Zoos zählen zu den meistbesuchten Freizeiteinrichtungen hierzulande: Wie in Freibädern oder Fußballstadien kommen hier an Spitzentagen zehntausende Menschen auf relativ beengtem Raum zusammen. Sehr zu Recht wurden deshalb Zoos und zooähnliche Einrichtungen Mitte März 2020 für den Publikumsverkehr geschlossen. Allerdings nicht aus eigenem Antrieb: Während Zoos in Österreich bereits am 12. März schlossen, warben hiesige Zoos noch Tage später mit angeblich risikolosem Besuch ihrer Einrichtungen. Die meisten Zoos hierzulande machten erst am 17. März dicht, und dies auch erst auf behördliche Anordnung hin. Zugleich drängten sie vom ersten Tage an auf schnellstmögliche Wiedereröffnung. Und natürlich auf staatliche Hilfen.
Der Verband der zoologischen Gärten (VdZ), Dachverband der 56 größeren Zoos hierzulande, trat umgehend mit der Forderung nach einem staatlichen Soforthilfeprogramm in Höhe von (vorläufig) 100 Millionen Euro auf den Plan, um die "wirtschaftlich angespannte Lage" zu überbrücken. Andere Zooverbände sowie eine Vielzahl einzelner Zoos – in Deutschland gibt es nicht weniger als 865 Zoos und zooähnliche Einrichtungen – schlossen sich diesen Forderungen an.
Argumentiert wurde durchwegs mit der angeblichen Rolle der Zoos in "Artenschutz" und "Erhalt der Biodiversität", die durch die schließungsbedingten Einnahmeausfälle bedroht sei; überdies mit dem hohen Freizeit- und Erholungswert der Zoos, der deren Erhalt unverzichtbar mache. Um der Forderung nach staatlicher Soforthilfe Nachdruck zu verleihen, begannen einzelne Zoos, eine maximale Drohkulisse aufzubauen: sollten sie keine oder nicht ausreichend Hilfsgelder bekommen, würden sie zooeigene Tiere schlachten und an andere Tiere verfüttern; beziehungsweise Zootiere vorsorglich töten, um sie nicht verhungern lassen zu müssen.
Ebendiese Androhung, federführend vorgetragen durch den VdZ-Zoo Neumünster, ging indes krachend nach hinten los. Anstatt wie geplant über derlei moralischen Erpressungsversuch den Druck auf die politischen Entscheidungsträger erhöhen zu können, die geforderten Gelder umgehend bereitzustellen, schwappte ein Tsunami öffentlicher Empörung über den Zoo Neumünster herein. Dessen Direktorin hatte von einer bereits erstellten "Rangliste" der zu tötenden Tiere gesprochen.
Zootiere töten?
Eiligst versuchte sich der VdZ in Schadensbegrenzung und verlautbarte, man sollte mit "so einem Szenario 'Gebt uns Geld oder wir töten unsere Tiere' weder in die Medien noch in die Politik gehen". Der VdZ distanzierte sich insofern nur von der Öffentlichmachung der Tötungspläne, nicht aber von diesen an sich; zumal Tötung und Verfütterung eigens dafür gezüchteter "Futtertiere" innerhalb des Zoowesens gang und gäbe ist. Seit Jahren schon tritt der VdZ dafür ein, neben solchen "Futtertieren" (Mäuse, Hamster, Kaninchen, Schafe, Ziegen et cetera, dazu Huftiere und bestimmte Vögel) auch andere "überzählige" Zootiere töten und verfüttern zu dürfen. Gemäß den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes dürfen Zoos keine Tiere töten – mit Ausnahme besagter "Futtertiere" – sofern sie nicht von einem nicht behandelbaren Leiden erlöst werden müssen (Euthanasie). Zoos würden sich strafbar machen, wenn sie aus anderem Grunde zooeigene Tiere töten würden. Der Vorstoß des Zoos Neumünster sollte insofern nicht nur eine maximale Droh- und Druckkulisse zum Abgreifen staatlicher Hilfsgelder aufbauen, sondern, gewissermaßen durch die Hintertüre, auch das im Tierschutzgesetz verankerte Tötungsverbot der Zoos aushebeln.
