Säkulare Gedanken zum Dialogforum des österreichischen Justizministeriums über Sterbehilfe

Eine "demokratiepolitische Katastrophe"

Von 40 Teilnehmern eines Dialogs über Sterbehilfe waren nur zwei deklarierte Vertreter der Pro-Sterbehilfe-Seite eingeladen worden: Der Vertreter der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) Wolfgang Obermüller und ich als Vertreter der säkularen Humanisten vom Humanistischen Verband Österreich (HVÖ). Selbst der profilierte Rechtsanwalt Wolfram Proksch, der das Urteil vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) erstritten hat, war nicht anwesend, ebenso wie profilierte Vertreter der Sterbehilfe-Befürworter aus dem Ausland, die wichtigsten Zeugen eines funktionierenden Sterbehilfesystems. Die Einladungsliste war – wie der Verfassungsrechtler Heinz Mayer anmerkte – eine "demokratiepolitische Katastrophe".

Zwei freiwillige, idealistische, weil unbezahlte Befürworter des assistierten Suizids saßen also einer Phalanx von Religionsvertretern gegenüber, die Großteils noch wenige Wochen vorher für die verfassungsmäßige Einbetonierung des Verbots der assistierten Sterbehilfe waren und den neutralen, wissenschaftlichen Ausdruck "Suizid" mit großem Bestemm durch den von Luther geprägten tendenziösen Begriff "Selbstmord" ersetzten.

Bereits vor dem VfGH-Spruch hatten Vertreter von Religionsgemeinschaften, etwa die katholische Bischofskonferenz, vor einer gesetzlichen Lockerung der Gesetzeslage gewarnt und von einem "Dammbruch" gesprochen. Auch danach ebbte die Kritik nicht ab. Nun wollen die christlichen Kirchenvertreter zumindest verhindern, dass es bei einer neuen Gesetzeslage zu Missbrauch kommen könnte, der aber bisher in der langen Erfahrung mit Sterbehilfe kein Problem darstellte. Auch die Haltung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist ähnlich (APA, 23.04.2021) und ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass das bei den meisten Religiösen so ist.

Ein Vertreter der Gegenseite, Theo de Boer, ein holländischer dezidierter Gegner der Sterbehilfe mit jahrzehntelanger Erfahrung, sprach kein Sterbenswörtchen über dieses Missbrauchsproblem. Er mahnte eher in unserem Sinn eine schlanke Bürokratie an, weil eine überbordende Bürokratie ein Eigenleben entwickelt.

Aber auch die politischen Reaktionen geben zu denken: Von der Regierung kamen eher paternalistische Töne, gegen die wir uns verwahren, denn wenn es um den eigenen Tod geht, dann beurteilt einzig und allein der Betroffene den Wert seines Lebens und sonst niemand. Das Leben gehört dem Menschen und nicht Gott, dem Staat oder sonst irgendwem. Darüber sollte nach dem VfGH-Urteil Einigkeit herrschen. Die Aufgabe der Gesellschaft ist es nur, die Authentizität des "freien Sterbewillens" festzustellen.

Die Juristen in der Runde sorgten für wohltuende Sachlichkeit und Professionalität. Die Vertreterin der Österreichischen Bischofskonferenz Stephanie Merckens hingegen wollte sogar überraschenderweise den freien Willen am Ende des Lebens in Frage stellen, eine der Grundfesten der katholischen Theologie, Vorbedingung für den Begriff "Sünde".

Das dabei zur Anwendung kommende Welt- und Menschenbild war ein diametral anderes als das humanistische. Missbrauch stand im Mittelpunkt, als bestünde die ganze Welt aus Erbschleichern. Der Eindruck entstand, als wolle man durch eine riesige Überwachungsbürokratie anhand von Gremien und "Konsilien" die Praxis der Sterbehilfe torpedieren. Dabei wurden vorwurfsvolle Forderungen laut wie absolute Transparenz sowie Vermeidung von Bereicherung, als wäre das irgendwo auf der Welt ein Problem gewesen.

