Gesetzliche Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch

Weg mit Paragraf 218 – doch wie weiter?

Der geltende Paragraf 218 StGB aus dem Jahre 1995 enthält ein grundsätzliches Abtreibungsverbot, ergänzt im Paragraf 218a durch straffreie Ausnahmen. Dabei hatte es in Deutschland zwischenzeitlich reproduktive Frauenrechte und Legalisierungen gegeben. Diese waren auf kirchlichen Einfluss vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden – jegliches "ungeborene Leben" soll seitdem maximal geschützt werden müssen.  

Bei einem grundsätzlichen Primat des Frauenselbstbestimmungsrechtes besteht Einigkeit, dass der Verbotsparagraf 218 StGB ersatzlos zu streichen ist und nach seiner unheilvollen 150-jährigen Historie zusammen mit anderen frauenentmündigenden Bestimmungen auf den Müllhaufen der Geschichte gehört. Doch bleiben bei einer Pauschalforderung nach Entkriminalisierung im Sinne einer völligen Freigabe – etwa nach kanadischem Vorbild – allzu viele Fragen offen.

Der heutige Paragraf 218 StGB stellt das in Gesetz gegossene, bis heute nicht revidierte Votum des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) von 1993 dar. Es hatte damals die eben erst gesamtdeutsch verabschiedete Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen (gemäß dem Vorbild der DDR seit 1972) innerhalb einer Zwölfwochenfrist gekippt sowie 18 Jahre zuvor schon eine bundesdeutsche Fristenlösung ohne Begründungsnotwendigkeit (unter der Brandt-Regierung 1974). Beide waren nach kirchlichen und konservativen Empörungsstürmen höchstrichterlich zurückgewiesen worden, weil sie – angeblich verfassungswidrig – den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen würden. 

Widersprüchlicher Würdeschutz schon ab ein paar embryonaler Zellen

Laut Karlsruher Vorgaben gilt ein verfassungsrechtlicher Würdeschutz bereits gegenüber einer im Uterus eingenisteten Eizelle – also nicht etwa erst, was nachvollziehbar wäre, gegenüber einem Fötus im späten Entwicklungsstadium, der bereits außerhalb des Uterus voll lebensfähig wäre. Damit entsprach das BVerfG der katholisch-sexualfeindlichen Morallehre, die bekanntlich auch Verhütungsmittel ablehnt. Demgegenüber werden sichere, kostenfreie oder bezahlbare Zugangsmöglichkeiten dazu seit langem im Rahmen der Menschenrechte für reproduktive Gesundheit als selbstverständlich eingefordert. Die bis heute geltende Karlsruher Verpflichtung zum Austragen eines Embryos entspricht zudem einem erzkonservativen Frauen- und Familienbild, welches seit dem Kaiserreich – mit seinem Horror von brutalen und oft für die Schwangeren auch tödlich endenden illegalen Abtreibungen – im vorigen Jahrhundert noch sehr lange gesellschaftspolitisch vorherrschend war.

Konkret bestimmen die Leitsätze des BVerfG: Der Gesetzgeber komme seiner verfassungsrechtlich gebotenen Schutzverpflichtung für "ungeborenes Leben" nur nach, wenn er Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht grundsätzlich verbietet (siehe § 218). Zur grundsätzlich aufzuerlegenden Rechtspflicht, ein Kind auszutragen, seien allerdings Ausnahmen bei unzumutbarer Belastung der Frau zulässig (siehe § 218a). Ein Schutzkonzept präventiver Beratung soll der Schwangeren bewusst machen, dass "das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft" ein Lebensrecht hat (§ 219).

Bei unserer Rechtslage handelt es sich um einen juristisch fragwürdigen "Spagat" zu fachärztlich vorgenommenen Abtreibungen, die prinzipiell nach Paragraf 218 alle rechtswidrig sind. Die jährlich nahezu gleichbleibenden statistisch registrierten rund 100.000 Fälle ärztlich durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche bleiben allerdings straflos. Denn es wurden gemäß Paragraf 218a – bei etwa 96 Prozent – die Frist bis zu zwölf Wochen mit Beratungspflicht oder aber – bei etwa 4 Prozent regelhaft danach – die Indikationsvorgabe eingehalten. Letztere besagt im Wesentlichen: Wenn ein Schwangerschaftsabbruch ärztlicherseits als notwendig angezeigt (= indiziert) ist, weil andernfalls der seelische oder körperliche Gesundheitszustand der Frau (auch später als Mutter) erheblich gefährdet wäre, kann eine straffreie Abtreibung unbegrenzt sogar bis kurz vor Eintritt der Geburtswehen erfolgen.

