Religionsfreier Franzose muss in Deutschland nun doch keine Kirchensteuer zahlen

Erfolgreicher Kampf gegen Kirchensteuer

Fünf Jahre hat der konfessionslose Franzose Thomas Bores gegen das Erzbistum Berlin gekämpft, das ihn zur Kirchensteuerzahlung verpflichten wollte. Nach starker negativer Medienberichterstattung über den Fall hob das Erzbistum nun Ende Februar den Kirchensteuerbescheid auf. Thomas Bores ist kein Einzelfall. Seit Jahren machen die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland vor allem Ausländer und ehemalige DDR-Bürger zu Zwangskonfessionalisierten, um von ihnen Kirchensteuer zu kassieren.

Thomas Bores zog von Frankreich nach Deutschland und musste plötzlich Kirchensteuer zahlen. Warum? Er war unwissentlich Zielperson der Rasterfahndung der beiden Großkirchen im Land Berlin geworden. Bores wurde zwar in Frankreich römisch-katholisch getauft, hat aber seit jeher eine atheistische Überzeugung und trägt diese auch nach außen. Zur katholischen Kirche hatte er weder in Frankreich noch in Deutschland je einen Bezug. Im laizistischen Frankreich gibt es seit dem Jahr 1789 keine Kirchensteuer mehr. Ein offizieller Austritt aus der katholischen Kirche ist nach dem französischen staatlichen Recht nicht vorgesehen. Als Bores im Jahr 2013 seinen Wohnsitz von Frankreich nach Deutschland verlegte, gab er im Rahmen seiner meldebehördlichen Anmeldung beim Bezirksamt in Berlin an, konfessionslos zu sein. Trotz der gegenüber der Meldebehörde angegebenen Konfessionslosigkeit übersandte die Kirchensteuerstelle beim Finanzamt Prenzlauer Berg ihm einen Fragebogen zur Feststellung der Zugehörigkeit zu einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft. Darin wurde er unter anderem nach seiner Religionszugehörigkeit, seinem Geburtsort und den Personalien seiner Eltern zum Zeitpunkt seiner Geburt gefragt.  

Dabei berief sich die Kirchensteuerstelle auf die §§ 88, 90 der Abgabenordnung (AO) und zitierte diese Normen auch. Nach § 88 Abs. 1 AO ermittelt die "Finanzbehörde" den Sachverhalt von Amts wegen. Eine Anmaßung der Kirche. Aufgrund dieser Formulierung und aufgrund der Tatsache, dass die Kirchensteuerstelle unter derselben Adresse firmiert wie das Finanzamt (obwohl es sich um eine rein kirchliche Einrichtung handelt) ging Bores irrtümlich davon aus, dass es sich um ein staatliches Auskunftsersuchen, das erzwingbar ist, handele und beantwortete dieses. Auch im Rahmen dessen gab er an, konfessionslos zu sein. Eine Aufklärung darüber, dass das Schreiben tatsächlich von einer Religionsgemeinschaft stammte und es deshalb keinerlei rechtliche Verpflichtung gab, das Schreiben zu beantworten, erfolgte zu keinem Zeitpunkt.

Dennoch beantragte das Erzbischöfliche Ordinariat zur Feststellung der Kirchenmitgliedschaft Auskunft aus dem Taufregister bei der Diözese in seinem Geburtsort in Frankreich und forderte im Falle der Ermittlung eines Taufeintrages die Übersendung einer Kopie der Taufbescheinigung an. Anstatt sich bei etwaigen Zweifeln betreffend die Religionszugehörigkeit an Bores selbst zu wenden, wurde in einem grenzüberschreitenden, internen Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen deutsches und europäisches Datenschutzrecht eine kirchliche Fahndung durchgeführt.

Die Diözese in Frankreich übersandte dem Erzbistum eine Taufbescheinigung, weshalb Bores für das Jahr 2014 Kirchenlohnsteuer von seinem Gehalt abgezogen wurde. Der monatliche Abzug endete erst, als er beim Amtsgericht seinen Austritt aus der deutschen katholischen Kirche erklärte, obwohl er nie Mitglied dieses deutschen Kirchensteuerverbandes geworden war.

