Die Kirche soll im Dorf bleiben

Noch gibt es rund 42.000 Kirchengebäude in Deutschland. Doch angesichts des anhaltenden Mitgliederschwunds der Kirchen ist dieses kulturelle Erbe bedroht. Eine Initiative will diese Entwick-lung stoppen - auch im Interesse derjenigen, die mit Kirche nichts am Hut haben.

Die Welt wird zunehmend säkularer. Jedenfalls die in Deutschland. Im Jahr 2023 traten in Deutschland 380.000 Menschen aus der evangelischen Kirche aus. Bei den Katholiken waren es knapp 403.000. Hatten die katholische und evangelische Kirche zusammen im Jahr 1992 noch 57 Millionen Mitglieder, so waren es Ende vergangenen Jahres nur noch knapp 39 Millionen. Und auch diese sind nur zu einem verschwindend geringen Teil regelmäßige Kirchgänger.

Wie Denkmäler, die an vergangenen Zeiten erinnern, stehen die rund 42.000 Kirchen in Städten und Dörfern in Deutschland. Doch längst nicht alle dienen noch dem Zweck, zu dem sie einst erbaut wurden. In Jülich beispielsweise findet sich in einer früheren Kirche nun ein Fahrradgeschäft.

Oder die Kirchen werden gleich ganz abgerissen. Auch Menschen, denen die Botschaft der Kirchen nichts bedeutet, wird das nicht egal sein. Menschen, die die Kunst in den Kirchen bewundern wollen. Die sich dort nach einem Stadtspaziergang an einen Ruheort zurückziehen wollen. Die auch jenseits von Religion spirituell besinnlich sein möchten. Oder die die glanzvolle Wucht eines Orgelkonzerts lieben.

"Kirchenbauten sind kulturelles Erbe aller Menschen. Sie sind Räume der Kunst, des Handwerks und der Musik. Kirchen wirken oft stadt- oder dorfbildprägend und eröffnen damit spannende soziale Erfahrungs- und Chancenräume."

Onlinepetition für Kirchenmanifest

Dieses Zitat findet sich in einer Onlinepetition auf der Plattform change.org. Das mit der Onlinepetition propagierte sogenannte Kirchenmanifest wird (Stand heute) von mittlerweile knapp 20.000 Menschen unterstützt. Ein Manifest, dessen letzter Satz die christlichen Kirchen provozieren dürfte. Da heißt es nämlich: "Kirchenbauten und ihre Ausstattungen gehören nicht allein den kirchlichen Institutionen und Gemeinden. Als ererbte Räume sind sie Gemeingüter, sie gehören allen."

Gestartet wurde die Onlineabstimmung und die zugrunde liegen-de Initiative Kirchenmanifest von der Greifswalder Kunsthistorikerin Karin Berkemann. Im Interview mit dem Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) begründete sie ihre persönlichen Motive für die Initiative zum Erhalt von Kirchengebäuden so: "Es sind Räume, die mich bereichern, die ich sowieso liebe. Es macht mich wütend zu sehen, wenn ganz viel Know-how auf der Straße liegt, das man nicht nutzt. Persönlich bin ich Theologin und Kunsthistorikerin, das heißt, ich beschäftige mich mit Gott und mit Kunst. Insofern passt das sehr gut zusammen, privates und berufliches Interesse."

Berkemann will aber auch ausdrücklich die Menschen ansprechen, denen christliche Glaubensfragen nichts bedeuten und die sagen: Mich geht das nichts an, sollen sich doch die Kirchen selbst um das Problem kümmern: Dazu Berkemann im rbb: "Zum einen schaffen das die Kirchen nicht mehr, zumindest ist das die Botschaft, die uns die beiden großen christlichen Konfessionen - die evangelische und die katholischen Kirche - senden. Das heißt, wenn es denkmalgeschützte Gebäude sind, haben wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, wie bei jedem Fachwerkhaus. Zum anderen hat die Gesellschaft auch etwas davon, weil sie solche Räume derzeit sucht und neu baut."

