Einer der wohl schlimmsten Alpträume und ein unvorstellbarer Vertrauensbruch ist es, plötzlich damit konfrontiert zu werden, dass der Ex-Partner Nacktaufnahmen oder Sexvideos an Freundinnen und Arbeitskollegen schickt oder auf Online-Plattformen veröffentlicht. In ganz Mexiko wird diese und andere digitale Gewalt nun mit bis zu sechs Jahren Haft bestraft. Benannt ist das Gesetzesbündel "Ley Olimpia" nach einer Betroffenen, Olimpia Coral Melo, die viele Jahre für die Umsetzung gekämpft hat.
Gerade einmal 18 war Olimpia Coral Melo aus dem mexikanischen Bundesstaat Puebla im Jahr 2013, als ihr damaliger Freund ein Video mit sexuellem Inhalt von ihr veröffentlichte. Das Video wurde weit verbreitet, sogar von einer Lokalzeitung aufgenommen und über sie ergoss sich eine Welle des Hasses und Beschämens, während er unbestraft blieb. Besonders perfide war, dass ein Facebook-Wettbewerb ausgerufen wurde, bei dem die Anzahl der Likes über weitere Veröffentlichungen entschied.
Nach dem Versuch sich zu verstecken und Suizidversuchen wurde Coral Aktivistin und kämpfte für die Einführung von Gesetzen gegen digitale und mediale Gewalt. Nach Yucatán war Puebla eines der ersten Bundesländer, das 2018 eine Strafe von drei bis sechs Jahren Haft plus Geldstrafe vorsah. Weitere Bundesländer folgten in den Jahren 2019 und 2020. Coral und weitere Mitstreiter:innen gründeten die Frente Nacional para la Sororidad ("Nationale Schwesternschaftsfront"), um auch auf Bundesebene digitale und mediale Gewalt wie zum Beispiel Rachepornos unter Strafe stellen zu lassen.
Nachdem im November 2020 bereits der Senat der "Ley Olimpia" zugestimmt hatte, folgten am 29. April 2021 auch die Abgeordneten. Mit 446 Stimmen dafür und nur einer Stimme dagegen wurde entschieden, digitale und mediale Gewalt mit bis zu sechs Jahren Haft und einer Geldstrafe zu belegen.
Das Gesetz verbietet Video- und Audioaufnahmen oder Fotografien mit sexuellem Inhalt, wenn die abgebildete volljährige Person nicht zugestimmt hat oder die Zustimmung durch Betrug erreicht wurde. Auch das Fälschen solcher Aufnahmen ist verboten. Ebenso verboten ist es natürlich, Videos oder Bilder sexuellen Inhalts zu teilen, zu veröffentlichen, zu versenden oder zu verkaufen, sofern kein Einverständnis der abgebildeten Person vorliegt. Dieses Verbot umfasst alle Medien, vom gedruckten Bild über Nachrichtendienste bis hin zu Sozialen Medien. Werden Dateien mit sexuellem Inhalt ohne Zustimmung der darin vorkommenden Person von einem Partner oder Ex-Partner veröffentlicht, fällt die Strafe höher aus als bei einem Diebstahl oder Erschleichen sexuellen Materials durch Fremde, da die Schwere des Vertrauensbruchs noch hinzukommt.
In Mexiko Stadt wurde Anfang April zum ersten Mal ein Mann festgenommen, weil er intime Fotos von Frauen erschlichen und verteilt sowie die Frauen erpresst hatte. Nachdem er sich beispielsweise Nacktbilder einer jungen Frau mittels Messengerdienst Telegram erschlichen hatte, hatte er diese in Sozialen Netzwerken geteilt und sich bei der Betroffenen schließlich als Anwalt ausgegeben, der die Entfernung der Fotos im Netz gegen ein Entgelt erreichen könne. Der 24-jährige Täter flog auf, da er das Konto seiner Mutter angegeben hatte. Bereits 2018 war er wegen sexueller Belästigung angezeigt worden. Ähnlich erging es einem Täter in diesem Monat. Er hatte intime Bilder und Daten wie die Namen von 400 Frauen, vor allem aus dem Bundesstaat Oaxaca, zum Kauf angeboten. 500 Pesos (etwa 20 Euro) hätten Käufer auf das Konto des Täters zahlen sollen.
