Bundestagsdebatte

Parlamentarier diskutieren Ablösung der Staatsleistungen

Gestern wurde der Gesetzentwurf von Grünen, Linken und FDP zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen in der ersten Lesung im Bundestag diskutiert. Die Parteien gaben in der rund 40-minütigen Aussprache ihre jeweilige Sicht der Dinge wieder, wobei Vertreter fast aller Fraktionen die Kirchen und das kooperative Verhältnis des Staates zu ihnen lobten und versicherten, man wolle daran nichts ändern. Die Regierungsparteien machten klar, dass sie den Gesetzentwurf in dieser Form noch nicht mittragen würden. Nun geht die Debatte in den Ausschüssen weiter.

Benjamin Strasser (FDP) begann seine Rede mit dem Zitat des Verfassungsauftrags aus der Weimarer Reichsverfassung, der den seit über einhundert Jahren anstehenden Handlungsbedarf vorgibt, nämlich, dass die Staatsleistungen abzulösen sind und die Grundsätze hierfür das Reich – die jetzige Bundesrepublik – aufstellt. "Wir machen das, weil wir unseren Verfassungsauftrag ernst nehmen", beschrieb er die Einbringung des Entwurfs für ein Grundsätze-Gesetz auch durch seine Partei. Der Gesetzentwurf sei ein Kompromiss und ein "faires Angebot, das im Dialog mit den Kirchen über viele Monate und Jahre entstanden ist". Fair sei es aber auch gegenüber den Ländern, die auf dieser Grundlage rechtssicher individuelle und passgenaue Lösungen aushandeln könnten, und gegenüber jenen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern, die aus der Kirche ausgetreten seien und denen man nicht erklären könne, "warum sie über Umwege diese Kirche wieder mitfinanzieren". Es sei das Wesen eines Kompromisses, dass keine Seite wirklich zufrieden sein könne. "Was aber nicht angeht, ist, zu unserem Gesetzentwurf 'nein' zu sagen und selbst keinen Vorschlag vorzulegen. Und das geht vor allem an die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Union." Es handle sich um einen Verfassungsauftrag, der nicht im Ermessen der Bundesländer stehe.

Hermann Gröhe von der Unionsfraktion beklagte zunächst die "große Polemik" bei diesem Thema in der öffentlichen Diskussion und die "Verunglimpfung" der Staatsleistungen als Privilegien der Kirchen, wobei der Entschädigungscharakter geflissentlich übersehen werde. Er würdigte den Gesetzentwurf als "wichtigen Beitrag zu einer sachlichen Diskussion". Hinter diese Sachlichkeit sei Strasser in seiner Rede "unnötig zurückgefallen", als er die Entschädigungsleistung als einem Nichtgläubigen nicht zumutbare Mitfinanzierung bezeichnet habe. Gröhe fuhr fort, dass der Regelungszusammenhang des Verfassungsgebotes zur finanziellen Entflechtung gerade nicht auf eine laizistische, vollständige Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften ziele, sondern verbunden sei mit einem Rahmen für die Mitwirkung der Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlichen Bereich. Man bekenne sich ausdrücklich zu diesem "Leitbild partnerschaftlicher Kooperation" und in diesem Geiste wolle man die Ablösung von Staatsleistungen umsetzen. "Das bedeutet, die Ablösung muss auf die Erfüllung der vollen staatlichen Pflicht zielen." Eine bloße Beendigung wäre "die Bewältigung früherer Enteignung durch eine neuerliche Enteignung" und "geradezu absurd". Den vorgeschriebenen Zeitraum von fünf Jahren zur Umsetzung in den Bundesländern halte er für "fragwürdig". Stattdessen brauche man "umfassende Konsultationen".

"Es geht hier um die Glaubwürdigkeit (…) des Gesetzgebers und der Kirchen" proklamierte der AfD-Abgeordnete Volker Münz in seinem Redebeitrag. Es gehe, nach einem Zitat von Joseph Ratzinger, um die Entweltlichung der Kirchen, die sich beide stark in die Politik einmischten. Mit akrobatischem Geschick schaffte er sogar in dieser Debatte einen Seitenhieb auf Flüchtlinge: Denn durch die im internationalen Vergleich gute Finanzausstattung der Kirchen könnten diese sich Dinge leisten, die mit Kirche gar nichts zu tun hätten, wie ein Genderinstitut der EKD und "ein Schiff (…), das Migranten nach Europa bringt". Er verwies auf einen eigenen Gesetzentwurf seiner Fraktion, der ein Ende der Zahlungen nach dem 31. Dezember 2026 vorsehe. Das seien noch rund 3,3 Milliarden Euro, womit hinreichend Planungssicherheit gegeben sei. Die im Gesetzentwurf der anderen Oppositionsparteien vorgesehene Summe in Höhe des 18,6-Fachen der aktuell jährlichen Staatsleistungen halte seine Fraktion für "überzogen". Der Faktor 18,6 entstamme dem Steuerrecht und sei hier nicht anwendbar. Die Frage eines Ablösebetrags sei umstritten. "Wir schließen uns der Rechtsauffassung an, dass der Staat die Kirchen mit den seit nunmehr über 200 Jahre lang geleisteten Zahlungen bereits vollständig für historische Enteignungen entschädigt hat."

