Herausforderung für Gemeinschaft von Humanisten

Alte Seilschaften für neue Suizidhilfe-Regelung

Nach der Klatsche aus Karlsruhe wird die Eintracht innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und damit auch das ökumenische Anti-Sterbehilfebündnis mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) stark belastet.

Ein ursprünglich selbstbestimmungsorientiertes Antwortschreiben eines liberalen Theologieprofessors auf die Unterstützungsanfrage von Jens Spahn wurde von der EKG in letzter Minute gestoppt und völlig umgeschrieben. Sie erweist sich somit weiterhin als unfähig, gemäß des gesellschaftlichen Pluralismus einen Primat der Humanität und der Selbstbestimmung mit abzudecken. Die säkularen Humanisten sehen sich gemeinsam herausgefordert, diese Wertvorstellungen im konstruktiven Dialog mit der Politik stärker geltend zu machen.

Am Tag der Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Nichtigkeit des § 217 StGB war die heile Christenwelt zwischen Evangelischer Kirche und Bischofskonferenz noch in Ordnung. In einer gemeinsamen Erklärung kritisierten EKD und DBK die Karlsruher Entscheidung in schärfsten Worten als "Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur".

Nun ist es wegen der anstehenden Neuregelung der Suizidhilfe zu einer ernsthaften Krise gekommen. Ausgelöst wurden die Konflikte durch den Brief des Bundesgesundheitsministers vom 15. April, worin er für sein geplantes "legislatives Schutzkonzept" um Vorschläge nachsucht. Dabei greift Jens Spahn (CDU) erneut auf den vermeintlichen moralischen Alleinstellungsanspruch der beiden Kirchen zurück. Aber die Folgen sind nun unüberhörbarer Unmut innerhalb der evangelischen Kirche, offen zu Tage getretene Unvereinbarkeit mit der katholischen Lehre und die Beschädigung einer gesamtchristlich auftretenden überhöhten Ethikkompetenz.

Prinzipiell wolle man, so die EKD, innerhalb der Beschränkungen des Karlsruher Urteils – nun zusammen mit Spahn – konstruktiv an einer Neuregelung der Suizidhilfe mitarbeiten. Liberale evangelische Kirchenvertreter*innen kritisieren am dort nun am 15. Juni eingereichten Positionspapier, es ginge auf die entscheidende Selbstbestimmungsfrage kaum ein und sei "weder Fisch noch Fleisch". Ob auf einem solchen Schlingerkurs die katholische Kirche mitgehen wird, die ja in bioethischen Fragen immer ihre traditionelle Lehre (wie etwas auch zum absoluten Embryonen-Schutz) eindeutig geltend machen muss, ist fraglich. Vermutlich wird an dieser Bruchlinie die Kluft zwischen den christlichen Konfessionen zusehends größer werden.

Einzig die FDP kritisiert Ausschluss humanistischer Verbände

Jens Spahn hatte sich in seinem Brief an insgesamt dreißig Adressaten gewandt, um "breite Unterstützung" für sein Modell der Suizidhilfe-Neuregelung zu erhalten. Er schrieb dazu – außer ein paar Einzelpersönlichkeiten – gut zwei Dutzend Verbände und Organisationen an (neben den beiden Kirchen vor allem aus Ärzteschaft; Hospiz-, Palliativ- und Lebensschutzbewegung; Pflegeberufsvertretung; Suizidverhütung und Depressionshilfe). Es handelt sich dabei ausnahmslos um jene gesellschaftlichen Kräfte, die in Stellungnahmen die Beibehaltung des Suizidhilfeparagrafen § 217 StGB stark befürwortet oder zumindest als akzeptabel bewertet hatten. Dies entspricht jedenfalls nicht dem Meinungsbild der Bevölkerung.

