Kommentar

Rassismusvorwürfe: Nachbetrachtungen zu Tönnies’ Entgleisungen

Clemens Tönnies, Aufsichtsratsvorsitzender bei Schalke 04, hat mit seinen Äußerungen über "die Afrikaner" und ihre Fortpflanzung eine Rassismus-Debatte ausgelöst. Was ist davon zu halten? Ein Kommentar von hpd-Autor Mukeba Muamba.

Clemens Tönnies, Fleischerei-Unternehmer und Aufsichtsratsvorsitzender des Fußballclubs Schalke 04 hat am 1. August 2019 beim "Tag des Handwerks" der Kreishandwerksgewerkschaft in Paderborn Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel kritisiert. Er erklärte:

"Und wenn wir zwischen 20 und 27 Milliarden Euro investieren, um ein Beispiel zu geben, in die Welt hinaus, um 0,0016 Prozent CO2, bezogen auf den Globus, zu verändern: Warum gehen wir eigentlich nicht her und geben das Geld dem Gerd Müller, unserem Entwicklungsminister, und der spendiert jedes Jahr 20 große Kraftwerke nach Afrika? Dann hören die auf, die Bäume zu fällen, hören auf, wenn's dunkel ist, wenn wir sie nämlich elektrifizieren, Kinder zu produzieren. Ich bin in Sambia gewesen, dort gibt es 14,6 Kinder pro Pärchen. Ja, wat machen die, wenn's dunkel ist?"  

Tönnies' Spiel mit rassistischen und kolonialistischen Stereotypen

Es braucht auch nicht viel Fantasie, die Frage "Ja, wat machen die, wenns dunkel ist?" zu beantworten. Nicht ohne Grund wurde ihm nach seiner Rede Rassismus vorgeworfen. Tönnies reproduziert hier nämlich klassische kolonialistisch-rassistische Stereotype, indem er sexuelle Ressentiments gegen Schwarze bedient: Afrikaner als triebgesteuerte Wilde, die Kinder produzieren, sobald das Licht ausgeht. Als schwarzer Deutscher und Afrikaner erinnert man sich schmerzlich an Gloria Thurn von Taxis zurück, die mit ihrer Aussage "die Schwarzen schnackseln halt gern" für einen Sturm der Entrüstung sorgte. Für Turn und Taxis war dies der Grund für das Aids-Problem in Afrika. Auch bei Tönnies ist der schnackselnde Afrikaner schuld. 

Afrikaner werden so als primitive Wesen dargestellt, die aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit durch Weiße gerettet werden müssen – eine rassistisch gefärbte Geisteshaltung, die einer Ideologie der Ungleichwertigkeit in Verbindung mit einer Überlegenheitshaltung entspringt: "Wir" bringen dem Feuerholz sammelnden primitiven Afrikanern die Zivilisation bei. Dass westliche und asiatische Länder am meisten zum Klimawandel beitragen und afrikanische Wälder, während und nach der Kolonialzeit, auch auf Betreiben westlicher Staaten zur Rohstoffgenerierung und dem Anbau von Monokulturen zerstört wurden, fällt dabei unter den Teppich. Anders als Tönnies behauptet, liegt die Geburtenrate Sambias auch nicht bei 14,6, sondern bei bei 4,93 Kindern pro Frau.

Die allgemeine Beschwichtigungs- und Entlastungsrhetorik

Inzwischen gibt es viele Stimmen, die Tönnies in Schutz nahmen und verteidigten. Sie verwendeten eine für die Diskussion typische Beschwichtigungs- und Entlastungsrhetorik. So erklärte Kai Gniffke, Tageschau- und Tagesthemen-Chef, dass Rassismus "eklig, aggressiv und menschenverachtend" sei. Zugleich dürfe man aber nicht alles als Rassismus deklarieren, was man für "gedankenlos", "gestrig" oder für "Altherren-Gewäsch" hält: 

"Dann lässt man die Grenzen verschwimmen, dann lässt man es zu, dass widerliche, gemeingefährliche Rassisten und Hassprediger in der Masse untertauchen. Und was noch schlimmer ist: Man stempelt Menschen ab, die zwar gedankenverloren alte Vorurteile pflegen und Sprüche klopfen, die sich aber niemals mit braunem Mob verbrüdern würden und eine klare Grenze ziehen."

