Wie Psychopharmaka in Zoos eingesetzt werden

Unlängst feierte Karlsruhe ein besonderes Jubiläum: Vor exakt 50 Jahren war Schimpanse Benny in den örtlichen Zoo "eingezogen". Eingefangen im Alter von etwa drei Jahren irgendwo an der Elfenbeinküste war er, getrennt von Mutter, Familie und Heimat, nach Karlsruhe verkauft worden. Seither sitzt er in einem vollverfliesten Betonbunker seine Lebensspanne ab, begafft Tag für Tag von Horden vorbeiziehender Zoobesucher. Wie hält er das aus?

In den Anfangsjahren wurde er noch in menschliche Kleidung gesteckt und in einem Kinderwagen durch den Zoo gekarrt. Seit er älter geworden ist, sitzt er rund um die Uhr und auf beengtestem Raum hinter ausbruchsicheren Panzerglasscheiben herum. Erst Mitte der 1990er Jahre wurde dem Bunkerbau eine Art Freiluftkäfig angefügt, den die Schimpansen – derzeit leben neben Benny noch zwei weibliche Schimpansen in Karlsruhe – bei günstiger Witterung für jeweils ein paar Stunden nutzen können.

Auch wenn man weiß, dass Primaten außerordentlich anpassungsfähig sind, erhebt sich doch die Frage, wie – und man ist geneigt zu sagen: "wie um Himmels willen" – Benny dieses art-, natur-, ja, lebenswidrige Dasein in Zoogefangenschaft über fünf Jahrzehnte hinweg ausgehalten hat, ohne verrückt zu werden. Benny gilt als langlebigster Zooschimpanse überhaupt.

Antidepressiva und Neuroleptika

Während Zoos landauf, landab mit Vehemenz bestreiten, ihre vorgehaltenen Tiere mit Psychopharmaka zu behandeln – allenfalls bei der Eingewöhnung eines neuangeschafften Tieres in eine bestehende Gruppe würde gelegentlich zu Diazepam [=Valium] gegriffen, vielleicht auch mal zur Appetitanregung bei einem Tier, das zu wenig Nahrung aufnimmt –, hat eine (eher zufällig entdeckte) wissenschaftliche Untersuchung in hiesigen Zoos [1] den Beweis erbracht, dass dort gehaltenen Primaten (es geht in der Studie um Gorillas) in der Tat und in erheblichem Umfang Antidepressiva und jederart Tranquilizer verabfolgt werden: "An Psychopharmaka wurden die Antidepressiva Amitriptylin, Citaliopram und Venlafaxin, die Neuroleptika Acepromacin, Haloperidol, Melperon, Perphenazin und Zuclopethixol sowie die Ataraktika Chlorazepat, Diazepam, Lorazepam, Midazolan und Oxazepam verwendet."

Und dies überwiegend zur Stressminimierung: "Der Einsatz oben genannter Seelentröster aus der Neurochemie (…) stand oft im Zusammenhang mit dem Ziel einer Stressreduktion wie zum Beispiel bei vorhandener stressbedingter Unruhe, Nervosität, Erregung, Aggression sowie Angst. Sie wurden verabreicht zum Eindämmen auftretender Trichotillomanie [=Ausreißen der eigenen Haare], Automutilation [=Selbstverletzung], stereotypen Verhaltensmustern wie Ohrenzuhalten, Ausrupfen von Haaren beim Jungtier durch die Mutter und andere Stereotypien."

Laut einer in der Studie zitierten Umfrage in nordamerikanischen Zoos gälten als Indikationen für den Einsatz von Psychopharmaka bei Gorillas "Aggression, Angstlichkeit (Anxiety), Automutilation, zur Eingewöhnung an einen anderen Gorilla respektive in eine soziale Gruppe, post operationem, zur Zuchterleichterung sowie zum Transport". Zur "Behavioural Modification Therapy" seien Antidepressiva, Antipsychotika, Anxiolytika sowie ein Betablocker und ein Morphinantagonist verabreicht worden.

Auch den bei dem Brandinferno in der Silvesternacht 2019/20 qualvoll zu Tode gekommenen Gorillas, die zeitlebens gezwungen gewesen waren, auf nacktem Beton herumzusitzen, beschäftigungslos und ohne Rückzugsmöglichkeit oder Außengehege, wurde laut vorliegender Studie Diazepam verabreicht; dazu "Haloperidol [=hochpotentes Neuroleptikum] mit Passionsblumentee".


[1] K. Alexandra Dörnath: Immobilisierungsverfahren sowie medikamentöse Ruhigstellung beim Gorilla. Dissertation an der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig. mbv Berlin, 2014

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