Auch die Stiftung Baukultur Nordrhein-Westfalen unterstützt die Initiative. Die Stiftung engagiert sich für baukulturell bedeutsame Themen aus Architektur und Stadt- und Landschaftsentwicklung.

Der Verein beklagt in einer Pressemitteilung: "Immer häufiger werden Kirchengebäude zum Verkauf angeboten. Für die Kirchenverwaltungen sind sie von heiligen Orten zu nüchternen Kosten geworden. Gründe dafür sind neben den sinkenden Gemeindemitgliedern und Kirchensteuereinnahmen Sanierungsstaus sowie hohe Betriebs- bzw. Instandhaltungskosten. In der Konsequenz werden die oft denkmalgeschützten Bauwerke zu Investitionsobjekten mit Renditezwang degradiert."

Dabei stelle sich, so die Stiftung Baukultur, die Frage: Berücksichtigen Kirchenträger noch ausreichend die vielfältigen Bedeutungsebenen ihrer Kirchen als Gebäudetypologie und Orte der Gemeinschaft? Gesellschaftlich betrachtet stünden viele Kirchen mit ihren einzigartigen Räumen als natürliche Orte für Gemeinschaft und Kultur. Gerade auch im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der katholischen und evangelischen Kirche könnten Kirchengebäude inhaltlich durchaus neu besetzt und wieder zu dringend benötigten Orten des Austausches transformiert werden – unabhängig von Religionszugehörigkeit oder Nationalität. Dies könne doch auch seitens der Kirchenträger als Chance für die Transformation begriffen werden.

In NRW gebe es bereits viele Projekte, die zeigen, wie dies gelingen kann. Wie etwa eine Kirche in Dortmund, die als Gemeindezentrum und Veranstaltungsort genutzt wird. Oder eine Kirche in Gelsenkirchen, in der ein Stadtteilzentrum mit Großküche, Theater, Kinder- und Jugendräume, Büros, Schulungs- und Beratungsbereiche sowie Fahrradwerkstatt entstanden seien.

Das Kirchenmanifest kritisiert, dass die Kirchen zwar nach ihrem Selbstverständnis Sachwalterinnen des Kirchenbestands sind. Doch sie allein seien mit dem Erhalt überfordert. Andererseits würden Politik und Gesellschaft die Kirchen in dieser Frage gewähren lassen oder scheuten, die Verantwortung zu über-nehmen. Die drohende Folge sei, dass, sich Städte und Dörfer gravierend verändern, wenn Kirchenbauten wegfallen. "Daher brauchen wir eine breite Debatte über eine neue Trägerschaft, um Kirchenbauten als Gemeingüter zu sichern." Es gelte, "diesen Schatz als lebendiges Erbe zu erhalten".

Aber wie soll das gehen? In dem Kirchenmanifest heißt es dazu: "Wir fordern eine neue Stiftung oder Stiftungslandschaft. Wird das Eigentum an bedrohten Kirchenbauten und ihren Ausstattungen durch eine Stiftung übernommen, verringert sich der wirtschaftliche Verwertungsdruck. Als Vorbild steht das erfolgreiche Modell der 'Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur' bereit, die vom Bund, vom Land Nordrhein-Westfalen, von der RAG-Stiftung, der RAG AG und vom Regionalverband Ruhr finanziell gefördert wird. So können in Nordrhein-Westfalen seit 1995 Bauten gesichert, erforscht, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und neuen Nutzungen zugeführt werden."

Die Kirchen selbst werden dabei als "kooperative Partnerinnen" einer breit aufgestellten Verantwortungsgemeinschaft mit Staat, Gesellschaft und weiteren Akteurinnen und Akteuren angesehen.