SPD hat eigenen Gesetzentwurf "längst in der Tasche"

Münz' Aussagen brachten ihm sogleich den Vorwurf der Kirchenfeindlichkeit von Lars Castellucci (SPD) ein. Er wolle zunächst über die "Kirchenleistungen an den Staat" sprechen, begann der dann seine eigentliche Rede. "Wir haben ganz konkret zu danken für jede Stunde Singen im Chor, für jede Stunde Besuchsdienst (…), wir haben zu danken für ein Schiff, das auf dem Meer Leben rettet, da, wo die Staatsleistungen ein kompletter Ausfall sind. (…) Unser Land wäre kälter, unser Land wäre ärmer ohne [die Kirchen]." Er sage das, "weil wir zu unserem Thema ja immer wieder viel Post bekommen, von Menschen, die mit Kirchen oder mit Religion nichts am Hut haben – und das ist ihr gutes Recht –, aber die das in einer Weise betreiben, als wäre es eine Ersatzreligion und dann alles Mögliche verrühren" (das untermalte er mit einer Geste) "und zum Kirchenkampf aufrufen". Doch bei diesem Kampf müsse man auf die SPD verzichten. Nach einem weiteren Exkurs kam er zurück zum eigentlichen Thema: Die Kirchen hätten einen Anspruch auf die Staatsleistungen, es sei kein Privileg. Niemand aus den genannten Parteien (gemeint waren alle außer die AfD) stelle mehr in Frage, dass es diesen Anspruch gebe. "Die Ablösung bedeutet, dass wir nochmal Geld in die Hand nehmen müssen und nicht, dass bereits getilgt wäre." Die Kirchen müssten dabei in die Lage versetzt werden, die Einnahmen zu erzielen, die sie heute auch hätten. Das sei das Equivalenzprinzip, das man in den Gesetzentwurf hineinschreiben solle, allerdings ohne den vorab festgelegten Faktor von 18,6. Darüber müsse mit den Ländern verhandelt werden "und das ist jetzt auch der Knackpunkt, warum wir hier nicht zustimmen können heute. (…) Von uns wird es selbstverständlich keine Gesetzgebung gegen die Bundesländer geben".

Strasser nannte das nun schon Jahrzehnte andauernde Hin- und Herschieben der Verantwortung zwischen Bund und Ländern in einer Kurzintervention ein "Henne-und-Ei-Problem". Auf die Frage, was die SPD eigentlich wolle, sprach Castellucci von einem eigenen Gesetzentwurf, den er "längst in der Tasche" habe und der zu gegebener Zeit auch diskutiert werden könne.

Christine Buchholz (Linke) erklärte, der vorliegende Gesetzentwurf sei wichtig, weil er die Trennung von Staat und Kirche auch finanziell umsetzen wolle. Und: "Es wäre zutiefst ungerecht, wenn die Kirchen bis in alle Ewigkeit Gelder vom Staat erhielten für Ereignisse, die mehr als 200 Jahre zurückliegen. (…) Der Bund soll Grundsätze für die Umsetzung aufstellen. Das haben wir mit unserem Gesetzentwurf gemacht. Die Länder müssen dann mit den Kirchen in ihrem Bundesland Verträge zur Umsetzung vereinbaren. (…) Ich bin gespannt auf den Entwurf der SPD, schade, dass er nicht heute hier zur Diskussion gebracht wurde. (…) Denn wenn man nix tut, wie CDU und SPD bisher, dann kostet das ewig ­– und zwar Steuergelder. Und das ist nicht hinzunehmen." Wäre es nach der Linken gegangen, wäre die Ablösesumme deutlich geringer gewesen. Der jetzige, gemeinsame Gesetzentwurf biete jedoch eine Grundlage, auf die sich eine Mehrheit im Bundestag einlassen könnte. SPD und CDU müssten erklären, ob sie den Verfassungsauftrag weiter ignorieren und aussitzen wollten oder ob sie sich für eine Lösung stark machen wollten, die auch dem Gleichbehandlungsgebot gegenüber allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in unserer zunehmend plural geprägten Gesellschaft entspreche.

"Es gibt wohl keine Mühle der deutschen Gesetzgebung, die so langsam mahlt wie diese hier", stellte Konstantin von Notz seinem Debattenbeitrag für die Grünen voran. Man wolle nicht am "erfolgreichen, verfassungsrechtlich gesicherten, kooperativen Grundverständnis von Kirche und Staat" rütteln, versicherte er. "Wir zeigen einen machbaren, verfassungskonformen und angemessenen Weg auf." Man wolle die Abhängigkeit der Kirchen vom Staat in diesem Bereich beenden, aber auch keinen Kahlschlag bei kirchlichen Sozialeinrichtungen.

Die Staatsleistungen seien "verfassungsrechtlich geschuldete Entschädigungszahlungen", erläuterte Philipp Amthor (CDU/CSU) als zweiter Redner seiner Fraktion. Die Länder hätten bisher in keiner Weise den klaren Willen zur Ablösung artikuliert; denn erst dann wäre aus dem Bundesstaatsprinzip eine Verpflichtung zu sehen, dass der Bund diese Regelung erlasse. Bis dahin sei es das freie Ermessen des Bundes, wann er dies tue. Man müsse auch berücksichtigen, dass es in der aktuell durch Corona angespannten Haushaltslage der Länder dort "auch andere Schwerpunkte" gebe, als "jetzt zwingend innerhalb der nächsten fünf Jahre diese Staatsleistungen zu regeln". Den Ablöse-Faktor halte er mit 18,6 angesichts der aktuellen Niedrigzins-Situation für zu gering und verwies auf die höhere Bedeutung der Staatsleistungen in manchen Ostkirchen.

Die Debatte wird nun in den Ausschüssen weitergeführt.

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