Verpflichtende Kriterien zur Missbrauchsaufarbeitung

Die Deutsche Bischofskonferenz und der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs haben sich auf eine "Gemeinsame Erklärung" zur Aufarbeitung des kirchlichen sexuellen Missbrauchs geeinigt. Dafür sollen in jeder Diözese Kommissionen eingerichtet werden, der vor allem externe Experten und Betroffene angehören und die regelmäßig öffentlich Bericht erstatten sollen.

Die deutschen Bischöfe haben sich in einer "Gemeinsamen Erklärung" mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, und einer von ihm eingerichteten Arbeitsgruppe auf "verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Deutschland" geeinigt.  Damit setze man die beschlossene konsequente Aufarbeitung innerhalb eines gemeinsamen verbindlichen Rahmens weiter fort, heißt es in einer Presseerklärung der Deutschen Bischofskonferenz.

Ziel dieser "Gemeinsamen Erklärung" sei eine "umfassende, vergleichbare und abgestimmte Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs" in den Diözesen durch die Etablierung von Strukturen, die dabei Transparenz und Unabhängigkeit sicherstellen sollen. Die Bischöfe betonen, dass Betroffene eingebunden, die bisherigen "zahlreichen diözesanen Anstrengungen" fortgeführt werden und schon gewonnene Erkenntnisse einfließen sollen. Die festgelegten Kriterien könnten gar "beispielgebend für andere gesellschaftliche Akteure sein".

Im Einzelnen sollen Tatsachen, Ursachen und Folgen des Missbrauchs erfasst und Strukturen, die ihn ermöglicht haben oder die Aufdeckung erschwert haben, identifiziert werden, heißt es im Dokument. Das gelte auch für den "administrativen Umgang mit Täter_innen und Betroffenen". Es gehe um Anerkennung von geschehenem Unrecht und Leid und einen "institutionellen und gesellschaftlichen Reflexionsprozess". Betroffenen solle "im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten Zugang zu den sie betreffenden Informationen und Unterlagen" ermöglicht werden. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wolle man "weitere Schlussfolgerungen für den Schutz von Kindern und Jugendlichen ziehen".

Jede Diözese soll dafür eine Kommission einrichten und ihr entsprechende Mittel zur Verfügung stellen. Es werden sieben Mitglieder empfohlen, die für je drei Jahre aus Betroffenen und erfahrenen Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz, öffentlicher Verwaltung sowie Vertretern der Bistümer zusammengesetzt werden. Kirchenbeschäftigte dürfen maximal 50 Prozent ausmachen. Die jeweiligen Missbrauchsbeauftragten sollen ständige Gäste der Kommissionen sein. Auch über aktuelle Meldungen von Missbrauchsfällen sollen sich die Kommissionen informieren. Anhörungen von Betroffenen sollen nicht unter dem Siegel des Beichtgeheimnisses geführt werden. Über die Ergebnisse soll jährlich Bericht erstattet werden, innerhalb von fünf Jahren soll es einen vorläufigen Abschlussbericht mit konkreten Handlungsempfehlungen geben. Es wird jedoch betont, "dass Aufarbeitung keinen Schlusspunkt haben kann".

Nach drei Jahren soll die jährlich abgehaltene Austauschsitzung in Form einer öffentlichen Fachtagung stattfinden. All diese Inhalte sollen (sofern rechtlich zulässig) online öffentlich zugänglich gemacht werden. Zur Akteneinsicht heißt es: "Die (Erz-)Diözesen verpflichten sich zu umfassender Kooperation mit den eingesetzten Aufarbeitungskommissionen, denen (…) Akteneinsicht oder Auskunft gewährt wird, sofern es für die Erledigung der Aufgaben der Kommission erforderlich und rechtlich zulässig ist und keine berechtigten Interessen Dritter entgegenstehen." Die Einleitung kirchen- und strafrechtlicher Verfahren bei noch lebenden Beschuldigten bleibe unberührt.

Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Stephan Ackermann, erwartet sich von der Übereinkunft "einen weiteren Schub für die Aufdeckung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche". Johannes-Wilhelm Rörig zeigte sich "erleichtert" und sprach von einer "historischen", "unumkehrbaren und verbindlichen Entscheidung".

Die Betroffenenorganisation Eckiger Tisch, deren Vertreter Matthias Katsch Teil der Arbeitsgemeinschaft war, die die "Gemeinsame Erklärung" mit erarbeitet hatte, begrüßte die Vereinbarung in einer Pressemitteilung. Sie übte jedoch auch Kritik: "Dass es dazu 18 Monate Verhandlungen bedurfte, zeigt aber auch, dass die immer wieder betonte Bereitschaft zur umfassenden Aufklärung schnell an Grenzen stößt, wenn es konkret wird." Die Betroffenen bedauern, dass es viele regionale anstatt einer nationalen Kommission geben werde, was ein Monitoring nicht erleichtere. Außerdem fordern sie, dass sich neben allen Diözesen auch Ordensgemeinschaften der Vereinbarung anschließen. Und: "Die Überprüfung des tatsächlichen Willens zur Aufarbeitung findet in der Wirklichkeit statt, wenn es jetzt darum geht, die Kommissionen einzusetzen, Betroffene zu beteiligen, den Zugang zu den Akten zu ermöglichen und die Ergebnisse zu veröffentlichen."

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