Andreas Altmann lebt in Paris und hat den Brand von Notre Dame vor Ort erlebt. Allerdings auch "den vielerorts verbreiteten Blödsinn", der sich danach in sozialen und anderen Medien zeigte.
"Es wird Zeit, dass ich kurz dazwischenspucke", schreibt Altmann bei Facebook. "Auch meinen Senf abdrücke zum 'Notre-Dame-look-at-me-grief', zum 'schau mal, wie ergriffen ich bin über das Schicksal 'Unserer-Jungfrau-Kirche'." Der hpd veröffentlicht mit Einwillligung des Autors den kompletten Post:
Ich warte immer zuerst ab und wenn ich merke, dass ich den vielerorts verbreiteten Blödsinn nicht mehr ertrage, sprich, mich die Angst jagt, gleich mitzuverblöden, dann gehe ich in meine Waffenkammer, die deutsche Sprache, und drücke ab. Kleiner Böller als Weckruf. Wobei mir absolut klar ist, dass man die geistig Tranigen nie wachrütteln kann. Geistige Windstille ist ihre Heimat.
Besorgte Katholiken fragen, "warum der liebe Gott gerade vor Ostern Notre Dame brennen ließ". Zu solch einem meisterlichen Gedanken sind nur Gottessüchtige imstande. Er zeigt einmal mehr, dass der Glaube an den "lieben Gott" als direkte Folge rasante Hirnschmelze auslöst. Ist die Grütze weg, darf man sich den "lieben Gott" oben im Himmel sitzend vorstellen, ja, sich ausmalen, wie der göttliche Brandstifter auf den Knopf "Feuersbrunst" drückt und auf sein eigenes "Gotteshaus" zielt. Und – geradezu unheimlich – trifft. Volltreffer.
Dabei wäre – wenn das Hirn noch funktionierte – die Antwort so einfach: Den lieben oder bösen Gott haben wir nicht, aber wir haben unachtsame Schlosser oder Schweißer oder weiß der Teufel wen: der da oben im Gebälk gerade, vielleicht, an seinem Handy fummelte, statt sorgsam seine Arbeit zu tun. Und so die Hütte in Brand steckte.
Schade, denn der vor knapp 900 Jahren begonnene Bau ist ein Beweis für den architektonischen Genius seiner Architekten und Arbeiter. Grandios, zu was Frauen und Männer imstande sind. Das ist für mich der einzige Grund, warum die "Cathédrale de Notre-Dame de Paris" wiederaufgebaut werden soll. Zur Erinnerung an eine Glanztat.
Hinreißend die weltweit losgetretene Bestürzung, herrlich die Bigotterie, mit der hier Trauer und Fassungslosigkeit vorgeführt werden. In der "Le Monde" verstieg sich jemand dazu, den Brand in Paris als "Symbol für ein Europa zu sehen, das ebenfalls in Flammen steht". Im Deutschlandfunk sonderte Ulrich Wickert das typisch-politisch-korrekte Blabla ab, wie fast alle anderen auch, die nun sofort ihren (braven) Stuss in die Welt trompeten müssen: Notre Dame ist das kulturelle und nationale Zentrum Frankreichs! Der Mann muss schon lange nicht mehr in dem Land gewesen sein.
Ein Oberpriester der Kirche, der nach der Löschung mit den Feuerwehrleuten das Kirchenschiff betrat, berichtete auf dem Radiosender "France Culture", dass "la couronne d’épines", die Dornenkrone, ja ein "heiliger Nagel", ja, ein "Splitter vom Heiligen Kreuz" gerettet wurden, ja, dass das ein lebender Beweis dafür ist, "dass Christus noch immer unter uns ist". Man sieht, Hitze greift an, der Verstand geht flöten, auch der unaussprechlichste Schwachsinn ist erlaubt. Hauptsache, er ist geisttötend und vereitelt das Denken.
Okay, ich will sachlich bleiben, haha. Aber ja doch, des Herrgotts Zündelei war ein Geschenk des Himmels: Sofort berichtete niemand mehr über den gerade so virulenten Skandal, der einmal mehr die katholische Kirche in Frankreich erschütterte: Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes hat ein Gericht einen Kirchenmann – Kardinal Barbarin, den prominentesten Katholiken hierzulande – zu einer Gefängnisstrafe (leider auf Bewährung) verurteilt, nachdem er jahrzehntelang Kindsmissbrauch deckte, ja, noch größer das Verbrechen, den rabiatesten Kindsmissbraucher weiterhin mit Kindern "arbeiten" ließ. Uff, diese Schlagzeilen sind jetzt vom Tisch.
