Covid-19: Infektionsherd Zoo?

Zoos zählen zu den meistbesuchten Freizeiteinrichtungen hierzulande: Wie in Freibädern oder Fußballstadien kommen hier an Spitzentagen zehntausende Menschen auf relativ beengtem Raum zusammen. Sehr zu Recht wurden deshalb Zoos und zooähnliche Einrichtungen Mitte März 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen. Allerdings nicht aus eigenem Antrieb: Während Zoos in Österreich bereits am 12. März schlossen, warben hiesige Zoos noch Tage später mit angeblich risikolosem Besuch ihrer Einrichtungen. Die meisten Zoos hierzulande machten erst am 17. März dicht, und dies auch erst auf behördliche Anordnung hin. Zugleich drängten sie vom ersten Tage an auf schnellstmögliche Wiedereröffnung. Und natürlich auf staatliche Hilfen.

Der Verband der zoologischen Gärten (VdZ), Dachverband der 56 größeren Zoos hierzulande, trat umgehend mit der Forderung nach einem staatlichen Soforthilfeprogramm in Höhe von (vorläufig) 100 Millionen Euro auf den Plan, um die "wirtschaftlich angespannte Lage" zu überbrücken. Andere Zooverbände sowie eine Vielzahl einzelner Zoos – in Deutschland gibt es nicht weniger als 865 Zoos und zooähnliche Einrichtungen – schlossen sich diesen Forderungen an.

Argumentiert wurde durchwegs mit der angeblichen Rolle der Zoos in "Artenschutz" und "Erhalt der Biodiversität", die durch die schließungsbedingten Einnahmeausfälle bedroht sei; überdies mit dem hohen Freizeit- und Erholungswert der Zoos, der deren Erhalt unverzichtbar mache. Um der Forderung nach staatlicher Soforthilfe Nachdruck zu verleihen, begannen einzelne Zoos, eine maximale Drohkulisse aufzubauen: sollten sie keine oder nicht ausreichend Hilfsgelder bekommen, würden sie zooeigene Tiere schlachten und an andere Tiere verfüttern; beziehungsweise Zootiere vorsorglich töten, um sie nicht verhungern lassen zu müssen.

Ebendiese Androhung, federführend vorgetragen durch den VdZ-Zoo Neumünster, ging indes krachend nach hinten los. Anstatt wie geplant über derlei moralischen Erpressungsversuch den Druck auf die politischen Entscheidungsträger erhöhen zu können, die geforderten Gelder umgehend bereitzustellen, schwappte ein Tsunami öffentlicher Empörung über den Zoo Neumünster herein. Dessen Direktorin hatte von einer bereits erstellten "Rangliste" der zu tötenden Tiere gesprochen.

Zootiere töten?

Eiligst versuchte sich der VdZ in Schadensbegrenzung und verlautbarte, man sollte mit "so einem Szenario 'Gebt uns Geld oder wir töten unsere Tiere' weder in die Medien noch in die Politik gehen". Der VdZ distanzierte sich insofern nur von der Öffentlichmachung der Tötungspläne, nicht aber von diesen an sich; zumal Tötung und Verfütterung eigens dafür gezüchteter "Futtertiere" innerhalb des Zoowesens gang und gäbe ist. Seit Jahren schon tritt der VdZ dafür ein, neben solchen "Futtertieren" (Mäuse, Hamster, Kaninchen, Schafe, Ziegen et cetera, dazu Huftiere und bestimmte Vögel) auch andere "überzählige" Zootiere töten und verfüttern zu dürfen. Gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes dürfen Zoos keine Tiere töten – mit Ausnahme besagter "Futtertiere" – sofern sie nicht von einem nicht behandelbaren Leiden erlöst werden müssen (Euthanasie). Zoos würden sich strafbar machen, wenn sie aus anderem Grunde zooeigene Tiere töten würden. Der Vorstoß des Zoos Neumünster sollte insofern nicht nur eine maximale Droh- und Druckkulisse zum Abgreifen staatlicher Hilfsgelder aufbauen, sondern, gewissermaßen durch die Hintertüre, auch das im Tierschutzgesetz verankerte Tötungsverbot der Zoos aushebeln.

