Kommentar

Friedrich Merz, muslimische Studierende und der blinde Fleck im Umgang mit Religion an Universitäten

Für einen CDU-Politiker ist es ein ungewöhnlicher Vorstoß: Friedrich Merz hat sich bei einem Besuch der Medizinischen Hochschule Hannover öffentlich für eine strikte Trennung von Staat und Religion an deutschen Hochschulen ausgesprochen. Ein grundsätzlich begrüßenswertes Anliegen – wäre seine Kritik nicht so einseitig: Merz nahm ausschließlich muslimische Studierende ins Visier und schwieg auffällig zu christlichen Einflüssen auf den akademischen Betrieb.

Anlass für seine Äußerung waren zwei kürzlich bekannt gewordene Vorfälle: An der Christian-Albrechts-Universität in Kiel hatte die Islamische Hochschulgruppe im Rahmen einer "Islamwoche" eine geschlechtergetrennte Sitzordnung eingeführt, bei der Frauen über einen separaten Eingang den Hörsaal betreten und in den hinteren Reihen Platz nehmen sollten. Wenige Tage später versammelten sich Studierende der Charité Berlin zu einer Koranrezitation, organisiert von der Hochschulgruppe Medislam Collective. Beide Ereignisse lösten zu Recht heftige öffentliche Kritik aus – denn religiöse Vorschriften, die grundlegende Gleichheitsprinzipien aushebeln, haben an staatlichen Bildungseinrichtungen keinen Platz und müssen untersagt werden.

Friedrich Merz nutzte die Gelegenheit für eine scharfe Ansage: "Diejenigen, die aus der muslimischen Welt zu uns kommen, die herzlich willkommen sind an unseren Universitäten, mögen bitte daran denken, dass wir ein laizistischer Staat sind und eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche haben." Und weiter: "Das erwarten wir, und das werden wir gegebenenfalls auch durchsetzen."

Doch hier liegt ein Denkfehler zugrunde – und ein politischer Doppelstandard. Denn erstens ist Deutschland kein laizistischer, sondern ein säkularer Staat. Zweitens wäre die Forderung nach religiöser Zurückhaltung glaubwürdiger, wenn sie auch die christlichen Privilegien an deutschen Universitäten in den Blick nähme.

Säkular oder laizistisch? Ein fundamentaler Unterschied

Ein säkularer Staat wie Deutschland trennt Religion und Staat organisatorisch, gewährt jedoch weiterhin Kooperationen mit Religionsgemeinschaften – etwa im Rahmen religiöser Feiertage, des Religionsunterrichts oder der theologischen Fakultäten. Ein laizistischer Staat hingegen – wie etwa Frankreich – geht einen entscheidenden Schritt weiter: Er verbannt Religion vollständig aus dem öffentlichen Raum staatlicher Institutionen. Der Staat lässt sich auf keinerlei institutionelle Kooperation mit Religionsgemeinschaften ein.

Der Katholik Friedrich Merz beruft sich gegenüber muslimischen Studierenden auf den Laizismus – während er gleichzeitig in einem Staat lebt, der christliche Kirchen durch Kirchensteuer, konfessionellen Religionsunterricht und universitäre Sonderrechte privilegiert. Das ist keine konsequente Religionskritik – das ist kulturell eingefärbter Opportunismus.

Wer von "religiöser Einflussnahme" an Universitäten spricht, muss auch im Blick haben, wie tief christliche Strukturen im deutschen Hochschulbetrieb verankert sind. So existieren in mehreren Bundesländern sogenannte Konkordatslehrstühle, bei denen die katholische Kirche ein Mitspracherecht bei der Besetzung von Professuren hat – ein Relikt aus früheren Staatskirchenverträgen, das in eklatantem Widerspruch zur wissenschaftlichen Unabhängigkeit steht. Auch christliche Hochschulgruppen wie die Studentenmission in Deutschland (SMD) oder die katholische und evangelische Hochschulgemeinde sind an vielen Universitäten fest etabliert und veranstalten regelmäßig Glaubensabende, Gebete und missionarische Treffen auf dem Campus – meist unter staatlicher Duldung oder sogar mit institutioneller Unterstützung.

In Städten wie Würzburg oder Heidelberg gibt es eigene Universitätskirchen, die von den Hochschulen mitverwaltet werden und eine symbolische wie räumliche Nähe zwischen religiösem Bekenntnis und akademischer Einrichtung repräsentieren. In Leipzig wurde der Versuch unternommen, im Paulinum, der offiziellen Aula der Universität, eine historische Kirchenkanzel anzubringen. Während muslimische Hochschulgruppen zunehmend unter Generalverdacht geraten – zuweilen nicht ohne Grund –, bleiben diese christlichen Strukturen weitgehend unkommentiert und unangetastet. Genau das ist der blinde Fleck in der Debatte um Religion und Hochschule: Eine Kritik, die sich nur gegen das vermeintlich Fremde richtet, aber das eigene religiöse Erbe nicht reflektiert, ist nicht säkular – sondern selektiv.

Universitäten sind Orte der Wissenschaft – nicht der Glaubenspflege

Wer wirklich für eine säkulare, offene und diskriminierungsfreie Hochschule eintreten will, muss Religion jeder Couleur aus dem universitären Betrieb heraushalten – nicht nur dort, wo sie kulturell abweichend erscheint. Der Hörsaal ist kein Andachtsraum. Universitäten sind dem wissenschaftlichen Diskurs verpflichtet – nicht religiösem Dogma. Wo Glaube im universitären Rahmen zur gelebten Praxis wird und Räume beansprucht, endet der geschützte Rückzugsraum der Religionsfreiheit.

Was es braucht, ist kein kulturkämpferischer Fokus auf den Islam, sondern eine prinzipientreue Debatte über die Rolle der Religion an öffentlichen Hochschulen. Dazu gehört: die Abschaffung kirchlich beeinflusster Lehrstühle, die Beendigung institutioneller Privilegien und die konsequente Neutralität öffentlicher Bildungseinrichtungen gegenüber allen Religionen. Wenn Friedrich Merz ernst meint, was er sagt, dann sollte er den laizistischen Gedanken nicht nur gegen muslimische Gruppen richten – sondern auch vor der eigenen Haustür kehren.„"

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