Nachdem nun der Vorstoß des Zoos Neumünster in der Öffentlichkeit so große – und in ihrer Dynamik von den Zoos wohl falsch eingeschätzte – Empörung ausgelöst hatte (selbst international wurde kritisch darüber berichtet), beeilten sich auch andere VdZ-Zoos (unter anderem Köln, München und Berlin), auf größtmögliche Distanz dazu zu gehen. Der Münchner Tierpark Hellabrunn bezeichnete derlei Pläne als "vollkommen absurd". Laut Direktorin des Zoos Neumünster gibt es gleichwohl auch in anderen Zoos entsprechende "Notfallpläne" zur Schlachtung und Verfütterung von Zootieren, die ja auch in Einklang stünden mit der im "Normalfall" üblichen Zoopraxis, sogenannte "Futtertiere" zu schlachten und zu verfüttern (siehe "Zoos sind Schlachthäuser").
Kaum hatte sich die Aufregung um den missglückten Vorstoß des VdZ-Zoos Neumünster etwas gelegt, startete der VdZ, diesmal zusammen mit der Deutschen Tierpark-Gesellschaft und dem Deutschen Wildgehege-Verband, einen weiteren dringenden Appell an Bundesregierung und Bundesländer, "ein Soforthilfeprogramm für alle Zoos und Tierparks aufzulegen".
An dieser Stelle sei ein Blick auf die letztvorliegende Jahresbilanz (2018) beispielsweise der Berliner zoologischen Einrichtungen (Zoo, Tierpark, Aquarium) geworfen, die als gewinnorientierte Kapital- beziehungsweise Aktiengesellschaft firmieren und ohnehin fortlaufend in Millionenhöhe aus öffentlichen Geldern subventioniert werden: Eigenkapital 63,7 Millionen, Anlagevermögen 60,1 Millionen, Umlaufvermögen 22,9 Millionen, Gewinnrücklagen 58,6 Millionen, Einnahmen 32,7 Millionen. Andere Zoos hierzulande sind ganz ähnlich aufgestellt. Die Forderung nach Staatsleistungen zur Überbrückung corona-bedingter Einnahmeausfälle erscheinen hier wenig angebracht.
Infektionsrisiken im Zoo
Ein kaum in öffentlichem Gewahrsein stehendes Problem der Haltung von Wildtieren in Zoos ist das für alle Beteiligten bestehende Infektionsrisiko. Sowohl das Zoopersonal (Pfleger, Tierärzte et cetera) als auch die Besucher unterliegen der steten Gefahr, sich bei einem der Tiere mit einer infektiösen Krankheit anzustecken; wie umgekehrt auch die Tiere Gefahr laufen, von einem Menschen angesteckt zu werden. Derzeit sind etwa 200 zoonotische Erkrankungen bekannt, die, verursacht durch Viren, Bakterien, Pilze, Parasiten oder pathogene Prionen, vom Tier auf den Menschen und vom Menschen auf das Tier übertragen werden können.
In Zookreisen ist man sich des Problems durchaus bewusst, bemüht sich aber nach Kräften, es nach außen hin zu verheimlichen oder kleinzureden. Schon 2001 wiesen die Tierärzte der Zoos Landau (Dr. Jens-Ove Heckel) und Stuttgart (Dr. Wolfram Rietschel) in einem zoointernen Fachbeitrag auf die enormen Infektionsrisiken hin, die insbesondere mit der Haltung von Affen einhergingen: "Wegen der nahen Verwandtschaft zwischen Mensch und Affe kommt den Zoonosen beim Umgang mit Primaten eine besondere Bedeutung zu. Nahezu alle Infektionskrankheiten des Menschen lassen sich auf Affen übertragen. Andererseits kommt es beim Menschen immer wieder zu Infektionen mit bei Primaten verbreiteten Krankheitserregern." In Affenhaltungen zoologischer Gärten, so die Veterinäre, finde sich ein "breites Spektrum an Infektionskrankheiten", was dazu führe, "dass in den verschiedensten alltäglichen Situationen in unseren Zoos und Tiergärten im Umgang mit den gehaltenen Tieren Zoonoseinfektionsgefahren liegen können". (Der Beitrag auf www.zookunft.info ist – bezeichnenderweise – nicht mehr abrufbar.)