Nachdem nun der Vorstoß des Zoos Neumünster in der Öffentlichkeit so große – und in ihrer Dynamik von den Zoos wohl falsch eingeschätzte – Empörung ausgelöst hatte (selbst international wurde kritisch darüber berichtet), beeilten sich auch andere VdZ-Zoos (unter anderem Köln, München und Berlin), auf größtmögliche Distanz dazu zu gehen. Der Münchner Tierpark Hellabrunn bezeichnete derlei Pläne als "vollkommen absurd". Laut Direktorin des Zoos Neumünster gibt es gleichwohl auch in anderen Zoos entsprechende "Notfallpläne" zur Schlachtung und Verfütterung von Zootieren, die ja auch in Einklang stünden mit der im "Normalfall" üblichen Zoopraxis, sogenannte "Futtertiere" zu schlachten und zu verfüttern (siehe "Zoos sind Schlachthäuser").

Kaum hatte sich die Aufregung um den missglückten Vorstoß des VdZ-Zoos Neumünster etwas gelegt, startete der VdZ, diesmal zusammen mit der Deutschen Tierpark-Gesellschaft und dem Deutschen Wildgehege-Verband, einen weiteren dringenden Appell an Bundesregierung und Bundesländer, "ein Soforthilfeprogramm für alle Zoos und Tierparks aufzulegen".

An dieser Stelle sei ein Blick auf die letztvorliegende Jahresbilanz (2018) beispielsweise der Berliner zoologischen Einrichtungen (Zoo, Tierpark, Aquarium) geworfen, die als gewinnorientierte Kapital- beziehungsweise Aktiengesellschaft firmieren und ohnehin fortlaufend in Millionenhöhe aus öffentlichen Geldern subventioniert werden: Eigenkapital 63,7 Millionen, Anlagevermögen 60,1 Millionen, Umlaufvermögen 22,9 Millionen, Gewinnrücklagen 58,6 Millionen, Einnahmen 32,7 Millionen. Andere Zoos hierzulande sind ganz ähnlich aufgestellt. Die Forderung nach Staatsleistungen zur Überbrückung corona-bedingter Einnahmeausfälle erscheinen hier wenig angebracht.

Infektionsrisiken im Zoo

Ein kaum in öffentlichem Gewahrsein stehendes Problem der Haltung von Wildtieren in Zoos ist das für alle Beteiligten bestehende Infektionsrisiko. Sowohl das Zoopersonal (Pfleger, Tierärzte et cetera) als auch die Besucher unterliegen der steten Gefahr, sich bei einem der Tiere mit einer infektiösen Krankheit anzustecken; wie umgekehrt auch die Tiere Gefahr laufen, von einem Menschen angesteckt zu werden. Derzeit sind etwa 200 zoonotische Erkrankungen bekannt, die, verursacht durch Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten oder pathogene Prionen, vom Tier auf den Menschen und vom Menschen auf das Tier übertragen werden können.

In Zookreisen ist man sich des Problems durchaus bewusst, bemüht sich aber nach Kräften, es nach außen hin zu verheimlichen oder kleinzureden. Schon 2001 wiesen die Tierärzte der Zoos Landau (Dr. Jens-Ove Heckel) und Stuttgart (Dr. Wolfram Rietschel) in einem zoointernen Fachbeitrag auf die enormen Infektionsrisiken hin, die insbesondere mit der Haltung von Affen einhergingen: "Wegen der nahen Verwandtschaft zwischen Mensch und Affe kommt den Zoonosen beim Umgang mit Primaten eine besondere Bedeutung zu. Nahezu alle Infektionskrankheiten des Menschen lassen sich auf Affen übertragen. Andererseits kommt es beim Menschen immer wieder zu Infektionen mit bei Primaten verbreiteten Krankheitserregern." In Affenhaltungen zoologischer Gärten, so die Veterinäre, finde sich ein "breites Spektrum an Infektionskrankheiten", was dazu führe, "dass in den verschiedensten alltäglichen Situationen in unseren Zoos und Tiergärten im Umgang mit den gehaltenen Tieren Zoonoseinfektionsgefahren liegen können". (Der Beitrag auf www.zookunft.info ist – bezeichnenderweise – nicht mehr abrufbar.)

Orang Utan hinter Gittern
Menschenaffen sind hochgradig gefährdet (Foto: © Archiv GAP)

Tatsächlich dringen zoonotische Erkrankungsfälle in Zoos nur selten an die Öffentlichkeit. Dass es sie gleichwohl und unvermeidbarerweise gibt, bestätigte ein Zootierarzt vor dem Landgericht Augsburg: während seiner Dienstzeit im örtlichen Zoo habe es bei den Affen eine offene und hochansteckende Tuberkulose gegeben, gegen die die Zooleitung nicht beziehungsweise nicht angemessen vorgegangen sei; sogar ein Tierinspektor sei seinerzeit mit Tuberkulose infiziert worden. Ehemalige Zoo-Mitarbeiter sprechen insofern von immer wieder auftretenden "Seuchen", bei denen vor allem darauf geachtet werde, dass die Öffentlichkeit nichts erfährt.