Folgen der prinzipiellen Rechtswidrigkeit

Nun gibt es zwar kaum je eine Bestrafung durch den im Zentrum stehenden Paragrafen 218, da ja die Ausnahmeregelungen in Anspruch genommen werden. Doch allein seine symbolische Verbotswirkung ist fatal. Diese führt hierzulande in erster Linie zu einer sich in besorgniserregendem Ausmaß verschlechternden Versorgungslage mit Notstandsgebieten. Zumindest mitverantwortlich sind dafür die in den Paragrafen 218 ff. StGB unhaltbaren Stigmatisierungen, Bedrohungen sowie Paradoxien, die zur Verunsicherung von Ärzt*innen und mangelhaften Qualität ihrer entsprechenden Ausbildung beitragen. Zu medikamentös möglichen Frühabtreibungen unter anderem mit dem Hormonpräparat "Mifegyne" werden inzwischen einfach verständliche und zugewandte Informationen wie hier im Internet zur Verfügung gestellt. Auch Fortbildungskurse der Doctors for Choice schaffen hier etwas Abhilfe. Vernünftig scheint eine vorgeschlagene Verpflichtung für – zumindest mit öffentlichen Mitteln geförderte – Kliniken, bereitwillige Ärzt*innen für Abtreibungen vorhalten beziehungsweise einstellen zu müssen.

Der vor 25 Jahren hart errungene sogenannte Kompromiss war allenfalls einer auf Zeit – von Befriedung der Lager kann keine Rede sein. Heute sehen sich abtreibungswillige Ärzt*innen zunehmend von extremistischen "Lebensschützer*innen" verfolgt und bedroht. Demgegenüber vertreten feministische Aktivist*innen von Pro Choice (= für die Wahlfreiheit Schwangerer) die Maximalforderung, auf jegliche Reglementierung, auch zu legalen Indikationen im Paragraf 218a, völlig zu verzichten.

Die "Lebensschutz"-Bewegung Pro Life (= für das Leben "Ungeborener") agiert mit einem breiten Spektrum an Maßnahmen, einschüchternden Kundgebungen und einem gut strukturierten und finanziell ausgestatteten Netzwerk, siehe dazu eine Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch die entgegengesetzte Bewegung Pro Choice konnte sich zunehmend Gehör und Unterstützung verschaffen. Eine Zäsur in der jahrzehntelang ruhig gestellten Liberalisierungsforderung stellte aufgrund großer medialer Aufmerksamkeit der Fall der Allgemeinärztin Kristina Hänel dar. Sie war von "Lebensschützer*innen" angezeigt und zu einer Geldstrafe verurteilt worden – aufgrund des "Werbeparagrafen" 219a, der als deutsches Unikum aus der Nazizeit stammt. Gemäß diesem (nicht zu verwechseln mit dem "Beratungs-Paragrafen" 219 StGB) kann auch schon die bloße ärztliche Information über angebotene Abtreibungsmethoden strafbar sein. 

Paradoxie der gesetzlichen Regelung von Spätabbrüchen

Zu den zahlreichen Ungereimtheiten gehört, dass 1995 auf die davor gängige sogenannte eugenische oder embryo-pathische Indikation (Zustand des Embryos) verzichtet wurde. Dies geschah aufgrund massiver Intervention von Behindertenverbänden im Einklang mit Kirchenvertreter*innen. Das heißt, in Deutschland ist ein Spätabbruch allein aufgrund einer erheblichen gesundheitlichen Gefährdung oder Fehlbildung des Embryos illegal. Es gelten laut Paragraf 218a (2) und (3) vielmehr nur zwei Voraussetzungen: die medizinische Indikation bei Gesundheitsgefährdung der Schwangeren und die kriminologische Indikation nach Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch. 

Was die Lebensschutzbewegung herbeigeführt hatte, steht in der Praxis paradoxerweise ihrer eigenen Intention entgegen. Bei den zuletzt statistisch erfassten sehr späten circa 650 Abbrüchen nach der 22. Schwangerschaftswoche (siehe weiterdenken.de/2020, dort Fußnote 8) dürfte eine durch Pränataldiagnostik festgestellte Behinderung des Fötus ausschlaggebend gewesen sein – der laut Gesetzeslage keine Bedeutung zukommen soll. In der Lebenspraxis aber ist genau sie meist der späte Abtreibungsgrund. Dann greift die medizinische Indikation: Wenn ärztlicherseits angenommen wird, dass ein Kind (auch bei vielleicht nur relativ leichter Fehlbildung oder Krankheit) für die spätere Mutter eine gesundheitlich unzumutbare Belastung bedeuten würde, kann der Fötus zeitlich unbegrenzt legal – und krankenkassenfinanziert – abgebrochen werden. Erschwerend kommt als Dramatik bei Spätabtreibungen ab dem sechsten Monat hinzu, dass – in der Regel durch Kaliumchlorid-Injektion – der Fötus im Uterus getötet werden muss, bevor dann eine Totgeburt eingeleitet wird. Denn sonst wäre das Risiko zu groß, dass er die Abtreibung überlebt.