Von "Ley Olimpia" wird erwartet, dass nicht nicht nur Ex-Partner bestraft werden, die sich an der früheren Lebensgefährtin dafür rächen wollen, verlassen worden zu sein, indem sie private und intime Videos und Fotos veröffentlichen; sondern es wird als ein Schritt gegen die Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen gesehen.
In Mexiko geschehen jedes Jahr hunderte Femizide, über 900 waren es im Jahr 2020. Eine Situation, die durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie und Budget-Kürzungen bei Projekten für Frauen noch verschlimmert wurde.
13 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ley Olimpia - voll gerechtfertigt und überfällig!
Es sollte nur schon im Teaser so etwas wie "Nacktaufnahmen *von dir*" stehen; es sind ja nicht irgendwessen Aufnahmen.
Renton am Permanenter Link
Soweit ersichtlich, ein sinnvolles Gesetz. Das Strafmaß scheint mir aus deutscher Sicht zwar zu hoch zu liegen, aber in Mexiko mögen andere Maßstäbe üblich sein.
Übrigens scheint mir Mexiko bei zehntausenden ermordeten Männern jedes Jahr ein noch deutlich größeres Problem mit Gewalt gegen Männer zu haben als mit Gewalt gegen Frauen.
Christian Meißner am Permanenter Link
Die Zahl von 900 meint die Anzahl der getöteten Frauen auf Grund ihres Geschlechts (=Femizide). Übrigens machen in Mexiko Femizide ca. 35 % aller an Frauen begangenen Tötungsdelikte aus.
Diese Zahlen sind wohl die tragischste Folge der teilweise bis zur totalen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ehemann sich konkretisierenden strukturellen Benachteiligung der Frau in Mexiko. So gehen nur knapp über 40 % der erwachsenen Mexikanerinnen einer bezahlten Arbeit nach, während der Anteil bei den erwachsenen Männern fast doppelt so hoch ist.
Mexiko hat kein Problem mit Gewalt gegen Männer, dafür aber ein massives Problem mit Gewalt von Männern an Frauen.
Renton am Permanenter Link
2019 wurden in Mexiko ca. 34.600 Tötungsdelikte registriert (Quelle: https://www.reuters.com/article/us-mexico-violence-idUSKBN22W2JC), davon ca.
30.800 getötete Männer
3.800 getötete Frauen
Auf eine ermordete Frau kommen also acht ermordete Männer. Die Zahlen waren Ihnen sicherlich schon bekannt, und trotzdem meinen Sie:
"Mexiko hat kein Problem mit Gewalt gegen Männer, dafür aber ein massives Problem mit Gewalt von Männern an Frauen."
Das kann ich nicht nachvollziehen. Die einzelnen Aussagen vielleicht, aber nicht beide zusammen. Wenn 3.800 ermordete Frauen ein massives Problem sind, sind es 30.800 ermordete Männer erst recht. Wenn 30.800 ermordete Männer kein Problem sind, sind es 3.800 ermordete Frauen auch nicht.
Nun meinen Sie ja anscheinend, es käme auf das Geschlecht des Mörders an. Wenn der Mörder eines Mannes ein Mann ist, stellt das Ihrer Ansicht nach wohl kein Problem dar. (Wieso dann eigentlich nicht auch, wenn der Mörder einer Frau ein Mann ist?) Es müssen anscheinend Täter und Opfer von verschiedenem Geschlecht sein, damit eine Tötung für Sie relevant ist.
Selbst, wenn ich dieser merkwürdigen Ansicht folge, kann ich Ihre Schlussfolgerung nicht nachvollziehen. Ich nehme mir mal Ihre Zahlen und rechne nach, unter der plausiblen Annahme, dass die Täter unabhängig von ihrem eigenen Geschlecht im Großen und Ganzen im gleichen Verhältnis Männer und Frauen getötet haben, wie es den Opferzahlen entspricht:
An 95% der Tötungen mit einer Frau als Opfer war ein Mann beteiligt. Macht ca. 3610 von Männern getötete Frauen.