Ende August 2013 etwa brach bei den Bonobos des Berliner Zoos aus nicht bekanntem beziehungsweise nicht bekannt gegebenem Grunde eine hochinfektiöse Shigellose (Bakterienruhr) aus, an der sämtliche Tiere erkrankten. Erst eine Woche später und erst, nachdem zwei Pfleger sich angesteckt hatten, wurden die Behörden und die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. Die Bakterienruhr zählt zu den meldepflichtigen Erkrankungen, sie kann bei Mensch und Menschenaffe tödlich verlaufen.

Distanz zu exotischen Wildtieren

Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) fordert mehr Distanz zu exotischen Tierarten: Rund 70 Prozent aller Erreger stammten ursprünglich aus dem Tierreich. Vor diesem Hintergrund sei es problematisch, dass es immer engeren Kontakt zu exotischen Tierarten gebe. Der RKI-Präsident fordert, stärker gegen illegalen Tierhandel vorzugehen. Zu ergänzen wäre: Selbstredend ist auch gegen den "legalen" Wildtierhandel vorzugehen, wie er über Wildtierbörsen (für Aquarianer, Terrarianer und so weiter) oder den Heimtierhandel (Dehner, Zajac et cetera) betrieben wird; und wie er zum Tagesgeschäft von Zoos und Tiergärten gehört: Wildtiere werden weltweit von einem Zoo zum nächsten verfrachtet, vielfach werden auch immer noch Tiere für Zoos der freien Wildbahn entnommen (sogenannte "Wildfänge"). Durch solchen Tierhandel von Zoo zu Zoo beziehungsweise mit Tieren aus der freien Wildbahn könnten sich weltweit neue Erreger verbreiten.

Direkter Kontakt: Mensch sticht Affe mit Bleistift

In vielen Zoos ist direkter Kontakt zu Wildtieren möglich: Hier sticht ein Mensch einem Orang-Utan mit einem Bleistift in den Rücken (Foto: © Archiv GAP)

In anderen Worten: Die überwiegender Mehrzahl aller neuen Infektionskrankheiten ist nachweislich zoonotischen Ursprungs, das heißt sie sind vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Ob das nun "Vogel-" oder "Schweinegrippe" war, SARS, MERS, HIV oder Ebola – immer hatte es damit zu tun, dass Tiere extrem intensiv oder in großer Menge bejagt, gehalten oder gehandelt werden, um vom Menschen genutzt beziehungsweise verspeist zu werden.

Zu behaupten, wie der Zoo Berlin es noch Mitte März tat, es sei der "aktuelle wissenschaftliche Stand, dass dieses Virus (gemeint ist Corona, Anmerkung des Autors) nicht auf Tiere übertragen werden kann", war und ist indes gerade im Zusammenhang mit Menschenaffen eine grob fahrlässige Irreführung: Vielmehr ist es höchstwahrscheinlich, dass Corona-Viren (wie dies für viele andere Infektionskrankheiten als erwiesen gilt) unmittelbar von Menschen auf Menschenaffen übertragen werden können, und umgekehrt.

Schon Untersuchungen im Jahr 2008 ergaben den ersten direkten Nachweis einer Virusübertragung vom Menschen auf Wildaffen. Seitdem haben häufig vorkommende menschliche Atemwegsviren tödliche Ausbrüche bei wilden Menschenaffen verursacht, die sich an Menschen gewöhnt haben. 2016 berichteten Wissenschaftler über die Übertragung eines menschlichen Corona-Virus auf wilde Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste.

Zoos sind keine sicheren Orte

Am 6. April 2020 ging die Nachricht über den Ticker, dass ein Tiger in einem Zoo in New York mit dem Corona-Virus infiziert worden sei. Eine vier Jahre alte malaysische Tigerkatze sei positiv auf das Virus getestet worden, teilte der Bronx Zoo mit. Wahrscheinlich habe ein Pfleger das Virus in sich getragen, aber keine Symptome für eine Covid-19-Erkrankung gezeigt.

