Terre des Femmes zu Kinderkopftuch und weltanschaulicher Neutralität

Schule als weltanschaulich neutraler Ort

Am 16. Juli stellte die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF) im Rahmen einer Pressekonferenz die Ergebnisse der neuen bundesweiten Umfrage zum sogenannten Kinderkopftuch vor. In einem anschließenden Interview widmen wir uns der wichtigen Frage, wie TdF zur weltanschaulichen Neutralität der Schule steht. Welche Position vertritt der Verein in Bezug auf religiöse Symbole im Schulalltag? Dazu hat der hpd mit Stephanie Walter vom Referat "Gleichberechtigung und Integration" gesprochen.

hpd: TdF fordert eine bundesweite Regelung zum Kinderkopftuch bis zum Alter von 14 Jahren. Spielt die weltanschauliche Neutralität der Schule in der Argumentation eine Rolle?

Stephanie Walter: Ja, denn TdF ist eine säkulare Frauenrechtsorganisation. Unser Ziel ist es, patriarchale Strukturen zu überwinden – wo immer sie noch oder wieder vorhanden sind. Dabei spielen auch Religionen und Weltanschauungen eine Rolle. Insgesamt gesehen haben viele Religionen frauenfeindliche Tendenzen und Strukturen. Aufklärung, Säkularismus, Religionskritik, Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie das Selbstbestimmungsrecht der Frauen werden immer wieder infrage gestellt. Aus feministischer Sicht zeigen insbesondere der traditionelle Katholizismus, das orthodoxe Judentum und der konservative Islam rückständige Werthaltungen. Ihr massiver Einfluss auf Staat und Gesellschaft spiegelt sich in hierarchisch institutionalisierten patriarchalischen und misogynen Einstellungen wider.

Worauf legt TdF besonderen Wert?

Die Schule ist ein besonders schützenswerter Raum, in dem Wissen neutral und wertfrei vermittelt werden muss. Schule muss ein Ort neutraler Wissensvermittlung sein, an dem religiöse, weltanschauliche und politische Indoktrination ausgeschlossen sein muss.

Wir setzen uns mit dem Positionspapier für Ethikunterricht als Pflichtfach an allen öffentlichen Schulen für ein säkulares Schulsystem ein und fordern eine Änderung von Artikel 7 Absatz 3 GG, der Religion als ordentliches Schulfach garantiert. Zum Beispiel forderte Terre des Femmes Ende 2023 in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin Kai Wegner und die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch das gemeinsame Lernen im Ethikunterricht und spricht sich gegen die Einführung von Religion als ordentliches Lehrfach an den öffentlichen Schulen Berlins aus.

"Insgesamt gesehen haben viele Religionen frauenfeindliche Tendenzen und Strukturen."

Wie steht TdF zu den Forderungen säkularer Gruppen, dass zur weltanschaulichen Neutralität in Schulen auch das Verbot gehört, religiöse Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen oder zur Schau zu stellen?

TdF setzt sich öffentlich für den Erhalt des Berliner Neutralitätsgesetzes ein. Der deutsche Staat hat sich zur Neutralität verpflichtet. Wer für den Staat in Verwaltung, Justiz oder im Schuldienst arbeitet, sollte sich mit dieser Neutralität identifizieren und diese ausstrahlen. Das Tragen eines Kopftuches, einer Kippa oder eines Kreuzes beispielsweise verkörpert für uns keine Neutralität. Der öffentliche Bildungsraum ist dazu da, alle Kinder zu selbstständigem, demokratischem und freiem Denken zu erziehen. Der staatliche Erziehungsauftrag besteht darin, die Kinder zum Nachdenken anzuregen und sie auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung vorzubereiten. Der Raum Schule sollte daher frei von allen religiösen und weltanschaulichen Symbolen sein. Dies haben wir im Februar 2023 in einer Stellungnahme zum Berliner Neutralitätsgesetz ausgeführt.

Macht es für TdF einen Unterschied, ob dieses Verbot religiöser Symbole und religiöser Kleidung für Schülerinnen und Schüler oder auch für Lehrkräfte gilt?