Es war durch die Medizinrechtlerin Katrin Helling-Plahr wieder als Partei einzig die FDP, welche Spahn vor einer Rolle rückwärts bei der Sterbehilfe gewarnt hat. Aus Sicht der "vergrätzten" FDP-Abgeordneten ist die Verbändeauswahl zu Anhörung für Suizidassistenz "einseitig und nicht im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts". Die Kompetenz zur Neuregelung der Suizidhilfe liege nicht beim Minister, sondern bei den Parlamentariern, zudem ließe die Bundesregierung leider "keine Bewegung bei ihrer Position zur Suizidassistenz erkennen", beklagt Helling-Plahr. Dass sich Bundestag und Regierungsparteien schwer mit einem von ihnen mehrheitlich verabschiedeten und nunmehr als eindeutig verfassungswidrig gekippten Strafgesetz tun, liegt auf der Hand. Denn für eine ernsthafte Revision und (Selbst-)Kritik müsste auf den Tisch, wie es überhaupt, befeuert durch welchen Lobbyismus, zu diesem skandalösen Vorgang kommen konnte. Dies wird lieber unter den Teppich gekehrt, als nun humanistisch-säkulare Organisationen in die Beratungsprozesse einzubeziehen. Dabei waren es gerade diese, wie in der BVerG-Urteilsbegründung in § V. Stellungnahmen, 4 b und 5 c namentlich aufgeführt, welche "ablehnende Stellungnahmen" (das heißt gegen den verfassungswidrigen Suizidhilfeverbotsparagrafen) vorgelegt und somit Recht bekommen haben. Doch die Politik greift weiter auf altbewährte "Seilschaften" zurück, deren Mitglieder sich doch so ansprechend allesamt als "lebensbejahend" in Szene setzen – auch wenn sie für das verfassungswidrige Desaster hinter den Kulissen erheblich mitverantwortlich sind. Als öffentlich bekannt gilt dabei lediglich, dass die 2015 beschlossene Strafnorm zur Suizidhilfe maßgeblich mit dem Namen der SPD-Abgeordneten Kerstin Griese verbunden ist, die gerade in den EKD-Rat gewählt worden und kirchenpolitische Sprecherin ihrer Partei war.

Suizidhilfegegner*innen wie Griese behalten die Oberhand

Zunächst sei in Erinnerung gerufen: Immer schon haftete der angestrengten Einigkeit zwischen evangelischer und katholischer Kirche in Fragen der Sterbehilfe (und überhaupt der Bioethik) etwas Künstliches und Oberflächliches an. Doch diesmal sollte es eigentlich mit der evangelischen Stellungnahme als Antwort an den Bundesgesundheitsminister ganz anders, nämlich eigenständiger, differenzierter und liberaler zugehen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung in ihrer Ausgabe vom 18. Juni (FAZ, Nr. 139, S. 4) ausführt, hat das jetzt am 15. Juni abgeschickte "Schreiben an Spahn eine konfliktbeladene Redaktionsgeschichte hinter sich" und gibt es dazu "innerhalb der evangelischen Kirche erhebliche Differenzen".

Es liegt nämlich ein ursprünglicher Entwurf des Münchener Theologieprofessor Reiner Anselm vor, der zunächst eine nahezu humanistisch anmutende Stoßrichtung vorgab und die Gewissensentscheidung des Einzelnen ganz im Sinne des Karlsruher Urteils stark anerkannt. Als Hauptsatz des Anselm-Papiers, weiß die FAZ zu berichten, galt die Formulierung, es sei ein "Gebot der Humanität, Menschen, die sich zu diesem letzten Schritt entschieden haben, zu einem auf menschenwürdige Weise vollzogenen Suizid zu verhelfen".

Doch dazu kam es nicht, da Vertreter*innen der Gegenposition in der EKD-Hierarchie eingriffen und diese als anstößig empfundene Formulierung tilgten. Eingebaut wurden stattdessen kritische Bewertungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26. Februar wie die zu seinen "den Suizid nahezu heroisierenden Formulierungen".

Unterschied zwischen humanistischer und evangelischer Ethikauffassung

Auch erfolgte im letztendlich an Spahn versandten EKD-Positionspapier eine gravierende Umstellung zugunsten der kirchlichen Sozialethik gegenüber dem Entwurf von Prof. Anselm. Diese andere Prioritätensetzung der Endfassung macht den grundsätzlichen Unterschied aus zwischen einer christlichen und einer humanistischen Ethikauffassung. Im Sinne der letzteren wird verbandsübergreifend von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) über die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) und Sterbehilfe e. V. bis zum Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) für Betroffenen eine vorgeschriebene Zwangsberatung, erst recht mit obligatorischer (psychiatrischer) Überprüfung der Urteilsfähigkeit mündiger Bürger*innen, einhellig abgelehnt. Ausformuliert werden stattdessen – bei der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) weniger und beim Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) mehr und detaillierter – einzuhaltende Sorgfaltskriterien und Dokumentationspflichten bei ärztlicher und nicht-ärztlich organisierter Suizidassistenz. Zudem werden von allen genannten Organisationen freiwillig in Anspruch zu nehmende Beratungsstellen in freier Trägerschaft gefordert, die Klienten bei Suizidgedanken, -planungen und -konflikten in ihrem Entscheidungsprozess ergebnisoffen unterstützen sollen. Eine fachärztliche Begutachtung der Einsichtsfähigkeit soll es nur geben, wenn eindeutige Hinweise auf erhebliche Willensmängel vorliegen. Eine gemeinsame Kernforderung ist zudem die Zulassung von Natrium-Pentobarbital als bewährtes, humanes und sicheres Suizidmittel. Entsprechende Stellungnahmen aus dem humanistisch-säkularen Spektrum sind nun als Eigeninitiative (das heißt uneingeladen) an Jens Spahn gesandt worden.