Eine der letzten Bastionen der klerikal geprägten Welt ist der Tod. Man hatte das Gefühl, dass das ein Hauptmotiv der kirchlichen Vertreter war. "Das Geschäft der Kirche ist der Tod", meinte der Dichter Georg Kreisler einst sarkastisch. Dagegen muteten die zahlreichen Befürchtungen von Gertrude Aubauer (ÖVP) praxisfern an, dass kein Geschäft mit dem Tod gemacht werden dürfe. Angesichts der enormen Arbeit, die mit der Besorgung, den Vorbereitungen, der Verabreichung und der exakten Dokumentation einer Suizidassistenz verbunden ist, wird sich niemand finden, der diese aufwendige Arbeit aus reiner Mildtätigkeit macht. Das ist ja auch im Hospiz-Bereich nicht der Fall. International wurden in der 50-jährigen Erfahrung keine Probleme in diesem Bereich geortet, wodurch ein Herumreiten auf diesem Punkt nur ideologisch erklärt werden kann. Kontrolle, Transparenz und Vermeidung von Gewinnstreben muss in allen Bereichen gegeben sein, also auch in der Hospizbewegung und in der Kirche, die nicht gerade für Transparenz und Sparsamkeit bekannt ist. (Man denke an Limburg!)

Im Zuge der Säkularisierung gab es schon viele "Büchsen der Pandora"

Das Dialogforum hat leider die Chance verpasst, die neue, durch den Verfassungsgerichtshof eröffnete Möglichkeit als Schritt zu einem selbstbestimmten Leben, zu dem der selbstbestimmte Tod unauflöslich gehört, zu feiern. Stattdessen ging auf die Befürworter ein Feuerwerk von Bedenken und Befürchtungen hernieder. Dabei haben Wolfgang Obermüller von der ÖGHL und ich uns ohnehin für die Berechtigung eines kontrollierten und transparenten Prozesses ausgesprochen. Nur dürfen die Einschränkungen und bürokratischen Hürden für einen Sterbewilligen nicht so hoch sein, dass der Geist des VfGH-Urteils zunichte gemacht wird. Wir haben klar gesagt, dass niemand, auch niemand von der Ärzteschaft, gezwungen werden darf, an der Assistenz mitzuwirken, aber es geht um Selbstbestimmung; allen Beteiligten sollen keine ungebührlichen Lasten auferlegt werden.

Die Behandlung der Auslandserfahrungen kam zu kurz, die entsprechenden Fachleute hätten berichten können, wären sie eingeladen worden. Eine riesige schwarze Wolke von Befürchtungen, genannt die "Büchse der Pandora", schwebte über dem Dialogforum. Im Zuge der Entevangelisierung und Säkularisierung Europas, ein Vorgang, der noch lange andauern wird, aber immer schneller verläuft, gab es bereits jede Menge an "Pandora-Büchsen": die Abschaffung der Sklaverei, Vernunft vor Glaube, Ketzer sollten nicht mehr hingerichtet werden, die Menschen sollten gleichberechtigt sein, die Verheirateten dürfen sich scheiden lassen und Frauen dürfen wählen und über ihren eigenen Körper bestimmen etc. etc. Ja, wo kämen wir denn da hin! Alle diese Schritte haben nicht nur den Menschen ein Stück Freiheit geschenkt, sondern unendliches Leid vermieden. Wenn der ethische Grundsatz Nummer eins lautet, "Leid zu vermeiden und Glück zu schenken", wie das im Humanismus der Fall ist, und nicht "Gott zu dienen", dann ist die Büchse der Pandora ein Gefängnis, aus dem es auszubrechen gilt.

Den Erfolg des Gesetzes werden wir logischerweise auch nicht an der sinkenden Zahl der Suizide ablesen können, an der Zahl der steigenden Suizide wäre zynisch. Es ist klar, dass eine zusätzliche Möglichkeit auch genutzt werden und damit Leiden verhindert werden wird. Das ist das Ziel und das kann man nur durch Befragung der Beteiligten und Angehörigen beziehungsweise durch Dokumentation und Umfragen feststellen. Hat Leidensminderung stattgefunden und war das tatsächliche Geschehen human und im Sinne der Verstorbenen?

Allerdings – anders als noch vor 70 Jahren – sind mehr als die Hälfte der Menschen säkular eingestellt und rund 80 Prozent sind heute für "Sterbehilfe". Das VfGH-Urteil hat den liberalen Weg schon vorgegeben, diesen mit Regelgestrüpp zu verbauen ist inhuman, und der VfGH wird das in letzter Konsequenz auch nicht zulassen. Wir haben das in unserem Gesetzesvorschlag verankert.

Der Humanistische Verband Österreich (HVÖ) und die Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL) sowie viele Sympathisanten werden sich weiterhin engagieren:

  1. Für eine Kultur des humanen Sterbens in Österreich.
  2. Für das Ende des Tabuthemas und für einen offenen Diskurs über das Sterben.
  3. Für real möglichen und unbürokratischen Zugang zu Sterbehilfe in Österreich ab 2022.

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