BERLIN. (hpd) Heute Vormittag hieß es noch, dass ein Zug vom Budapester Bahnhof in Richtung Österreich unterwegs ist. Via Twitter gab es kurz darauf Meldungen, dass der Zug von ungarischen Polizisten gestoppt wurde und die Flüchtlinge in Lager gebracht werden sollen.
Ein Video des aus dem Bahnhof Budapest ausfahrenden Zuges machte den mehr als 2.000 unter unmenschlichen Bedingungen lebenden Flüchtlingen und deren Unterstützern Mut, dass Ungarn die Weiterreise der vorrangig syrischen Kriegsflüchtlinge nach Mitteleuropa möglich machen wird.
Doch dann wurden - ebenfalls über den Kurznachrichtendienst Twitter - Bilder verschickt, die verzweifelte Flüchtlinge zeigten, die sich gegen Polizisten wehrten. Knapp 40 Kilometer hinter Budapest wurde der Zug von der ungarischen Polizei gestoppt. Die Flüchtlinge sollten den Zug verlassen und mit Bussen in ein nahe gelegenes Flüchtlingscamp gebracht werden. Nach Angaben der Süddeutschen Zeitung wurde ein Waggon von der Polizei geräumt, fünf weiteren sind voller Menschen.
Man and wife with tiny baby throw themselves onto track demanding not to be taken to camps. Getting c distressing pic.twitter.com/ploEd11rAH
— James Mates (@jamesmatesitv) 3. September 2015
Viele der völlig überraschten Menschen setzten sich zur Wehr oder legten sich - wie das Foto zeigt - auf die Bahngleise. Nach Angaben eines Reuter-Journalisten soll die Polizei die Flüchtlinge, die sich weigerten, in die Busse zu steigen, verhaftet haben.
Was diesen Menschen angetan wird, vor allem die Art und Weise, wie mit den Hoffnungen der Verzweifelten umgegangen wird, sollte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt werden. Die rechte Regierung Ungarns zeigt hier eine Methodik im Umgang mit Flüchtlingen, die entsetzlich an die deutsche Geschichte mahnt.
20 Kommentare
Kommentare
Ilona am Permanenter Link
Ein grosses Problem ist u.A., dass die Flüchtlinge nicht informiert werden und nicht wissen, dass sie, wenn sie in Ungarn schon registriert sind, den Asylbescheid abwarten müssen und nicht einfach weiterreisen dürfen
Die Regierung bzw. die Behörden sind völlig überfordert und unfähig (und z.T. nicht gewillt), die Flüchtlinge zu versorgen, wobei es allerdings 2014 noch jährlich 40.000 waren, während jetzt an einem Wochenende 10.000 neue Flüchtlinge ankommen.
Hilfe kommt nur von Freiwilligen, die zum grossen Teil einfach spontan hin sind und angefangen haben, das Nötigste zu beschaffen und zu verteilen, bzw. Dolmetscherdienste und medizinische Hilfe anzubieten.
Die Hilfe von Caritas (Karitász) und des Malteserordens (Máltai Szeretetszolgálat) beschrankt sich darauf, ein Auto in der Nähe parkiert zu haben. Von den in Ungarn karitativ ziemlich aktiven Baptisten (Baptista Szeretetszolgálat) hört man auch nicht viel.
Der Kardinal von Ungarn, Péter Erdő, ist der Meinung, die staatlichen Auffangstellen seien adäquat, und seiner Ansicht macht sich des Menschenschmuggels strafbar, wer Flüchtlinge bei sich beherbergt (was u.A. der Ex-Premier auch tut). Allerdings wohnen die meisten Budapester ziemlich beengt, was den privaten Unterkunftsmöglichkeiten sehr enge Grenzen setzt. (http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/dann-werde-ich-eben-zum-verbrecher/story/14255876). http://nol.hu/belfold/erdo-peter-embercsempessze-valnank-ha-befogadnank-a-menekulteket-1560839
Der katholische Pfarrer von Zugló, András Pajor, der Vorsitzende der Christlichen Kulturakademie, die u.A. den Verteidigungsminister Csaba Hende und die frühere Fidesz-KDNP Staatssekretärin für Bildung, Rózsa Hoffmann zu den Mitgliedern zählt, postet auf seiner Facebook-Seite "Migranten raus!"-Parolen. http://444.hu/2015/09/03/az-atya-aki-folyamatosan-a-migransok-ellen-hergel/
Ilona am Permanenter Link
Kleines Update: Einige Flüchtlinge sind inzwischen an der österreichischen Grenze angekommen (einen Teil der Strecke haben sie zu Fuss zurückgelegt, dann hat man ihnen Busse organisiert); eine weitere Gruppe ist am Sa
Die Bahn hat eingewilligt, die Fahrkarten zurückzunehmen, und macht das auch.