An 15% der Tötungen mit einem Mann als Opfer war eine Frau beteiligt. Macht ca. 4620 von Frauen getötete Männer.
Selbst mit dieser kruden Logik hat Mexiko ein noch größeres Problem mit von Frauen begangenen Tötungen an Männern als mit von Männern begangenen Tötungen an Frauen. Ich betone aber, dass ich diese krude Logik nicht teile, denn es kommt auf das Geschlecht des Täters nicht an.
Dann zu den angeblich 900 Femiziden: Ich bezweifele, dass irgendeine dieser Taten ein Femizid war. Femizid bedeutet im Wortsinn, eine Frau aufgrund Ihres Geschlechts zu töten. Die einzigen mir bekannten Femizide sind Tötungen von neugeborenen Mädchen, weil die Mutter lieber einen Sohn haben möchte. Was in Mexikos Statistiken als Femizid bezeichnet wird, sind Beziehungstaten. Das Motiv bei diesen Taten ist nicht das Geschlecht des Opfers, sondern Kränkungsgefühle, Eitelkeit und ähnliche für Beziehungstaten typische Motive. "Femizid" wird heutzutage falsch verwendet, weil die sprachliche Nähe zu "Genozid" Aufmerksamkeit heischen soll. Das funktioniert leider nur zu gut, wie man daran sehen kann, dass über nicht einmal 1.000 ermordete Frauen mehr berichtet wird als über 30.000 ermordete Männer.
Damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich will keine Opfer gegeneinander ausspielen. Aber die Mitleidlosigkeit gegenüber Männern, die geht mir gegen den Strich. Üblicherweise wird nur echtes oder vermutetes weibliches Leid gesehen, und männliches ignoriert. Auch, wenn Sie schreiben: "So gehen nur knapp über 40 % der erwachsenen Mexikanerinnen einer bezahlten Arbeit nach, während der Anteil bei den erwachsenen Männern fast doppelt so hoch ist", schwingt das Narrativ der armen, bedauernswerten Frau mit. Ich sehe das anders. Offenbar können es sich 40% der Frauen in Mexiko leisten, nicht arbeiten zu gehen um Geld zu verdienen, weil ihre Männer das für sie tun, und stattdessen ein Dasein als Hausfrau zu fristen. Bei allem Respekt, den ich für die Arbeiten im Haushalt habe, ist dies das angenehmere Schicksal als außer Haus arbeiten zu müssen. Hausfrau zu sein, ist keine Unterdrückung, sondern ein Privileg, und ich bin mir sicher, dass gerade im eher konservativen Mexiko diese Ansicht von der Mehrheit geteilt wird.
Petra Pausch am Permanenter Link
Niemand ist mitleidlos gegenüber Männern, wenn man von Femiziden spricht. Sie sollten sich wirklich einmal intensiv mit dem, was der Begriff meint, auseinander setzen.
Ich bin mir aber sicher, dass Sie diese Tatsache nicht wahrnehmen wollen, weil Sie nicht in Ihre Wahrnehmung passt.
Renton am Permanenter Link
"Niemand ist mitleidlos gegenüber Männern, wenn man von Femiziden spricht."
Ich bezog mich auf meinen Vorredner. Christian Meißner ist mitleidlos gegenüber Männern, weil er trotz zehntausender ermordeter Männer meint, Mexiko habe kein Problem mit Gewalt gegen Männer. Davon ab wird Männern generell mit weniger Empathie begegnet als Frauen, das nennt sich Geschlechterempathielücke.
Und ich habe auch geschrieben, dass ich keine Opfer gegeneinander ausspielen will. Aber Verhältnismäßigkeit in der Beurteilung von Problemlagen, die verlange ich.
"Femizide bedeutet, dass Frauen ermordet werden, WEIL sie Frauen sind."