Tatsächlich dringen zoonotische Erkrankungsfälle in Zoos nur selten an die Öffentlichkeit. Dass es sie gleichwohl und unvermeidbarerweise gibt, bestätigte ein Zootierarzt vor dem Landgericht Augsburg: während seiner Dienstzeit im örtlichen Zoo habe es bei den Affen eine offene und hochansteckende Tuberkulose gegeben, gegen die die Zooleitung nicht beziehungsweise nicht angemessen vorgegangen sei; sogar ein Tierinspektor sei seinerzeit mit Tuberkulose infiziert worden. Ehemalige Zoo-Mitarbeiter sprechen insofern von immer wieder auftretenden "Seuchen", bei denen vor allem darauf geachtet werde, dass die Öffentlichkeit nichts erfährt.
Ende August 2013 etwa brach bei den Bonobos des Berliner Zoos aus nicht bekanntem beziehungsweise nicht bekannt gegebenem Grunde eine hochinfektiöse Shigellose (Bakterienruhr) aus, an der sämtliche Tiere erkrankten. Erst eine Woche später und erst, nachdem zwei Pfleger sich angesteckt hatten, wurden die Behörden und die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. Die Bakterienruhr zählt zu den meldepflichtigen Erkrankungen, sie kann bei Mensch und Menschenaffe tödlich verlaufen.
Distanz zu exotischen Wildtieren
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) fordert mehr Distanz zu exotischen Tierarten: Rund 70 Prozent aller Erreger stammten ursprünglich aus dem Tierreich. Vor diesem Hintergrund sei es problematisch, dass es immer engeren Kontakt zu exotischen Tierarten gebe. Der RKI-Präsident fordert, stärker gegen illegalen Tierhandel vorzugehen. Zu ergänzen wäre: Selbstredend ist auch gegen den "legalen" Wildtierhandel vorzugehen, wie er über Wildtierbörsen (für Aquarianer, Terrarianer und so weiter) oder den Heimtierhandel (Dehner, Zajac et cetera) betrieben wird; und wie er zum Tagesgeschäft von Zoos und Tiergärten gehört: Wildtiere werden weltweit von einem Zoo zum nächsten verfrachtet, vielfach werden auch immer noch Tiere für Zoos der freien Wildbahn entnommen (sogenannte "Wildfänge"). Durch solchen Tierhandel von Zoo zu Zoo beziehungsweise mit Tieren aus der freien Wildbahn könnten sich weltweit neue Erreger verbreiten.
In anderen Worten: Die überwiegender Mehrzahl aller neuen Infektionskrankheiten ist nachweislich zoonotischen Ursprungs, das heißt sie sind vom Tier auf den Menschen übergesprungen. Ob das nun "Vogel-" oder "Schweinegrippe" war, SARS, MERS, HIV oder Ebola – immer hatte es damit zu tun, dass Tiere extrem intensiv oder in großer Menge bejagt, gehalten oder gehandelt werden, um vom Menschen genutzt beziehungsweise verspeist zu werden.
Zu behaupten, wie der Zoo Berlin es noch Mitte März tat, es sei der "aktuelle wissenschaftliche Stand, dass dieses Virus (gemeint ist Corona, Anmerkung des Autors) nicht auf Tiere übertragen werden kann", war und ist indes gerade im Zusammenhang mit Menschenaffen eine grob fahrlässige Irreführung: Vielmehr ist es höchstwahrscheinlich, dass Corona-Viren (wie dies für viele andere Infektionskrankheiten als erwiesen gilt) unmittelbar von Menschen auf Menschenaffen übertragen werden können, und umgekehrt.
Schon Untersuchungen im Jahr 2008 ergaben den ersten direkten Nachweis einer Virusübertragung vom Menschen auf Wildaffen. Seitdem haben häufig vorkommende menschliche Atemwegsviren tödliche Ausbrüche bei wilden Menschenaffen verursacht, die sich an Menschen gewöhnt haben. 2016 berichteten Wissenschaftler über die Übertragung eines menschlichen Corona-Virus auf wilde Schimpansen im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste.