Die Freiwilligen am Bahnhof Keleti haben die Bevölkerung gebeten, vorläufig keine weiteren Sachspenden zu bringen, weil der Lagerraum voll ist. Es kommen aber auch weiterhin Flüchtlinge im Keleti an, d.h die Lage entspannt sich nicht dadurch, dass einige weitergereist sind.
Da der Sommer vorbei ist (im Dezember-Januar haben wir schon mal -10 Grad, da reichen Zeltlager nicht), werden die Behörden langsam trotz all ihrem Widerstand Unterkunft organisieren müssen; die Budapester selbst leben auf knappem Wohnraum (5-köpfige Familien in Zweizimmerwohnungen mit 50 qm sind hier normal, auch bei Leuten mit Universitätsausbildung), d.h. privat wird sich dieses Problem nicht lösen lassen.
Skythe am Permanenter Link
Naja, lassen wir die Kirche mal im Dorf mit den Hitlervergleichen, bitte.
Diese Flüchtlinge werden in Auffanglager gebracht, keine KZ. Und in Ihrem Artikel ist auch nichts von Handgreiflichkeiten oder ähnlichem zu lesen.
Also was genau ist an dem Geschehenen so unglaublich menschenverachtend, dass es vor den Europäischen Gerichtshof muss?
Harald D. am Permanenter Link
Ich denke, der Autor wollte darauf hinweisen, dass die ersten Juden auch nicht wussten, wohin die Züge gen Osten fuhren. Das ist bei Anne Frank nachzulesen.
angelika richter am Permanenter Link
Ich verstehe das auch nicht so richtig.
Walter Plinge am Permanenter Link
Vor dem Bürgerkrieg ja, aber nicht vor einer offen fremdenfeindlichen Regierung.
Thomas am Permanenter Link
Nun wird klar, dass es in der EU keine gemeinsamen Werte gibt und nie gegeben hat.
Wuwei am Permanenter Link
Sorry, diese Flüchtlinge haben NICHT das Recht, das Land, in dem sie leben wollen, FREI zu wählen. Daran ändert alles Drama, auch solches aus Missverständnissen, gar nichts.
Ay am Permanenter Link
Kurze Frage, haben sie das Recht das Land, in dem sie leben WOLLEN, frei zu wählen?
WOLLEN habe ich bewusst groß geschrieben, weil von WOLLEN nicht die Rede sein kann, wenn das Land im Krieg ist...Wichtig sind dabei die Verursacher und Unterstützer eines Krieges...
Ich bin in Deutschland geboren und habe dort Bildung genossen und mir wurde schon im Kindergarten und auch davor in meinem Elternhaus beigebracht, Verantwortung für mein Handeln zu tragen...und genau diese Verantwortung erwarte ich von den Verursachern, "Putschern" und Waffenlieferanten...
Herzlichen Gruß
mel am Permanenter Link
Sorry, aber diese Flüchtlinge sind Menschen und warum dürfen sie nicht frei wählen, wo sie leben möchten??? Die Deutschen die z.B.Mallorca überbevölkern oder sonst wo durften doch auch frei wählen.
Sim am Permanenter Link
Rechte sind auch nur vom Menschen gemacht. Schlimm genug, dass nicht jeder dort leben kann wo er möchte.
Walter Plinge am Permanenter Link
Doch, genau dieses Recht haben sie. Dass ihnen dieses Recht von der EU verweigert wird, ist ein ganz anderer Punkt.