Deshalb reichte Bores, unterstützt durch das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw), im Juni 2016 Klage beim Verwaltungsgericht Berlin gegen den Kirchensteuerbescheid ein. Das Verwaltungsgericht blieb jedoch untätig. Trotz Verzögerungsrügen hat das Gericht den Fall bis heute nicht verhandelt.

In einer Wendung des Verfahrens von Thomas Bores teilte das Erzbistum Berlin Ende Februar 2020 mit, dass der Kirchensteuerbescheid aufgehoben wurde. Aufgrund der Aufhebung des Kirchensteuerbescheides, muss das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht für erledigt erklärt werden. Die vom ifw final angestrebte verfassungsgerichtliche Überprüfung der Praxis der Rasterfahndung und der Zwangskonfessionalisierung von Ausländern ist auf diesem Wege zwar nicht mehr möglich. Bores sagt dazu: "Ich freue mich, dass die Katholische Kirche zur Vernunft gekommen ist und hoffe, dass die Kirchensteuerstelle Berlin ihre Rasterfahndung stoppt." Auch das ifw bewertet die Aufhebung als Erfolg. Die Erfolgsformel war die Bereitschaft des Betroffenen zu fünf Jahren juristischen Ringens, die Unterstützung durch säkulare Organisationen und die große öffentliche Resonanz in mehreren Wellen kirchenkritischer Medienberichterstattung.

Das Parallelverfahren über die Zwangskonfessionalisierung einer ehemaligen DDR-Bürgerin

Was jedoch jüngst vor dem Verwaltungsgericht Berlin zur Verhandlung kam, ebenfalls nach mehreren Verzögerungsrügen, ist ein vom ifw unterstütztes Parallelverfahren: Hier war eine ehemalige DDR-Bürgerin Opfer der Rasterfahndung der Berliner Großkirchen geworden und musste nach knapp 60 Jahren ihres Lebens als Konfessionsfreie plötzlich Kirchensteuer nachzahlen. Warum? Auch sie hatte plötzlich einen Fragebogen der Kirchensteuerstelle im Finanzamt erhalten und diesen wahrheitsgemäß beantwortet. Nachdem die Evangelische Kirche auf diesem Weg die Personalien ihrer Eltern und ihren Geburtsort ermittelt hatte, sandte sie eine Anfrage an die Kirchengemeinde des Geburtsortes. Im Rahmen dieser Datenabfrage erhielt sie die Auskunft, dass die Betroffene in der DDR getauft worden war. In der "Seelenkartei" (SPIEGEL 29/2019) des Taufpfarramtes war neben ihrer Taufe nur der Austritt ihrer Eltern vermerkt, nicht jedoch ihr eigener Austritt. Die Eltern traten aus der evangelischen Kirche aus, als die Betroffene noch ein Kleinkind war. Von einer Kirchenmitgliedschaft hatte die Frau ihr ganzes Leben lang keine Kenntnis. Auch an die Taufe konnte sie sich – selbstredend – nicht erinnern. Sie wurde religionsfrei erzogen und legte im religionsmündigen Alter das Jugendweihe-Gelöbnis ab. Einen Bezug zur Kirche hatte sie nie. Sie wurde weder in den staatlichen Registern noch den kirchlichen Gemeindegliederverzeichnissen als Kirchenmitglied geführt. Das Verwaltungsgericht kümmerte das nicht. Auch die datenschutzrechtliche Problematik der Rasterfahndungspraxis fegte es vom Tisch. Es entschied, dass die Betroffene trotz des Austritts ihrer Eltern im Kleinkindalter und trotz fehlender Kenntnis Kirchenmitglied geblieben sei (Az.: 27 K 292.15). Jedoch kann von einer freiwilligen Mitgliedschaft dabei keine Rede mehr sein. Prozessvertreter und ifw-Beirat Eberhard Reinecke sagt: Der freie Wille kann nur dort gebildet werden, wo Alternativen erkennbar sind. Eine Entscheidung über die Mitgliedschaft kann ich nur treffen, wenn ich weiß, dass ich in der Kirche bin.