In unserer Stellungnahme haben wir uns auch dafür ausgesprochen, dass Lehrkräfte im Unterricht keine religiösen Symbole tragen dürfen. Wir begrüßen Vielfalt. Sie darf aber nicht mit falsch verstandener Toleranz verwechselt werden.

Welche Bedeutung hat aus Sicht von TdF das Kopftuch, insbesondere das Kinderkopftuch?

Die westliche Sichtweise neigt dazu, das Kopftuch aus einer nicht-politischen Perspektive zu betrachten. Das Kopftuch im Politischen Islam manifestiert jedoch die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Sie sind nicht gleichberechtigt. Die Frau muss ihre Haare vor den Blicken der Männer verbergen (Verhüllung sexueller Reize). Der Politische Islam ist mit den Grundwerten unserer Demokratie nicht vereinbar. Die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Freiheit (z. B. religiös zu sein oder nicht) und die Selbstbestimmung (z. B. über den eigenen Körper und die eigene Sexualität selbst zu bestimmen) gehören zu den wichtigsten Errungenschaften unserer Demokratie.

Aus der Praxis und aus der Wissenschaft wissen wir, dass Mädchen muslimischen Glaubens religiöses Mobbing erleiden können, wenn sie kein "Kinderkopftuch" tragen. Im Extremfall werden sie als "Schlampen" und "unreine Huren" bezeichnet. Andere tragen ein "Kinderkopftuch", um soziale Anerkennung von ihren MitschülerInnen zu erhalten. Dies bestätigt auch die Umfrage 2024. Lehrerinnen mit Kopftuch lösen nicht die Probleme im Zusammenhang mit religiösem Mobbing und sozialem Anerkennungsdruck. Vielmehr haben sie eine Vorbildfunktion und können diese schwierigen Themen in verschiedene Richtungen verstärken.

"Schule muss ein Ort neutraler Wissensvermittlung sein, an dem religiöse, weltanschauliche und politische Indoktrination ausgeschlossen sein muss."

Wie schätzt TdF die politische Situation in Deutschland zu diesem Thema ein?

Wir nehmen die aktuelle politische Lage in Deutschland zur Kenntnis. Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar 2023 die Berliner Beschwerde gegen das Bundesarbeitsgericht nicht zur Entscheidung angenommen. Damit wurde aus unserer Sicht erneut eine Chance vertan, eine klare Regelung zu schaffen. Wieder einmal bleibt die Beweislast, warum der Schulfrieden konkret gefährdet ist, um ein Verbot aussprechen zu können, bei den Schulen. Gerade in diesen schwierigen und herausfordernden Zeiten vielfältiger Krisen wäre eine klare und einheitliche Regelung, wie sie das Berliner Neutralitätsgesetz vorgibt, besonders wichtig.

Welche Religionspolitik wünscht sich TdF im Hinblick auf das Leitbild "Gleichberechtigt, selbstbestimmt und frei" für Mädchen und Frauen?

Wir fordern eine Religionspolitik, die Artikel 3 Absatz 2 GG – Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern – höher bewertet als Artikel 4 Absatz 2 GG – ungestörte Religionsausübung. Im "Kinderkopftuch" sehen wir eine geschlechtsspezifische Diskriminierung. Daher ist es für TdF elementar, sich für eine Regelung zum "Kinderkopftuch" in öffentlichen Bildungseinrichtungen (Kitas und Schulen) bis zum 14. Lebensjahr einzusetzen. Eine bundeseinheitliche Regelung zum "Kinderkopftuch" in öffentlichen Bildungseinrichtungen bis zur Religionsmündigkeit stärkt die Mädchen und fördert die Gleichberechtigung. Der Kinderschutz steht im Vordergrund. Eine Regelung fördert das freie, selbstbestimmte und gleichberechtigte Aufwachsen von Mädchen.

Die Ergebnisse der aktuellen Umfrage unterstützen unsere Forderungen. Eine Mehrheit der Befragten (56 Prozent) spricht sich dafür aus, dass jede Schule für alle (Lehrkräfte und SchülerInnen) ein neutraler Raum frei von religiösen Symbolen sein sollte (vgl. Frage 15 in der Umfrage). Dieses Ergebnis werden wir in die politische und gesellschaftliche Debatte einbringen.

Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei Ihrer Arbeit!

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