Was, glauben Sie, habe ich daran nicht verstanden? Nicht verstanden haben das die Leute, die Beziehungstaten als Femizide auffassen. Es sind keine, weil bei einer Beziehungstat das Opfer NICHT wegen seines Geschlechtes getötet wird, sondern aus den von mir genannten Gründen. Es ist auch kein Andrizid, wenn eine Ehefrau ihren Mann vergiftet. Ihr Motiv liegt nicht im Geschlecht ihres Mannes begründet, sondern ergibt sich aus der besonderen Beziehung zu ihm.
Wenn die Frau bi ist und erst ihren Mann tötet, und später ihre anschließend geheiratete Ehefrau, war das zweimal eine Beziehungstat und keinmal ein Andrizid/Femizid.
Und jetzt bitte noch zu meinem besseren Verständnis: Welche Tatsache genau meinen Sie, will ich nicht wahrnehmen?
Stephan Fleischhauer am Permanenter Link
Angenommen, ein Mann tötet eine Frau aus Frauenhass, dann müsste er logischerweise jede Frau zu töten versuchen. Er müsste automatsch ein (potentieller) Serienmörder sein.
Was wäre eigentlich ein Mord, den eine Frau an ihrem Partner begeht? Ein Maskuzid?
Welche Kriterien werden an einen Femizid angelegt? Wird der Mörder (oder die Mörderin) befragt, warum er (oder sie) die Frau ermordet hat? Und wenn man die Antwort erhält: "ich habe es getan, weil sie eine Frau war", dann war es ein Femizid? Wenn man so eine Antwort aber nicht bekommt, ist ein Femizid dann ausgeschlossen? Woher kann man sich überhaupt sicher sein, was das Motiv für den Mord war? Serienmörder, die es auf Frauen abgesehen haben, sind nicht gerade häufig.
Wenn ein Mann seine Frau ermordet, weil er sich von ihr drangsaliert fühlt, ist es dann eine Femizid? Wenn sein Sohn seinen Vater ermordet, weil er sich von ihm drangsaliert fühlt, ist es dann ein Maskuzid?
Was sind die Kriterien? Und warum spricht man nicht von Maskuziden?
pingpong am Permanenter Link
Für die "Tatsache", dass Frauen (ausschließlich?) deshalb getötet werden, WEIL sie Frauen sind, wären natürlich ein paar handfeste Nachweise oder Untersuchungen und Studien interessant.
Auf der Wikipedia Seite zum Begriff "Femizid"
https://de.wikipedia.org/wiki/Femizid#Ans%C3%A4tze_zur_Analyse_von_Femizid
gibt es verschiedene Definitionen und Ansätze zur Analyse, u.a. den feministischen Ansatz, den Soziologischen, Kriminologischen, Menschenrechts sowie den Dekolonialen Ansatz.
In der ursprünglichen Definition kommt der Punkt "...WEIL sie Frauen sind" nicht vor, dort ist ein Femizid einfach die Tötung einer Frau. Manchmal mit dem Zusatz "misogyn" - was man als "WEIL sie Frauen sind" gelten lassen kann, allerdings wird dieser Zusatz nicht begründet oder nachgewiesen, sondern behauptet - oder "aus Hass", was mit mit "WEIL sie Frauen sind" gerade nicht kompatibel ist. Der Grund ist dann eben Hass und nicht das Geschlecht.
In den verschiedenen Ansätzen zur Analyse kommt der Punkt "WEIL sie Frauen sind" ebenfalls nur vereinzelt vor. So definiert z.B. der soziologische Ansatz Femizid explizit als "alle Tötungen von Frauen, ungeachtet des Motivs oder des Täterstatus" - also gerade das Gegenteil von dem was Sie behaupten.
