Kommentar

Volker Kauder erwartet von Staatsdienern Mut zum Kreuz

Volker Kauder scheint ein sehr ambivalentes Verhältnis zur weltanschaulichen Neutralität des Staates zu haben: Angesichts der Freigabe zum Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal bei Berliner Rechtsreferendar:innen verweist er auf das Gebot der weltanschaulichen Neutralität, die er selbst jedoch nicht verinnerlicht zu haben scheint. Und dann kommt, was kommen musste: Die unvermeidliche Kreuzfahrermentalität – wenn schon Kopftücher, dann bitte auch Kreuze.

Zwei Wochen ist es her, dass der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen, ausgehend von einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts, veranlasst hatte, dass Rechtsreferendar:innen im Gerichtssaal ihre religiöse Überzeugung zur Schau stellen dürfen: "Künftig sollen Referendarinnen islamischen Glaubens mit Kopftuch oder Männer mit Kippa vor Gericht die Anklageschrift verlesen dürfen", schrieb der Tagesspiegel dazu, nebst Ausbilder:in, der oder die stellvertretend die Robe trägt, um ein Restmaß an staatlicher Neutralität zu verkörpern.

Berlin fackelte dann auch gar nicht lange: Schon knapp eine Woche später vertrat erstmals eine kopftuchtragende Referendarin in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten die Staatsanwaltschaft. In einem weiteren Artikel des Tagesspiegel ist davon die Rede, dass die Kopftuch-Freigabe für Referendarinnen eine "Herzensangelegenheit" Behrendts sei und sein langfristiges Ziel, auch Staatsanwälte und Richter "mit offen gezeigten Symbolen bei der Verrichtung hoheitlicher Tätigkeiten zu erleben".

Volker Kauder, bis 2018 Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, fühlte sich nun bemüßigt, für die wohl in seinen Augen in der Diskussion unterrepräsentierte Christenheit den Hut in den Ring zu werfen. In einem Interview mit domradio.de empfahl er seinen Glaubensbrüdern und -schwestern: "Wenn es die Auffassung der Richter ist, dass religiöse Symbole getragen werden dürfen, dann bin ich der Meinung, müssen das alle auch tun dürfen. Die Christen müssen dann auch ihre Zurückhaltung abbauen. Dann erwarte ich, dass bekennende Christen als Lehrer, als Richter, als Staatsanwälte das Symbol des Christentums, nämlich das Kreuz, auch offen tragen."

Es war lediglich eine Frage der Zeit, bis der erste Vertreter der wohl nie aussterbenden Kreuzfahrermentalität um die Ecke kommen und "dann wir aber auch!" schreien würde. Dass es noch nie zum gesellschaftlichen Frieden beigetragen hat, wenn allerorten religiöse Reviermarkierungen stattfinden, werden manche wohl nie verstehen. Aber Kauder hat natürlich in einem Punkt recht. Wenn man den Gleichbehandlungsgrundsatz ernst nimmt, muss gelten: alle oder keine. Dann dürfte es entweder auch keinem Pastafari verwehrt werden, mit piratiger Kopfbedeckung eine Gerichtsverhandlung zu leiten, oder jeder lässt sein jeweiliges Glaubensaccessoire eben draußen. Das Grundgesetz hat sich mit dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität – und das Land Berlin zusätzlich mit seinem Neutralitätsgesetz – für Letzteres entschieden.

Das weiß sogar der CDU-Politiker, der im Interview seinen Empfehlungen den Verweis auf eben jene weltanschauliche Neutralität des Staates voranstellt. Auch wenn man daran zweifeln darf, inwieweit er diesen Grundsatz selbst verinnerlicht hat: "Als Mitglied einer Partei, die seit mehr als 60 Jahren das 'C' in ihrem Namen führt, und als bekennender Christ ist das christliche Menschenbild der zentrale Leitfaden meiner politischen Überlegungen und Entscheidungen. Die unantastbare Würde und fundamentale Gleichheit jedes Einzelnen, begründet durch die Gottesebenbildlichkeit und die Freiheit des Menschen, die wir an vielen Stellen der Bibel finden, zum Beispiel bei Paulus in seinem Brief an die christlichen Gemeinden in Galatien", lautet die Willkommensbotschaft an alle, die seine Website besuchen.

Volker Kauder scheint nicht in der Lage zu sein, den Neutralitätsgrundsatz auch auf seine Funktion als Volksvertreter zu übertragen. Er bezieht sich aus seiner Sicht wohl nur auf nicht-christliche Religionen.

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