Sollte auch die nach Paragraf 218a (2) geregelte Indikationsfeststellung einfach nur gestrichen werden, wie Pro-Choice-Aktivist*innen fordern, hat sich die dort verborgene Fragestellung möglicher Sanktionen keinesfalls von selbst erledigt. So sieht es im taz-Beitrag "Quer zum Leben" auch Ulrike Lembke, feministisch orientierte Professorin für öffentliches Recht an der Humboldt-Universität. "Die Problematik der sogenannten Spätabbrüche ist tatsächlich die schwierigste juristische und medizin-ethische Frage in diesem Komplex", sagt Lembke. Einen solchen Aspekt verschiedener Entwicklungsstadien von Föten überhaupt zu thematisieren, wird in einer radikalfeministischen Pro-Choice-Fraktion ungebührlich als Pseudoargumentation abgekanzelt. Die Journalistin Teresa Bücker bringt dies im SZ-Magazin so auf den Punkt: "Dass noch immer Menschen, die man bei anderen Themen halbwegs ernstnehmen kann, behaupten, bei einer Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen würden Schwangere bis kurz vor der Geburt abtreiben, ist eine rhetorische Verzweiflungstat". Wer daran tatsächlich glaube, "hat sich in eine dystopische Fantasiewelt verabschiedet und so wenig Menschenkenntnis wie eine Wattwurmlarve".

Entkriminalisierung ohne ärztliche Gewissensfreiheit, Fristen- und Indikationslösung?

Seit der öffentlichen Empörung im Fall Hänel gegen den Paragrafen 219a (Werbeverbot) sind zahlreiche Bündnisse wie das feministische für sexuelle Selbstbestimmung beflügelt, darüber hinaus nunmehr auch wieder gegen die Paragrafen 218 / 218a und 219 mobil zu machen. Zur geforderten vollständigen Entkriminalisierung sollen alle StGB-Bestimmungen (auch die weiteren vier 218 b-c und 219 b-c) abgeschafft werden. Stattdessen soll – wie etwa eine Zystenentfernung oder Tumoroperation auch – der selbstbestimmte Schwangerschaftsabbruch zum Bestandteil der medizinischen Grundversorgung werden. Sich an dieser dann völlig normalen medizinischen Behandlung aufgrund eigener ethischer, religiöser oder ganz persönlicher Vorbehalte nicht beteiligen zu wollen, wäre folglich entsprechenden Fachärzt*innen zu untersagen. So setzt sich der Pro-Choice-Vertreter Christian Fiala entschieden dafür ein, dass der Schwangerschaftsabbruch für Ärzt*innen definitiv "keine Frage des Gewissens" mehr zu sein hat. 

Um dringend erforderliche Reformen zum gesetzgeberischen Erfolg zu verhelfen, sind über die aktivistischen hinaus andere Strategien vonnöten. Was soll überhaupt mit dem verbreiteten Schlagwort "Entkriminalisierung" gemeint sein, welches inzwischen auch in der Politik angekommen ist? Auf die vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) in einem Wahlprüfstein auch zum Thema reproduktive Rechte befragten Parteien äußern sich SPD, FDP und Grüne auf Grundlage ihrer Programme zwar positiv zu einer Entkriminalisierung. Sie bleiben dabei aber undifferenziert im Nebulösen und wollen alle eindeutig nur den Paragraf 219a mit seinem Werbeverbot abgeschafft sehen.

Vorbild Kanada?

