Kommentar

"Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus" empfiehlt Abschaffung des Neutralitätsgesetzes

Die Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus empfiehlt dem Berliner Senat die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes, weil es eine "systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegenüber Frauen mit Kopftuch ohne sachliche Rechtfertigung" darstelle. Eine bewusst einseitige und nicht haltbare Sicht auf das Neutralitätsgesetz, findet hpd-Redakteurin Daniela Wakonigg.  

Wie so oft geht es in Berlin wieder einmal um das Neutralitätsgesetz – konkret um das daraus resultierende partielle Kopftuchverbot. Am vergangenen Donnerstag empfahl die Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus nach rund anderthalbjähriger Kommissionsarbeit dem Berliner Senat die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes.

Eingesetzt wurde die Kommission im Februar 2021 von Dirk Behrendt (Grüne), dem damaligen Berliner Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, einem erklärten Gegner des Neutralitätsgesetzes. Bereits kurz nach ihrer Gründung war im vergangenen Jahr Kritik an der Besetzung der Kommission laut geworden. Einem Mitglied wurde Nähe zu islamistischen Organisationen nachgesagt, was von ihm jedoch vehement bestritten wurde.

"Es ist unerträglich, wenn in Berlin Frauen das Kopftuch heruntergerissen wird oder sogar kleine Kinder angegriffen werden. Antimuslimischer Rassismus ist ein Problem, das wir genauer in den Blick nehmen müssen." Mit diesen Worten hatte Justizsenator Behrendt 2021 die Einsetzung der Kommission begleitet. Und selbstverständlich ist ihm darin vollkommen zuzustimmen. Wie jedoch die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes, wie von der Expert*innenkommission nun empfohlen, gegen den beschriebenen "Straßenrassismus" helfen soll, ist fraglich.

Zur Erinnerung: Das Berliner Neutralitätsgesetz von 2005 verbietet es Angehörigen von Institutionen, die in der einen oder anderen Weise den Staat repräsentieren – also Lehrern, Polizisten, Staatsanwälten oder Richtern –, religiöse oder weltanschauliche Symbole und Kleidungsstücke im Dienst zu tragen. Es wird durch das Neutralitätsgesetz also keiner muslimischen Lehrerin, die einer konservativeren Richtung des Islam anhängt (denn nur diese fordern die Verschleierung von Frauen) "das Kopftuch heruntergerissen". In ihrer Freizeit kann sie es nach Belieben tragen, nur während ihrer Dienstzeit, in der sie den Staat repräsentiert, darf sie es eben nicht. So wie es schon lange geregelt ist, dass Lehrer während der Dienstzeit keine parteipolitischen Symbole tragen dürfen. Auf diese Weise zeigt der Staat durch seine Bediensteten seine weltanschauliche und parteipolitische Neutralität, die für ein gelingendes Miteinander in einem weltanschaulich und politisch pluralen Staat notwendig ist.

Der Expert*innenkommission antimuslimischer Rassismus jedoch scheint die staatliche Neutralität und ihre wichtige gesellschaftliche Funktion herzlich egal zu sein. Sie betrachtet einseitig die Interessen muslimischer Frauen, die das Kopftuch als Ausdruck ihrer Religiosität tragen wollen sowie konservativer islamischer Strömungen, die wollen, dass muslimische Frauen sich verhüllen. Für die Mitglieder der Kommission stellt das Neutralitätsgesetz eine "systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegenüber Frauen mit Kopftuch ohne sachliche Rechtfertigung" dar, wie der Tagesspiegel aus dem ihm vorliegenden Abschlussbericht zitiert. Dabei ist die sachliche Rechtfertigung eines Neutralitätsgesetzes doch mehr als deutlich erkennbar.

Es bleibt zu hoffen, dass die Regierungskoalition im Berliner Senat die Einseitigkeit des Abschlussberichts erkennen wird, der laut rbb auch antimuslimische Motive bei der Polizei und dem Verfassungsschutz beklagt. Insbesondere die Beobachtung von muslimischen Personen und Organisationen durch den Verfassungsschutz käme häufig einer Vorverurteilung gleich, weswegen sich die Verfassungsschützer kritischer hinterfragen müssten, ob ein Verdacht eventuell auf antimuslimischen Ressentiments beruhe.

So wichtig der Kampf gegen Rassismus ist, so wenig ist ihm jedoch gedient, wenn die weltanschauliche Neutralität des Staates zugunsten der Überbetonung religiöser Interessen ausgehöhlt wird. Wie sehr gerade ein Mehr an Religion einem friedlichen Miteinander aller schadet, dazu hat erst vor einigen Monaten die Berliner Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung einen Bericht über religionsbedingte Konflikte an Berliner Schulen veröffentlicht.

Doch statt sich aktiv um entsprechende Präventionsarbeit zu kümmern, strich man der Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung lieber die öffentliche Förderung. Eine bewährte Strategie, um Probleme totzuschweigen – nicht jedoch, um sie zu lösen. 

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