Für die weltliche Seite war das Flammenmeer auch ein Segen: Emmanuel Macron, hiesiger Präsident, der an Jungfrauen hoch droben so wenig glaubt wie an das Jesukindlein unter dem Morgenstern, und dem das Wasser (der Unbeliebtheit) bis zum Kragen steht, hat das Drama professionell instrumentalisiert, es sofort politisch genutzt: Aufruf zur Einheit! Wir müssen als Volk jetzt zusammenstehen! Das ist die Chance, um wieder zueinander zu finden etc. Gehirnwäsche!
Das Land plagen – der Heiland ist mein Zeuge – ganz andere Sorgen als der sofortige und pharaonisch-teure Wiederaufbau eines Gebäudes, das die meisten Einwohner noch nie von innen gesehen haben und das einer Institution gehört, die längst moralisch abgewirtschaftet hat.
Man kann nur ahnen, zu wie vielen Taten von Glaubensterror und Hass auf "Ungläubige" und Mord und Totschlag der Inquisition und Unfrieden und Unversöhnlichkeit während der 700 Jahre – von diesem Ort aus – aufgerufen wurde. Ich selbst erinnere mich noch, wie Anfang der 90er Jahre, als AIDS noch so tödlich und herzzerreißend war, mit christlich-katholischer Nächstenliebe von der dortigen Kanzel über die Schwulen hergezogen wurde, ja, wie "Act up", die rabiateste Selbsthilfegruppe der Homosexuellen, irgendwann eingriff und während dem Gesülze eines Pfaffen – sekundiert vom römischen Gesülze des Herrn Wojtyła, des damaligen Oberschafshirten – in die Kirche stürmte und massenweise Kondome über die Anwesenden ablud. Himmel, was wurde da gelacht in Paris!
Erstaunlich, wie nun Milliardäre mit Millionenbündel um sich werfen, um den Wiederaufbau so schnell wie möglich voranzutreiben. Schon sprudelt die erste Milliarde, schon buckelt der Staat, um steuerliche Vorteile anzubieten, ja, rund um die Uhr ist er damit beschäftigt, nach Möglichkeiten zu suchen, um das Volk zur Übergabe von Spenden für das Bauwerk zu überreden. Als hätten die Franzosen keine drängenderen Sehnsüchte, als einen nagelneuen Dachstuhl zu finanzieren.
Wie erfreulich, dass nun in der französischen Presse erste Stimmen laut werden, die den Spenderwahn nicht ganz begreifen. Die mit eindeutigen Worten darauf hinweisen, dass es im heutigen Frankreich – im Jahr 2019 – durchaus andere nationale und kulturelle Zentren und Prioritäten gibt als einen Ort, der der Mehrheit der Bewohner längst fremd geworden ist.
Nun aber die Gretchenfrage: Warum springt nicht der "Stellvertreter Gottes" – aktuell Señor Bergoglio alias Bruder Franziskus – ein? Im Vatikan stinken sie doch vor Geld und Besitz. Wiederaufbau? Aber gewiss! Doch er soll den Kathos ganz und gar überlassen sein, jenen, die dem "allein selig machenden Glauben" anheimgefallen sind, jenen, die gern virtuell-himmlische Jungfrauen angötzen und ihr mit Eifer und Fleiß Prachtgebäude hinstellen, die dann – unerforschlich die Wege des Herrn – vom Himmelalleröbersten abgefackelt werden.
Immerhin, so hört und sieht man, beten sie schon wieder. Ganz innig. Die Idee, dass ihr schon Jahrhunderte dauerndes Himmelhoch-Gewimmer offensichtlich nicht hilft, diese Idee kommt ihnen nicht in die Quere. Klar, sie ist gefährlich. Die Frömmler müssten tatsächlich aufwachen und selbst Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Und endlich unbescholtene Jungfrauen in Frieden lassen.
19 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"meine Waffenkammer, die deutsche Sprache" - ich liebe sie.
Und so 'beliebig und nutzlos', wie Jürgen Roth meint, kann die Kritik von Falko Pietsch zum selben Thema also auch nicht gewesen sein.