Einzig der feministische Ansatz definiert Femizid als "Tötung von Frauen durch Männer, weil sie Frauen sind" - liefert dafür aber keine Begründung oder Untersuchung. Entsprechend liest man dann auch folgende Kritik an diesem Analyse-Ansatz:
"Zum anderen mache der Ansatz jede Frau unterschiedslos zu einem potenziellen Opfer und verhindere eine differenzierte Analyse, aus der Gegenmaßnahmen abgeleitet werden könnten. Die Allgemeinheit der Hypothese erschwere es, das Ausmaß zu quantifizieren."
Die WHO definiert "Femicide is generally understood to involve intentional murder of women because they are women, but broader definitions include any killings of women or girls."
https://www.who.int/reproductivehealth/publications/violence/rhr12_38/en/
Auch hier wird der Punkt "WEIL sie Frauen sind" bereits als Teil der (engen) Definition vorausgesetzt und nicht begründet oder nachgewiesen.
Ich bin der Meinung, eine Kausalität dieser Größenordnung kann nicht einfach behauptet werden, sondern sollte zumindest rudimentär begründet, untersucht und belegt sein. Es geht hierbei schließlich im wahrsten Sinn des Wortes um Leben und Tod. Da darf man wohl ein gewisses Maß an wissenschaftlicher Gründlichkeit erwarten. Falsche Kausalitäten haben in der Geschichte der Menschheit geung Leid angerichtet: Von Menschenopfern zur Besänftigung der Götter, über verschiedenen grausamen Irrungen der katholischen Kirche, die verfehlte "Wissenschaft" der Phrenologie (der fälschlich angenommene Zusammenhang zwischen der Schädelform und Charakter- bzw Geistesgaben) bis hin zur Eugenik.
Wir sollten dieser unrühmlichen Liste nicht noch ein weiteres Beispiel hinzufügen.
Christian Meißner am Permanenter Link
Wenn ich schreibe, Femizid ist die Tötung einer Frau auf Grund ihres Geschlechts ist das eine Kurzbeschreibung.
Dass die Mehrheit der Hausfrauen Mexikos dieses Dasein freiwillig gewählt hat, ist im Übrigen nicht richtig. Es ist nämlich ein gesellschaftliches Problem, dass dort in Pandemiezeiten 70 % aller Personen, die ihre Arbeit verloren haben, Frauen sind (Quelle: https://www.inegi.org.mx/contenidos/saladeprensa/boletines/2021/enoe_ie/enoe_ie2021_05.pdf). Und es ist ein noch viel gravierenderes gesellschaftliches Problem, dass ein Viertel aller mexikanischen Frauen laut einem Bericht der Vereinten Nationen nicht frei über ihren Körper entscheiden kann (Quelle: https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/SoWP2021_Report-ES_-_v3312.pdf) und dabei gleichzeitig sich dazu gezwungen sieht, für ihre Kinder zu sorgen.
Renton am Permanenter Link
Ich sehe Potential für eine Annäherung unserer Positionen. Sie schränken also ein, dass es nur in Abgrenzung zum Femizid keinen Sinn mache, von einem Problem der Gewalt gegen Männer zu reden.
Zwischenfrage: Sind Sie denn der Ansicht, dass es angesichts der Opferzahlen insgesamt ein Problem der Gewalt gegen Männer in Mexiko gibt?
Wenn Ihnen nicht bekannt ist, ob es in relevanter Zahl vorkommt, dass eine Frau einen Mann aus Fraulichkeitswahn oder Männerfeindlichkeit tötet, liegt das daran, dass es einfach nicht untersucht wird. Dabei wäre es hochinteressant.
Um das zu illustrieren, schließe ich mich Ihrer, bzw. der DRAE-Definition von Femizid einmal an. (Dass Ihre Definition nicht die einzige ist, sieht man am Kommentar von Petra Pausch, und an den Erläuterungen weiterer Kommentatoren.) Wir imaginieren nun einen Mann, der eine Frau geheiratet hat und nun erwartet, dass sie ihm sexuell zur Verfügung steht, die Hausarbeit macht und sich seinen Anordnungen fügt; im Gegenzug versorgt er sie. Die Frau aber findet irgendwann keinen Gefallen mehr an diesem Arrangement und reicht die Scheidung ein. Der Mann begreift das als Verrat, dreht durch und bringt seine Frau um.
