im Grunde von jeder Kultur getragen werden wirklich etwas bedeuten. Sie orientieren sich nämlich am ihren Nächsten. Nicht an irgendwelchen selbstverliebten Predigern, von denen die Mehrzahl nur deshalb diesen Beruf gewählt hat, weil sie zu feige sind, sich zu ihrer Homosexualität zu bekennen.
Wegen der Sache mit dem Geld: genau da ist der Hebel. Das moralische Gerede entsprechender Funktionäre ist lediglich Bohei. Wenn es um ihre Finanzen geht, vor Allem um Entschädigungen und finanzielle Genugtuung, lernt man sie kennen.
Dazu:
http://www.eckiger-tisch.de/
http://www.schafsbrief.de/
http://missbrauch-im-bistum-trier.blogspot.de/
http://www.missbrauchsopfer-josephinum-redemptoristen.de/
http://initiative-ehemaliger-johanneum-homburg.de/
http://uuuuuuuuu.de/
http://www.regensburg-digital.de/?s=Domspatzen&submit=Suchen
http://www.aufrecht.net/utu/religion.html
http://www.gottes-suche.de/
http://skydaddy.wordpress.com/tag/kindesmissbrauch/
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden