Interview

Never again – Niemals wieder

Die Erinnerung an Holocaust und Nazi-Herrschaft befindet sich in einer Umbruchphase, weil die letzten Zeitzeugen sterben. Mario Dahl, Student der Filmakademie Baden-Württemberg, hat sich dem Thema in einem eindrucksvollen Kurzfilm genähert.

hpd: Herr Dahl, Sie haben jüngst einen Kurzfilm mit dem Titel "Never Again" gedreht. Worum geht es in dem Film?

Mario Dahl: Der Film zeigt zwei Kinder, die an einem Sommertag beobachten, wie Gefangene von einem Trupp SS-Soldaten an einem Baum hingerichtet werden sollen. Begleitet wird die Szenerie von einer alten, weiblichen Stimme, welche von ihrer Erinnerung erzählt.

Dieses Erlebnis aus der Kindheit lebt bis heute in ihr weiter und hält regelmäßig Einzug in ihre Träume. Immer noch schauen die Augen der Gefangenen sie darin an. Aber nun, da die Erzählerin selbst bald endgültig gehen wird, verändern sich diese Blicke – die Erinnerung verschwimmt im Film mit ihrem Traumgefühl.

Basiert Ihr Film auf einem historischen Ereignis?

Die Szene selbst beruht auf keinem historischen Ereignis, aber die Sprecherin der Off-Stimme – Eve Slatner – ist tschechische Jüdin und wurde in den 30er-Jahren mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit gebracht, war dann in den USA, und lebt heute in Berlin.

Der Baum, an dem wir gedreht haben, steht übrigens in der Nähe von Reutlingen und trägt passenderweise den Namen "Friedenslinde". Auch (zufällig) passend: Einer der Drehtage war am "Tag des Friedensfests".

Nun sind die Themen Judenverfolgung, Holocaust und Schrecken der Nazi-Herrschaft ja schon recht häufig filmisch verarbeitet worden – auch von den ganz Großen Ihres Fachs. Was hat Sie bewogen, sich trotzdem noch einmal an das Thema zu wagen?

Der Ursprung des Projekts war eine Ausschreibung des Auswärtigen Amts, welches den Ratsvorsitz Deutschlands in der EU als Anlass genommen hatte, ein paar Projekte an Filmhochschulen in ganz Deutschland zu fördern. Darunter auch unseres. Ich wollte die überaus wichtige Grundidee eines vereinigten Europas mit dem Fakt verbinden, dass wir schon jetzt so gut wie keine Zeitzeugen des letzten Weltkrieges mehr befragen können. "Never again" oder "Never forget" sind dabei natürlich nicht die allerneuesten Appelle. Mich hat aber die Umsetzung eines kurzen, aussagekräftigen Films sehr gereizt, der diese allgemein bekannten Fakten in einer ungewöhnlichen Form nochmals aufgreift. Es ist ja ein Riesenunterschied, ob ich etwas nur weiß, oder ob ich es auch fühle, beziehungsweise ein Gefühl zu diesem Wissen habe. Vielleicht nennt man es in diesem Kontext dann erst "Bewusstsein". Und das können Filme in kurzer Zeit ziemlich effektiv: Gefühle erzeugen.

Ich muss sagen, dass mich Ihr Film sehr berührt hat. Man muss schon heftig schlucken. Wie gelingt es Ihnen, diese Wirkung zu erzielen?

Beispielbild
Regisseur und Drehbuchautor Mario Dahl bei den Dreharbeiten zum Film. (© Mario Dahl)

Es ist denke ich, wie meistens bei Filmen, das Zusammenspiel aller Faktoren beziehungsweise Departments, die ihre Arbeit super gemacht haben. Was auch eine große Rolle spielt sind Kontraste: Die eigentlich schöne Ästhetik der Natur und das Grauen, das ungeachtet dessen darin stattfindet. Die Stimme einer alten, erfahrenen Frau in Verbindung mit dem unbedarften, jungen Mädchen. Die Unschuld des Kindseins und die große Schuld der Täter in dieser grausamen Diktatur. Die sanften Chorstimmen und der aufziehende Sturm. Die Macht der Gewalt über die Hilflosigkeit der Opfer. Die fast flehenden Blicke der bereits Verstorbenen zur Überlebenden. Und über allem hängt natürlich die für uns nicht zu bemessende Tragweite der Grausamkeiten, die genau dort stattgefunden haben, wo wir heute in Frieden leben dürfen.

Ihr Film thematisiert ja vor allem, dass wir uns gerade in einer historischen Umbruchphase befinden, was die Erinnerung an den Holocaust und die Nazi-Herrschaft angeht, weil die letzten Zeitzeugen sterben. Wie, denken Sie, kann man es erreichen, dass die Erinnerung trotzdem lebendig bleibt?

Ich glaube, auch nichts Neues, im Kern: Bildung.

Die Frage ist vor allem: WIE vermittelt man sie? Dass es zum großen Teil digital funktionieren sollte, ist keine Neuigkeit. Aber was oftmals ziemlich vernachlässigt wird, ist, dass es Spaß machen muss! Klar kommt man nicht dran vorbei, manche Dinge (vor allem in gewissen Studiengängen) auch einfach in sich reinzuzwingen.

Aber das darf kein Ansatz für die Bildung von Schülern und jungen Menschen sein. Ich kenne die Verweigerungshaltung aus meiner eigenen Schulzeit nur zu gut. Das Einzige, was da hilft, ist ein Eigenantrieb. Und der wird nur geweckt, wenn es auch Spaß macht. Neugierde und Dinge wissen zu wollen ist ja eigentlich etwas sehr Natürliches, auch Kindliches. Genauso wie der Spieltrieb. Aber um das anzusprechen, muss man Wege finden, die dem Mindset einer jungen Generation gerecht werden.

Entertainment und Medien bilden unsere Realität und bestimmen die Wirklichkeit. Das ist nur den meisten aus älteren Generationen, denke ich, nicht so wirklich bewusst. Das ist gar keine Frage irgendeiner politischen Richtung oder einer Ideologie. Es ist einfach Fakt. Ob man die ganzen Apps, Social Media usw. toll findet oder schrecklich. Es nützt alles nichts. Das ist keine "virtuelle" Realität, das IST die Realität. Hier findet sie genauso statt und wird genauso geformt wie offline. Diese Pandemie hält uns das jetzt noch deutlicher vor Augen, als es ohnehin schon der Fall war. Und wenn's nicht zu spät ist: Genau deshalb sollte meiner Meinung nach Medienkompetenz, der Umgang mit Quellen, Nachrichten und Informationen, eine der zentralen Aufgaben von Schulen sein. Man kann sich eben auch "falsch" fortbilden (zum Beispiel über Millionen unseriöser Quellen im Internet). Was dann passiert, kann man seit Corona täglich in den Nachrichten und auf der Straße verfolgen. Das ist aber nichts Neues, sondern wird jetzt einfach nur sichtbarer.

Zurück zum "Wie": Kern der von der Masse genutzten Medien ist meist Entertainment. Unterhaltung. Ich studiere ja im Studiengang Regie mit dem Schwerpunkt Werbefilm im letzten Jahr an der Filmakademie Baden-Württemberg. Deshalb fand ich die Länge von drei Minuten für unseren Film auch gut. Für Werbefilmer und den Social-Media-Bereich ist das ja eher schon lang. Die Aufmerksamkeitsspanne der Allermeisten beziehungsweise die Bereitschaft etwas Längeres anzuschauen, ist in dieser Welt der unerschöpflichen Bilder kaum mehr gegeben, es sei denn, es sind "große" Filme oder Serien. Diese funktionieren auch über Spannung, gute Bilder und Story. Darüber eine Message zu transportieren, funktioniert nach wie vor. Und vielleicht ist das einer der Wege, über den man auch Bildung, oder zumindest ein Nachdenken anregen kann.

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