So reagieren die Kirchen

Die katholische und evangelische Kirche haben bereits reagiert. In einer gemeinsamen Presseerklärung heißt es:

"Die sinkende Kirchenmitgliedschaft, der Rückgang des Gottesdienstbesuchs und abnehmende personelle Ressourcen führen dazu, dass die kirchengemeindlichen Strukturen vielerorts mittels Zusammenlegung und Reduktion angepasst werden. Weite-re Wirkfaktoren sind der dauerhafte Rückgang kirchlicher Finanzmittel sowie städteplanerische Veränderungen im Zuge des soziodemografischen Wandels. Etliche Gottesdiensträume wer-den gegenwärtig nicht mehr in vollem Umfang für die Feier des Gottesdienstes benötigt. Das stellt für beide Kirchen eine große Herausforderung dar.

Insofern ist die Veröffentlichung des Manifests "Kirchen sind Gemeingüter!" durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und andere Akteure begrüßenswert. Es nimmt eine gemeinsame Verantwortung für die Nutzung, die Pflege und den Erhalt von Kirchengebäuden in den Blick. Die beiden großen Kirchen und die Initiatoren des Manifests eint die Sorge um das baukulturelle und kunsthistorische Erbe, das in den Kirchen und Kapellen in unseren Ortschaften und Städten über Jahrhunderte zum Aus-druck kommt.

Insgesamt setzt das Manifest einen wichtigen Impuls. Wie dessen Initiatorinnen und Initiatoren sehen auch die beiden Kirchen einen Gewinn in einer Beteiligung weiterer gesellschaftlicher Ak-teure an den Fragen des Erhalts und der Pflege dieser besonderen Bauten, deren rein kirchliche Nutzung vielfach und zunehmend in Frage steht.

Dauerhafter Erhalt und Pflege dieser zur Diskussion stehenden Kirchengebäude sind jetzt und in Zukunft die Grundlage für jedwede Nutzung – liturgisch, kulturell, sozial, vielfältig. Ziel sollte die Entwicklung von – auch finanziell – tragfähigen Konzepten für den Umgang mit diesen kirchlichen Gebäuden und Baudenkmalen sein."

Ausdrücklich wird in der Stellungnahme nicht auf den letzten Satz des Kirchenmanifests eingegangen, dass die Kirchenbauten und ihre Ausstattungen eben nicht allein den kirchlichen Institutionen und Gemeinden gehörten, sondern als ererbte Räume Gemeingüter seien, die allen gehören.

Deutlicher als es in der Presseerklärung der Kirchen formuliert wird, wird bei dieser Frage indes Christoph Thiele, der Leiter der Rechtsabteilung des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Er sagte in der Sendung "Tag für Tag" im Deutschlandfunk: "Das kann man so nicht stehen lassen. Der Satz 'Kirchen sind Gemeingüter' ist missverständlich, unklar, ist irreführend. Wir müssen hier wirklich aufpassen, dass die sakrale Funktion der Kirche hier nicht untergeht." Es gehe hier um eine natürliche Verantwortung, die die Kirchen seit Jahrhunderten wahrnähmen.

Thiele macht unmissverständlich klar: "Eine Bundesstiftung ist sicher nicht das, was wir gebrauchen können. Wir sind ein Rechtsstaat und die Eigentumslage ist völlig klar, es geht um eine Zahl von circa 42.000 Kirchengebäuden. Wir haben es mit einer Fülle von Eigentümern und Eigentumskonstellationen zu tun. Das wird es schwierig machen, ein übergeordnetes Modell auf Bundesebene zu etablieren."

Zu der Idee, die Staatsleistungen, die immer noch jährlich an die Kirchen gezahlt werden (im vergangenen Jahr waren dies 618 Millionen Euro), in einen Fonds zum Erhalten der Kirchengebäude fließen zu lassen, sagt Thiele: "Diese Diskussion finde ich merkwürdig, weil die Staatsleistungen schon immer eigentlich, zu Teilen jedenfalls, gerade der Bauerhaltung dienen."

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