Das mit Spannung erwartete Urteil stellt einen fundamentalen Durchbruch für ein Sterben in Würde dar. Durch die Aufhebung des verfassungswidrigen Sterbehilfe-Paragrafen tritt in Deutschland ab sofort wieder die bis zum 6. November 2015 gültige, menschenfreundlichere Rechtslage in Kraft.
"Das heutige höchstrichterliche Urteil ist ein Schritt nach vorne für all jene, die mehr Selbstbestimmung, Würde und Menschlichkeit am Lebensende einfordern", sagt Wolfgang Obermüller, Sprecher der österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL).
Nun hofft er, dass dieser Richterspruch auch in Österreich wirken wird. Denn in Österreich wird noch in diesem Jahr ein Urteil zur generellen Liberalisierung der Sterbehilfe erwartet. Während in Deutschland zur "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" geurteilt wurde, stehen hierzulande die Paragrafen 77 ("Tötung auf Verlangen") und vor allem 78 ("Mitwirkung am Selbstmord") auf dem höchstrichterlichen Prüfstand, die noch restriktiver waren als der in Deutschland eben gekippte Paragraph.
Die ÖGHL setzt sich für Entkriminalisierung der Sterbehilfe ein und fordert nicht nur einen Rechtsanspruch auf die Ausgabe geeigneter Medikamente, sondern auch auf aktive Sterbehilfe. Dabei betont sie allerdings den ethischen und zeitlichen Vorrang von Palliativmedizin und psychischer sowie emotionaler Betreuung vor jeder Entscheidung zum Freitod.
"Wir sind zuversichtlich, dass auch der österreichische Verfassungsgerichtshof bei seinem Entscheid, mit dem noch in diesem Frühjahr gerechnet wird, das Recht auf einen menschenwürdiges und selbstbestimmtes Lebensende stärken wird", so Obermüller.
16 Kommentare
Kommentare
A.S. am Permanenter Link
Offener Bief an Jens Spahn, Gesundheitsminister:
Sehr geehrter Herr Minister Spahn,
wenn Sie sich aus persönlichen religiösen Gründen trotz dieses Verfassungsgerichtsurteils weiterhin nicht in der Lage sehen, Medikamente für den Suizid an Schwerstkranke freizugeben, sollten Sie von Ihrem Amt als Gesundheitsminister zurücktreten. Sofort.
Nicht gesetzesgetreue Minister haben in einem Rechtsstaat keinen Platz.
Mit freundlichem Gruß,
A.S.
T. S. am Permanenter Link
Spahn müsste sogar zurückgetreten werden, wenn er weiterhin blockiert. Notfalls mit der Mistgabel.
Petra Pausch am Permanenter Link
Das Bundesverfassungsgericht hat ein großartiges Urteil gefällt!
sigrid meißnner am Permanenter Link
Liebe Petra Pausch, auch ich schließe mich voll inhaltlich ihrem Kommentar an. Besonders denke ich heute an Uwe-Christian Arnolds Frau Helga, denn für sie wird es heute auch ein Freudentag sein. Sigrid Meißner
Peter Friedrich am Permanenter Link
Meine (anfechtbare) Meinung zum außergewöhnlichen Urteil von Karlsuhe:
Wunderbar, ein großer Schritt zum humanitären Ideal.
Er bleibt jedoch dabei ein hochgradig verletzliches, schmerzempfindliches und leidensfähiges Wesen innerhalb der zoologischen Taxonomie mit der Bezeichnung Haplorrhini/Trockennasenaffe.
Die Option zur Befreiung von Schmerzen und Qualen muss als elementares Grundrecht erkannt werden.
Wie wir dem Missbrauch dabei begegnen, sollte weiter Thema der öffentlichen Diskussion bleiben.
Im überbordenden Paradigma des kalten Erfolgsdenkens in unserer Gesellschaft besteht die Gefahr, Menschen soweit aus einer Perspektive der Verzweckung zu betrachten, dass der jeweilige Erfolg am ehesten darin zu liegen scheint, einem anderen Menschen missbräuchlich das „selbstbestimmte“ Sterben nahezulegen.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Den beiden Kommentatoren A.S, und Petra Lausch möchte ich mich voll Inhaltlich anschließen.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
An alle Mitstreiter für mehr Selbstbestimmung im Leben - auch an dessen Ende: Gratulation!
Das ist eine wichtige Etappe auf dem Weg zu einem säkularen Staat. Als ich das vorhin las, war mein erster Gedanke bei Uwe-Christian Arnold, der diesen Triumpf der Vernunft nicht mehr miterleben durfte. Meine folgenden Gedanken waren bei all den Organisationen und Einzelpersonen, die unermüdlich mit viel Sachverstand und Empathie für ein würdevolles Lebensende plädiert haben.