René am Permanenter Link
Die beiden Artikel haben eine völlig unterschiedliche Qualität. Nicht diesen hier hat Jürgen Roth kommentiert, sondern denjenigen von Falko Pietsch. Ich finde, Du solltest das nicht vermengen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Da ist nix vermengt, René; das hier ist *meine* Waffenkammer. Ich beziehe mich im 2. Satz eindeutig auf Falko. In dessen Artikel unter J.
Im Übrigen finde ich die 2 Artikel nicht sehr qualitätsverschieden, sondern etwa gleich. Andreas' Waffenkammer ist nur geschliffener - schon von Berufs wegen.
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Je größer der Dachschaden um so schöner der Ausblick zum Himmel!
Dr. Karlheinz Deschner
Kay Krause am Permanenter Link
Diese Wortflut aus der Waffenkammer des Herrn Altmann ist excellent formuliert und bedarf keines weiteren Kommentares. Mögen es auch die "richtigen" lesen!
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Die "richtigen" können nicht lesen und wollen es auch nicht lesen. Jesus konnte es übrigens auch nicht.Bäh!
Manfred Gilberg am Permanenter Link
Alles in Ordnung, Berichte, Kommentare.
ABER, dieses: BÄH! Einfach köstlich; nicht göttlich.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Meinen Informationen nach gehört Notre Dame dem Staat Frankreich und nicht der RKK
damit wird sich die arme RKK auch bei der Finanzierung der Renovierung zurückhalten, sprich keinen Cent dazu steuern.
Dirk Oestreich am Permanenter Link
Der Weg zum Humanismus führt (auch) über das Verstehen von Kathedralen!
Entscheidend für das Verständnis von Kathedralen bzw. deren Bedeutung für unsere heutige Zeit ist es nämlich das Denken, die Weltsicht, das Gesellschaftsgefüge etc. der damaligen Zeit mit in Betracht zu ziehen. Mittelalterliche Kathedralen sind ein in Stein gehauenes Spiegelbild der Welt unserer Vor-Vorväter und Vor-Vormütter. Das Wikipedia und die Enzyklopädie des Mittelalters. Negatives und positives Mahnmal. Ganz wichtiger Baustein für Vieles was daraufhin folgte: Renaissance, Reformation, Barock, Wissenschaft & Aufklärung uvm! All dies wird uns durch die Kunst & Architektur der Gotik quasi "übersetzt" und überliefert. Erkennt man diese Zusammenhänge, so erscheint insbesondere diese Pariser Kathedrale in einem ganz anderen Licht und man versteht ihre wirkliche Bedeutung als absolut schützenswertes DENK-Mal und lebendiges, MAHNENDES (!) Geschichtsbuch. Kathedralen nur auf ihre Rolle als pompöse Tempel für Leichtgläubige zu reduzieren ist auch aus humanistischer Sicht äußerst fahrlässig! Geschichtskompetenz ist Voraussetzung für das Verständnis des aktuellen Zeitgeschehens und auch unerlässliche Basis für Religionskritik! Insofern gehört das Verständnis für Kathedralen unbedingt auch ins Handgepäck eines Humanisten. Leider, leider hat auch der Autor Andreas Altmann diese Zusammenhänge anscheinend nicht verstanden. Und ich überspitze: Er gibt sogar denjenigen Zündstoff, die den Humanisten vorwerfen nur auf Gläubige einzuprügeln zu können. DENK-mal !!! Gruß aus Frankreich
Peter Hemecker am Permanenter Link
Sehr guter Kommentar zu dieser leider immer wieder unvermeidlichen Diskussion, bei der Menschen meinen bestimmen zu können, wohin andere Menschen ihr Geld zu spenden haben.