Zoos sind keine sicheren Orte
Am 6. April 2020 ging die Nachricht über den Ticker, dass ein Tiger in einem Zoo in New York mit dem Corona-Virus infiziert worden sei. Eine vier Jahre alte malaysische Tigerkatze sei positiv auf das Virus getestet worden, teilte der Bronx Zoo mit. Wahrscheinlich habe ein Pfleger das Virus in sich getragen, aber keine Symptome für eine Covid-19-Erkrankung gezeigt.
Was bedeutet das für andere in Zoos gehaltene Wildtiere (auch und vor allem für die besonders gefährdeten Menschenaffen)? Dass auch sie sich über infiziertes Zoopersonal anstecken können, und infizierte Zootiere (aller Wahrscheinlichkeit nach) umgekehrt Zoopersonal und (nach Wiedereröffnung der Zoos, die es irgendwann einmal geben wird) auch Besucher anstecken können.
Zoos, dies eine der Lehren aus der Corona-Krise, sind keine sicheren Orte: weder für Mensch noch Tier. Sie sollten dauerhaft geschlossen bleiben beziehungsweise mittelfristig komplett abgewickelt werden. Jedenfalls dürfen keine staatlichen Hilfen gegeben werden, um sie künstlich über Wasser zu halten.
Zoos abwickeln
Sollten die Zoos tatsächlich öffentliche Gelder erhalten – über die millionenschweren Subventionen hinaus, die sie ohnehin fortlaufend beziehen –, dann nur und ausschließlich, um die Versorgung der Tiere zu gewährleisten, verbunden mit der Auflage, den Tierbestand über sofortigen Nachzucht- und Importstop radikal zu verringern und letztlich auf eine Komplettabwicklung der Zoos in ihrer bisherigen Form hinzuarbeiten. Zoos mit exotischen Wildtieren sind potentielle Brutherde für zoonotische (Mensch-Tier-Mensch) Infektionskrankheiten und dürfen nicht wie in Vor-Corona-Zeiten weitergeführt werden.
Nochmal: Keinerlei staatliche Hilfen (also Steuergelder) zur Fortführung der Schaubetriebe von Zoos und zooähnlichen Einrichtungen. Die Fürsorge der Allgemeinheit hat sich darauf zu beschränken, dass die in Zoos (oder anderweitig, in Tierheimen etwa) untergebrachten Tiere versorgt bleiben. Perspektivisch aber sollten Zoos, nicht zuletzt ihrer immanenten Infektionsrisiken (Zoonosen) wegen, rückgebaut und letztlich komplett abgewickelt werden.
Wie wäre das machbar? Zoos verlieren jährlich auf "natürlichem Wege" bis zu 25 Prozent ihres Tierbestandes. Würde konsequent nicht nachgezüchtet oder neuimportiert, wären die Zoos, bis auf ein paar längerlebige Spezies, die in (gegebenenfalls eigens einzurichtende) Reservate verbracht beziehungsweise auf den zu Reservaten umgestalteten Zoogeländen verbleiben könnten, in vier Jahren leer. Kein Tier würde eingeschläfert werden und kein Tier würde verhungern, wenn von Pleite bedrohte oder pleitegegangene Zoos kontrolliert abgewickelt würden. Dem (gerne auch steuerbegünstigten) Erhalt der Parkanlagen als allgemeinzugängige Freizeit- und Erholungsräume ohne Zurschaustellung gefangengehaltener Wildtiere stünde nichts entgegen. Auch der Erhalt von Zoo-Infrastruktur zur Beherbergung beziehungsweise Rehabilitation notleidender Wildtiere – ohne Schaustellungsbetrieb – wäre denkbar.
Wiedereröffnung von Zoos?
In den meisten Bundesländern bleiben die Zoos auf noch unabsehbare Zeit geschlossen. Nur in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Rheinland-Pfalz dürfen Besucher unter strengen Auflagen seit kurzem wieder eingelassen werden. Streichelgehege und Tierhäuser, in denen die gegenseitige Ansteckungsgefahr Mensch-Tier-Mensch am größten ist, bleiben überall geschlossen.