Als Ausnahme hat sich Die Linke eins zu eins den Forderungen der Pro-Choice-Bewegung angeschlossen. Diese scheint eine Neuauflage der vom BVerfG gekippten Fristenregelung nicht in Erwägung ziehen zu wollen – die doch in vielen europäischen Staaten einen gewollten Abbruch etwa bis zur 12. oder 14. Woche (oder bis maximal auch zur 22. wie in den Niederlanden) ohne Wenn und Aber erlauben würde. Dies wird häufig in Sonder- oder Gesundheitsgesetzen geregelt. In den Niederlanden besteht seit 1984 das "Wet afbreking zwangerschap" (Wafz) genannte nationale Schwangerschaftsabbruchgesetz. Normverstöße, die nicht im Einklang mit dem Wafz stehen, müssen dann von der Logik her – was in der niederländischen Praxis allerdings gar nicht vorkommt – zumindest auf dem Papier strafrechtlich zu ahnden sein. Aber stünde eine Fristen- und Indikationslösung schon allein deshalb der Maximalforderung nach vollständiger Entkriminalisierung zu sehr im Wege?

Von den "Weg mit"-Aktivist*innen wird stets das Vorbild Kanada genannt, siehe etwa Beiträge in Die Zeit oder auch hier: "Schwangerschaftsabbruch ohne Einschränkungen". Begrüßenswert im demokratischen Sinn ist dabei sicherlich, wenn auf Vertrauen in die Bevölkerung statt auf staatliche Verbote gesetzt wird. Seit 1984 wird im Canada Health Act gänzlich – anders als in dem Wafz-Sondergesetz der Niederlande – auf eine nationale Normierung von Fristen und sonstigen Ausführungsbestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch verzichtet.

Das Ergebnis ist eigentlich nicht überraschend: In den selbstständigen zehn Provinzen und drei Territorien Kanadas haben sich unterschiedliche Regularien etabliert (sowie in den einzelnen Krankenhäusern auch eigene Standardvorschriften über einzuhaltende Fristen, die in der Regel nicht über den fünften Schwangerschaftsmonat hinausgehen). So steht etwa die Provinz Quebec mit ihren ersten Abtreibungskliniken dem Schlusslicht Prince Edward Island gegenüber, wo entsprechende Dienstleistungen erst mehr als 25 Jahre später eingeführt wurden. Es besteht – der weitflächigen Natur des Landes geschuldet – eine höchst unterschiedliche Versorgungslage, die nur in den großen Städten im südöstlichen Grenzbereich zufriedenstellend bis optimal ist.

Die in Relation hohe Zahl an besonders früh durchgeführten Abtreibungen imponiert. Bei Spätabtreibungen ab der 21. Schwangerschaftswoche gibt es einen – wenngleich sehr geringfügen – "Abtreibungstourismus"" von Kanadierinnen in die USA, meist nach Washington. Siehe zu allen Angaben die sehr detaillierte kanadische Wissenschaftsstudie von 2020 "When there are no abortion laws" (auf deutsch: "Wenn es keine Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch gibt"). Diese kommt nach circa 35 Jahren kanadischer Entkriminalisierung zu dem Ergebnis, dass trotz vieler aufgezeigter Schwierigkeiten die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen durchaus ohne nationale Strafgesetzgebung möglich ist. Wer wollte dem widersprechen (sofern jemand nicht der frauenverachtenden Lebensschutz-Fantasie verfallen ist, gewissenlose Schwangere würden bei Legalität am liebsten noch im achten Monat abtreiben).

Aber hierzulande stellt sich bei bestehender Ausgangslage und fortschreitender Reformdebatte die Grundsatzfrage, was denn nunmehr zu fordern sein soll: Eine Fristenregelung wie in fast allen europäischen Staaten statt unserer widersinnig kriminalisierenden sogenannten "Beratungsregelung" – und zwar durch Streichung der Paragrafen 218, 219 und 219a im Strafrecht, was überfällig und weitgehend konsensfähig wäre? Oder darüber hinaus der Verzicht auf jegliche Pönalisierung von Normverstößen beziehungsweise die Möglichkeit ihrer Sanktionierung – was weder parlamentarisch noch verfassungsrechtlich durchkommen könnte? Wer fände es denn überhaupt wünschenswert, wenn entsprechende Bundesvorgaben (in welcher Gesetzesform auch immer) fehlten und unseren Kliniken, Ärzt*innen und womöglich 16 Landesregierungen eigenständige Kriterien anheimgestellt würden?

Ist nicht stattdessen eine einheitliche Regelung anzustreben, die uneingeschränkte Wahlfreiheit ohne Beratungspflicht innerhalb der ersten Schwangerschaftsmonate mit anschließenden Indikationsregeln verbindet? Auf eine solche dann im gesamten Gesundheitssystem zu befolgende Neuregelung sollte nicht verzichtet werden. Die Pro-Choice-Forderung nach Freigabe von jederzeit gewünschten Schwangerschaftsabbrüchen nach dem kanadischen Modell würde diesem gesellschaftspolitischen Ziel zuwiderlaufen.

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