Auch wenn der Präsident der Ärztekammer gleich dagegen schießen musste. Es geht schließlich um eine Menge Geld, dass Ärzten entgeht, wenn sich ihre Patienten verkrümeln, bevor der letzte Euro aus ihnen heraustherapiert wurde. Mal sehen, ob er seinen Aufruf zum Gesetzesbruch (wenn der 217 weg ist) aufrechterhält. Oder ob den Christenfritzen im Bundestag noch eine fiese Nummer einfällt, wie man Menschen ihr Lebensende weiterhin ein bisschen vergällen kann...
arnulf am Permanenter Link
Bernd Kammermeier: Warum müssen Sie auch hier wiederholt zu diffamierenden und unsachlichen Beiworten greifen ?
Karlheinz B. am Permanenter Link
Jetzt werden sie vor Wut aufheulen, die Religioten und sogenannten Lebensschützer. Dazu kommt eine schallende Ohrfeige für unseren famosen Bundesgesundheitsminister.
Konrad Schiemert am Permanenter Link
Der nächste Schritt v. H. Spahn wird ein Verbot der "Werbung" für die Sterbehilfe sein.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Irgend so etwas. Könnte ich drauf wetten. Die Typen kochen grad for Wut - und die Pfaffen erst...
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin, Herr Hans Trutnau,
der Gegenangriff der Pfaffen und der C-Parteien wird kommen, denn mit dem Urteil
bricht eine riesige Geldquelle für die Kirchen weg. Es ist nicht mehr hinzunehmen, dass die Paffen mit ihrer verkorksten Einstellung zum Sterbeprozeß immer noch für
für das ganze deutsche Volk ihren Kommentar absetzen können, obwohl die Gemeinschaft der Gläubigen ständig schrumpft. Es bleibt den Christen offen, sich im Sterbeprozeß für ein langes und großes Leiden zu entscheiden, um nah bei ihrem Jesus sein zu können. Mit einer gelebten Selbstbestimmung können die
"Schäfchen" schlecht umgehen. Sie brauchen ständig die Bevormundung!
Viele Grüße
Arno Gebauer
Hans Trutnau am Permanenter Link
Moin, Herr Gebauer,
der "der Gegenangriff der Pfaffen und der C-Parteien" (u.a. mit J. Spahn) ist ja leider schon in vollem Gange, wie ich grad unten erwähnte.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Der Bundestag hatte 2015 mit der Verabschiedung des § 217 grundgesetzwidrig entschieden.
Will sagen, zumindest in 2015 war die Mehrheit der MdBs GG-feindlich eingestellt.
Weiteres deutet sich ja schon an.
Spahn hatte bisher das *verpflichtende* Urteil des BVerwG vom März 2017 (dass z.B. Pentobarbital an schwerstkranke Sterbewillige abzugeben sei) systematisch unterlaufen.
Er will jetzt offenbar aus der lt. heutigem BVerfG-Urteil verneinten Pflicht einer Suizid-Unterstützung ableiten, dass diese Nicht-Pflicht auch für Behörden gelte (ab min 2:20 in der Pressekonferenz: https://www.youtube.com/watch?v=U6yrSCP99b0).
Er ist m.E. ein notorischer Grundgesetzbrecher und Urteilsignorant.
Und somit für einen Rechtsstaat untragbar.
Zudem wird so getan / argumentiert, als drohe jetzt ein Dammbruch.
Dabei hat das aktuelle BVerfG-Urteil mit der Nichtigkeit des § 217 lediglich den Zustand von vor 2015 wiederhergestellt.
Schon damals drohte nirgendwo ein Dammbruch.
Aber die auch religiöse Reconquista wird nicht aufgeben; sie formiert sich gerade zum Gegenschlag...
Die Situation ist einigermaßen grotesk.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Endlich, endlich hat sich mal nicht die kirchliche Gesinnungstruppe mit ihren auf erfundenen Legenden beruhenden Dogmen durchgesetzt.
Mutig muss man das Urteil der Bundesverfassungsrichter nennen. Aber offenbar war der Widerspruch zwischen dem in der Verfassung festgeschriebenen Selbstbestimmungsrecht einerseits und den Wünschen der christlich-religiös einseitig fixierten Politiker andererseits so eklatant, dass die Verfassungsrichter nicht als willige Helfer eines streng kirchenstaatlich denkenden Gesetzgebers in die Geschichte des Bundesverfassungsgerichts eingehen wollten.
Ein großer Sieg gegen die Kirchen und ihre Stützen in der Politik.
Wolfgang am Permanenter Link
Die Kirchen und strenge RKK Anhänger werden solange wüten, bis es wieder zum Alten kommt. In einer Demokratie gibt es Regeln . "Ich denke aber nicht dran. " Jens Spahn