Tiger

Ein Tiger wurde mit Covid-19 angesteckt (Foto: © Archiv GAP)

Was bedeutet das für andere in Zoos gehaltene Wildtiere (auch und vor allem für die besonders gefährdeten Menschenaffen)? Dass auch sie sich über infiziertes Zoopersonal anstecken können, und infizierte Zootiere (aller Wahrscheinlichkeit nach) umgekehrt Zoopersonal und (nach Wiedereröffnung der Zoos, die es irgendwann einmal geben wird) auch Besucher anstecken können.

Zoos, dies eine der Lehren aus der Corona-Krise, sind keine sicheren Orte: weder für Mensch noch Tier. Sie sollten dauerhaft geschlossen bleiben beziehungsweise mittelfristig komplett abgewickelt werden. Jedenfalls dürfen keine staatlichen Hilfen gegeben werden, um sie künstlich über Wasser zu halten.

Zoos abwickeln

Sollten die Zoos tatsächlich öffentliche Gelder erhalten – über die millionenschweren Subventionen hinaus, die sie ohnehin fortlaufend beziehen –, dann nur und ausschließlich, um die Versorgung der Tiere zu gewährleisten, verbunden mit der Auflage, den Tierbestand über sofortigen Nachzucht- und Importstop radikal zu verringern und letztlich auf eine Komplettabwicklung der Zoos in ihrer bisherigen Form hinzuarbeiten. Zoos mit exotischen Wildtieren sind potentielle Brutherde für zoonotische (Mensch-Tier-Mensch) Infektionskrankheiten und dürfen nicht wie in Vor-Corona-Zeiten weitergeführt werden.

Nochmal: Keinerlei staatliche Hilfen (also Steuergelder) zur Fortführung der Schaubetriebe von Zoos und zooähnlichen Einrichtungen. Die Fürsorge der Allgemeinheit hat sich darauf zu beschränken, dass die in Zoos (oder anderweitig, in Tierheimen etwa) untergebrachten Tiere versorgt bleiben. Perspektivisch aber sollten Zoos, nicht zuletzt ihrer immanenten Infektionsrisiken (Zoonosen) wegen, rückgebaut und letztlich komplett abgewickelt werden.

Wie wäre das machbar? Zoos verlieren jährlich auf "natürlichem Wege" bis zu 25 Prozent ihres Tierbestandes. Würde konsequent nicht nachgezüchtet oder neuimportiert, wären die Zoos, bis auf ein paar längerlebige Spezies, die in (gegebenenfalls eigens einzurichtende) Reservate verbracht beziehungsweise auf den zu Reservaten umgestalteten Zoogeländen verbleiben könnten, in vier Jahren leer. Kein Tier würde eingeschläfert werden und kein Tier würde verhungern, wenn von Pleite bedrohte oder pleitegegangene Zoos kontrolliert abgewickelt würden. Dem (gerne auch steuerbegünstigten) Erhalt der Parkanlagen als allgemeinzugängige Freizeit- und Erholungsräume ohne Zurschaustellung gefangengehaltener Wildtiere stünde nichts entgegen. Auch der Erhalt von Zoo-Infrastruktur zur Beherbergung beziehungsweise Rehabilitation notleidender Wildtiere – ohne Schaustellungsbetrieb – wäre denkbar.

Wiedereröffnung von Zoos?

In den meisten Bundesländern bleiben die Zoos auf noch unabsehbare Zeit geschlossen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz dürfen Besucher unter strengen Auflagen seit kurzem wieder eingelassen werden. Streichelgehege und Tierhäuser, in denen die gegenseitige Ansteckungsgefahr Mensch-Tier-Mensch am größten ist, bleiben überall geschlossen.

Als Sofortmaßnahme müssten die Hygienestandards in Zoos und zooähnlichen Einrichtungen – ob nun mit oder ohne Publikumsverkehr – drastisch erhöht werden. Tierhäuser sollten von Zoopersonal wie von (später wieder zugelassenen) Besuchern nur noch mit Mund-/Nase-Masken, Latexhandschuhen, Schuhüberziehern und über Desinfektionsmatten vor den Eingängen betreten werden dürfen. Nach Berichten von Besuchern kürzlich wiedereröffneter Zoos wird dies erkennbar nirgendwo mit der erforderlichen Konsequenz umgesetzt. Nicht einmal das Zoopersonal selbst hält sich daran.


Ergänzung der Redaktion: Laut NDR hat der Tierpark Neumünster nach einer Spendenwelle und seiner Wiedereröffnung den Antrag auf staatliche Soforthilfen inzwischen zurückgezogen.

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