Als Sofortmaßnahme müssten die Hygienestandards in Zoos und zooähnlichen Einrichtungen – ob nun mit oder ohne Publikumsverkehr – drastisch erhöht werden. Tierhäuser sollten von Zoopersonal wie von (später wieder zugelassenen) Besuchern nur noch mit Mund-/Nase-Masken, Latexhandschuhen, Schuhüberziehern und über Desinfektionsmatten vor den Eingängen betreten werden dürfen. Nach Berichten von Besuchern kürzlich wiedereröffneter Zoos wird dies erkennbar nirgendwo mit der erforderlichen Konsequenz umgesetzt. Nicht einmal das Zoopersonal selbst hält sich daran.
Ergänzung der Redaktion: Laut NDR hat der Tierpark Neumünster nach einer Spendenwelle und seiner Wiedereröffnung den Antrag auf staatliche Soforthilfen inzwischen zurückgezogen.
12 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
Colin Goldner hat recht, nur was ist die alternative, für ist die Lösung: man stellt die Natur wieder her.
Math am Permanenter Link
Tiergefängnisse, noch dazu mit hohem Infektionsrisiko (für Mensch und Tier), braucht heutzutage niemand mehr.
Martina am Permanenter Link
Sehr interessanter und informativer Artikel, vielen Dank Herr Goldner.
Jörn Eichler am Permanenter Link
»Zoos verlieren jährlich auf "natürlichem Wege" bis zu 25 Prozent ihres Tierbestandes.«
Wie kommt man damit zu »wären die Zoos [...] in vier Jahren leer.«??
4 * 25% = 100% ??
Da wäre wohl etwas Mathe-Nachhilfe angebracht. Wenn jedes Jahr 25% der Tiere sterben, so lautet die Formel natürlich: Restbestand = 0,75 ^ Jahre
Nach einem Jahr also 75%, nach vier Jahren aber immer noch fast ein Drittel. Wenn man z.B. 5% als „leer“ definieren würde, so würde es nach dieser Rechnung über 10 Jahre dauern. Also ginge es doch nicht ganz so schnell!
Darauf kann man aber ganz leicht auch völlig ohne Mathematik kommen: In Zoos leben doch nicht nur Tiere mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von ca. 4-6 Jahren.
»bis auf ein paar längerlebige Spezies« – nur ein paar sind es eben nicht.
Elke am Permanenter Link
Der Autor hat keineswegs Mathenachhilfe nötig.
Er schreibt: "Zoos verlieren jährlich auf 'natürlichem Wege' bis zu 25 Prozent ihres Tierbestandes. Würde konsequent nicht nachgezüchtet oder neuimportiert, wären die Zoos, bis auf ein paar längerlebige Spezies (...) in vier Jahren leer."
Nach seiner Berechnung wären die Zoos BIS AUF EIN PAAR LÄNGERLEBIGE SPEZIES in vier Jahren leer. Da kann man sich nun streiten, ob das nun nur "ein paar" längerlebige Spezies (=nicht Individuen!) betrifft oder eine größere Anzahl davon - mathematisch genaugenommen wären es 29,0157% des Tierbestandes -, aber darauf kommt es in der Aussage doch überhaupt nicht an. Diese lautet: würde konsequent auf Nachzucht oder Neuimport verzichtet, könnten Zoos in relativ kurzer Zeit (4 Jahre) abgewickelt werden. Nur für besagte längerlebige Spezies bzw. die darin umfassten Individuen müssten andere Lösungen gefunden werden.
Peter Hemecker am Permanenter Link
Es ist immer wieder erstaunlich, welche absurden Argumente fundamentalistische Zoogegner bemühen, um ihre zweifelhaften Ziele zu untermauern. So auch in diesem Beitrag von Colin Goldner, der – wenn man z.B.