Bei der Auswertung des Verwaltungsgerichtsurteils kam das ifw zu dem Ergebnis, dass die Begründung des Gerichts grob fehlerhaft ist. Mit Schriftsatz vom 2. März 2020 hat Rechtsanwalt Reinecke deshalb für die Klägerin Rechtsmittel eingelegt.

Soweit liegt auch hier ein eindeutiger Fall von Zwangskonfessionalisierung vor, wie es ihn in einem säkularen Rechtsstaat nicht geben dürfte. So fragte die Klägerin in ihrer Stellungnahme: "Ich lebe doch jetzt in einem Rechtsstaat, oder?" und "All das kann nicht Recht sein. Und wenn es Recht ist, müssen die Volksvertreter das Gesetz ändern."

Zusammenhang zwischen den beiden Verfahren

Bereits jetzt dürfte für die Kirche der Imageschaden und der finanzielle Schaden durch Austritte von Kirchenmitgliedern, die sich von dem kirchlichen Inkasso-Vorgehen abgestoßen fühlen, enorm sein, was den bloggenden Theologen Dierk Schäfer jüngst zu der Aussage veranlasste: "Eine Kirche, die solche Juristen hat, braucht keine Feinde". Sogar auf dem Internetportal der katholischen Kirche katholisch.de ist die Rede von einer "desaströsen Außenwirkung" und "unsinnigen Rechtsstreitigkeiten". Der kirchliche Kommentator Felix Neumann resümierte: "Das Bild der primär an Geld interessierten Kirche wird bestätigt." Er empfahl deshalb: "Schon aus strategischem Eigeninteresse wären die Kirchen also gut beraten, ihr Recht weniger prinzipiell vor Gerichten durchzusetzen".

Nun, die katholische Kirche war sich offenbar nicht mehr sicher, ob sie vor Gericht "ihr Recht" bekommt. Hat die katholische Kirche aus den Fehlern der evangelischen Kirche gelernt und aus diesen Gründen den Steuerbescheid gegen Thomas Bores zurückgenommen? Oder was verbirgt sich hinter den "kirchlichen Erwägungen" in der offiziellen Begründung des Erzbistum Berlin bei der Aufhebung des Kirchensteuerbescheids?

Die Kirche bleibt bei diesen taktischen Zugeständnissen jedoch in einem Dilemma gefangen, solange sie sich nicht strategisch auf die heutigen gesellschaftlichen Realitäten einstellt. Wie wirkt es auf die Kirchenmitglieder und die Politik, wenn die Eintreibung der Kirchensteuer derart hart gegen Konfessionsfreie durchgesetzt werden soll und dann zukünftig willkürlich von der Kirchenleitung nach Jahren der Auseinandersetzung aufgehoben wird, sobald der juristische und mediale Schaden zu groß ist? Wie wirkt das kirchliche Zugeständnis in diesem Fall von Thomas Bores? Und im nächsten Fall? Und im übernächsten Fall ...

Oder der politische Schaden: Denn vielleicht steigt in diesen speziellen Berliner Fällen auch die Sorge, dass durch die allgemeine Verärgerung über das Vorgehen der Kirchen in einer weitgehend konfessionsfreien Stadtgesellschaft weitere politische Sondierungen im Berliner Senat ausgelöst werden, die dann zu einer Abschichtung der Kirchenprivilegien durch das Parlament führen? Per Mehrheitsbeschluss wäre die kirchliche Inkasso-Praxis umgehend beendet.

Und diese Fragen stellen sich mit immer größerer Dringlichkeit. Was wäre für die Politik und den Rechtsstaat zu tun?

Auftrag an die Politik: Überkommene Kirchenprivilegien abschichten und Betroffene über die Risiken der Zwangskonfessionalisierung aufklären

Die Kirchenprivilegien beim staatlichen Einzug der Kirchensteuer (also faktisch der Inkassoservice zum Eintreiben der Mitgliedsbeiträge einer religiösen Weltanschauungsgemeinschaft) stehen im Konflikt mit dem Trennungsgebot von Staat und Religion und den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen. In Städten wie Berlin und weiteren Landesteilen ist die Mehrheit der Bevölkerung konfessionsfrei – mit steigender Tendenz.