So oder ähnlich kann man sich einen klassischen Femizid nach DRAE-Definition vorstellen. Die Frauenfeindlichkeit liegt in der illiberalen Grundeinstellung des Mannes gegenüber seiner Frau: Er ist nicht bereit, ihr nach Eheschluss noch eine vollkommen freie Gestaltung ihres Lebens zuzugestehen. In gewisser Weise betrachtet er sie als sein Eigentum, das ihm zur Verfügung zu stehen hat. Er entmenschlicht die Frau.
Diese Haltung muss natürlich nicht immer bis zum Mord führen, kennzeichnet aber das, was man heutzutage u.a. als toxische Männlichkeit, a.k.a. Männlichkeitswahn & Frauenfeindlichkeit, bezeichnet.
Dieselbe entmenschlichende Haltung ist aber umgekehrt auch bei Frauen zu finden, und gar nicht mal so selten. Man muss nur genau hinschauen. Wie lautete in meinem Beispiel noch gleich der zweite Teil des Arrangements? "...im Gegenzug versorgt er sie". Nun imaginieren wir den Fortgang der Ehe einmal anders: Der Mann, inzwischen 50 geworden, verliert seine Arbeit und findet keine neue Stelle. Die Frau ist frustriert von den darauf folgenden erzwungenen Einschränkungen des Lebensstandards. Sie beschließt, sich einen anderen Mann zu suchen, der Arbeit hat, und ihr den gewohnten Lebensstil bieten kann. Den praktischsten Weg, ihren Ehemann los zu werden, sieht sie nicht in der Scheidung, sondern im heimlichen Mord an ihrem Gatten, da sie dann noch das Geld der Lebensversicherung bekommt.
Auch diese Frau sieht ihren Partner nicht als Menschen. Für sie ist er ein Nutzvieh, seine sexuellen Gelüste, sein Bedürfnis nach einem "trauten Heim" sind für sie nur der Nasenring, an dem sie ihn - eben das: an der Nase herumführt. Aber es ging ihr nie um ihren Partner, sondern nur um die materielle Versorgung. Diese Haltung ist nicht selten. Studien aus den USA zeigen, dass sich das Scheidungsrisiko von Männern im Falle von Arbeitslosigkeit deutlich erhöht (bei Frauen jedoch nicht). Und es sind die Frauen, die die Scheidung einreichen, nicht die Männer. Wie auch immer die Frauen ihre Scheidung vor sich selbst oder anderen rechtfertigen, man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass es verdammt vielen von ihnen im Kern ums Geld geht.
Nach einer solchen Motivlage wird beim Mord einer Frau an ihrem Mann oder Partner aber gar nicht gefragt. Vor Gericht natürlich schon, aber es findet keinen Eingang in die Statistiken unter einem Label "Andrizid" oder "Maskuzid". Das ist typisch, und das prangere ich immer wieder an: Frauen und Männer, ihre Problemlagen werden an unterschiedlichen Maßstäben gemessen, die Problemlagen der Männer oft einfach ignoriert; stattdessen fokussiert man sich auf ein vermeintliches oder echtes, aber geringeres Frauenproblem.*
Hatte ich schon gefragt, ob Sie angesichts der Geschlechterverteilung der Mordopfer in Mexiko davon sprechen würden, dass Mexiko ein Problem mit Gewalt gegen Männer hat?
Sie haben in Ihrer Antwort übrigens ein weiteres Beispiel für das Ignorieren von Männerproblemen genannt. Es ist nämlich KEIN gesellschaftliches Problem, dass dort in Pandemiezeiten 70 % aller Personen, die ihre Arbeit verloren haben, Frauen sind. Es ist ein gesellschaftliches Problem, dass dort in Pandemiezeiten zwei Millionen MENSCHEN ihre Arbeit verloren haben. Aber jetzt kommt der Brüller: Die Arbeitslosenquote der Männer ist damit immer noch höher als die der Frauen! (https://countryeconomy.com/unemployment/mexico bzw. bestimmt auch in Ihrem ersten Link. Für mich gilt allerdings: Non hablas espanol, also verlinken Sie bitte keine zig-seitigen Dokumente auf Spanisch mehr ohne genauere Angabe der Stelle, die ich durch den Google-Übersetzer jagen muss, um ihre Quelle nachvollziehen zu können. Danke :-) ) Ich hätte mir kein besseres Beispiel für eine einseitige Fokussierung auf "Frauenprobleme", unter Missachtung der noch etwas größeren "Männerprobleme", ausdenken können.