Schon mal unser Grundgesetz gelesen (insbesondere Artikel 3). Man kann Flüchtlingen - nur aufgrund ihres Status oder ihrer Nationalität - nicht Rechte absprechen, die allen anderen Menschen haben. Die Flüchtlingen haben das Recht in einem Land ihrer Wahl Asyl zu beantragen. Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren.
angelika richter am Permanenter Link
Von den rund 8 Milliarden Menschen auf dieser Welt haben mindestens 2-3 Milliarden im Prinzip Anspruch auf Asyl in Deutschland.
Dennis Riehle am Permanenter Link
Wir verbitten uns zumeist geschichtliche Vergleiche. Und tatsächlich ist es stets heikel, mit historischen Bildern und Ereignissen Parallelen ziehen zu wollen.
Da war es Ungarn, das die Zäune öffnete, um damit den „Kalten Krieg“ zu beenden – und das heute an anderer Stelle die Stacheldrähte wieder aufbaut, um sich abzuschotten. Es waren erschütternde Bilder zu Zeiten der DDR, als Menschen vor der Botschaft in Prag vollkommen zusammengepfercht darauf hofften, nach Westen ausreisen zu dürfen, die eigentlich ganz Europa hätten lehren sollen: Derartige Zustände darf es nicht noch einmal geben. Nun kesseln Beamte erneut Tausende ein – dieses Mal am Ostbahnhof von Budapest.
Und dann das: In gutem Glauben werden Hilflose in einen Zug gelockt, um der Freiheit näher zu kommen. Eigentlich wissen sie nicht, wohin sie fahren werden. Aber zunächst denken sie nichts Böses. Hinterlistig werden die Waggons gestoppt – und statt einer Zukunft steht ein Lager vor den Flüchtlingen, aus dem schon viele Erzählungen über nicht gesetzeskonforme Behandlungen nach draußen drangen. Nein, mit der dunkelsten Phase unserer Geschichte gibt es keinen Zusammenhang; es wäre haltlos, unverantwortlich und populistisch, das zu behaupten. Und dennoch kamen mir genau die Sequenzen aus den Dokumentationen in den Sinn, als ich von der Meldung aus Ungarn gestern hörte.
Dieser Tage gibt es offenbar viele Gelegenheiten, in Parallelen zu denken. Vielleicht, weil wir ab einem gewissen Grade von Unmenschlichkeit unsere Gefühle nicht mehr in Worte fassen können…
Sven Schillings am Permanenter Link
Die hier zum Teil geäußerte Meinung, jeder Mensch könne sich sozusagen frei aussuchen, in welchem Land er leben will, ist nicht nur naiv und romantisch, sondern vor allem völlig falsch.
valtental am Permanenter Link
Das Orban (FIDESZ) und Molnar (Jobbik) als rechtskonservative/-extreme Politiker keine perfiden Tricks scheuen, um die Lage am Keleti-Bhf. möglichst schnell aufzuösen, ist offensichtlich.
Und bei der z.T. momentan weitverbreiteten Fremdeneuphorie erlaube ich mir anzumerken, dass Mitleid erregende Fotos und gespendetes Trinkwasser nur eine Seite darstellen, die andere heißt Projekt Integration. Wem dies zu hart klingen mag, sei "Ein Staat - zwei Welten" in der ZDF-Mediathek empfohlen. Dabei dürfte öfters der Unterkiefer runterklappen und grundsätzliche Fragen aufkommen.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Sehr lesenswert ist der Artikel von Jens Berger bei den nachdenkseiten: http://www.nachdenkseiten.de/?p=27444
valtental am Permanenter Link
Danke für diesen Hinweis - Berger bringt diese miese Heuchelei vieler dt. Politiker in seinem Artikel exakt auf den Punkt! Und Nazivergleiche aus dt. Medien bzgl.
David am Permanenter Link
Interessantes Foto.
Ich hoffe, es ist inzwischen bekannt, wie es zustande kam. Auf youtube ist exakt diese Szene komplett als Video zu sehen.
Der einzige, der sich hier menschendverachtend verhält, ist der abgebildete Mann, der, als er gewahr wird, dass Presseleute mit Kameras vor Ort sind, seine Frau samt Kind auf die Schienen wirft und sich in bester Fussballermanier schauspielernd daneben schmeisst.
Da brauchen wir uns wahrlich nicht wundern, wenn der Begriff "Lügenpresse" fällt.
David am Permanenter Link
Nachtrag:
https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=vWiolHd0VCA