Ging auch der liberale Theologe Anselm im humanistischen Sinne erst vom Individuum aus und bezog dann das Soziale und Übergreifende ein, so bleibt es nun nach der Umstellung durch die EKD umgekehrt dabei: An erster Stelle steht die Schaffung eines suizidverhütenden Klimas und der Lebensschutz, dann der Ausbau der Palliativmedizin und an letzter Stelle kommt dann der konkrete Einzelfall des suizidwilligen Menschen in den Blick. Als verantwortlich dafür, dass sich bei der EKD nichts ändern soll, nennt die gut informierte FAZ drei Personen "als maßgebliche Treiber" hinter der Abänderung des ursprünglich liberalen Antwortschreibens an Spahn: "die SPD-Politikerin Griese; der frühere Vorsitzende des Ethikrates Peter Dabrock sowie der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strom" (siehe FAZ vom 18. Juni, ebd.). Griese wird zitiert mit den Worten: Das EKD-Papier zeuge jetzt von "einer klaren Haltung", die "auf der bisherigen Linie" liege.

Nachhaltiger und ernsthafter Sterbewunsch – (k)ein Kriterium

"Vage" bleiben die laut Ärztezeitung von der EKD an Spahn verschickten "evangelischen Perspektiven", wenn die Ebene des Suizidwilligen adressiert wird: Es dürfe kein "sozialer Druck entstehen, sich für einen Suizid entscheiden zu müssen", da dieses Klima "immer die Einschätzung des eigenen Lebens mitprägt". Die EKD will im Sinne des Spahnschen Sicherungskonzeptes bei der geringen Zahl der trotz aller lebensbejahenden Alternativen verbleibenden Suizidwilligen "mithilfe eines noch näher zu bestimmenden Verfahrens" regelhaft festgestellt wissen, dass der Wunsch nach Selbsttötungshilfe auch ganz bestimmt ein Akt der freien Selbstbestimmung ist, der nicht auf (den ja als grundsätzlich angenommenen!) sozialen Druck zurückzuführen ist. Selbstverständlich sollen auch alle Menschen mit einer auch nur leichten psychischen Erkrankung von legaler Suizidhilfe ausgeschlossen bleiben. Nötig für diese sehr aufwndigen, peinlich genauen und zeitintensiven Überprüfungen (mit einem doch wohl meist schon vorweggenommenen ablehnenden Ergebnis) seien "multiprofessionelle Kompetenzen", wobei Ärzt*innen eine "besondere Verantwortung" und Verpflichtung zukomme. Staatliche Aufgabe könne es nicht sein, heißt es schließlich im EKD-Papier, einen "Kriterienkatalog" aufzustellen, um die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches zu gewährleisten, um diesem dann auch nachkommen zu müssen.

Eben diese Kriterien – bei grundsätzlich angenommener Freiwillensfähigkeit – sind aber gerade die einzig legitime "prozedurale Sicherung", die sich aus humanistisch-individualethischer Perspektive für die verfassungsgemäße Realisierung ärztlicher Suizidhilfe ergibt. Diese Absicherung ist weder mit einer Beratungs- noch Warte- oder gar Rechtfertigungspflicht über die eigenen Suizidmotive etwa aufgrund unerträglichen Leidens zu verwechseln, die Sterbewilligen aufgenötigt würde. Niemand soll seine Freiwillensfähigkeit unter Beweis stellen müssen wie ehemals die Kriegsdienstverweigerer ihren Pazifismus. Aber es darf und muss von Hilfesuchenden erwartet werden, sich überhaupt dazu zu äußern, dass ihr Suizidwunsch nachhaltig und ernsthaft ist. Die Unterscheidung zu der weit überwiegenden Mehrzahl von erfolgten oder versuchten Selbsttötungen, die einer vorübergehender Verzweiflung, Ambivalenz oder Willensunfähigkeit entspringen, bleibt eine Herausforderung für eine humanistische Suizidkonflikt-Beratung und selbstbestimmungsorientierte Freitodhilfe.

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