Zuletzt sei zum einen noch angemerkt, dass 1,4 Millionen unfreiwillige Hausfrauen, das sind nämlich die 70% der neuen Arbeitslosen, kein Beleg dafür sind, dass die Mehrheit der mehreren zehn Millionen(!) mexikanischer Hausfrauen ihr Dasein nicht freiwillig gewählt hat. Und zum anderen, dass ich auf den UN-Bericht nicht eingehe, weil ich a. kein Spanisch spreche, b. argwöhne, dass die Problematik (mal wieder) nicht geschlechtsneutral untersucht wurde und c. überhaupt keinen Sinn darin sehe, unsere Diskussion um diese Thematik zu erweitern.
*Diese echten "Frauenprobleme" darf und soll man natürlich ansprechen. Es geht mir um die Schieflage in den Debatten, und um die Verhältnismäßigkeit.
anorak2 am Permanenter Link
@Christian Meißner: Es gibt sowohl Morde an Männern anhand pathologischen Männerhasses - zB https://de.wikipedia.org/wiki/Aileen_Wuornos -, wie auch Morde an Frauen anhand pathologischen Frauenhasses, aber beide sind
Ein Monopol hat der Feminismus auf die erklärte Absicht, fast alle Männer auszurotten. Das könnte man "Androzid" nennen, wenn es in die Tat umgesetzt würde. Hier ein Beispiel aus einem feministischen Blog:
https://witchwind.wordpress.com/2014/10/07/utopia-what-would-a-womens-society-look-like/
Dafür gibt es kein historisches Vorbild. Auch einen Genozid an allen Frauen hat noch keine Ideologie hervorgebracht, auch nicht nur theoretisch.
Gezielte Massentötungen in Kriegen betreffen überwiegend Männer. Das ist zwar nicht durch Misandrie motiviert, sondern man will potenzielle Kämpfer der Gegenseite ausschalten. Das könnte man aber "Androzid" nennen, je nach Definition des Begriffs. Bekanntes Beispiel https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Srebrenica
Was nicht geht ist die asymmetrische Zählweise. Jeden einzelnen Mord an einer Frau als "Femizid" zu werten, aber nicht jeden einzelnen Mord an einem Mann als "Androzid" ist unlogischer Blödsinn.
Stephan Fleischhauer am Permanenter Link
Ist Partner und Ex-Partner als generisches Maskulinum zu verstehen? Leider wechselt die Autorin ständig den Genusgebrauch.
Durch dieses Durcheinander bleibt unklar, ob sich das Gesetz nur gegen Männer richtet oder gegen Männer und Frauen. Von Nichtbinären ganz zu schweigen.
Peter Müller am Permanenter Link
Also, die Aussage
"...Ley Olimpia...wird als ein Schritt gegen die Gewalt gegen Frauen in all ihren Formen gesehen."
würde ich angesichts der vielfältigen Ursachen von Gewalt wohl eher als magisches Denken bewerten. Wer sieht denn sowas und ist das seriös?
Und der fundierte Kommentar von Renton hat mich dazu gebracht darüber nachzudenken, wieso überhaupt das Opfergeschlecht und nicht die Gründe für eine Tat in den Vordergrund gerückt werden sollen.
Die inflationäre Verwendung von "Femizid" zwar gut geeignet um folgenlose und selbstgerechte Empörung auszulösen aber absolut ungeeignet um das eigentliche Problem (Straftaten gegen das Leben im besonderen, Gewaltkriminalität im allgemeinen) anzugehen.