Gniffke reserviert Rassismus damit unzulässigerweise für den "braunen Mob". Ihm behält er es vor, echten Hass zu schüren. Viele Menschen in Deutschland, die von Rassismus betroffen sind, können aber ganze Liederbänder damit füllen, dass ihnen Rassismus nicht nur vom braunen Mob her widerfährt. Ebenso zeigen zahlreiche Studien, dass rassistische Einstellungen auch in der gesellschaftlichen Mitte vorzufinden sind. 

Neben Gniffke versuchten auch andere das Image von Tönnies in Schutz zu nehmen. Es kann eben nicht sein, was nicht sein darf – nämlich, dass rassistische Klänge nicht nur von den Stadionrängen erschallen, sondern auch aus den Mikrofonen der Oberen. So teilte Außenminister a. D. Sigmar Gabriel mit, den Schalke-Chef zum Rassisten zu machen, sei "absoluter Quatsch". Ein solcher Vergleich verniedliche die wahren Rassisten.

Aber ist das wirklich so? Auch hier tritt wieder die von Gniffke getätigte Entlastungsrethorik zu Tage: Rassismus gibt es nur bei den "wahren Rassisten". Dabei geht es eigentlich überhaupt nicht um die Frage, ob jemand Rassist ist, der sich rassistisch äußert. Es geht schlicht darum, auf den fortbestehenden Rassismus hinzuweisen und ihn nicht durchgehen zu lassen. Denn Gestriges kann natürlich rassistisch sein, genauso wie Altherren-Gewäsch. Auch bei gedankenverlorenem Rassismus muss auf rassistische Denk- und Sprachmuster hingewiesen werden können.

Rassismus und Meinungsfreiheit

Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident, verteidigte auf Facebook die Aussage Tönnies' mit dem Recht auf Meinungsfreiheit. Er wende sich "gegen die moralische Impertinenz, mit der sofort die Verfolgung bis hin zur Existenzvernichtung aufgenommen wird". Er erklärte weiter: 

"Wer nur noch Haltung verlangt, statt sich der Auseinandersetzung zu stellen, hat ein Fundamentalprinzip unserer Demokratie nicht verstanden: Meinungen auch dann zu ertragen, wenn sie ekelig sind. Die Grenzen setzt das Strafrecht. Und dass sich Tönnies mit seiner Äußerung strafbar gemacht hat, wirst Du nicht ernsthaft behaupten wollen." 

Tönnies Vermögen wird auf circa 1,6 Milliarden Euro geschätzt – hier von Existenzvernichtung zu sprechen, ist grotesk. Seine unternehmerische Tätigkeit würde zum Beispiel nach einem Verlust des Aufsichtsratsvorsitzes weiter gehen, sein sozialer Achtungsanspruch wäre dadurch ebenfalls nicht unterminiert. Existenzvernichtung sieht anders aus. Es stimmt jedoch, dass eine Meinung zulässig ist, solange sie rechtlich anerkannte Grenzen nicht überschreitet. Dass man sie unterhalb dieser Schwelle "ertragen", sprich etwas Unangenehmes, Quälendes oder Lästiges hinnehmen und aushalten müsste, ist jedoch falsch. Im Gegenteil: Äußerung und Widerspruch, Rede und Gegenrede sind die freiheitlichen Begriffspaare, nicht Äußerung und Hinnahme. Fundamentalprinzip ist also nicht das Ertragen-Müssen einer anderen Meinung, sondern der zivilisierte Streit. 

Stand der heutigen Rassismusdebatte

Bei der deutschen Rassismusdebatte wird kaum bedacht, welche Wirkung bestimmte Aussagen auf die Betroffenen haben. Weiße erklären sich untereinander, was Rassismus gegenüber Schwarzen ist und wie sie diese Dinge aufzunehmen haben. Ein Muster, welches in der Vergangenheit schon öfter anzutreffen war. So verwundert es auch nicht, dass Clemens Tönnies sich nur gegenüber dem Fußballverein Schalke 04 und dessen Fans entschuldigte und nicht gegenüber den schwarzen Deutschen und in Deutschland lebenden Afrikanern. Dabei wäre ein wenig mehr Reflexion nicht nur menschlich angebracht gewesen, sondern hätte auch der aktuellen Debatte gutgetan.