Selbst wenn der Gesetzgeber den staatlichen Einzug der Kirchensteuer erstmal beibehalten will, sind Reformen der staatlichen Austrittsregelungen angeraten, welche dem Willen und dem Selbstbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger hinreichend Rechnung tragen, und auch solche Fälle wie den der ehemaligen DDR-Bürgerin vermeiden würden. Eine der aktuellen Reformoptionen sieht das Entstehen der Kirchensteuerpflicht nur bei Bejahung der Kirchenzugehörigkeit durch den Religionsmündigen ab dem 14. Lebensjahr vor (vgl. "Staatliches Kirchensteuerrecht an die Rechtswirklichkeit anpassen" S. 269 ff. in: "Aktuelle Entwicklungen im Weltanschauungsrecht". Herausgegeben von Dr. Jacqueline Neumann, Ri. a. D. Dr. Gerhard Czermak, Prof. Dr. Reinhard Merkel, Prof. Dr. Holm Putzke. Nomos Verlag 2019).

Darüber hinaus geht es aber auch um Reformen zum Schutz von zuziehenden Ausländern, wie im Fall des Franzosen Thomas Bores. Ist es Ausländern aus der EU oder Drittstaaten beim Umzug nach Deutschland zuzumuten, in Deutschland aus einer Kirche auszutreten, in die sie nie eingetreten sind? Ist es ihnen zuzumuten, jahrelange und kostspielige juristische Auseinandersetzungen mit der Kirche zu führen, um keine Kirchensteuer zahlen zu müssen? Oder trifft den Staat hier nicht eine Pflicht, die Betroffenen zu schützen oder zumindest aufzuklären? Eine Kirchensteuer, die wie in Deutschland staatlich eingezogen wird, ist weltweit nahezu einzigartig und in den staatskirchlichen Verquickungen und Verästelungen selbst für deutsche BürgerInnen (und RichterInnen) kaum mehr nachvollziehbar.

Wie dem Franzosen Thomas Bores ergeht es vielen zuziehenden Konfessionsfreien, die das deutsche Kirchensteuerrecht nicht kennen und nicht ahnen, dass sie mit Grenzübertritt plötzlich kirchensteuerpflichtig sind, nur weil sie als Baby oder Kleinkind in ihrem Heimatland womöglich getauft wurden. Wie können sie auch ahnen, dass nach deutschem Recht eine ihrer ersten Handlungen nach dem Grenzübertritt der Gang zum Amtsgericht und die Erklärung eines Kirchenaustritts sein müsste? 

Angesichts der Auswüchse des deutschen Kirchensteuersystems scheint es mittlerweile angebracht, dass der Staat Zuziehende über die Risiken der Zwangskonfessionalisierung in Deutschland aufklärt. Dies könnte beispielsweise dergestalt geschehen, dass jeder Zuziehende, der sich beim Einwohnermeldeamt anmeldet und dort nach seiner Religionszugehörigkeit gefragt wird, ein Informationsblatt erhält, das ihn über das geltende deutsche Kirchensteuerrecht und Rechtsschutzmöglichkeiten aufklärt. Im Land Berlin, dem einzigen Bundesland, in dem die beiden Großkirchen in ihren Kirchensteuerstellen bei den Finanzämtern die Rasterfahndung betreiben, müsste das Informationsblatt zudem über das kirchliche Fragebogenverfahren und den damit einhergehenden Datenaustausch mit dem Heimatland aufklären. Denn bekanntermaßen reicht den Kirchen in Berlin der Personeneintrag in den staatlichen Melderegister nicht als Beleg aus. Sie versenden ihre umstrittenen Fragebögen zur Feststellung der Religionszugehörigkeit auch dann, wenn Personen vom Staat bereits als konfessionsfrei geführt werden.

In Zeiten, in denen im Verbraucherschutz über Lebensmittelampeln zur Kennzeichnung gesunder und ungesunder Produkte diskutiert wird, erscheint die skizzierte Aufklärung als überfällige Maßnahme zum religiösen Verbraucherschutz. (ifw/JN)