Vorweg: Der Mensch ist, anders als es die Bibel und andere religiöse Machwerke uns vormachen wollen, kein besonderes Wesen, welches vom „lieben Gott“ als „Krönung der Schöpfung“ an einem anderen Tag als alle andere Tiere erschaffen wurde. Vielmehr ist er e i n e Art von derzeit bekannten 50 Mio. Tierarten, von 64.270 Wirbeltier-Arten und von 3.500 Säugetierarten. Seit es die Art „Homo sapiens“ gibt (man schätzt zwischen 200.000 und 300.000 Jahren), lebt sie - wie auch alle anderen Tierarten – mit anderen Arten zusammen, teils einvernehmlich, teils als Fressfeinde, teils aber auch in Symbiose (sich gegenseitig unterstützend bis hin zum gegenseitig aufeinander angewiesen sein). Dies hat sich auch mit der neolithischen Revolution (in Mitteleuropa etwa 5.600 v.d.Z.) nicht geändert: Der Mensch lebt mit Nutztieren zusammen und hält Haustiere wie Hund und Katze.
Besonders in den letzten Jahrzehnten scheint sich hier aber einiges zu verändern: Gerade diejenigen, die am meisten von Ökologie und Tierschutz reden, scheinen eine vollständige Trennung von Mensch und tierischer Natur anzustreben. Dazu werden immer wieder neue Argumente angeführt, die, wenn man sie umsetzen würde, zum Ergebnis hätten, dass die Tierwelt irgendwo in die Wildnis hingeschickt würde, während der Mensch in sterile tierfreie Städte und Wohnungen verbannt werden würde.
So auch hier bei den Zoos: Begründung u.a., die Tiere würden trotz aller Bemühungen der heutigen modernen Zootierhaltung nicht artgerecht gehalten. Frage: Diejenige Art, die am wenigsten nach seiner ursprünglichen Bestimmung artgerecht lebt, dürfte der Mensch sein. Dass man in dunklen kleinen Wohnungen – teils mit Lampenlicht – lebt und acht Stunden seines Tages an einem Schreibtisch oder vor einer Maschine sitzt und irgendwelche stupiden, immer gleichen Aufgaben erledigt, war sicherlich nicht die natürliche Bestimmung des Menschen. Dennoch nehmen wir alle dieses „Los“ in Kauf, für deutlich mehr Komfort und Sicherheit, als wir es in freier Wildbahn hätten. So gesehen halte ich die Sorge um die artgerechte Tierhaltung in heutigen Zoos für heuchlerisch.
Vielmehr sollten wir uns Sorgen machen, dass die heutigen Kinder und Jugendliche komplett ohne irgendwelche Nähe zu Tieren, oder auch nur Kenntnisse über Tiere aufwachsen. Während die vorangegangenen Generationen wenigstens noch im Fernsehen mit Sendungen wie Grzimeks „Ein Platz für Tiere“ und Sielmanns „Expeditionen ins Tierreich“ aufgewachsen sind, weil es damals – wenn überhaupt – nur einen Fernseher pro Haushalt gab und allenfalls drei Programme, erfahren heutige Kinder und Jugendliche nichts mehr über die Tierwelt.
Daher müsste die Forderung genau umgekehrt lauten: So viele Zoos und Tierparks wie möglich, verbunden mit regelmäßigen Besuchen (mit begleitenden pädagogischen Aufarbeitungen im Unterricht, ggf. Tierpatenschaften, etc.) durch die Schülerinnen und Schüler. Aber auch Erwachsenen und Senioren sollte der Besuch von Zoos und Tierparks so attraktiv wie irgend möglich gemacht werden, damit die Verbundenheit mit unseren tierischen Verwandten immer erhalten bleibt.
Noch zuletzt ein abschließendes Wort zur augenblicklichen Corona-Pandemie und der damit verbundenen Ansteckungssorge von Herrn Goldner: Die Gefahr, von einem Gorilla in einem Zoo mit dieser Infektionskrankheit angesteckt zu werden, dürfte sich - im Vergleich zu der Gefahr, sich von einem der 82 Mio. Mitbewohner in Deutschland anzustecken - in einem überschaubaren Rahmen halten. Sechs Richtige im Lotto zu haben dürfte deutlich wahrscheinlicher sein.
libertador am Permanenter Link
Artgerechte Haltung muss nicht gleichbedeutend mit natürlicher Umgebung. Es geht um die Folgen des Lebensstils. Wenn Menschen den ganzen Tag auf einem Stuhl sitzen müssen, dann sorgt dies für Schäden.