Auch das Aufzeigen, dass man historische Ereignisse, Gebäude, Verhaltensweisen immer unter Berücksichtigung des damaligen Zeitgeistes betrachten muss, ist ein ganz wichtiger Aspekt. Dass es heute Mode geworden ist, historische Umstände ausschließlich aus heutiger Perspektive und dem heutigen Zeitgeist zu beurteilen, ist schlimm genug und ist vielleicht der mittlerweile völligen Geschichtslosigkeit der aktuell lebenden Generationen zu verdanken. Was einen aber immer wieder bestürzt, ist, dass nicht nur schlichte Gemüter solche Einschätzungen historischer Ereignisse treffen, sondern auch Geschichtswissenschaftler, die dann auch noch die Stirn haben, diesen vorsätzlichen Anachronismus mit der Formulierung zu schmücken: „Geschichtsschreibung nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen“. Meist sind diese Erkenntnisse dann nicht neu, sondern nur aus dem zeitlichen Kontext und der zeitlich zugehörigen Denkweise gerissen.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Notre Dame gehört dem französischen Staat; davon träumen die deutschen Kirchenfürsten noch: ihre Protzbauten gehörten dem Staat, der für ALLE Kosten aufkommt, inklusive Brandversicherung, und die Kirchen dürfen sie ko
Die tapferen Ritter vom Heiligen Grab in Jerusalem haben diese ach so wertvollen und ach so heiligen Reliquien aus der Ruine gerettet. Dabei haben sie ihr offenbar nicht ganz so heiliges Leben aufs Spiel gesetzt. Was sagen denn die Moraltheologen dazu, die uns einen würdigen Tod verwehren ?
Apropos Reliquien: könnte man auf der Dornenkrone nicht Spuren der DNA von Jesus sicherstellen ? Dann könnte man endlich mal die leidige Frage klären, ob es von ihm leibliche Nachkommen gibt.
Selbstverständlich muss man die Frage stellen wo denn die himmlischen Herrschaften waren als der Brand ausbrach. Liegt Notre Dame so wenig an ihrer allerwichtigsten Kirche, dass sie das Feuer nicht mit einem kleinen Wunder rettete ? Je früher sie eingegriffen hätte, desto unauffälliger hätte es sein können; einfach mal einen Kurzschluss verhindern. Vielleicht war sie aber auch gerade in Lourdes und damit beschäftigt, Hunderte von Pilgern zu heilen; dann hätte sie selbstverständlich entschuldigt gefehlt.
Selbstverständlich gibt der Vatikan keinen schnöden Mammon für den Wiederaufbau; Gebete und ein wenig Know How müssen reichen. Richtiges Geld wird für die Eroberung Chinas gebraucht. Da müssen neue prächtige Kathedralen gebaut und mit kostbaren heiligen – sprich goldenen – Kultgeräten ausgestattet werden.
Eckhardt Fritsche am Permanenter Link
Ein wahrhaft "göttlicher" Kommentar.
Bernd Kockrick am Permanenter Link
Als in Schöppenstedt (Kreis Wolfenbüttel) ein Blitz den Kirchturm einäscherte wurde sofort danach öffentlich für den Neubau gesammelt.
Thomas Baader am Permanenter Link
"Wie erfreulich, dass nun in der französischen Presse erste Stimmen laut werden, die den Spenderwahn nicht ganz begreifen."
Epikur am Permanenter Link
Dem hervorragenden Kommentar ist quasi nicht hinzuzufügen. Endlich schreibt ein Mensch mit Verstand über diesen schlimmen Brand. 2 Sachen nur:
Zweitens ist der französische Laizismus zwar prinzipiell eine gute Sache. Durch die Enteignung der Sakralbauten muss der Staat aber mit viel Geld alte Bauten unterhalten, welche nur dem Zweck dienen, einen Kult zu praktizieren.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
"Durch die Enteignung der Sakralbauten muss der Staat aber mit viel Geld alte Bauten unterhalten, welche nur dem Zweck dienen, einen Kult zu praktizieren."
Nicht nur. Auch der Tourismus profitiert von diesen Baudenkmälern - und damit der Staat an sich. Den kultischen Betrieb bezahlen die Gemeinden selbst. Vermutlich werden - wenn sich auch der kultische Betrieb nicht mehr rechnet - aus diesen Gebäuden Museen, deren Eintrittserlöse man dann den Indios überweisen könnte, aus deren Ländern einst das Gold zum Bau der schönen Kathedralen geraubt wurde...
Uli Schweizer am Permanenter Link
Man beachte bei der nächsten Papstwahl, wenn alle Kameras auf das Dach der Sixtinischen Kapelle in Erwartung des weißen Rauches gerichtet sind, den dahinter sichtbaren Blitzableiter. Nahezu martialisch.
Frank Linnhoff am Permanenter Link
"...und das einer Institution gehört, die längst moralisch abgewirtschaftet hat." Der Autor meint hier wohl die katholische Kirche. Dies ist nicht der Fall, Notre-Dame-de-Paris ist im Staatsbesitz.
Thomas Baader am Permanenter Link
Richard Dawkins hat auf Twitter zu dem Thema nur zwei Sätze geschrieben: "This is terrible news.