"Vielmehr sollten wir uns Sorgen machen, dass die heutigen Kinder und Jugendliche komplett ohne irgendwelche Nähe zu Tieren, oder auch nur Kenntnisse über Tiere aufwachsen."
Warum sollten wir uns darüber Sorgen machen?
Wäre ein Grund, weil dies für Ökologie und Tierschutz sensibilisiert. Dann erscheint es aber paradox für dieses Ziel, das Schutzgut selbst durch unzureichende Haltung, die der Unterhaltung dient zu unterminieren.
Daneben gibt es ja Tiere, die dem Menschen folgen und nicht aus der Stadt und Besiedlungen entfernen werden und ich sehe auch nicht, dass Menschen dafür argumentieren dieses zu unterbinden.
Die Ansteckungssorgen beziehen sich auch auf die Menschenaffen, die man schützen sollte und für die die Menschen die Infektionsgefahr darstellen und nicht auf die aktuelle Gefahr durch die Infektion an Menschenaffen. Wenn die Zoos längere Zeit wieder aufmachen, kann es natürlich auch umgekehrte Übertragungen geben. Wenn die Zoos für Publikumsverkehr öffnen, dann besteht diese Gefahr der Ansteckung.
Aga am Permanenter Link
"Die Gefahr, von einem Gorilla in einem Zoo mit dieser Infektionskrankheit angesteckt zu werden, dürfte sich (...) in einem überschaubaren Rahmen halten.
Mag sein, die Gefahr aber für besagten Gorilla in einem Zoo, von einem Wärter oder Besucher angesteckt zu werden, verhält sich umgekehrt proportional. Und mithin darum geht in dem Artikel: nicht nur um die Gefahr für Menschen, von Zootieren infiziert zu werden, sondern auch um die für Zootiere - in erster Linie Menschenaffen -, von Menschen angesteckt zu werden.
Peter Hemecker am Permanenter Link
Es mag ja sein, dass auch Gorillas von Menschen angesteckt werden, wobei zu klären wäre, ob das für sie überhaupt gefährlich ist.
Mit der gleichen Begründung könnte man einer jungen Frau dazu raten, dass sie keine Kinder in die Welt setzen solle, da diese irgendwann einmal sterben werden, und sei es durch Corona im Alter von 95 Jahren.
Elke am Permanenter Link
Welch, pardon, idiotische Argumentation, Herr Hemecker.
Thomas R. am Permanenter Link
"In der freien Wildbahn, dürfte das Leben deutlich gefährlicher sein als im Zoo, wo sie rund um die Uhr umsorgt werden."
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"Überdies kann man bei den meisten Zootieren davon ausgehen, dass sie ohne Zoos schon lange tot, bzw. bei Zoogeburten, vermutlich erst gar nicht auf der Welt wären."
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Na und? Die Wildfänge unter ihnen hätten wenigstens ihre natürlichen Aufgaben in ihren angestammten Biotopen erfüllen können und ein besonders langes Leben nicht mit fast ebenso langer (und von ethisch unterentwickelten Menschen zu verantwortender) Quälerei bezahlen müssen. Hier auch noch eine überraschende Info für Sie: nicht auf der Welt zu sein, ist kein leiderfüllter Zustand und daher ethisch irrelevant.
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"Mit der gleichen Begründung könnte man einer jungen Frau dazu raten, dass sie keine Kinder in die Welt setzen solle, da diese irgendwann einmal sterben werden, und sei es durch Corona im Alter von 95 Jahren."
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Natürlich ist das eine lachhafte Übertreibung, aber wer neue Lebewesen in die Welt setzt, hat in der Tat zu überlegen, ob und inwieweit er seiner Verantwortung dafür nachkommen kann, ihnen ein weitestgehend leidfreies Leben zu ermöglichen. Todesangst an sich wäre jedenfalls nur dann ein Grund, die Fortpflanzung einzustellen, wenn sich alle lebensbewußten Wesen deshalb wünschen würden, niemals geboren worden zu sein, was erkennbar nicht der Fall ist.
David See am Permanenter Link
der einzige Artikel den ich gelesen habe über die Ursache der Krise.